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Kennste einen Bombenangriff, kennste alle: Das „heute journal“ nimmt’s in Syrien nicht so genau

Am vergangenen Freitag berichtete das „heute journal“, wie die russische Luftwaffe in Syrien nicht nur Stellungen des IS bombardiert, sondern auch Städte, die von der oppositionellen Freien Syrischen Armee kontrolliert werden. Der Film begann so:

Stahlblauer Himmel über Syrien. Beste Sicht für Jagdbomber mit ihrer todbringenden Fracht.

Mittwoch, 14. Oktober. Bomben schlagen ein in der Syrischen Kleinstadt Darrat Ezzah. Sie treffen eine Wohnsiedlung.

Unter den Toten und Verletzten sind Kinder, Frauen und ein Hochzeitspaar. Sie haben vor 6 Tagen geheiratet. Die Braut stirbt unter den Trümmern.

Der Bräutigam erliegt erst heute seinen Verletzungen. Er war 22 Jahre alt.

(Mann 1:) „Meine Familie und ich waren im Haus, als eine Rakete eingeschlagen ist. Das war definitiv keine Fassbombe. Die haben einen viel kleineren Explosionsradius. Hier in Darrat Ezzah leben nur Zivilisten. Aber ich sagen euch, auch wenn unser Ort jetzt zerstört ist: Wir werden am Ende die Sieger sein.“

Die Einwohner von Darrat Ezzah sind überzeugt, dass die Bombardierungen dieser Woche nicht von Assads Luftwaffe,

sondern vom russischen Militär geflogen wurden.

(Mann 2:) „Wir haben alle noch tief geschlafen, als sie uns um 7 Uhr morgens angegriffen haben. Dabei gibt es hier weit und breit keine IS-Terroristen. An diesem Ort leben doch nur Zivilisten! Wir haben genau gesehen, dass es russische Kampfjets waren.“

(Mann 1:) „Schau her, Obama, was mit uns passiert. Wir werden angegriffen, während wir schlafen.“

Wenn ich Ihnen jetzt sagen würde, dass der Mann, der da auf dem Geröllhaufen steht und über den Raketeneinschlag in sein Haus redet (Mann 1), dort gar nicht am 14. Oktober stand und auch nicht derselben Woche, sondern am 6. Oktober – wären Sie dann überrascht? Oder würden Sie sagen: Naja, klar, das sind halt viele Aufnahmen von verschiedenen Bombenangriffen, ungefähr aus der Zeit, ungefähr aus der Gegend, passt schon, stimmt ja?

Es ist nämlich tatsächlich so: Die Aufnahmen von diesem Mann und auch noch einige weitere, die später im Bericht vorkommen, sind über eine Woche vorher entstanden. Sie wurden vom Informationsamt der Stadt Darrat Ezzah (auch: Dar Ta’izzah) am 6. Oktober bei YouTube hochgeladen:

Beim ZDF hält man das für unproblematisch. Ein Sprecher teilt mir auf Anfrage mit:

Die „heute-journal“-Berichterstattung über zivile Opfer von Luftschlägen in Syrien vom 16. Oktober 2015 stützte sich auf Bildmaterial, das im Zeitraum vom 5. bis 15. Oktober 2015 rund um Aleppo entstanden ist. Die einzige im Beitrag konkret formulierte Datumsangabe, „14.10.2015“, bezieht sich eindeutig auf den Angriff des in der Eingangsszene gezeigten Militärjets.

Wer den Beitrag aufmerksam verfolgt, nimmt dessen zeitlichen Rahmen nicht als „Tagesreportage“ wahr. Wenn es dennoch so sein sollte, bedauert die Redaktion dies. Aus dem Beitrag geht jedenfalls klar hervor, dass es sich um mehrere Angriffe handelte („Bombardierungen dieser Woche“), und dass die Einwohner von Darat Ezza unter systematischem und langanhaltendem Beschuss leiden.

Das sehe ich anders. An keiner Stelle sagt der Bericht, dass die Einwohner von Darat Ezzah unter systematischem und langanhaltendem Beschuss leiden. Und selbst wenn die Formulierung von den „Bombardierungen dieser Woche“ darauf hinweisen soll, ist sie genau genommen falsch, denn zu sehen war eine Bombardierung der vorangegangenen Woche.

