Schlagwort: Hubert Burda

Ausgewogenheit, wie sie Hubert Burda meint

„Kritisch und ausgewogen“ hätten sich die Journalisten und Redakteure der deutschen Zeitungen und Zeitschriften zum Thema Leistungsschutzrecht geäußert, schrieb Verlegerpräsident Hubert Burda den Bundestagsabgeordneten. Das ist ein guter Anlass, ausnahmsweise in den „Focus“ zu schauen, den er herausgibt.

Auch der hat sich in dieser Woche mit dem Leistungsschutzrecht befasst. Der Artikel trägt die Überschrift: „Bald Fairness im Netz?“ Er ist mit einer Karikatur illustriert, die Google als Spinne in einem Netz zeigt, in dem schon mehrere Fliegen mit Euro-Zeichen und ein Schmetterling mit Dollar-Zeichen festhängen. Die Google-Spinne trägt ein Protestschild mit der Aufschrift „FÜR DIE FREIHEIT IM NETZ!“

„Focus“-Medienredakteur Robert Vernier berichtet unter dieser Zeichnung, dass das geplante Leistungsschutzrecht „ungeachtet der massiven Kampagne des Internet-Riesen Google die erste parlamentarische Hürde“ genommen hätte. Das Gesetz solle Verlage vor dem „unberechtigten und unbezahlten Zugriff“ auf ihre Inhalte schützen, behauptet er und fasst seine Bedeutung so zusammen:

Es hätte Vorbildcharakter für viele Länder, in denen sich Verlage — wie etwa in Frankreich und Brasilien — gegen die ungenierte Selbstbedienung von Google & Co. bei Zeitschriften- und Zeitungsinhalten wehren. (…)

Per Internet-Kampagne und Zeitungsanzeigen schürte der US-Konzern vergangene Woche mit unwahren Behauptungen und bizarren Andeutungen Ängste. Google erklärte die Freiheit des Internets für bedroht und forderte dessen Nutzer auf, Bundestagsabgeordnete mit einer Flut von E-Mails auf Konzernkurs zu zwingen.

Vernier zitiert dann aus der Bundestagsdebatte jeweils mehrere Äußerungen von Max Stadler (FDP) und Ansgar Heveling (CDU). Beide sind Befürworter des neuen Gesetzes.

Argumente gegen das Leistungsschutzrecht aus der Debatte werden im „Focus“ nicht erwähnt. Ein Gegner des Gesetzes kommt im „Focus“ nicht zu Wort. Von der Kritik namhafter Wissenschaftler an dem Gesetz erfährt der „Focus“-Leser nichts.

Diese, äh, nachrichtliche Berichterstattung wird durch einen Kommentar hinten im Heft ergänzt. In der Rubrik „Montag ist Zeugnistag“ gibt „Focus“ Google eine 6.

Ein Kartell nutzt seine Macht: Wie die Verlage für das Leistungsschutzrecht kämpfen

Es ist kein Spaß, sich mit dem Kartell aller großen Häuser anzulegen. Wer will Springer, Burda, „Süddeutsche“, „FAZ“, DuMont und die „WAZ“-Gruppe gegen sich haben? Natürlich sagen Mathias Döpfner, Frank Schirrmacher oder Hubert Burda ihren Redakteuren nicht, was sie schreiben sollen. Das wissen die schon von allein.

(Jakob Augstein)

· · ·

Morgen Demnächst will das Bundeskabinett über ein Presse-Leistungsschutzrecht entscheiden. Wenn man den Verlagen glaubt — wozu kein Anlass besteht — geht es um nichts weniger als um Leben und Tod der freien Presse in Deutschland.

Seit gut dreieinhalb Jahren kämpfen die Verlage öffentlich für ein solches Recht, mit dem die geschäftliche Nutzung ihrer frei zugänglichen Inhalte im Internet lizenzpflichtig gemacht werden soll. Ursprünglich sollte schon das Lesen von Online-Medien auf geschäftlichen Computern Geld kosten; inzwischen ist nur noch eine Lex Google übrig geblieben, die Suchmaschinen dafür zahlen lassen will, dass sie kurze Anrisse aus Verlagstexten zeigen, um Nutzer zu deren Seiten zu leiten.

