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Die „Huffington Post“ ist zu blöd, um Ausländerfeinden Blödheit vorwerfen zu können

Heute Morgen erschien in der „Huffington Post“ ein Artikel, der mit den üblichen Methoden des Hauses um Aufmerksamkeit buhlt:

Libyscher Flüchtling bedroht sächsische Kassiererin mit Machete - was hinter dieser Geschichte steckt, ist UNGLAUBLICH

Der anonyme Autor formuliert aus der Gewissheit, auf der richtigen Seite zu stehen, filigran wie ein Vorschlaghammer:

Autsch! Dass Ausländerfeinde nicht sonderlich viel in der Birne haben, ist hinlänglich bekannt. Aber jetzt hat sich der Blogger Michael Stürzenberger und das radikalen-Netzwerk PI-News einen epischen Fail geleistet.

Stürzenberger hatte sich auf seiner Facebookseite in die szeneübliche Rage geschrieben. Die „Huffington Post“ zitiert:

Freiberg in Sachsen. Ein libyscher „Flüchtling“ klaut, droht Kassiererin mit Machete Köpfung an, geht mit Pfefferspray auf Ladendetektiv los und attackiert Polizisten. ACHTUNG: Die Staatsanwaltschaft entlässt den gewaltgeilen Kriminellen aus der Untersuchungshaft und die tickende Zeitbombe bleibt auf freiem Fuß. Müssen erst Köpfe deutscher Bürger auf den Straßen rollen, bis die linksverdrehte Justiz endlich reagiert?

Begleitet wird Stürzenbergers Text von einem Link zu einem seiner Artikel auf der islamophoben Hetzseite PI-News und einem Foto von einem Machete schwingenden, irre aussehenden Mann. Und, jetzt kommt’s – aber lassen wir der „Huffington Post“ das Vergnügen, den „epischen Fail“ zu beschreiben:

Sein Gesicht war unkenntlich gemacht. Das Problem nur: Das Bild ist ein Stil [sic!] aus einem Film. Es zeigt den Schauspieler Danny Trejo in dem Streifen „Machete“ aus dem Jahr 2010…

Soviel zur Bedrohung durch die Flüchtlinge…

Das UNGLAUBLICHE, das hinter dieser Geschichte steckt, ist also, so suggeriert es die „Huffington Post“: nichts. Dumme Nazis erfinden dumme Nazi-Geschichten, die dumme Nazis glauben.

Das Problem ist nur: Das Foto ist zwar ein albernes Symbolfoto (weshalb auf der verlinkten Seite von PI-News nach dem ersten Absatz auch „Foto Symbolbild“ steht). Der Vorfall mit der Machete aber scheint wirklich passiert zu sein.

Ihr Anfang ist hier im Polizeibericht nachzulesen. Der MDR schildert sie so:

Zum ersten Vorfall kam es nach Angaben der Polizei bereits am Freitagmittag. Demnach hatte ein Ladendetektiv zwei Männer beim Diebstahl erwischt. Daraufhin sei der Mitarbeiter von den mutmaßlichen Ladendieben angegriffen worden. Nachdem die Männer zunächst flüchteten, seien sie wenig später mit Pfefferspray und dem Augenschein nach auch mit einer Machete in den Laden zurückgekehrt und hätten die Supermarkmitarbeiter bedroht.

Während sich einer der beiden Männer von zwischenzeitlich alarmierten Polizisten ohne Gegenwehr festnehmen ließ, ging der mutmaßlich bewaffnete Mann auf einen Beamten zu. Der Polizist gab einen Warnschuss in die Luft ab. Der Tatverdächtige warf mit Steinen auf die Polizisten und flüchtete.

Am Sonnabend kehrte der 27-jährige inzwischen aus dem Polizeigewahrsam entlassene verdächtige Ladendieb wieder in den Supermarkt zurück. Als man ihn des Hauses habe verweisen wollte, habe der Mann eine Mitarbeiterin bedroht. Nach Angaben der Polizei führte er dazu eine „Geste des Kopfabschneidens“ aus. Auf dem Parkplatz soll der 27-Jährige dann ein Messer gezückt haben. Anschließend flüchtete er.