Für mich ganz ohne Zweifel erweckt der „heute journal“-Beitrag den Eindruck, der Mann kommentiere den Angriff vom 14. Oktober, mit dem der Film beginnt. Es ist die klassische Abfolge eines Nachrichtenfilms: Wir sehen zuerst die Flieger. Dann den Bombeneinschlag. Dann, wie Opfer geborgen werden. Dann wütende oder verzweifelte Kommentare von Augenzeugen. Dass der Augenzeuge in diesem Fall einen anderen Angriff kommentiert, der an einem anderen Tag möglicherweise in der Nähe stattfand, kann der Zuschauer nicht ahnen.

Kurz nachdem der Mann (am 5./6. Oktober) gesprochen hat, kommt Dara Hassanzadeh, einer der Autoren des Films, in Bild und spricht – nun wieder, ohne es ausdrücklich zu sagen, über den Angriff vom 14. Oktober:

„Die Militärexperten von Jane’s Defence aus London haben zweifelsfrei verifiziert, dass es sich bei diesem Flugzeugtyp um die russische Maschine SU-34 Fullback handelt. Von dieser Maschine, so sehen wir das in unserem Rohmaterial, wurden Bomben auf die Stadt geworfen. Nicht zweifelsfrei verifizieren können wir, ob die gefundene Bombe tatsächlich auch von diesem Flieger abgeworfen wurde.“

Das ist ja schön, dass der Kollege so genau erklärt, was man zweifelsfrei verifizieren konnte und was nicht. (Hassanzadeh hält auch Vorträge zum Thema Videoverifizierung.) Aber was hilft diese Genauigkeit, wenn im Rest des Beitrags Aufnahmen von unterschiedliche Angriffen, die mindestens eine Woche auseinanderliegen, wild miteinander vermischt werden, ohne das in irgendeiner Weise kenntlich zu machen?

Ich habe keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass die jeweiligen gezeigten Aufnahmen echt sind. Es geht auch nicht darum, ob das ZDF hier, wie es von einschlägig bekannten und immer hemmungsloseren Hetz- und Hassseiten behauptet wird, bewusst lügt, um „Kriegspropaganda“ gegen Russland zu betreiben. Es geht schlicht um journalistisches Handwerk, das es nach meinem Verständnis verbietet, Bilder verschiedener Ereignisse miteinander zu vermischen, ohne das kenntlich zu machen. Ich bin ein bisschen erstaunt, dass das „heute journal“ das auch auf Nachfrage anders sieht.

Claus Kleber moderiert eine Wirkt-wie-eine-Nachrichtensendung-Sendung im ZDF

Die Sache an sich ist schon traurig genug: Wie die halbe deutsche Medienlandschaft auf die Schweizer „Sonntagszeitung“ hereinfiel, die behauptet hatte, die Schweiz stelle „neuerdings“ Steuersünder an den Pranger. In Wahrheit gibt es die Praxis seit fünf Jahren.

Die deutsche Nachrichtenagentur dpa hatte die Behauptung der „Sonntagszeitung“ übernommen und gemeldet:

Die Schweiz als Steuerparadies: Seit die Fahnder durch den Kauf von Bankdaten-CDs in der Vorhand sind, ist es für Steuerhinterzieher dort brenzlig geworden. Immerhin konnten sie bisher hoffen, dass ihre Namen nicht öffentlich bekannt werden. Doch auch das ist nun vorbei.

Berlin (dpa) – Die Schweizer Steuerverwaltung hat damit begonnen, die Namen möglicher deutscher und anderer ausländischer Steuerbetrüger im Internet zu veröffentlichen.

Am Montag stand das dann in der ein oder anderen Form überall. (Mehr beim BILDblog.)

Irgendwann sickerte dann an manchen Stellen (unter anderem bei dpa) die Erkenntnis durch, dass es sich gar nicht um ein neues Verfahren der Schweizer Behörden handelte. Und irgendwie erreichte diese Information auch Claus Kleber. Zu diesem Zeitpunkt scheint seine Anmoderation des „heute journal“-Beitrags im ZDF zu dem Thema aber schon soweit fertig gewesen zu sein, dass er keine Lust mehr hatte, sie nochmal komplett umzuschreiben.