Es sieht im Moment nicht so aus, als ob die Geschichte, wie die Verlage die Bundesregierung dazu brachten, ihre Rechte und potentiell ihre Einnahmen durch ein neues Gesetz deutlich auszuweiten, am Ende aus Verlagssicht eine Erfolgsgeschichte sein wird. Sie ist trotzdem ein Lehrstück: Dafür, wie die führenden deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenverlage ein politisches Klima herstellten, in dem ein solches Gesetz notwendig erschien, und wie sie ihre publizistische Macht dazu benutzten, ihre politische Lobbyarbeit zu unterstützen. (mehr …)

Ich hab noch Sand in den Schuhen aus Daten

„Papier ist geduldig.“
(früheres Sprichwort)

Vorweg sollte ich sagen, dass das neue Jahrbuch des Verbandes der Zeitschriftenverleger (VDZ) auf schwerem, hochwertigem Papier gedruckt ist. An der Qualität der Texte kann also überhaupt kein Zweifel bestehen.

Und doch wird jemand, der versucht, sich mit Hilfe dieser Essays von Geschäftsführern führender Verlage ein Bild vom Zustand dieser Branche zu machen, ratlos zurückbleiben. Im Vorwort blickt der Verbandspräsident Hubert Burda auf ein „erfolgreiches Jahr 2009“ zurück und findet: „Wir haben allen Grund, selbstbewusst zu sein“.

Auch wenn wir uns von den hohen Renditen der letzten Jahrzehnte verabschieden müssen, bleibt Print ein höchst lukratives Geschäftsmodell, vorausgesetzt, es ist klug gemanagt.

Auf den nächsten gut 200 Seiten aber wechseln solche Lobreden auf die Zukunftsfähigkeit des Geschäftes mit dem Drucken und Vertreiben von Inhalten auf Papier sich mit Beschwörungen ab, dass sein Ende unmittelbar bevorsteht, wenn nicht sofort diverse Gesetze geändert, Steuern erlassen, Konkurrenten ausgeschaltet und Subventionen beschlossen werden.

Das Jahrbuch zeichnet das schizophren anmutende Bild einer Branche, die gleichzeitig demonstrieren will, dass es ihr bestens geht (und all die Todesprognosen verfrüht sind) und dass sie im Sterben liegt (und also alle alles tun müssen, was sie sagt). Es ist eine Branche, die vollkommen davon überzeugt ist, unverzichtbar zu sein, und fassungslos feststellen muss, dass nicht alle die gleiche Überzeugung haben.

Passenderweise wird der VDZ von einem Mann geführt, der Hysterie und Propaganda für angemessene Reaktionen auf eine komplexe Gemengelage hält. Wolfgang Fürstner arbeitet sich in seinem Essay noch einmal an der geplanten Aufbereitung der Inhalte von tagesschau.de auch für das iPhone ab – und hat sich von Jürgen Doetz, der als Cheflobbyist der Privatsender jahrzehntelang gegen ARD und ZDF gekämpft hat, leider immer noch nicht die Grundbegriffe für diese Auseinandersetzung erklären lassen.

Fürstner schreibt:

Zur Erinnerung: Die Idee der Grundversorgung entstammt den fünfziger Jahren, als es noch Frequenzmangel gab, und sie war ein Versuch, einen Mindeststandard zu setzen.

