Schlagwort: Ines Pohl

Die „Tagesschau“. Wo man schöne Inszenierungen nicht blöd hinterfragt.

Vielleicht könnte die „Tagesschau“ jemand anderes finden, der öffentlich auf Kritik an ihrer Arbeit reagiert? Jemanden, für den eine „Diskussion“ etwas anderes ist als eine Ansprache, der ein irgendwie ausgleichendes Wesen hat und womöglich sogar noch ein Bewusstsein dafür, dass er von uns Zuschauern bezahlt wird? Jemanden, der nicht alles noch schlimmer macht? Kurz gesagt, jemand anderes als Kai Gniffke?

Es gibt ja gerade ein bisschen Aufregung um die Bilder von den Staats- und Regierungschefs beim großen „Republikanischen Marsch“ in Paris am vergangenen Sonntag. „Le Monde“ berichtete, dass die gar nicht in dem Sinne den Zug anführten, wie man es aufgrund der Berichte in den Nachrichtensendungen und der Fotos in den Zeitungen glauben mochte. Sie waren nicht wirklich Teil der Menschenmenge; vor und hinter ihnen war die Straße offenbar abgesperrt. Die „taz“ und „Spiegel Online“ meldeten sogar, dass es sich um eine „einsame Nebenstraße“ gehandelt habe.

Ich kann verstehen, dass Menschen das ärgert, wenn sie das erfahren. Wenn sie Grund haben anzunehmen, dass Journalisten ihnen etwas vormachen und Komplizen bei einer Inszenierung sind, anstatt diese Inszenierung kenntlich zu machen. Natürlich ist jede Auswahl eines Fotos oder eines Filmausschnittes eine subjektive Entscheidung. Es ist aber nicht die Aufgabe von Journalisten, den Aufmarsch von mehreren Dutzend Staats- und Regierungschefs durch eine geschickte Wahl der Perspektive besonders eindrucksvoll wirken zu lassen.

Die Chefredakteurin der „taz“, Ines Pohl, verknüpfte diesen Fall mit der heutigen Kür des Begriffs von der „Lügenpresse“ zum „Unwort des Jahres“. Sie sagte: „Leider belegt der Umgang mit den Bildern des Pariser Marsches der Mächtigen, dass das Wort ‚Lügenpresse‘ nicht nur ein Hirngespinst der Pegida-Anhänger ist, sondern dass die Wirkung der Bilder – übrigens auch für deutsche Medienmacher – manchmal wichtiger ist als die Dokumentation der Realität.“

Das hat bei ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke eine Halsschlagader platzen lassen. Im „Tagesschau“-Blog schreibt er:

Auch auf die Gefahr hin, dass ich jetzt wieder richtig auf die Fresse bekomme: Mir langt’s.

Der Vorwurf der Inszenierung sei eine „wilde Verschwörungstheorie“ und „kompletter Unfug“.

Er wirft dann mehrere Nebelkerzen und stellte fest, dass es „immer eine Inszenierung“ sei, wenn sich Politiker vor eine Kamera stellen, dass die französische Polizei ihren „Job verfehlt“ hätte, wenn sie die Politiker nicht von den anderen Menschen abgetrennt hätte (was kaum jemand ernstlich bestreitet), und dass, „sorry“, Kameraleute und Fotografen eben nicht immer einen Hubwagen zur Hand hätten. Und nach einem rätselhaften Einschub – „bei aller Selbstkritik“ – beklagt er sich schließlich darüber, dass solche Kritiker seine sensiblen Kollegen ganz kirre machten:

Ich wehre mich dagegen, über jedes Stöckchen zu springen, dass uns Verschwörungstheoretiker hinhalten. Denn sonst sickert noch viel mehr des Giftes der Furcht in unseren Berufsstand ein. Denn diese Diskussionen hinterlassen Spuren in den Redaktionen. Statt unser Bewusstsein für Qualitätsjournalismus zu schärfen, sind sie dazu angetan Redaktionen zu verunsichern.