Jedenfalls sagte er am Dienstagabend (ab 9:06):

Die kleine Schweiz hat mächtig davon profitiert, dass ihre Steuerbehörden und Bankhäuser verschwiegen waren wie … wie halt eine Schweizer Bank. Bekanntlich ist dieses Geschäftsmodell in letzter Zeit vor die Wand gefahren. Und die Schweizer schalten jetzt um auf völlige Öffnung. Und damit riskieren sie den letzten Rest ihrer Glaubwürdigkeit. Wenn man genau hinschaut, ist es nicht neu. Aber es wirkt wie neu – und überrascht. Die Finanzbehörden der Schweiz stellen jetzt Namen und Geburtsdaten von Ausländern ins Netz, die Argwohn erregen, weil ihre heimischen Finanzämter die Schweiz nach deren Konten gefragt haben.

Ist nicht neu, wirkt aber neu, da kann man gut also so tun, als wäre es neu. Die Anmoderation Klebers ist dann doch noch trauriger als alles andere an dieser Geschichte.

[via turi2]

Nachrichten-Wahnsinn pur: Das „heute-journal“, der Nahostkrieg und das WM-Drama

Es zwingt niemand das ZDF, sein „heute-journal“ in die Halbzeitpause eines WM-Spiels zu quetschen. Es könnte es vorher schon ausstrahlen, um 21 Uhr zum Beispiel. Es könnte es auch einfach ausfallen lassen. Aber das ZDF will das „heute-journal“ an solchen Tagen nicht ausfallen lassen oder vorher in der üblichen Länge zeigen. Es will es in die Halbzeitpause quetschen, um auf diese Weise den Zuschauerschnitt der Sendung in die Höhe zu treiben.

Man kann, wenn man sich Quoten dieser Mini-Ausgaben des „heute-journals“ ansieht, eindrucksvolle Durchschnittswerte bilden, und das ZDF macht das auch und sagt dann: „Der Erfolg gibt uns Recht.“ Die Weltmeisterschaft biete die Möglichkeit, „das ‚heute-journal‘ besonders ins Schaufenster zu stellen, wovon die Sendung profitiert, sobald sie nach der WM zur Regelsendezeit zurückkehrt“, sagt das ZDF.

Fast fünf Stunden hat das ZDF gestern Abend von der Fußball-WM berichtet. Knapp elf Minuten dauerte das Halbzeit-„heute-journal“. Das war zu lang, um nicht über die Fußball-WM zu berichten.

Die Sendung begann mit einem kurzen Bericht über die neue Eskalation im Nahen Osten, die Raketen-Angriffe auf Israel, die Offensive im Gazastreifen. Das ZDF schaltete zu seinem Korrespondenten Christian Sievers nach Tel Aviv. Er wirkte etwas mitgenommen und sagte: „Das ist Nahost-Wahnsinn pur.“

„Das ist Schockstarre pur“, sagte Andreas Wunn eine Minute später. Wunn ist der Südamerika-Korrespondent des ZDF. Er hat das Fußball-Spiel im Stadion in Belo Horizonte verfolgt und war herausgekommen, um den „heute-journal“-Zuschauern zu berichten, wie die Stimmung dort bei dem Fußballspiel war, das sie gerade gesehen hatten. Außerdem sollte er ein bisschen in die Zukunft schauen.

Und so füllte das ZDF ein Viertel seiner elf Minuten Alibi-Nachrichtenzeit mit diesem Korrespondentengespräch, das sich unmittelbar an die Schalte zu Christian Sievers anschloss:

Christian Sievers: … das heißt, es wird eine dramatische Nacht werden, nicht nur hier in Israel, sondern auch für die Menschen in Gaza, wo es kein Frühwarnsystem gibt und keine Bunker.