Das hat er fast wörtlich im Januar schon der „Welt“ gesagt und ist falsch. Den Begriff der Grundversorgung hat das Bundesverfassungsgericht 1986 in seinem Vierten Rundfunkurteil geprägt, und er bezeichnet gerade nicht einen Mindeststandard, sondern die umfassende Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, „für die Gesamtheit der Bevölkerung“ Programme zu bieten, und zwar Information, Bildung und Unterhaltung. Dahinter stand, dass das Gericht privat finanziertem Rundfunk dies nicht zutraute. ARD und ZDF sollten nicht die Lücken füllen, die die Privaten ließen, sondern ein vollwertiges Programm machen dürfen und müssen, das alle Ansprüche erfüllt. Das meint der Begriff „Grundversorgung“.

Wolfgang Fürstner kennt nicht einmal die Grundlagen des Dualen Systems, will aber der Politik und der Öffentlichkeit erklären, wie es auszusehen habe.

Nun hätte ich aber vermutlich kein Wort über das VDZ-Jahrbuch verloren, wenn ich darin nicht auf das Gedicht den Beitrag „Das gedruckte Wort ist wie ein Kuss“ gestoßen wäre, verfasst von Wolfram Weimer, dem ehemaligen Chefredakteur von „Cicero“ und neuen Chefredakteur von „Focus“.

Sein Text beginnt wie folgt:

Riechen Sie lieber an einer Blume oder am Bild einer Blume? Erleben Sie lieber einen Sonnenuntergang mit Grillenzirpen aus den Dünen und Sand zwischen den Zehen oder reicht Ihnen der Film eines Sonnenuntergangs? Lieben Sie lieber ohne zu küssen?

Man kann lieben ohne zu küssen, aber warum sollte man? Die Blume und der Kuss sind wie das gedruckte Wort. Sie sind, sie werden nicht, sie sind, das macht sie so faszinierend.

Jawohl, das ist allen Ernstes der Beginn eines Plädoyers, warum gedruckte Inhalte elektronischen Inhalten überlegen sind. (Fairerweise muss ich sagen, dass Sie die ganze Pracht seiner Argumentation hier im Blog natürlich nicht erkennen können. Sie müssten den Text bitte ausdrucken.)

Das „Pic“ von der Blume, das downgeloadete Onlinevideo vom schönsten Sonnenuntergang auf Tonga, der elektronische „Hug“ auf dem Flirtportal haben tausend Vorteile, aber einen entscheidenden Nachteil: sie sind flüchtig. Das virtuelle und das gedruckte Wort sind daher in Wahrheit keine Konkurrenten, weil sie sich auf unterschiedliche Kategorien des Lebens und Lesens beziehen. Das gedruckte Wort wird vom Internet so wenig verdrängt wie der Apfel von der Vitamintablette.

Das ist auf so vielen Ebenen falsch, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Andererseits ist es so offensichtlich falsch, dass ich gar nicht weiß, ob ich überhaupt irgendwo anfangen soll.

Zunächst beschreibt Weimer den Unterschied zwischen einem realen Gegenstand oder Erlebnis und seiner Abbildung oder Beschreibung. Dann tut er so, als sei das gedruckte Wort mit dem eigenen Erleben identisch und das digital veröffentlichte Wort mit seiner Beschreibung. Ich bin mir nicht sicher, ob das der Versuch einer Gehirnwäsche ist oder ihr Ergebnis.

Und dann weitet er den bekannten Irrtum, Online für ein flüchtiges Medium zu halten, auf elektronische Inhalte insgesamt aus – was besonders absurd ist. Schon das Foto von der Blume ist im Gegensatz zur echten Begegnung mit ihr eben gerade nicht flüchtig. Und zumindest in meinem Leben ist auch das elektronische „Pic“ (wie Weimer es mit spitzen Fingern nennt) deutlich weniger flüchtig als der Papierabzug, weil ich den gerne mal verliere. Und man kann, wenn man will, viel gegen den „elektronischen ‚Hug'“ sagen – ein entscheidender Vorteil ist, dass ich ihn mir immer wieder ansehen kann, im Chatprotokoll oder meiner Facebook-Historie.

An der behaupteten Flüchtigkeit des Internets hängt ein Großteil der Argumentation Weimers – und offenbar der Zukunft der Print-Branche. Weimer schreibt:

Das Flüchtige wird in den flüchtigen Medien ein Zuhause finden. Das Relevante aber wird immer nach Gravitation streben.