Mit keinem Wort geht er auf die zentrale Frage ein, warum „Tagesschau“ oder „Tagesthemen“ nicht – und sei es noch so beiläufig, durch einen Halbsatz oder einen Kameraschwenk – deutlich machten, dass die Politiker in einem gehörigen Sicherheitsabstand vom eigentlichen Marsch ein kleines Stück für die Fotografen liefen. Warum seine Redaktion die Menschen nicht in einer Weise informiert hat, die verhindert hätte, dass offenbar eine erhebliche Zahl von ihnen, inklusive mehrerer Zeitungsredaktionen, sich in die Irre geführt fühlten, als sie später das Szenario aus anderer Perspektive sahen. Warum ARD und ZDF mit ihren Formulierungen den Eindruck erweckten, die Politiker hätten sich unter die Massen gemischt und „Seite an Seite“ mit dem Volk demonstriert.

Natürlich ist der Vorwurf einer „Verschwörung“ absurd, wenn etwa das Erste selbst am Nachmittag in seiner Live-Übertragung auch gezeigt hat, wie die Politiker getrennt vom Rest der Menschenmenge liefen. Aber deshalb ist doch nicht die Kritik an den Medien absurd, die in ihren Nachrichten und Fotos einen gegenteiligen Eindruck erweckt haben. Deshalb ist doch nicht die Frage unberechtigt, ob unter anderem die „Tagesschau“ ihren Zuschauern nicht diese Information hätte mitliefern sollen.

Ja, Herr Gniffke, fast alles ist Inszenierung. Und je häufiger Medien in einer Welt, in der das Publikum skeptisch geworden ist und sich aus ungezählten anderen Quellen informieren kann, diese Inszenierungen kenntlich machen, indem sie einfach mal einen Schritt zurücktreten, aufzoomen, zur Seite schwenken, umso größer ist ihre Chance, auch in Zukunft noch als glaubwürdig zu gelten. Wir brauchen viel, viel mehr Dekonstruktionen der Inszenierungen und Scheinwirklichkeiten. Dass Gniffke das nicht nur nicht versteht, sondern auch noch zurückpöbelt, lässt für die „Tagesschau“ das Schlimmste befürchten.

Wenn er weniger wütend gewesen wäre, hätte er es vielleicht geschafft, einen Teil der Kritik sachlich zu entkräften. Die Aufnahmen entstanden nämlich nicht in einer einsamen Seitenstraße, sondern durchaus auf der Strecke, die auch für den Trauermarsch genutzt wurde: auf dem Boulevard Voltaire. Insofern ist die Aussage nicht ganz falsch, dass die Politiker den „Republikanischen Marsch“ anführten – nur halt mit erheblichem Abstand.

Davon liest man bei Gniffke allerdings nichts. Stattdessen appelliert er:

Halten wir es doch einfach mal aus, dass es eine große Geste von Millionen von Menschen und zahlreichen Politikern gab, an der nichts auszusetzen ist.

Andere Journalisten hatten durchaus eine Menge an dieser „großen Geste“ auszusetzen, und das kann man mögen oder lästig finden, aber das gehört durchaus zur Aufgabe eines Journalisten, ein schönes, gefühliges, scheinbar stimmiges Bild zu stören. Es spricht Bände über das Selbstverständnis des Chefredakteurs von ARD-aktuell, dass er lieber die perfekte Inszenierung bewahren will, den Schein, das gute Gefühl: Halten wir das doch einfach mal aus.

Nachtrag, 14. Januar, 18:10 Uhr. Kai Gniffke hat im „Tagesschau“-Blog einen im Ton versöhnlichen Nachtrag veröffentlicht.

„taz“-Chefredakteurin verhindert kritischen Artikel über Grüne und Pädophilie

Wenn sich die Redaktion der „taz“ morgen Vormittag zu ihrer Montagskonferenz trifft, steht ein besonderes Thema auf der Tagesordnung: Sie soll über einen Artikel diskutieren, der den Grünen vorwirft, dass Pädophilie in ihrer Ideologie angelegt war. Der Text wäre gestern im Blatt erschienen, wenn Chefredakteurin Ines Pohl das nicht verhindert hätte. Der Vorwurf der „Zensur“ steht im Raum — und die Frage, ob die „taz“ sich aus wahltaktischen Gründen Angriffe auf die Grünen verkneift.