Claus Kleber: Dankeschön, Christian Sievers. Und wir haben inzwischen unseren Südamerika-Korrespondenten, der ständig dort ist, Andreas Wunn, an einem Schaltpunkt vor dem Stadion in Belo Horizonte, er ist aus dem Stadion herausgekommen. Andreas, so hatte niemand den Verlauf der ersten Halbzeit erwartet. Wie reagiert darauf Brasilien jetzt im Stadion, was haben Sie da erlebt, und was wird daraus werden in der Nacht von Brasilien nach dem Spiel, wenn es so weitergeht, noch ist es nicht vorbei.

Andreas Wunn: Also, ich komme in der Tat aus dem Stadion hier hinter mir. Das ist der schiere Schock. Die Brasilianer haben das überhaupt nicht erwartet. Die Stimmung war gut in den ersten Minuten, Sprechchöre, 64.000 Brasilianer, das ganze Stadion in Gelb. Und dann ein deutsches Tor nach dem anderen. Das ist Schockstarre pur, das kann man überhaupt nicht beschreiben. Die Sprechchöre haben dann in den Minuten nach der 30. Minute nach dem 5:0 völlig aufgehört. Und jetzt sieht man hinter mir: Es gibt schon viele Brasilianer, die hier das Stadion verlassen.5:0, das ist eine Schmach für die Brasilianer, das hat man sich so nicht vorgestellt. Man ist hier in das Halbfinale gegangen, um zu gewinnen, um ins Finale zu kommen und Weltmeister zu werden. Und wir hören auch von der Copacabana in Rio de Janeiro: Dort weinen die Menschen, dort strömen die Menschen aus dem Fanfest heraus, sie gehen zur U-Bahn und sie haben überhaupt keine Hoffnung mehr, dass Brasilien das noch rumreißt. Also, das ist Schockstarre pur hier in Brasilien.

Kleber: Im Moment Schockstarre. Sie kennnen Brasilien, Sie kennen die Brasilianer, haben auch vor der WM viel über die Stimmung im Land berichtet, die ja nicht ungeteilter Freude auf diese Weltmeisterschaft geschaut hat. Was wird sich da jetzt bahnbrechen? Können wir da überlegen, ohne da jetzt Teufel an die Wand zu malen?

Wunn: Das ist jetzt die große Frage. Das kann man jetzt noch nicht einschätzen. Der Schock ist so groß, dass sich der Schock, galaube ich, noch nicht in Wut ummünzt. Einen Sündenbock haben die Brasilianer auch schon, das ist die kolumbianische Mannschaft, das ist der kolumbianische Spieler, der Neymar aus dem Turneir gefoult hat. Und ich glaube, dass es, wenn es Aggressionen gibt, das erstmal dorthin kanalisieren werden. Ich sehe jetzt noch nciht, dass es hier zu Ausschreitungen heute abend kommt oder in den nächsten Tagen, aber natürlich ist das eine riesige Enttäuschung und nach all den Problemen bei dieser WM, nach all den Protesten, nach den Korruptionsfällen und nach den Problemen bei der Infrastruktur, ist jetzt — wir haben’s erst nach der ersten Halbzeit, aber ich glaube, viele Brasilianer denken, das ist schon so — ist die WM jetzt vorbei, und all das hat sich nicht gelohnt für die Brasilianer. Das ist, glaube ich, das vorherrschende Gefühl. Und wir müssen jetzt einfach in den nächsten Tagen sehen, was das dann auch auf der Straße bedeutet.

Es war aufgrund dieses „heute-journals“ nicht ganz leicht zu erkennen, wo sich das größere, das purere Drama in jenen Stunden abspielte, im Nahen Osten oder in Brasilien. Es reicht nicht, dass das ZDF die Nachrichten zur Quotenmaximierung in die Mitte eines Fußballspiels gequetscht hat; es muss einen wesentlichen Teil dann auch noch dem Fußball widmen und vors Stadion schalten.

Aber, hey, 84,5 Prozent Marktanteil, 31,8 Millionen Zuschauer, die angeblich zweitmeistgesehene Fernsehsendung in Deutschland aller Zeiten, „der Erfolg gibt uns Recht“, würde das ZDF sagen. Womöglich ließe sich das noch steigern, wenn es eine 30-Sekunden-„Schaufenster“-Version der Sendung produzierte und die in eine der kurzen Spielunterbrechnungen legte, mit Schalte zu einem Moderator im Stadion dann, der sagt, wie die Stimmung vor Ort ist und welche Konsequenzen das mögliche Ergebnis möglicherweise für das Land haben könnte.

