Ich habe gezögert, mich zu dem Thema zu äußern (mal abgesehen davon, dass dieser Eintrag auf der nach oben offenen Selbstreferenz-Skala rekordverdächtig punktet). Ich bin selbst für den Grimme-Online-Award nominiert. Man kann mir also vorwerfen, befangen und unaufrichtig zu sein oder auch einfach die für mich bequemste Haltung zu dem Thema einzunehmen. Andererseits erzähle ich den Leuten dauernd, dass es sich im Internet auszahlt, offen zu sein und auf Kritik einzugehen. Also wollte ich nicht kneifen.
Wie sehr die Debatte um den diesjährigen Grimme-Online-Award entglitten ist, kann man an vielen Stellen sehen. Zum Beispiel an der heutigen sonntäglichen Wochenschau, die Detlef Borchers alias Hal Faber für Heise Online schreibt. Er zitiert aus der Stellungnahme des Grimme-Institues:
„Im Unterschied zu anderen Medienpreisen, bei denen fachkundige Beobachter und Kritiker in einer Jury nicht unbedingt selbst Akteure sind, ist eine solche Überschneidung beim Medium Internet nicht auszuschließen.“
Hal Faber nennt diese Erklärung „seltsam“ und fügt höhnisch hinzu:
Das muss ja höllisch kompliziert sein, dieses Internet.
Nur geht es weder in der Stellungnahme Grimmes noch bei dem Streit überhaupt um die Frage, wie „kompliziert“ „dieses Internet“ ist. Es geht um die Frage, wie eng die Nominierten und die, die über die Nominierungen und die Auszeichnungen entscheiden, miteinander verbandelt sind.
In der Jury des Grimme-Fernsehpreises sitzen Menschen, die über das Fernsehen schreiben. Das sind in aller Regel keine Menschen, die Fernsehen machen. Diese Trennung zwischen Kritikern und Machern gibt es Internet fast nicht. Wer über das Internet berichtet, publiziert in der Regel auch im Internet. Deswegen sind die meisten Jurymitglieder beim Grimme-Online-Award (anders als beim Grimme-Fernsehpreis) potentiell immer auch Preisträger. Und deswegen gibt es zwischen allen Beteiligten enge Bande.
Das ist ein Problem. Man wird das vermutlich nicht lösen können. Aber man müsste es auch nicht noch dadurch noch dramatisch verschärfen, dass die Jury ein Angebot eines Jurymitglieds für den Preis nominiert. Das geht nicht. Auch dann nicht, wenn das betroffene Jurymitglied daraufhin sofort die Jury verlässt. Das müsste eine Selbstverständlichkeit sein.
Dass die Jury dennoch den „Elektrischen Reporter“ von Mario Sixtus nachnominiert hat, war meiner Meinung nach ein Fehler. Er war, gelinde gesagt, naiv und unsensibel und schadet der Glaubwürdigkeit des Preises. (Mario Sixtus hat es vielleicht am meisten geschadet, weil die Nominierung und der eventuelle Preis nun mit einem Makel versehen ist, den sein feiner „Elektrischer Reporter“ nicht verdient hat.)
Und auch wenn man bei Grimmes anscheinend unbeirrt der Meinung ist, dass das Verfahren korrekt war, scheint die Kritik doch angekommen zu sein: Für das nächste Jahr soll eine „Änderung des Statuts“ erörtert werden, damit die „Klarheit des Verfahrens“ auch „öffentlich nachvollziehbar“ ist.
Nun kann man darüber, dass man bei Grimmes nicht gesehen hat, wie problematisch die Entscheidung der Jury war, noch länger den Kopf schütteln, wenn man will. Für mich aber ist die Sache damit erledigt. Ich war einige Male in der Jury des Grimme-Fernsehpreises. Ich habe die Arbeit dort als diskussionsfreudig, transparent, demokratisch, unabhängig erlebt und habe auch deshalb ein hohes Grundvertrauen in die Integrität des Grimme-Institutes.
Nicht nur deshalb finde ich die Art, wie an manchen Stellen nun über den Grimme-Online-Award diskutiert wird, hysterisch. Kritischen Fragen (auch zu anderen Themen) muss sich der Preis stellen, das hält er auch aus. Aber schon der Vorwurf der „Mauschelei“ ist abwegig: Mauscheleien sind „geheime Absprachen“; die Entscheidung der Jury, ein Bis-gerade-noch-Jurymitglied zu nominieren, geschah aber in aller Öffentlichkeit und jeder konnte sich seine Meinung dazu bilden.
Grotesk finde ich es auch, an diesem Fall nun ganze Korruptionsdebatten aufzuhängen, um den Ruf unseres Landes zu fürchten („Eine Institution, die auch außerhalb der Bundesrepublik Deutschland geachtet wird, wird durch wenige ausgenutzt, die eigene Ziele verfolgen“), eine Verbindung zum Widerstand Adolf Grimmes im Dritten Reich herzustellen etc pp. Wer so argumentiert, dem geht es, glaube ich, nicht um Grimme, sondern darum, die Grenze zwischen den vermeintlich sauberen, ehrlichen, werbefreien Bloggern und den angeblich korrupten, käuflichen, werbeverseuchten Bloggern um jeden Preis weiter zu befestigen.
(Einen Nebenkriegsschauplatz bildet seit gestern übrigens das Medienmagazin DWDL, das die außerordentlich schlechte Idee hatte, den Redakteur ein Interview zum Thema führen zu lassen, der jahrelang die Pressearbeit für den Preis gemacht hat.)
Was ich mir im konkreten Fall und grundsätzlich wünschen würde: Dass es häufiger gelingt, den Einzelfall zu kritisieren, ohne ihn immer gleich zum Beleg für den Untergang des Grimme-Instituts / der Blogkultur / des kritischen Journalismus / des Abendlandes aufzublasen. Schon weil es eine fruchtbare Diskussion über den Einzelfall so erschwert.