Das Ressort der Wochenendbeilage „Sonntaz“ hatte den Artikel bei Christian Füller bestellt. Füller ist in der „taz“ für Bildung zuständig und hat sich in den vergangenen Jahren mit Recherchen und Veröffentlichungen über Kindesmissbrauch profiliert.

Mit großer Wut arbeitet er sich jetzt an den Grünen und ihrem Milieu ab, in dem Päderasten in den 70er und 80er Jahren Verbündete fanden. Den Grünen von heute wirft er vor, die Opfer immer noch zu verraten.

Er schreibt:

Empathie gibt es bei den Grünen nur für die Opfer der anderen. Als die Bundesregierung 2010 einen Runden Tisch einrichtete, gehörte Fraktionschefin Renate Künast zu denen, die am lautesten Aufklärung forderten — von der katholischen Kirche. Jürgen Trittin weicht noch in seinem jüngsten Interview in der „Welt“ jedem Vergleich mit der Kirche aus. Das ist insofern richtig, als die katholische Kirche anders aufklärt als die Grünen — besser und gründlicher.

Denn anders als Erzbischof Zollitsch weigert sich der grüne Bischof Trittin im Interview mit der Welt standhaft, eine Anlaufstelle für Opfer grüner Täter einzurichten. Darum schert sich bei den Grünen niemand, mehr noch, man macht sich lustig.

(…)

Pädophilie aber war keine Nebensache bei den Grünen, sondern in der Ideologie angelegt. „Selbstbestimmte Sexualität und Kritik an der patriarchalischen Gesellschaft waren unsere Themen damals“, sagen jene Grünen, die 1968 gegen die verkapselte Post-NS-Gesellschaft kämpften. Das begann bei der Erziehung. Die Kinderladenbewe- gung gehört sozusagen zum Markenkern der studentischen Linken und der daraus entstehenden Grünen. Die sexuelle Befreiung, auch die der kindlichen Sexualität, war das wichtigste Mittel der gesellschaftlichen Entrepressierung — und spielte Pädos und deren Mitläufern in die Hände.

(…)

Die Grünen befinden sich inmitten ihrer moralischen und programmatischen Kernschmelze. Nur dass es kein krachender Super-GAU ist, sondern eine kalte, fortschreitende Implosion.

Zu lesen bekamen die Grünen diese Abrechnung nicht: Ines Pohl verhinderte es. Sie wies die Ressortleitung an, den Artikel aus der Wochenendausgabe zu entfernen. Er strotze vor falschen Tatsachenbehauptungen und habe keinen aktuellen Kontext.

Der zweite Punkt lässt sich angesichts der Debatte, die in der vergangenen Woche geführt wurde, schwer nachvollziehen. Aber Pohl blieb auch Belege für die falschen Tatsachenbehauptungen schuldig. „taz“-Justiziar Peter Scheibe hatte den Text freigegeben.

In der Konferenz am Freitag nannte Pohls Stellvertreter Reiner Metzger dann einen anderen Grund, warum Füllers Text nicht erscheinen durfte. Die Öffentlichkeit verfolge sehr genau, wie gerade die „taz“ mit der Pädophilie-Geschichte der Grünen umgehe. Metzger wurde so verstanden, dass man sich wenige Wochen vor der Wahl einen solchen Angriff auf die Partei nicht erlauben könne.