Die Quote ist das einzige Kriterium, das das ZDF bei diesen Entscheidungen antreibt. Das kann man auch daran erkennen, dass das ZDF sein „heute-journal“ in den vergangenen Wochen auch an den Tagen verkürzte, an denen es keinen Fußball zeigte. Wenn in der ARD um 22 Uhr ein Spiel begann, endete dann auch vorzeitig das 21:45-Uhr-„heute-journal“. Weil die Quote nach Spielbeginn gesunken wäre und das schlecht für die Durchschnittsquote gewesen wäre und das wiederum schlecht für irgendwelche Jubel-Pressemitteilungen über den schönen Zuschauerzuspruch zum vermeintlichen Nachrichtenflaggschiff des ZDF (gerade auch im Gegensatz zu den „Tagesthemen“, die das nicht so gehandhabt haben). Im Zweifel opfert das ZDF seine Nachrichten gerne nicht nur dem Fußball, sondern vor allem der Quote.

Sondierjournalismus: Lesen in der Kartoffelsuppe

Täusche ich mich oder lässt sich die innenpolitische Nachricht des gestrigen Tages verlustlos auf einen einzigen Satz zusammendampfen, der lautet: „CDU/CSU und SPD haben sich zu ersten Sondierungsgesprächen getroffen?“ Und alles, aber auch wirklich alles andere, das um diese Nachricht herum erzählt wurde, ist Pillepalle?

Aus den Online-Medien von „Süddeutscher Zeitung“ und „Welt“ erfahre ich:

  • Die SPD-Leute sind um 12:47 Uhr vom Jakob-Kaiser-Haus aufgebrochen, tragen jeder eine rote Kladde in der Hand, sagen aber nichts.
  • Die CDU/CSU-Leute sind ein paar Minuten später aufgebrochen, nehmen denselben Weg, aber ein anderes Tor und sagen auch nichts.
  • Angela Merkel winkt einmal.
  • Volker Kauder ruft den vielen Kameraleuten, Fotografen und Reportern zu: „Hallo! Guten Tag!“
  • Merkel und Gabriel sollen vorher mehrmals telefoniert haben.
  • Es gab „heiße“ („Spiegel Online“) Kartoffelsuppe mit Würstchen und Pflaumenkuchen.
  • Horst Seehofer und Olaf Scholz haben miteinander gescherzt.
  • Alle lachten, nur Hannelore Kraft „soll sauertöpfisch geguckt haben“.
  • Laut Andrea Nahles hat es „Konsensuales“ gegeben, aber „strittige Punkte“ seien „identifiziert“ worden.
  • Angela Merkel ist auf Unions-Seite „wie die klare Verhandlungsführerin aufgetreten“.
  • Volker Bouffier und Stanislaw Tillich haben häufiger was gesagt; Horst Seehofer nicht so häufig.
  • Beim Thema Finanzen hat Finanzminister Schäuble was gesagt.
  • Die SPD-Leute haben insgesamt viel gesagt.

Im „heute journal“ kündigt Moderator Christian Sievers den Beitrag zum Thema ohne erkennbare Ironie mit den Worten an:

Die spannende Frage für Deutschland: Was ist am Ende herausgekommen? Die Antwort: Zunächst mal nur ein Datum; man will sich wiedertreffen. Für alles andere muss man, wie Winnie Heescher jetzt, schon ganz genau hinschauen.

Das Ergebnis des ganz genauen Hinschauens, für Deutschland:


Bei CDU/CSU wurden im Fraktionsgebäude die Fahrstühle angehalten, bis die SPD-Leute weg sind. Die ZDF-Reporterin weiß: „Noch gilt, Abstand halten.“


Volker Kauder lässt Gerda Hasselfeld noch bei sich im Fahrstuhl mitfahren. Die ZDF-Reporterin weiß, man will sich: „als Kuscheltruppe verkaufen.“


Die SPD-Leute müssen ein paar Sekunden vor der Tür der Parlamentarischen Gesellschaft warten. „Man steht ein bisschen pikiert vor der Tür.“


Die CDU/CSU-Leute kommen fünf Minuten später.