Die „Freie Presse“ berichtet unter Berufung auf die Polizei, dass es sich bei dem vorübergehend festgenommenen 27-Jährigen um einen Asylbewerber aus Libyen handele. Sie zitiert auch den SPD-Oberbürgermeister der Stadt, der sich empört darüber zeigte, dass der Mann auf freien Fuß gesetzt wurde.

Ausländerfeinde erkennt man daran, dass sie solche Einzelfälle verallgemeinern und instrumentalisieren. Man bekämpft sie nicht dadurch, dass man bestreitet, dass es solche Fälle gibt. Wenn man es tut, liefert man ihnen nur noch mehr Munition.

Die „Huffington Post“ hätte mit wenigen Minuten Online-Recherche herausfinden können, dass hinter dem Symbolfoto eine im Kern wahre Nachricht steckt. Und unter dem Artikel stehen Kommentare von Leuten, die die „Huffington Post“ zwar womöglich demnächst wieder als „Hassfratzen“ an den Pranger stellen kann, die aber mit ihren Hinweisen nicht unrecht haben, dass der Vorfall in der regionalen Presse hinreichend dokumentiert sei.

„Dass Ausländerfeinde nicht sonderlich viel in der Birne haben, ist hinlänglich bekannt“, schreibt die „Huffington Post“. Der Satz wendet sich mit Wucht gegen sie selbst.

Was Journalisten alles Wurst ist

Für den britischen Premierminister David Cameron läuft es gerade richtig gut. In einem Monat, Anfang Mai, sind in Großbritannien Unterhauswahlen, was ganz spannend wird, weil das unter Umständen auch Bedeutung hat für die EU. Und wie immer im Wahlkampf geht es deshalb um harte Themen, um Inhalte, ist ja klar.

Vor ein paar Tagen zum Beispiel machte die Nachricht die Runde, dass Cameron nicht richtig essen kann bzw. falsch isst, weil er bei einem Gartenfest an einem Tisch saß und – halten Sie sich fest: einen Hotdog mit Messer und Gabel verzehrte. Worüber die feinen Briten dann gegackert haben. Und woraus man natürlich auch als deutschsprachiger Journalist viele tolle Überschriften basteln kann.

Screenshot "Rheinische Post" 8.3.2015(„Rheinische Post“)

Screenshot "heute.at" 8.4.2015(„Heute.at“)

Screenshot "20 Minuten" 8.4.2015(„20 Minuten“)

Jawoll, „das Volk tobt“! Und seit es sich ausgetobt hat, hält sich „das Volk“ jetzt den Bauch vor Lachen, es kugelt sich, und Journalisten schenkelklopfen dazu den Takt dieses Hohn-und-Spott-Liedes, denn, und nun halten Sie sich bitte noch mal fest: Es ist ein weiteres unheimlich krasses Foto aufgetaucht.

Süß, die Kleine, nicht? Wie sie da liegt und schläft, weil der olle Cameron ja ein so langweiliger Mensch ist, bei dem alle sofort kollektiv ins Koma plumpsen, sobald sie seiner ansichtig werden. Und diese Politik! Und der Anzug! Und wenn der dann noch aus einem Kinderbuch vorliest – schnarch! So ungefähr klingt das gerade in vielen (vor allem britischen) Medien, die über Camerons Besuch in der Sacred Heart Primary School berichten. Aber auch deutsche Journalisten stürzen sich inzwischen auf die neue vermeintliche Wahlkampf-Panne des Premiers.

Screenshot "Die Welt" 10.4.2015(„Die Welt“)

Screenshot "Rheinische Post" 10.4.2015(„Rheinische Post“)

Screenshot "t-online.de" 10.4.2015(„t-online.de“)

Das ist schon toll, was da so alles über den Premier geschrieben steht, über den „abgehobenen Snob“, den „volksfremden Snob“, den einfach nur „Snob“, der „weltfremd und langweilig“ sei, was ja nun dieses Foto wieder mal belege. „Die unfreiwillige Botschaft“ des Bildes sei, schreibt die „Rheinische Post“ freiwillig: „Cameron langweilt seine Untertanen bis in den Tiefschlaf.“

Glücklicherweise existieren etliche Fotos von der Situation, und es gibt auch Videos, die zeigen, widewidewie sich Journalisten die Welt zurechtbiegen; wie sie ein schnödes Foto, einen einzigen Augenblick hochjazzen; wie erneut eine Geste mehr zählt, als jede inhaltliche Annäherung, auch wenn es dieses Mal kein Stinkefinger ist. Manche Journalisten lernen halt nicht dazu, da können noch unendlich viele gefälschte oder verfälschende Fotos oder Videos kursieren – immer dasselbe Spiel.