Die „taz“ als eine Art grünes Gegenstück zum „Bayernkurier“ der CSU? Die „taz“ vom vergangenen Dienstag lässt diesen Vorwurf nicht mehr ganz so abwegig erscheinen. Ganz im Stil eines Ronald Pofalla erklärte sie auf ihrer Titelseite die Diskussion um die pädophilen Verstrickungen der Partei in ihren Anfangsjahren für erledigt. „Aufgeklärt!“ jubelte die „taz“ in den Farben und mit dem Logo der Grünen:

Als Daniel Cohn-Bendit im Frühjahr den Theodor-Heuss-Preis entgegen nahm, sagte er über die „taz“: „Das ist unsere Zeitung.“ Christian Füller hat den Verdacht, dass das in der „taz“ umgekehrt ähnlich gesehen wird.

Mehrere Tage vor der Preisverleihung hatte er einen Artikel über die zweifelhafte Rolle Cohn-Bendits geschrieben. Der habe dazu geführt, dass er in der Redaktion ausgegrenzt wurde. Einflussreiche Kollegen hätten ihm die freundschaftliche Verbundenheit aufgekündigt.

Eine geplante Debatte im Blatt nach der Heuss-Preisverleihung habe Ines Pohl nach einem Gespräch mit Cohn-Bendit untersagt. Füller twitterte damals:

Es ist erste Aufgabe von Chefredakteuren, dass Journalisten recherchieren/schreiben können + gedruckt werden. nicht: das zu verhindern.

Die „taz“ habe über die Pädo-Debatte um die Gründungsjahre der Grünen dann von sich aus nicht mehr berichtet, sagt Füller, sondern nur, wenn über die Agenturen Meldungen von außen kam. Oder nachdem der „Spiegel“ groß aus dem „Grünen Gedächtnis“ zitiert hatte, dem Archiv der Partei, das Füller zuvor schon ausgewertet hatte. Füller veröffentlichte seine Texte zum Thema stattdessen in der „FAS“.

Bis die „Sonntaz“ vergangene Woche ihn bat, ein zugespitztes Essay zu schreiben, das dann von Pohl verhindert wurde. „So etwas aus der ‚taz‘ per Ukas herauszuholen, weil einem die These nicht passt, und das ganze mit angeblich falschen Tatsachenbehauptungen zu begründen, das ist Zensur“, sagt Füller. „Und so was geht in der ‚taz‘ nicht.“

Er steht damit nicht allein und findet Unterstützung auch von Leuten, die seinen Text indiskutabel finden.

Und so wird es in der Konferenz morgen wohl nicht nur um seinen Artikel und dessen Qualität oder Haltlosigkeit gehen. Nicht nur um die Frage, ob die „taz“ einen solch heftigen Debattenbeitrag aushalten muss. Und ob sie nicht überhaupt der Ort sein müsste, an dem die Debatte über die vermeintlichen oder tatsächlichen Lebenslügen der Grünen und ihres Milieus, das nicht zuletzt auch das Milieu der „taz“ ist, öffentlich und schonungslos geführt wird.

Es wird auch, ganz unabhängig vom konkreten Fall, darum gehen, ob die Chefredakteurin Ines Pohl das Recht hat, missliebige Artikel einfach zu verhindern, wie sie es offenbar häufiger tut (aber leider manchmal gerade dann nicht, wenn es nötig wäre).

Ines Pohl wollte sich vor der morgigen Konferenz nicht äußern.

Nachtrag, 19. August, 22:30 Uhr. Die „taz“ hat heute Vormittag eine halbe Stunde über die Sache kontrovers und teils lautstark diskutiert. Ines Pohl hatte ihre Vorwürfe gegen Füllers Text neu sortiert und sprach nun nicht mehr von falschen Tatsachenbehauptungen, sondern falschen Kausalzusammenhängen. Vor allem empörte sie sich — wie andere auch — darüber, dass der Streit öffentlich gemacht worden war. Ein greifbares Ergebnis brachte die Konferenz nicht. Der Redaktionsausschuss soll sich mit dem Thema und der Frage beschäftigen, unter welchen Voraussetzungen die Chefredaktion in solcher Weise in die Entscheidungen der Ressorts eingreifen darf.

Nachtrag, 20. August, 22:30 Uhr. Christian Füller hat einen Teil seiner Erklärung für die Redaktionskonferenz hier veröffentlicht.