„Bilder von der Sondierung gibt es keine. Die Speisekarte dringt heraus.“


Hinterher erscheint Andrea Nahles als erste wieder.


Die Generalsekretäre von CDU und CSU kommen erst 45 Minuten später.


Andrea Nahles spricht von einer „konstruktiven Atmosphäre“.


Hermann Gröhe spricht von einer „konstruktiven Atmosphäre“. Die SPD-Reporterin findet: Sie klingen „wie ein altes Ehepaar“.

Stunden zuvor hat das ZDF, mutmaßlich aufgrund der außerordentlichen Brisanz der sich überstürzenden Ereignisse, eine fünfzehnminütige Sondiersondersendung ins Programm genommen. Chefredakteur Peter Frey und die Leiterin des Haupstadtstudios Bettina Schausten fragen den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel: „Was nun?“

Eine erschöpfende Antwort darauf hätte, wie gesagt, gelautet: „Nun treffen wir uns übernächste Woche wieder.“ Spätestens nach 45 Sekunden hätte man die Sendung abbrechen können. Da sagt Gabriel auf die Frage, ob eine große Koalition nach diesem Treffen wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher geworden ist:

Es ist, glaube ich, genauso offen wie vorher.

(Unbezahlbar: das hilflos-bedeutungsschwangere „Offen“, das Schausten daraufhin echot.)

Zum Glück haben Schausten und Frey aber noch ein paar substanzielle Nachfragen auf ihren Karteikarten vor sich stehen, nämlich unter anderem:

  • Fühlten Sie sich irgendwie umworben?
  • Standen die 15 Prozentpunkte irgendwie im Raum, die zwischen Ihnen liegen, zwischen beiden Wahlergebnissen?
  • Da stehen ja auch die Beziehungen von früher im Raum, die da um den Tisch saßen, die kannten sie ja alle. Wie ist das eigentlich, was das Verhältnis zwischen Ihnen und Frau Merkel angeht?
  • Muss man wieder Vertrauen zueinander fassen?
  • Vertreten Sie eigentlich auch die These, dass die Wahlniederlage 2009 der SPD in der Verantwortung der Kanzlerin lag?

Diverse Versuche der Moderatoren, Gabriel dazu zu bringen, Steuererhöhungen zu einer nicht verhandelbaren Voraussetzung für das Eintreten in eine Große Koalition zu erklären, haben den erwartbaren Misserfolg.

Schön war allerdings, wie der SPD-Vorsitzende in dem albernen Satzergänzungsspiel, das aus irgendeiner internen Pflicht in jeder „Was nun“-Sendung gespielt werden muss, den Halbsatz vervollständigte: „Das wichtige Finanzministerium ist für die SPD…“ – „… ein wichtiges Finanzministerium.“

Es wäre ein guter Moment der Selbsterkenntnis für die ZDF-Verantwortlichen gewesen — zu merken, was für einen Unsinn man hier veranstaltet. Stattdessen widmet Bettina Schausten die Sendung „Was nun?“ vollends um in „Wenn dies, was dann?“ und fragt nach dem Mitgliedervotum, das über einen eventuellen Koalitionsvertrag entscheiden soll:

Wenn Sie dann überstimmt würden als Parteivorsitzender, würden Sie dann auch die Konsequenz ziehen und wären Sie dann gescheitert?

Sie fragt den Mann, der gerade fünfzehn Minuten lang nicht sagen wollte, ob man überhaupt der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen näher gekommen ist, ob er zurücktreten wird, wenn diese Koalitionsverhandlungen geführt werden, wenn sie zu einem Abschluss kommen, wenn dann die Mitglieder gegen einen Vereinbarung stimmen, deren Inhalt heute schon deshalb nicht bekannt sein kann, weil die Verhandlungen darüber noch gar nicht offiziell begonnen haben? Könnte nicht das bitte nächste Mal Horst Lichter da sitzen, sich erkundigen, ob es sich bei dem Pflaumenkuchen um einen Hefe- oder einen Quark-Öl-Teig handelte, und kritisch nachfragen, wer wieviele Stücke nahm, obwohl er vorher schon von der Kartoffelsuppe?