Tatsächlich war es ganz vergnügt in der Klasse. Die Kinder gibbelten, der Premier machte einen eher lockeren Eindruck. Cameron las aus einem Buch vor und animierte das Mädchen, mitzulesen, laut, vor allen anderen. Als sie ein Wort partout nicht herausbekam, schlief sie nicht augenblicklich aus Langeweile ein, sondern ließ eher aus Scham und kichernd ihren Kopf auf die Tischplatte sinken.

Während es bis hierhin eher still war im Klassenzimmer, schnatterten nun, im kurzen Kopf-Tisch-Moment, die Kameras der Journalisten so wild, wie sich die Fotos jetzt im Netz verbreiten. Und als ob es nicht schon kurios genug wäre, dass sich Journalisten heutzutage nicht kurz fragen, ob das Bild tatsächlich das zeigt, was man auf den ersten Blick denken könnte – einige haben sich das wohl gefragt und wissen, dass die Story nicht so ganz stimmt, schreiben es aber trotzdem auf.

Die „Welt“ titelt groß: „Der britische Premier dilettiert im Wahlkampf: Er langweilt die Jüngsten im Kindergarten und isst Hotdog mit Messer und Gabel.“ Im Text wird das dann wieder eingeschränkt, aber so eine Überschrift ist ja auch einfach zu gut. Bei t-online.de ist es in etwa das Gleiche. Und besonders bräsig, aber erwartbar, schafft die „Huffington Post“ die gleichzeitige Rolle vor- und rückwärts.

Screenshot "Huffington Post" 10.4.2015

Das steht da so, als Überschrift. Im Text, in dem auch das Video aus der Schule eingebaut ist, steht dann wenig bis gar nichts, außer eben, dass Cameron als „Snob“ gelte, der einen Hotdog mit Messer und Gabel esse, und dass nun auch der Auftritt in der Grundschule „nach hinten los“ ging. Im letzten Absatz dann:

Dass das Bild aus dem Zusammenhang gerissen und das Mädchen den Kopf eigentlich auf den Tisch hat fallen lassen, weil ihr eine Antwort auf eine Frage Camerons nicht eingefallen ist, interessiert die Öffentlichkeit nicht.

Naja, und die „Huffington Post“ offenbar auch nur so halb.

Die Wirklichkeit ist für die „Huffington Post“ nicht geschmacklos genug

In einer Bar in Kiew haben Menschen Ende Dezember eine Party veranstaltet, bei der sie gemeinsam einen Kuchen in Form eines Babys auf einer russischen Flagge anschnitten. Das staatliche russische Fernsehen hat sich darüber ausführlich empört. Die ukrainischen Veranstalter sagen hingegen, dass die Aktion gerade die Absurdität der russischen Propaganda verspotten sollte.

Tja. Traurig, würdelos, geschmacklos, das alles. Aber noch nicht geschmacklos genug für die deutsche „Huffington Post“ aus dem Hause Burda. Um die maximale Zahl von Klicks aus der Meldung zu schlagen, ging sie bei der Präsentation eines Nachrichtenfilmchens zum Thema den entscheidenden Schritt weiter:

73 Dinge, die Sie noch nicht über Native Advertising bei der „Huffington Post“ wussten

Ah. Wer gratuliert der „Huffington Post“ zum Geburtstag? Die „Huffington Post“. Sie schaut nämlich „auf ein sehr erfolgreiches erstes Jahr zurück“.