Übrigens haben inzwischen „Bild“, „Welt“, „Tagesspiegel“ und „FAZ“ berichtet. Keine dieser Tageszeitungen hat die Quelle für die Geschichte genannt.

Nachtrag, 22. August, 17:30 Uhr. Inzwischen gibt es auch eine Stellungnahme von Ines Pohl. Sie beklagt sich darin über „Illoyaliäten“ [sic] und darüber, dass „die Entscheidung der Chefredaktion, die sich auf die handwerkliche Qualität des Textes bezog, in eine politische umgedeutet“ wurde.

Pohl erweckt den Eindruck, der Artikel hätte nur noch einmal redigiert werden sollen. Sie habe den „Auftrag“ erteilt, ihn „noch einmal überarbeiten zu lassen“. Das stimmt nicht. Sie hat die Veröffentlichung des Artikel schlicht untersagt, unter anderem mit dem Argument, es fehle ein aktueller Zusammenhang.

Der ewige Junggeselle Peter Altmaier und die Selbstzensur der „taz“

Ich weiß nicht, ob Peter Altmaier schwul ist. Aber ich finde es — anders als die Chefredakteurin der „taz“ — legitim, darüber zu spekulieren.

Der neue Umweltminister hat die „Bild am Sonntag“ wie zuvor schon anderen Medien zu sich nach Hause eingeladen. Er hat sich „am heimischen Herd“ mit einer Pfanne Bratkartoffeln fotografieren lassen. Und er hat die Frage der „Bild am Sonntag“-Leute beantwortet, warum man „in den Archiven nichts von einer Partnerin findet“:

„Ich bin ein sehr geselliger und kommunikativer Mensch. Doch der liebe Gott hat es so gefügt, dass ich unverheiratet und allein durchs Leben gehe. Deshalb kann in den Archiven auch nichts über eine Beziehung stehen. Ich hadere nicht mit meinem Schicksal. Wenn es anders wäre, wäre ich längst verheiratet oder in einer festen Beziehung. Aber ich hatte und habe immer eine kleine Zahl guter Freunde, mit denen ich über alles reden kann.“

Das sind bemerkenswert apodiktische Formulierungen: „Der liebe Gott hat es so gefügt“ und „mein Schicksal“. Formuliert so jemand, der bloß noch keine Partnerin gefunden hat? Oder spricht hier jemand verschlüsselt über seine Homosexualität? (mehr …)

Der homosexuelle Mann… und die Grenze der Toleranz bei der „taz“

Die Toleranz der „taz“ ist groß. Sie ist so groß, dass sie es sogar zulässt, dass ihr Redakteur Jan Feddersen auf taz.de ausdauernd Leute verächtlich macht, weil sie sich in einem Land wie Aserbaidschan für Menschenrechte einsetzen.

Doch auch die Toleranz der „taz“ kennt Grenzen. Und so wird morgen die traditionsreiche Kolumne „Der homosexuelle Mann…“ von Elmar Kraushaar nicht erscheinen. Kraushaar schreibt sie seit 1995 monatlich auf der „Wahrheit“-Seite. In der nächsten Ausgabe wollte er sich der Lage der Schwulen in Aserbaidschan widmen und dem eigenwilligen Blick des „taz“-Redakteurs Jan Feddersen darauf.

Doch am Mittag, kurz vor Redaktionsschluss, habe die Chefredaktion den Text von der Seite genommen, sagt Kraushaar — angeblich ohne Begründung außer dem Hinweis, Feddersen habe der Text nicht gefallen.

Auf Nachfrage erklärt mir Chefredakteurin Ines Pohl, es gebe seit langem eine Übereinkunft in der „taz“:

Man greift Kollegen nicht persönlich in der eigenen Zeitung an, auch nicht über Zitate Dritter. Das geht nur in Form offener Schreibschlacht, Pro & Contra. Dieses Pro & Contra hatten wir zu der Sache aber schon während des Grand Prix, Niggemeier und Feddersen. Ein zweites Pro & Contra wollte keiner der Beteiligten.