Sie ist wirklich so schlicht, die Welt der Print-Ideologen: Was schwer wiegt braucht ein schwer wiegendes Medium. Virtuelle Inhalte haben in doppeltem Sinne kein Gewicht.

Dabei ist es schon in einem ganz praktischen Sinne genau umgekehrt mit der Flüchtigkeit: Versuchen Sie mal den Inhalt des Artikels einer Zeitung von gestern herauszufinden. Wenn er online steht, können sich Menschen mühelos auch morgen und nächste Woche noch darauf beziehen und darüber diskutieren.

Die behauptete unterschiedliche Flüchtigkeit der Medien hat immerhin einen wahren Kern: Gute Zeitungen zum Beispiel werden so gemacht, dass sie verlässlich sind, Autorität und Bestand haben. Dass zukünftige Generationen auf sie zurückgreifen können als Dokumentation von Geschichte. Im Englischen gibt es dafür den schönen Begriff „Newspaper of record“. Richtig ist, dass viele Online-Medien nicht mit diesem Anspruch gemacht werden, sondern auf die Schnelle, für den Tag. Ich behaupte aber, dass das nicht im Medium selbst begründet ist, sondern an dem, wie es nicht zuletzt die Verlage nutzen. So gesehen ist es fast eine Frechheit, wenn Weimer von der „zirkusähnlichen Gestalt“ des Medienbetriebs in elektronischen Medien schreibt und „Klickgalerien für Bikini-Outfits“ als typisches Beispiel nennt. Was für eine geschickte Aufteilung: Erst gehen die Verlage in einen ruinösen Wettbewerb um die dümmsten Klickstrecken. Dann verweisen sie auf sie, um die Notwendigkeit ihrer Print-Produkte zu legitimieren.

Aber zurück zu Weimers oben zitierten Vergleich: Print ist der Apfel und Online die Vitamintablette, also nur eine künstliche Nachahmung der natürlichen, echten Sache? Ja, und Weimer hat noch mehr Beispiele:

In den sechziger Jahren gab es Science Fictions, die das Ende des herkömmlichen Essens vorhersagten. Es werde gesundheitsperfekte Pillen, ästhetisches Designerfood und technische Ballaststoffe mit Geschmacks- und Aromastoffen geben. Keiner werde mehr natürliche Früchte, fettes Fleisch, verderbliches Gemüse wollen. Weit gefehlt. Obwohl wir uns längst künstlich ernähren könnten, werden wir weder auf den Geruch von Omas Apfeltorte verzichten noch auf das Erlebnis einer platzenden Traube im Mund.

Für Leser, die es weniger anschaulich und mehr intellektuell lieben, spricht Weimer später auch von der „strategischen Chance von Printmedien als Heimstatt der Eigentlichkeit“: „Print ist (…) nicht nur der Form nach wirklicher als elektronische Medien, auch dem Print-Inhalt wird die Wirklichkeitsnähe stärker zugesprochen.“

Dass wir uns „in immer rascheren Abfolgen mit Scheinskandalen beschäftigen“, liegt laut Weimer natürlich auch am „hastigen Überschlag des Elektronischen“. Als Beispiele, wie wir „von einer Panik in die andere jagen“, nennt er:

Vorgestern das Waldsterben, die Kampfhunde und Sars, gestern Feinstaub, BSE und Vogelgrippe, heute die Klimakatastrophe und die Schweinegrippe – der Alarmismus prägt die Multimediademokratie.

Wenigstens bei der Angst vor dem Waldsterben, die aus einer Zeit stammt, als es noch kein World Wide Web, ja noch nicht einmal nennenswert privaten Rundfunk in Deutschland gab, hätte er doch merken müssen, dass Printmedien diesen Alarmismus ganz gut alleine hingekriegt haben – und was wäre die Panikmache in den Fällen Kampfhunde, Sars, Vogel- und Schweinegrippe ohne das Zutun der gedruckten „Bild“-Zeitung gewesen?

