Wenn ich es richtig verstehe, geht es Helmut Markwort bei seinem juristischen Kampf gegen ein Zitat von Roger Willemsen um zweierlei: seine journalistische Ehre. Und die Wahrheit. Ich fürchte, beide Kämpfe sind hoffnungslos.
Fangen wir mit der Wahrheit an und schauen, wie der Mediendienst „Meedia“ über den Fall berichtet. „Meedia“ hat sich darauf spezialisiert, Meldungen aus fremden Quellen abzuschreiben, ist aber leider nicht gut darin, Meldungen richtig aus fremden Quellen abzuschreiben. Als Markwort am vergangenen Dienstag vor dem Bundesgerichtshof unterlag, schrieb „Meedia“:
Es ging um ein Gespräch, das Markwort Anfang der 90er-Jahre mit dem Schriftsteller Ernst Jünger geführt hatte und vom [sic!] dem Willemsen nun behauptete: „Das ‚Focus‘-Interview, das Markwort mit Ernst Jünger geführt haben will, war schon zwei Jahre zuvor in der ‚Bunten‘ erschienen.“
Und als Markwort am nächsten Tag bekannt gab, dass er prüfen wolle, ob er gegen das Urteil vors Bundesverfassungsgericht ziehen wolle, schrieb „Meedia“:
Es ging um ein Gespräch, das Markwort Anfang der 90er-Jahre mit dem Schriftsteller Ernst Jünger geführt hatte und vom [wiederum sic!] dem Willemsen nun behauptete: „Das ‚Focus‘-Interview, das Markwort mit Ernst Jünger geführt haben will, war schon zwei Jahre zuvor in der ‚Bunten‘ erschienen.“
Nur hat Markwort gar kein Interview mit Ernst Jünger geführt und dies auch nicht behauptet. Genau das ist der erschütternd banale sachliche Kern des jahrelangen Rechtsstreits. Willemsens Aussage ist falsch, weil das Interview nicht Markwort, sondern Axel Thorer geführt hat. Ist es nicht eine schöne Ironie, dass „Meedia“ diesen Fehler jetzt wiederholt? (Die Kommentare liest dort übrigens auch niemand.)
Markwort beharrt außerdem darauf, dass die Interviews in „Bunte“ und „Focus“ nicht identisch gewesen seien. Das ist aber eine bloße Nebelkerze. Tatsache ist, dass der „Focus“ nicht nur viele alte Zitate wiederholte, sondern an mehreren Stellen den falschen Eindruck erweckte, das zweieinhalb Jahre alte Interview sei aktuell entstanden. Der „Spiegel“ berichtete damals über seinen neuen Möchtegernkonkurrenten:
Nun streiten sich Thorer und Focus-Chef Markwort, „wer wen über den Tisch gezogen hat“ (Markwort). Thorer sagt, das Magazin habe das alte Interview ohne sein Zutun neu verpackt. Markwort spielt den Geleimten: Thorer habe das vergilbte Stück als frische Ware verkauft.
Handelt es sich um dasselbe Interview, wie Willemsen behauptet? Entscheiden Sie anhand einiger Ausschnitte selbst:
„Bunte“, 14.03.1991 |
„Focus“, 13.09.1993 |
Kam die Wiedervereinigung zu schnell — und ist sie zu teuer?
Wenn dein Bruder vor der Tür steht, lässt du ihn rein und fragst nicht, was er dich kosten wird. |
Kam die Wiedervereinigung zu schnell, wurde sie zu teuer? Jünger schüttelt sein Cäsarenhaupt: „Ich war beglückt über die Wiedervereinigung, ich hatte sie nicht erwartet. Selbstverständlich gibt es Schwierigkeiten. Aber wenn ein Bruder vor der Tür steht, laß ich ihn erst einmal rein und seh‘ dann, wie ich zurechtkomme.“ |
Ist die Angst des Auslands vor einem neuen Großdeutschland berechtigt?
Ich glaube nicht. Wir haben genug vom Nationalismus! Das neue Deutschland ist ja nur ein beschränktes Deutschland, ohne Schlesien, Pommern. Die DDR — das sind 16 Millionen Deutsche, die zu 60 Millionen hinzukommen: eine bessere Provinz. |
Aber da ist die Angst des Auslandes vor einem neuen Großdeutschland.
Jünger: „Ich glaube nicht. Wir haben genug vom Nationalismus! Das neue Deutschland ist ja auch nur ein beschränktes Deutschland, ohne Schlesien, Pommern. 17 Millionen Deutsche sind zu 60 Millionen hinzugekommen. Eine bessere Provinz.“ |
Hat der gefährlichste Moment Ihres Lebens mit Hitler zu tun?
Ja. Es war der Tag, an dem Hitler mich treffen wollte. Durch ein Wunder hinderte ihn eine Änderung des Reiseplans in letzter Minute daran. Stellen Sie sich vor: Fotos, die um die ganze Welt gegangen wären! Eine einzigartige Gelegenheit für gewisse Leute, meinen Ruf nach dem Krieg noch ein wenig mehr zugrunde zu richten. |
Kurz zuvor kam es zum „gefährlichsten Moment seines Lebens“. Es war der Tag, an dem Hitler sich bei ihm zu Hause angesagt hatte.