Die „Huffington Post“ konnte nach eigenem Bekunden „große Erfolge“ bei der Vermarktung erzielen, insbesondere was „Native Advertising“ angeht. Das sei „von Anfang an viral angelegt“ worden, heißt es in einer Pressemitteilung:

Die konsequente Viralstrategie hat sich im ersten Jahr der Huffington Post nicht nur redaktionell ausgezahlt, sondern auch im Bereich der Vermarktung wurden so große Erfolge erzielt. Für die Umsetzung von Native-­Advertising­-Kampagnen wurde ein Partner Studio [sic] gegründet, das losgelöst von der Redaktion arbeitet, aber sich sehr stark an der redaktionellen DNA der Huffington Post orientiert. „Mit dieser Lösung sind wir Vorreiter auf dem deutschen Markt. Viral angelegte Kampagnen für Kunden wie Edeka, Ergo oder aktuell die „Toastertaler­-Brandpage“ von Alpenhain wurden über die Seite selbst, aber auch über die sozialen Netzwerke exzellent angenommen (…)“, sagt Ulf Heyden, Director Commercial bei TOMORROW FOCUS News+.

Ah, die exzellent angenommene, viral angelegte Kampagne von Edeka. Unter der Rubrik „FOOD by Edeka“ sind auf huffingtonpost.de Artikel erschienen wie „7 Dinge, die Sie noch nicht über Pommes wussten“, „10 Dinge, die Sie noch nicht über Nudeln wussten“ und „Hätten Sie gedacht, dass Kartoffeln DAS können?“ (u.a.: „richtig lange satt machen“).

Und so wurden die einzelnen Artikel in den sozialen Netzwerken angenommen:

















Jawohl: Gleich zwei* drei Artikel sind mehr als zehn Mal auf Facebook geteilt worden!

Der große Knaller mit 110 Gefällt-mir-Klicks war das Stück „Mit diesen 7 Fakten werden Sie zum Weißwurst-Experten“, aber das haben Sie ja eh alle gelesen, so viral wie das gegangen ist.

Im August hatte die „Huffington Post“ beziehungsweise ihr Vermarkter Tomorrow Focus schon einmal in einer Pressemitteilung von ihrer großen Native-Advertising-Kompetenz und dem „viralen Ansatz“ geschwärmt. Anlass war ein neues Modell von Toyota. „Ziel der Kampagne, die gemeinsam von Zenithmedia aus Düsseldorf, Toyota und TOMORROW FOCUS Media entwickelt wurde, ist es, die Leser mit immer neuen Beiträgen für den Aygo zu begeistern und diese über soziale Netzwerke wie Facebook weiter zu verbreiten,“ hieß es damals.

Und wie das gelungen ist!








Bis zu dreimal geteilt. Da kann man allen Beteiligten wirklich nur gratulieren.

Korrektur, 23:10 Uhr. Ich hatte zunächst noch drei Edeka-Artikel übersehen.

Blinkend mit Hasen jonglieren: Die „Huffington Post“ und die Inflation der Aufmerksamkeit

Die „Huffington Post“ bietet Bloggern Aufmerksamkeit statt Geld, aber die Aufmerksamkeit, die sie bietet, muss die „Huffington Post“ auch erst selbst generieren. Sie tut das atemlos, pausenlos; die ganze Seite ist wie jemand, der schnipsend, winkend, johlend, Rad schlagend, mit Kaninchen jonglierend, mit gigantischen blinkenden Pfeilen auf sich zeigend vor einem steht.

Dies ist aktuell die Startseite, und zu sagen, dass das ungefähr der unattraktivste und am wenigsten heimelige Ort ist, den ich mir vorstellen kann, geht völlig am Thema vorbei. Die Seite sieht so aus, weil ihre Verantwortlichen wissen, dass genau diese überladene, bewegte, bunte, großbuchstabige Überforderung dafür sorgt, am meisten Aufmerksamkeit und Klicks zu generieren.

Im Inneren lärmt es genau so weiter. Jeder Pups wird zu einer dröhnend stinkenden Riesenflatulenz aufgeblasen. Dies war vor wenigen Minuten die Startseite des Medien-Ressorts:

Wer den Fehler macht, auf das spektakulär klingende Versprechen vom „TREFFEN MIT DEM FEIND“ zu klicken, kommt zu einem Geschichtlein, wonach ein konservativer Journalist auf Twitter erklärt hat, warum er an einem Hintergrundgespräch mit Präsident Obama teilgenommen hat, über dessen Inhalt er nichts sagen darf. Sechs Tweets, die praktisch keine Beachtung fanden, und in ihrer Einleitung dazu muss selbst die „Huffington Post“ zugeben, dass es fast keine Proteste aus der konservativen Ecke gab, für die der Mann sich überhaupt hätte rechtfertigen müssen. Aber eine Aufmachung, als hätte sich Obama mit dem Chef der Taliban getroffen.