Ich würde mich nicht so lange an diesem Essay abarbeiten, das vermutlich ohnehin außer mir kaum jemand gelesen hätte, weil solche Jahrbücher mit ihrem schönen, schweren Papier doch eher dafür gemacht sind, dass man sie ungelesen ins Büroregal stellt, wenn ich nicht das Gefühl hätte, dass es in erstaunlicher Deutlichkeit zeigt, wie irreal das Weltbild dieser Leute geworden ist und wie fern ihnen immer noch die Binsenweisheit ist, dass guter Journalismus nicht davon abhängt, ob er in analoger oder digitaler, gedruckter oder elektronischer Form vorliegt.

Am Ende wagt Weimer noch einen anderen Vergleich:

Ich plädiere daher für mutige Investitionen unserer Verlagshäuser in ihre Kernprodukte. So wie die Autoindustrie seit Jahrzehnten totgesagt wird, so investiert sie doch immer wieder in neue Modelle und in die Verbesserung ihrer Autos. Sie flüchten nicht in den Flugzeugbau, den Bahn- oder Schiffsbetrieb, noch glauben sie ernsthaft daran, dass Geschäftsreisen verschwinden, nur weil Online-Konferenzen möglich sind.

Mag sein, nur wären sie schlecht beraten, wenn sie glaubten, auch in Zukunft müssten Autos mit Benzin angetrieben werden, und anstatt neue Antriebswege zu entwickeln, den Menschen Vorträge darüber halten würden, dass der Otto-Motor das Maß aller Dinge ist — und ein Fahrzeug ohne ihn wie die Liebe ohne den Kuss wäre.

Ein Rechtsanspruch auf Profit?

„Wir können doch redlich feststellen, dass die Zeitungen im Internet vor allem mit dem Textangebot qualitativ hochwertig und vielfältig aufgestellt sind. Für eine negative Veränderung dieser Situation gibt es keine Anzeichen. Das Gegenteil dennoch zu behaupten oder als zukünftig möglich hinzustellen ist schlichtweg unredlich.“

Dietmar Wolff, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger, 18.10.2008 in „Promedia“

„Das Internet ist für den Journalismus eine große Chance. Aber nur, wenn die wirtschaftliche Basis auch in den digitalen Vertriebskanälen gesichert bleibt. Das ist derzeit nicht der Fall.“

„Hamburger Erklärung“ deutscher Presseverlage, 08.06.2009

Irgendetwas muss passiert sein zwischen diesen beiden Zitaten. Zwischen dem Sommer 2008, als den Verlegern und Privaten Rundfunkanbietern nichts wichtiger war als zu betonen, dass sie es ganz wunderbar hinbekommen, in diesem Internet genau die hochwertigen Inhalte zu produzieren, die so eine Demokratie braucht, und schon die Behauptung eines möglichen zukünftigen Marktversagens als eine Art Blasphemie zu tadeln. Und der Gegenwart, in der die Verlage nicht müde werden zu betonen, dass sie unter den gegenwärtigen Umständen eigentlich wirklich nicht in der Lage sind, genau die hochwertigen Inhalte zu produzieren, die so eine Demokratie braucht.

Sicher, zwischendurch ist eine Weltwirtschaftskrise passiert und eine dramatische Werbekrise, aber das ist es nicht.

Im vergangenen Sommer ging es darum, ARD und ZDF im Internet klein zu halten. Zur Debatte stand ein neuer Rundfunkstaatsvertrag und dabei vor allem die Frage, welche Rolle dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Internet zugestanden wird. Nun gibt es viele bessere und schlechtere, theoretische und praktische Argumente gegen solche gebührenfinanzierte Internetangebote, aber eines, das von den Lobbyisten der privaten Medien besonders gern benutzt wurde, weil es so anschaulich ist, lautete: Es gibt im Internet (anders als im Fernsehen) überhaupt keine Notwendigkeit, gebührenfinanzierten Journalismus zuzulassen, weil der privatwirtschaftlich finanzierte Journalismus hier doch nichts zu wünschen übrig lässt.