Jünger: „Wenn der Sie sehen wollte, konnten Sie einfach nichts machen. Aber durch ein Wunder hinderte ihn eine Änderung des Reiseplans in letzter Minute daran. Stellen Sie sich die Fotos vor, die um die Welt gegangen wären! Eine einzigartige Gelegenheit für gewisse Leute, meinen Ruf nach dem Krieg noch ein wenig mehr zugrunde zu richten.“ |
Nazi waren Sie jedoch nie. Warum nicht?
Das war für mich eine Frage des Geschmacks, des Stils. Hitler war eine minderwertige Persönlichkeit, gegen die ich von Anfang an Mißtrauen und Abneigung empfand. Die Brutalität, Vulgarität und Ignoranz der Parteiführung war augenfällig. Hitler war ein historischer Ladenhüter. Der Angriff auf die Juden sein Kardinalfehler. Die Zukunft, der Weltstaat, wird keine Rassen mehr kennen. |
Wieso diese Distanz zu Hitler? frage ich.
Jünger: „Das war für mich eine Frage des Geschmacks und des Stils. Hitler war eine minderwertige Persönlichkeit, gegen die ich von Anfang an Mißtrauen und Abneigung empfand. Die Brutalität, Vulgarität und Ignoranz waren augenfällig. Hitler war historisch ein Ladenhüter. Der Angriff auf die Juden sein Kardinalfehler. Die Zukunft, der Weltstaat, wird keine Rassen mehr kennen.“ |
Wer waren die größten Persönlichkeiten, die Sie in Ihrem Leben getroffen haben?
Ich bin nur zwei Menschen begegnet, die einen magischen Eindruck auf mich gemacht haben — dem Maler Pablo Picasso und dem Philosophen Martin Heidegger. Da spielte sich wirklich etwas ab. |
Gab es in seinem langen Leben Menschen, die ihn nachhaltig beeindruckt haben?
Jünger: „Nur zwei. Der Maler Pablo Picasso und der Philosoph Martin Heidegger. Da spielte sich etwas ab.“ |
Worauf sind Sie stolz?
Dass ich in den Handbüchern der Entomologie neun Schmetterlinge und Käfer gesehen habe, die meinen Namen tragen.
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Und worauf ist er stolz?
„Auf die Insekten, die meinen Namen tragen. Nicht auf die Bücher.“ |
Man ahnt: Es ist weniger Willemsens ungenaue Darstellung als die Episode selbst, die an Markworts gutem journalistischem Ruf kratzt (von dessen Existenz wir jetzt einfach mal hypothetisch ausgehen). Insofern ist es erstaunlich, dass Markwort glaubte, dass es eine gute Idee wäre, ausgerechnet an diesem Fall ein Exempel zu statuieren — und nicht gegen Willemsen, sondern die „Saarbrücker Zeitung“ vorzugehen, weil die unter der Überschrift „Heute wird offen gelogen“ ein Interview mit Willemsen veröffentlicht hatte, in dem der halbfalsche Satz Willemsens stand.
Und die Jünger-Geschichte war, wie man so schön sagt, kein Einzelfall. Im Juli 1994 veröffentlichte die Illustrierte ein „Focus-Interview“, das vier Mitarbeiter der Zeitschrift „L’Express“ vor dem französischen Nationalfeiertag mit dem damaligen Staatspräsidenten François Mitterrand geführt hatten, tat aber so, als hätte es erst danach stattgefunden. Das Staatspräsidium bezeichnete die Verfälschungen als „absolut unzulässig“. Und 1995 musste der „Focus“ einräumen, dass ein Interview mit der bangladeschischen Schriftstellerin Taslima Nasrin gar nicht stattgefunden hatte — Markwort erklärte damals, er und seine Redaktion seien von einem freien Mitarbeiter „hereingelegt“ worden.
Ja, das alles ist lange her. Und vielleicht sollte man über die Ehre Helmut Markworts doch eher auf der Grundlage neuerer Befunde urteilen. Es bietet sich unter anderem diese Geschichte an, bei der sich ein interessanter Kontrast zeigt zwischen der Bereitschaft, andere zu diffamieren, und der fehlenden Bereitschaft, kritische Berichte darüber hinzunehmen.
Oder natürlich die aktuelle Berichterstattung im „Focus“ über die angebliche Affäre zwischen Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht. Der „Spiegel“ hatte seinen Bericht darüber ja mit dem Hinweis begründet, dass das Private politische Folgen habe. Der „Focus“ veröffentlicht heute genaue Details, wann und unter welchen Umständen sich die beiden Linken-Politiker angeblich vor zwei Jahren in Lafontaines Wohnung getroffen haben. Journalistisch scheingerechtfertigt wird die Enthüllung dieser privaten Details mit der Nachricht, dass beide bespitzelt worden seien.
Das ist der Gipfel der Heuchelei: Man berichtet darüber, dass Lafontaine bespitzelt wurde, spricht von einem „neuen Wirbel um Oskar Lafontaine“, den man selbst erst produziert, und legitimiert so die Veröffentlichung der angeblichen Ergebnisse der Spitzelei.
Aber damit der klagefreudige Herr Markwort nicht wieder seinen Anwalt losschicken muss, um seine Ehre zu verteidigen, stelle ich sicherheitshalber klar: Der verlogene „Focus“-Artikel stammt nicht von ihm, sondern von „Focus“-Korrespondent Armin Fuhrer. Markwort ist für ihn nur verantwortlich.