Der Medienteil besteht sonst gerade aus:

  • der Meldung, dass eine Korrespondentin CNN verlässt, was eine andere Seite gemeldet hat
  • dem Gerücht, dass der Sohn der Schauspielerin Mia Farrow bei MSNBC anfangen könnte, was eine andere Zeitung gemeldet hat
  • einigen Sätzen von Alec Baldwin, dass er zunächst gar nicht so scharf darauf war, für MSNBC zu arbeiten, was er einer anderen Seite gesagt hat
  • einer Meldung über Einschaltquoten, die auf einer anderen Seite gestanden haben
  • einem Video von einer Diskussion auf MSNBC
  • einem Zitat aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk NPR
  • einer AP-Meldung über Journalisten, die in Syrien festgehalten werden
  • einer Meldung, dass die Berichterstattung über die Präsidentschaftswahl 2016 schon jetzt extrem umfassend ist, was eine Studie ergab

Hinter der vielversprechenden Schlagzeile „The Ultimate Example Of The Power Of The Press“ verbirgt sich eine Reuters-Meldung, wonach der iranische Verhandlungsführer im Atom-Streit sich über den Bericht einer Hardliner-Zeitung so sehr geärgert habe, dass er physische Schmerzen bekam und sich im Krankenhaus untersuchen ließ. Mit der Original-Überschrift der Nachrichtenagentur („Hardline newspaper report sends Iran foreign minister to hospital“) ist natürlich kein Blumentopf zu gewinnen.

Die Beobachtung, dass Obama bei einer Pressekonferenz nur Journalisten von kleineren Medien aufrief und nicht die großen, führt in der „Huffington Post“ zur nicht weiter erklärten Teaser-Zeile: „SHUT OUT“.

Und auch der (aus einem anderen Medium abgeschriebenen) Beobachtung, dass eine bekannte MSNBC-Journalistin bei einem Vortrag vor Studentinnen und Journalistinnen einer jungen Frau womöglich einen Kontakt zum Sender verschafft hat, verschafft die „Huffington Post“ die angemessene größtmögliche Beachtung.

Das wird alles, gemessen an Aufmerksamkeit, wunderbar funktionieren. Der designierte Chefredakteur der deutschen Ausgabe der „Huffington Post“, Sebastian Matthes, erzählt auch stolz, dass man im Redaktionssystem mehrere alternative Überschriften und Bebilderungen anlegen kann und dann sieht, welche besser geklickt und verlinkt wird.

Wenn man erfolgreich auf einen Artikel gelockt wurde, ist es damit natürlich nicht getan. Zu fast jedem Stück gehört eine Bildergalerie oder ein Video, locken Dutzende weitere Teaser, laden Symbole zum Twittern, E-Mailen, Teilen, Kommentieren ein. Ich soll den Autoren folgen, Themen abonnieren, Newsletter bestellen, das Ressort liken, es bei Reddit unterbringen, die regelmäßig vierstellige Zahl von Kommentaren zum Text lesen. Die ganze Seite brüllt: Mach mit! Tu was! Komm hierher! Schau hierüber! Klick das!

Das ist vermutlich vorbildlich und unzweifelhaft erfolgreich, gemessen an einer einzigen Währung: Aufmerksamkeit.

Die „Huffington Post“ ist Meister darin, Aufmerksamkeit zu generieren und sich von anderswo generierter Aufmerksamkeit einen möglichst großen Teil abzuzwacken. Die eigentlich entscheidende Frage, worauf diese Aufmerksamkeit gerichtet ist, tritt hinter der Frage, wie man sie steigern kann, völlig zurück. Aufmerksamkeit ist ein Wert an sich. Hey: Boris Becker, der Mann, von dem man wirklich schon lange nichts mehr gehört und gelesen hat, wird der erste Blogger der an diesem Donnerstag startenden „Huffington Post Deutschland“. Hurra!