Tatsächlich haben sich die Verleger mit vielen ihrer Forderungen durchgesetzt — und teils groteske und dem Wesen des Mediums widersprechende Einschränkungen im Angebot der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz erreicht, was das Geldverdienen langfristig ein bisschen einfacher machen sollte.

Um nun weitere Forderungen vor allem an die Politik zu stellen, war eine klitzekleine Änderung in der Strategie nötig. Plötzlich war es den Verlagen nicht mehr ein Leichtes, für publizistische Qualität und Vielfalt im Netz zu sorgen, sondern angesichts einer Welt voller Räuber, Wegelagerer und Gebenichtse quasi unmöglich. So wird nun begründet, weshalb zum Beispiel neue Rechte und Vergünstigungen für die Verlage hermüssen.

Das gipfelt in der, sagen wir: Anregung, die Hubert Burda, Präsident der Zeitschriftenlobby VDZ, im aktuellen „Manager Magazin“ aufgreift, die Presse von der Mehrwertsteuer zu befreien. Schon jetzt gilt für Zeitungen und Zeitschriften wie für Lebensmittel und viele Kulturgüter der ermäßigte Umsatzsteuersatz von 7 Prozent — nach der Logik, dass es sich um Dinge handelt, die lebensnotwendig oder gesellschaftlich förderungswürdig sind. Da bin ich sehr gespannt, wie die Verleger das begründen wollen, dass „privatwirtschaftlich verfasste Zeitungen und Zeitschriften“ in einer Demokratie nicht nur unverzichtbar sind, wie sie schon im vergangenen Jahr in ihrer „Münchner Erklärung“ verkündet haben, sondern sogar noch lebenswichtiger als das tägliche Brot, das ihnen gegenüber dann ja steuerlich benachteiligt würde.

Um es deutlich zu sagen: Ich habe ein großes Interesse daran, dass für die Presseverlage Rahmenbedingungen herrschen, die es ihnen ermöglichen, guten Journalismus zu machen. Das ist gut für mich und gut für uns alle (von mir aus auch in umgekehrter Reihenfolge). Aber die Art, wie die Verleger die Monstranz der Unersetzbarkeit und Gemeinnützigkeit vor sich hertragen und mit wechselnden selbstgebauten Popanzen ein Recht auf Profit unter allen Bedingungen einfordern, ist abstoßend.

Ich habe das „Manager Magazin“ gekauft

Im aktuellen „Manager Magazin“ steht ein Interview mit dem Verleger und Zeitschriftenlobbyisten Hubert Burda. Die Frage aus dem Vorspann wird darin zwar nicht beantwortet. Das Gespräch endet aber so:

Herr Burda, was sagen Sie: Sollen wir dieses Interview im Internet verschenken? BURDA: Mir wäre es auch recht, wenn Sie es verkauften.

Verrückte Idee.

Ich wollte das „Manager Magazin“ schon am Mittwoch kaufen. Am Mittwoch veröffentlichten nämlich „Spiegel Online“ und „manager-magazin.de“ gleichlautende Artikel, in denen die interessant klingende Aussagen aus dem Interview zitiert wurden; Fachmedien wie „Meedia“ machten aus Burdas Äußerungen Meldungen (bzw. nutzten die teuer produzierten Qualitätsinhalte bedenkenlos kommerziell, wie es neuverlegerisch korrekt natürlich heißen muss).

Jedenfalls war ich schon halb aus der Tür raus, als mich mein Bürokollege darauf hinwies, dass es das Heft noch gar nicht gibt: Es erscheine erst in zwei Tagen. Richtig. Das hatte ich vergessen.