Ist das, was da gestern in den Medien stattfand (und eigentlich seit Wochen so ähnlich geht), politischer Journalismus? Oder könnte man’s auch einfach ohne Verlust lassen?

Nächste Woche treffen sich Union und Grüne. Was es wohl gibt?

Claus Kleber

Ganze Dossiers werden in den nächsten Tagen noch veröffentlicht mit klug und informiert erscheinenden Analysen über die strategischen, politischen und persönlichen Gründe dafür, dass ausgerechnet Claus Kleber neuer Chefredakteur des „Spiegel“ werden soll. Geschrieben werden die allerdings von Leuten, die in den vergangenen Wochen in genauso klug und informiert erscheinenden Analysen dasselbe für jeden Kandidaten außer Claus Kleber getan haben, und deshalb ist diese Erklärung so gut wie ihre:

Es war der Abend des 2. Dezember, im „Spiegel“ brannte noch Licht. Ein paar Strippenzieher saßen beim Wein zusammen, verwarfen Namen und schauten nebenbei, in einer komplizierten Mischung aus Trotz und Selbsthass, den Jahresrückblick „Menschen“ im ZDF, mit Johannes B. Kerner, dessen Talkshow von einer „Spiegel“-Tochter produziert wird. Während sie saßen und tranken, wurde Claus Kleber live aus Moskau zugeschaltet, und er begann mit den Sätzen: „Es ist Mitternacht in Moskau und bitterkalt und eine spannende Nacht.“ Kindlich rein und klar schienen ihnen diese Sätze, so unprätentios wie nichts, das sie je in ihrer Zeitschrift gelesen oder geschrieben hätten. „Das ist ein Riesenland“, fuhr Kleber fort, und als sie sich gerade fragten, ob es vielleicht ein Fehler war, dass sie all die Jahre richtige Verben und sogar Nebensätze benutzt hatten, fügte er hinzu: „Im Osten geht bereits wieder die Sonne auf – so groß ist dieses Land, das Putin heute noch einmal fester unter seine Kontrolle bekommen wollte.“ Das war nun von großer Anschaulichkeit, aber fehlte da nicht ein bisschen die kritische Analyse? Sie fehlte nicht mehr lange, denn Kleber, der nicht hemdsärmlig war wie der Mann, den sie sonst oft auf dem Bildschirm sahen und in ihren Konferenzen, sondern dick in einen Mantel eingepackt war, was ihn noch staatsmännischer aussehen ließ im eisigen Wind, und der, ganz ohne Podest, hinter einem Tisch zu stehen schien und eine Hand lässig darauf ablegte, fuhr fort: „Es ist in einem so riesigen Gebiet auch dann schwierig, eine faire und gerechte Wahl zu machen, wenn man es ernsthaft versucht. Die Frage ist: Ob das heute probiert worden ist. Und es sieht nicht danach aus.“

Das war kritisch und auf den Punkt und doch so ganz anders als diese miesepetrige, zynische, nicht nur immer alles besser wissende, sondern vor allem immer schon alles gewußt habende Haltung, die sie von ihrem Chef und aus ihren Fernsehmagazinen und aus ihrer Illustrierten kannten, die früher einmal ein Nachrichtenmagazin war. Es war weder zynisch noch naiv, sondern auf eine fremde Art pädagogisch und menschenfreundlich.

Und einem der „Spiegel“-Leute fiel plötzlich ein, dass er ein paar Tage zuvor schon gesehen hatte wie dieser Claus Kleber mit Kurt Beck gesprochen hatte, der gerade Olaf Scholz zum Arbeitsminister gemacht hatte und sich augenscheinlich vorgenommen hatte, nicht ganz so offen und zugänglich auf die Fragen zu antworten wie es ein Stück Granit getan hätte. Kleber aber blieb entspannt und fragte mit der freundlichsten Boshaftigkeit, die man sich vorstellen kann: „Sehen Sie verborgene Qualitäten in Olaf Scholz?“ Nachdem der „Spiegel“-Mensch das erzählt hatte, durchzuckte es alle: Sowas wollten sie auch.

Genau so war das.