Das kann man natürlich alles machen, das ist auch nicht der Sargnagel im deutschen Journalismus. Ich glaube nur, dass der hiesigen Medienlandschaft kaum etwas weniger gefehlt hat als eine solche Windmaschine. Es spricht viel dafür, dass die deutsche „Huffington Post“, wie ihr amerikanisches Vorbild, für Menschen, die guten Journalismus und einzigartige Inhalte suchen, ein eher unwirtlicher Ort wird.

Und dann ist es schon bemerkenswert, wie schwer sich selbst die „Huffington Post“ noch damit tut, die ganze Aufmerksamkeit, die sie erfolgreich generiert, in Geld umzuwandeln. Nach Berechnungen des „Handelsblatts“ schreibt sie international rote Zahlen. Auch Aufmerksamkeit ist eine Währung, die unter Inflation leidet.

Angebot aus München: Suchen Texte, bieten Reichweite

Auch ich habe eine Anfrage aus München bekommen, ob ich nicht als „Kontributor“ für ein Online-Angebot schreiben möchte. Ich könnte so, dank der großen Reichweite des Burda-Portals, meine Themen noch bekannter machen und einem großen Leserkreis präsentieren, dürfte für mich werben und auf mein Blog und Bücher oder ähnliches verlinken.

Die Anfrage kam allerdings nicht von der deutschen Version der „Huffington Post“, deren Anwerbeversuche von Gratisbloggern gerade für ein bisschen Wirbel sorgt. Sie kam von ihrer Schwester „Focus Online“.

Der Deal wird in der E-Mail wie folgt beschrieben:

Die Idee dahinter ist, dass wir unsere Reichweite als drittgrößte deutsche Nachrichtenseite zur Verfügung stellen, um ausgewiesene Experten als Marke und Ihre Themen noch bekannter zu machen und einem großen Leserkreis zu präsentieren. Diese Experten wiederum schreiben dafür regelmäßig über ein bestimmtes Thema.

Da Sie als Medienjournalist arbeiten, könnten Sie uns natürlich als Experte bei vielen Themen zur Seite stehen. Ob der Verkauf der Springer-Traditionstitel oder die Arbeit mit Prominenten in den Medien, ich bin sicher, Sie hätten etwas zu sagen. Vielleicht möchten Sie das nicht nur auf Ihrem eigenen Blog tun, sondern auch bei uns? (…)

In der Ausgestaltung der Texte sind die Autoren frei, wir geben aber gerne Hilfestellung bei der Auswahl der Themen oder dem Zuschnitt der Artikel. Bisher schreiben zum Beispiel der Politiker Thilo Sarrazin für uns, der Historiker Michael Wolfssohn, der Wissenschaftler Jack Nasher, der Verschlüsselungsexperte Klaus Schmeh, der Wirtschaftswissenschaftler Gerald Mann, der Sportmarketingsexperte Gerd Nufer, der Außenpolitikexperte Thomas Jäger usw. usf. Ich denke, Sie sehen, in welche Richtung das Modell geht. Für die Zukunft ist auch die Zusammenarbeit mit bekannten Politikern, Sportlern oder Schauspielern geplant.

Ich habe mich für die Anfrage bedankt und gefragt, ob es dafür auch ein Honorar gibt. Daraufhin habe ich nichts mehr von „Focus Online“ gehört.

Klaubbläser

Ob sie sich nicht als Blutsaugerin der traditionellen Medien sehe, wurde [„Huffington Post“-]Gründerin Huffington kürzlich gefragt. „Das ist, als würde man sich darüber beschweren, dass ein Auto schneller ist als ein Pferd“, antwortete sie. „Schon immer haben neue Technologien die alten überrollt.“

Der Vergleich stimmt nicht ganz. Die „Huffington Post“ überrollt andere Medien nicht. Sie beutet sie systematisch aus. Einen Großteil ihrer Nachrichtenschlagzeilen klaubt Huffingtons Crew einfach aus anderen Medien zusammen – viele davon sind die Online-Ausgaben traditioneller Tageszeitungen.

„Focus“, 11. Mai 2009.

„FOCUS Online“ — stolzer Partner der Huffington Post in Deutschland.

„Focus Online“, 29. April 2013.