Das ist natürlich eine originelle Vermarktungsstrategie mit Cliffhanger: Das Interesse an dem Produkt zu einem Zeitpunkt schüren, an dem es noch gar nicht erhältlich ist, und hoffen, dass sich die Leute später, wenn es erhältlich ist, noch daran erinnern, dass sie es eigentlich haben wollten.

Erstaunlicherweise habe ich mich heute morgen aber noch daran erinnert und auf dem Weg zur Arbeit versucht, ein „Manager Magazin“ zu kaufen. Das gestaltete sich ein bisschen schwierig, weil es weder der eine Kiosk noch der andere Kiosk noch der Supermarkt hatten. Das hängt vermutlich mit der Dichte (oder besser: Dünne) von Managern in dem Bereich von Kreuzberg-Friedrichshain zusammen, in dem ich wohne und arbeite, aber zum Glück gibt es ja das Internet.

Ich habe also versucht, den Artikel online zu kaufen. Ich wäre bereit gewesen, das ganze „Manager Magazin“ zu kaufen, als PDF oder E-Paper, selbst zum Print-Verkaufspreis von 7 Euro (obwohl darin ja eigentlich auch die Druck- und Vertriebskosten enthalten sind). Ich hätte sogar einen absurd überteuerten Preis für den einzelnen Artikel gezahlt, wie es zum Beispiel die „FAZ“ bei ihren Texten anbietet. Aber das „Manager Magazin“ lässt mich einen Artikel aus dem heute erschienenen Heft nicht online kaufen, egal wieviel Geld ich dafür auszugeben bereit bin. (Das Angebot, das meinem Wunsch am nächsten käme, ist die Online-Bestellung des gedruckten Heftes, das mir dann per Post zugestellt wird. Vielen Dank.)

Zum Glück hatte ich heute Mittag einen Termin in der Nähe der Friedrichstraße, wo Kioske tatsächlich das „Manager Magazin“ anbieten, griff zu, zahlte und konnte so jetzt doch das Interview lesen und das Ende nicht glauben. Sie erinnern sich:

Herr Burda, was sagen Sie: Sollen wir dieses Interview im Internet verschenken? BURDA: Mir wäre es auch recht, wenn Sie es verkauften.

Ja, wenn.

Wir schreiben das Jahr 2009, und das „Manager Magazin“ ist stolz darauf, seine Inhalte im Internet nicht nur nicht zu verschenken, sondern auch nicht zu verkaufen.

Alle jammern über die „Kostenlos-Kultur“ im Internet, aber das „Manager Magazin“ zwingt mich dazu, nicht nur für den einzelnen Artikel zu zahlen (wozu ich gerne bereit bin), sondern das ganze Heft zu kaufen (was zu einem für mich sehr schlechten Preis-Leistungsverhältnis führt), und zwar ausschließlich als Zeitschrift auf Papier (vermutlich wegen der höheren Qualität). Das kann man natürlich machen, wenn es einem (zu) gut geht, erscheint mir aber im gegenwärtigen Medienumbruch doch eine gewagte Zukunftsstrategie.

Vor allem, wenn ich, nachdem ich endlich mühsam meine 7 Euro losgeworden bin, feststelle, dass sie es nicht wert waren. Weil das Interview ungefähr nichts von Belang enthält, das das Magazin nicht schon kostenlos online gestellt hat — außer dem unfreiwillig selbstironischen Schluss und einem, zugegeben, erhellenden Blick in die Seele eines „Manager Magazin“-Redakteurs. Einmal, ein einziges Mal bricht es aus Klaus Boldt, der Hubert Burda sonst nüchtern-routiniert frageähnliche Vorlagen serviert, nämlich heraus:

Immer mehr Journalisten und Freizeitschreiber fühlen sich bemüßigt, ihre Aha-Erlebnisse in Netztagebüchern zu verbreiten und ihren Senf unter den Meinungsbrei zu quirlen, der schon jetzt Digitaldurchfall hervorruft.

Vielleicht braucht man weniger einen Medienexperten als einen Psychologen, um zu erklären, was da passiert ist.