Und solange die Redaktionskonferenzen nicht vollständig live übertragen werden, sehe ich überhaupt keine Veranlassung, warum der blöde „Spiegel“ seinen Willen bekommen und dieser Mann dem Fernsehen verloren gehen soll.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Journalisten mit Fachkenntnis gesucht

Dies ist wieder so eine Geschichte, die für sich genommen fast läppisch wirkt, aber Grundsätzliches über die Medien erzählt.

Am einfachsten lässt sie sich vielleicht mit einer Meldung der Nachrichtenagentur AFP beginnen. Die meldete am 18. Juli um 16:43 Uhr:

Achtung Redaktionen,

bitte berichtigen Sie in unserer ZF von 16.09 Uhr die Angaben zur Funktion von Klaus Rauscher. Er ist Chef von Vattenfall Europe, der deutschen Tochter des schwedischen Vattenfall-Konzerns und damit also Vattenfall-Deutschland-Chef. Irrtümlich wurde Rauscher als Europa-Chef des Konzerns bezeichnet.

Sie erhalten umgehend eine berichtigte Fassung.

Und in der Tat: Die deutsche Tochter von Vattenfall heißt Vattenfall Europe. Verrückt. Da kann man sich als Laie schnell mal vertun. Aber die Leute, die dafür bezahlt werden, zu Vattenfall-Europe-Pressekonferenzen zu gehen, die vielleicht schon mal ein Organigramm von Vattenfall gesehen oder etwas über Struktur und Geschichte gelesen haben sollten, die sich täglich mit Energieunternehmen beschäftigen, um uns, die wir weniger wissen, darüber zu informieren, die müssten das doch wissen.

Tja. Die Nachrichtenagentur dpa weiß es offenbar. Die Nachrichtenagentur AFP weiß es seit dem 18. Juli um 16:43 Uhr. Und „Bild“, um es gleich zu sagen, ist auch nichts vorzuwerfen.

Und sonst?

Die Kollegen von Reuters schwanken wenigstens noch. Mal machen sie es richtig, mal falsch, mal bereichern sie die Debatte um die lustige Variante „Deutschland- und Europachef“.

Die Nachrichtenagentur AP aber nennt mindestens seit vergangenem Oktober Vattenfalls Deutschland-Chef konsequent „Europa-Chef“. Erst Klaus Rauscher. Nun Hans-Jürgen Cramer. Wann immer sein Name in einer AP-Meldung auftaucht, steht davor oder dahinter „Europa-Chef“.

Diese AP-Meldungen stehen überall. Und manche Journalisten brauchten vermutlich nicht einmal AP, um denselben Fehler zu machen. Jedenfalls steht die falsche Funktion nicht nur — natürlich — in ungezählten Online-Medien, sondern auch im gedruckten „Focus“, in der „FAZ Sonntagszeitung“, in der Wochenchronik der „Süddeutschen Zeitung“, im „Hamburger Abendblatt“, in der Seite-3-Reportage der „Süddeutschen Zeitung“ vom Donnerstag vergangener Woche und am selben Tag sogar groß in der „SZ“-Überschrift auf Seite 1: „Vattenfalls Europa-Chef muss gehen“.

Wo sitzen sie, die Fachjournalisten, die nicht in die Falle tappen? In den öffentlich-rechtlichen Nachrichten-Flaggschiffen? Ein schöner Traum. Das „heute journal“ behauptet ebenso, der „Europa-Chef“ sei zurückgetreten, wie viele, viele Ausgaben der ARD-„Tagesschau“:

Ja. Eigentlich hätte ich all das vergangene Woche schon aufschreiben sollen, mir fehlte nur die Lust.

Aber dann ist gestern bekanntgegeben worden, dass der vorübergehende Deutschland-Chef von Vattenfall auf Dauer bleibt. Und leider berichtet auch wieder AP. Und auf tagesschau.de lautet der Titel der entsprechenden Meldung so:

Okay, die Vattenfalls können sich nicht beschweren. Selbst schuld, wenn sie sich so einen blöden Namen für ihre deutsche Tochter aussuchen. Aber bräuchten wir, das Publikum, die Bürger, nicht wenigstens in ausgewählten Medien noch Journalisten, die wissen, worüber sie berichten?