Das ist die Grenze der Toleranz bei der „taz“. Das — und nicht das Redaktionsstatut, in dem es über das „Selbstverständnis“ der Zeitung heißt: „Sie tritt ein für die Verteidigung und Entwicklung der Menschenrechte (…).“

Folgender Text erscheint deshalb morgen nicht in der „taz“:

Der homosexuelle Mann …

… in Aserbaidschan ist dem Westeuropäer ein Fremder. Möglicherweise ist – wie es in queerer Terminologie heißt – sein Konzept sowohl von Homosexualität als auch von Homosexuellenunterdrückung ein ganz anderes. Der gerade zu Ende gegangene Eurovision Song Contest sollte Aufschluß darüber geben. Denn kaum war im vergangenen Jahr in Düsseldorf das Duo aus Baku zum Sieger gekürt, fragten die ESC-Fans schon nach: Kann man als Schwuler überhaupt nach Baku reisen oder wird man gleich festgenommen beim ersten spitzen Schrei?

Viele von denen, die jetzt da waren, haben ihre Beobachtungen mitgeteilt, das Ergebnis ist ein „sowohl“ als „auch“. Festgenommen wurde wohl keiner der schwulen Gäste, aber wirklich gerne gesehen war man auch nicht. Falls man überhaupt von „gesehen“ sprechen kann. Denn das scheint die oberste Maxime der heimischen Schwulen zu sein: Aufpassen, dass man nicht gesehen wird. Ein schwules Leben ist möglich — als Doppelleben, im Versteck und in der Nacht.

Einzig Jan Feddersen, in Personalunion Baku-Blogger für taz und NDR, hat es anders wahrgenommen. Die Unterdrückung der Homosexuellen? „Westliche Gerüchte“, schreibt Feddersen, „Gräuelpropaganda von Menschenrechtisten“, stattdessen sei Baku ein einziger „schwuler Catwalk“ mit Männern in „hautengen T-Shirts“ und „Jeans mit eingebauten Gemächtebeulen“. Und die halten Händchen in aller Öffentlichkeit und sind „Buddies“ ein Leben lang.

Feddersens höhnischer Ton immer dann, wenn es um Pressefreiheit und Menschenrechte in Aserbaidschan ging, erstaunte die übrigen Pressevertreter, seine verklärten Worte über das schwule Leben dort erzürnte die Beobachter schwuler Medien. „Das Mindeste, das du jetzt tun könntest, aus Solidarität zu denjenigen, die ein anderes Verhältnis zu den Realitäten haben“, schreibt queer.de-Redakteur Christian Scheuß in einem offenen Brief an Jan Feddersen, „halt in Sachen Menschenrechte doch einfach die Klappe.“ Frank & Ulli schlagen auf ihrer Web-Seite „2mecs“ vor, Feddersens Wortschöpfung „Menschenrechtist“ zum Unwort des Jahres zu küren. Für die beiden Autoren macht es keinen Sinn einen neuen Begriff einzuführen, es gebe doch die „Menschenrechts-Aktivisten“: „Es sei denn“, unterstellen sie Feddersen, „man wolle ihrer Arbeit eine negative Konnotation anhängen, sie diffamieren, sie verächtlich machen.“

Auch Patsy l’Amour laLove lässt in ihrem Patsy-Blog kein gutes Haar an Feddersen und stellt — mit Blick auf seine idyllischen Mutmaßungen über muslimisch konnotierte Männerfreundschaften — fest: „Wenn Männersex in Badehäusern en vogue ist, dann träume ich nicht davon, wie befreit diese Gesellschaft sein muß, sondern denke darüber nach, warum schwuler Sex nur in der Begrenztheit dieser Räume stattfinden darf.“ Die Polittunte setzt ihre Forderung gegen jeglichen falschen Zungenschlag: „Solidarität mit unseren Schwestern anstatt selbstgefälliger Romantisierung!“ Denn „die Schwulenunterdrückung in Aserbaidschan ist kein Gerücht sondern Alltagsrealität!“

Elmar Kraushaar