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Unsere Öffis (1): Dokumentationenverstecken mit dem hr

Beim Hessischen Rundfunk wird sie noch gepflegt, die große Dokumentation in Spielfilmlänge. Gestern lief dort der preisgekrönte Film „Die Verführungskünstler“ von Johanna Bentz. Leider schauten nur 20.000 Zuschauer zu. Die Quote beim jungen Publikum lag unterhalb der Nachweisbarkeitsgrenze. Undankbares Pack.

Gut, vielleicht war der Sendeplatz nicht ganz ideal. Die Dokumentation lief in der Nacht von Sonntag auf Montag, von 1:30 bis 2:45 Uhr.

Das war keine Ausnahme. Das ist immer so. Der Sendeplatz für die große Dokumentation im hr-Fernsehen ist montagsfrüh, kurz vor dem Morgengrauen.

Auch Erstausstrahlungen finden um diese Zeit statt. Der wunderbare Dokumentarfilm „Boney M. aus Lämmerspiel“, der ausgehend von den Anfängen in der hessischen Provinz die traurige Geschichte der Band rekonstruiert und damit sogar einen perfekten Regionalbezug aufweist, lief hier im vergangenen Jahr zum ersten und einzigen Mal im deutschen Fernsehen — um 1:15 Uhr. 60.000 Zuschauer waren dafür wach geblieben (oder vorher, ohne auszuschalten, eingeschlafen).

Nun könnte man, wenn man naiv ist, natürlich fragen, ob es nicht denkbar wäre, diese Dokumentationen wenigstens ein bisschen früher zu zeigen — es muss ja nicht in der Primetime sein, wo solche Sendungen womöglich den Gesamtmarktanteil reduzieren könnten, dem sich die Dritten Programme verpflichtet fühlen — aber vielleicht so, dass zum Sendebeginn gerade noch nicht der neue Tag angebrochen ist.

Das würde aber zum Beispiel sonntags bedeuten, dass der Hessische Rundfunk sich von seinem Game-Show-Marathon verabschieden müsste, und das kann nun wirklich niemand erwarten. Sonntags zeigt das hr-fernsehen nämlich nach hesslichen Sendungen wie „Die beliebtesten Dialekte der Hessen“, „Hessens originellste Gasthäuser“ oder „50 Dinge, die ein Hesse wissen muss“ sowie der „Sportschau“:

22:15 „Das große Hessenquiz“ (eine Rateshow)
23:00 „Dings vom Dach“ (eine Rateshow)
23:45 „Straßenstars“ (eine Rateshow)
00:15 „Wer weiß es?“ (eine Rateshow)
01:00 „Ich trage einen großen Namen“ (eine Rateshow)

Ja: Das hr-Fernsehen zeigt jeden Sonntagabend fünf Rateshows am Stück und kann deshalb leider erst ab 1:30 Uhr schöne, lange, gelegentlich preisgekrönte Dokumentationen zeigen.

(Fotos: hr; Foto im Logo geklaut beim „Neo Magazin“.)

Die dümmsten Dritten Programme Deutschlands

Wenn man ganz leise ist, kann man sie schon knistern hören, die Spannung: Welcher Berg mag bei den Hessen beliebter sein? Der Chimborazo oder die Hohe Tatra? Der imposante Langkofel, der formschöne Makalu oder doch die schnöde Wasserkuppe? Nur zwei Wochen lang können die Hessen noch abstimmen , und dann heißt es: ausharren bis Ostern, wenn das hr-Fernsehen das Ergebnis endlich im Rahmen einer großen Sendung „Die beliebtesten Berge der Hessen“ bekanntgeben und einige der Lieblingsberge womöglich sogar im Studio begrü- äh, im Bild zeigen wird.

Der Gewinnerberg steht dann in einer Reihe mit Schloss Auerbach („beliebtestes Bauwerk der Hessen“), der „Runkelroiweroppmaschin“ von Adam und die Micky’s („beliebtestes Fastnachtslied der Hessen“), der „Fabelhaften Welt der Amelie“ („beliebtester Liebesfilm der Hessen“), der Frankfurter Skyline („beliebteste Sehenswürdigkeit der Hessen“) und „Love Me Tender“ von Elvis Presley („beliebtestes Liebeslied der Hessen“). Die Wahl der beliebtesten Schauspieler der Hessen ist bereits abgeschlossen, aber noch nicht verkündet – der Hessische Rundfunk verspricht aber, alle Kandidaten seien „geboren oder aufgewachsen in Hessen, an hiesigen Hochschulen ausgebildet oder populär geworden an hessischen Theatern“. Immerhin: Es reicht also nicht, als Schauspieler bloß einmal am Köpperner Berg auf der A5 im Stau gestanden zu haben.

Das hr-Fernsehen hat entdeckt, wie leicht es ist, anstelle von Programm Hitlisten zu senden. Die Sendungen folgen dem Muster der „Ultimativen Chartshow“ mit mehr oder weniger prominenten Menschen, die in kurzen Sätzen halbe Gedanken zu Filmschnipseln formulieren, die hinter ihnen zu sehen sind, sind aber ungleich amateurhafter und liebloser montiert als das Vorbild von RTL. Aber gerade weil sie so egal und anspruchslos sind, lassen sich diese Sendungen endlos wiederholen: Die Show mit den „beliebtesten Weihnachtsliedern der Hessen“ ist seit der Premiere 2005 nicht weniger als sechs Mal wiederholt worden.

Teilweise kooperiert das hr-Fernsehen bei seinen Rankings mit dem Norddeutschen Rundfunk. Für die „beliebtesten TV-Tiere“ wurden die Statements von Menschen wie dem aus dem Pro-Sieben-Programm als Vertilger absurd großer Essensportionen „bekannten“ Jumbo Schreiner in die jeweilige Reihenfolge geschnitten – mal mit dem HR-Fernsehmaskottchen „Onkel Otto“ etwas weniger weiter hinten.

Der NDR ist bei Inflationierung der Chartshows führend. „Hitlisten des Nordens“ heißen sie dort, und 45 davon hat das NDR-Fernsehen schon ausgestrahlt, darunter „die besten Comedy-Songs des Nordens“, „die schönsten Operetten“, „die größten Modesünden“, „die schönsten Leuchttürme Norddeutschlands“, „die beliebtesten Trecker Norddeutschlands“, „die beliebtesten Pferderassen“, „die berühmtesten Zitate“ („I Have A Dream“ vor „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ und „Ich bin ein Berliner“) sowie „die verrücktesten Spektakel Norddeutschlands“ (es gewann mit großem Abstand das, äh, berühmte Currywurst -Schärfe-Wettessen aus der Bruzzelhütte in Harburg.)

Die Abstimmung über die besten Argumente für die Existenz von sieben gebührenfinanzierten Dritten Programmen musste unterdessen mangels Kandidaten auf unbestimmte Zeit verschoben werden.