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„Bild“ erliegt der „dunklen Faszination“ der IS-Bilder

ISIS zieht seine Kraft, seine dunkle Faszination daraus, seine Kämpfer in Momenten brutaler Allmacht – bei Hinrichtungen und Massakern – zu zeigen, die Bilder junger, triumphierender Männer in den sozialen Netzwerken um die Welt zu schicken.

Das schreibt Julian Reichelt, der Chefredakteur von Bild.de in seinem Newsletter „Meine Top 7 des Tages“, aber es ist trotzdem nicht falsch. Die Inszenierungen der brutalen Gewalt, die teils höchst professionell produzierten Videos, in denen die Terroristen ihre Skrupellosigkeit und Grausamkeit in Szene setzen, sind ein wichtiger Teil der Propaganda-Strategie des IS. Das ist vielfach beschrieben und fast banal.

Nicht so banal ist die Antwort auf die Frage, was das für unseren Umgang mit diesem Propagandamaterial bedeutet. Wenn Journalisten, die diese Bilder zeigen, um über die Taten der Terroristen zu informieren, aber auch zu zeigen, wie grausam sie sind, damit bei einem Teil des Publikums womöglich nicht Abscheu und Entsetzen auslösen, sondern Bewunderung. Wenn Medien dadurch, dass sie die Propaganda der Terroristen zeigen, selbst zu Werkzeugen dieser Propaganda werden.

Friedemann Karig hat darüber Anfang des Jahres bei „Krautreporter“ geschrieben, über das Paradox, in das der Terror die Massenmedien stürzt: „Er zwingt sie, sich entweder zu zensieren oder zu pervertieren.“ Er zitierte Claus Klebers „heute journal“-Moderation:

„Heute veröffentlichte die Terrorgruppe Islamischer Staat ein Video wohl von der Enthauptung eines zweiten amerikanischen Journalisten, den sie in Geiselhaft hatten. Damit ist zu den Fakten alles gesagt. Wir sehen dieses Mal keinen journalistischen Grund, Ihnen auch noch Bilder dazu zu zeigen.“

Ich habe in der FAS im Februar ebenfalls über das Dilemma geschrieben, am Beispiel des IS-Videos von der Verbrennung des jordanischen Piloten Muaz al-Kasasbeh, in dem einzelne Momente als Standbilder hervorgehoben wurden:

Es sind perfekt komponierte Fotos, die die Machtlosigkeit des Opfers und die Überlegenheit der Täter in einprägsamen Bildern symbolisieren. Es sind genau die starken Bilder, die Medien zeigen wollen und die die Terroristen zeigen wollen, und es ist schwer für die Redaktionen, sich aus dieser Logik zu befreien. Es erfordert ein bewusstes Zurücktreten und Zweifeln an den sonst bewährten journalistischen Routinen – die etwa dazu führen, Superlative zu suchen und zu finden und die neue Mordmethode als „noch grausamer“ oder „bisher brutalste“ zu würdigen.

Der „Bild“-Zeitung ist dieses bewusste Zurücktreten und Zweifeln naturgemäß fremd. Sie zelebriert jede neue Gräueltat, jedes besonders abscheuliche Video, nicht nur in großen Buchstaben, sondern auch in großen Bildern und ausführlichen Videosequenzen. Sie berichtet nicht nur, was ISIS tut, sie zeigt es auch – naturgemäß zum ganz überwiegenden Teil mit den Aufnahmen, die der IS selbst davon angefertigt hat, genau zu dem Zweck, dass sie größte weltweite Verbreitung finden.

Dass es ein Unterschied ist, ob man über die Taten des IS nur berichtet oder ob man es mit den IS-Bildern ausführlich und in größter Aufmachung zeigt, weiß niemand besser als die „Bild“-Zeitung selbst, die einen fast mythischen Glauben an die Kraft von Bildern pflegt und meint, man könne zum Beispiel die Taten von Tätern gar nicht verstehen, wenn man nicht in ihr Gesicht sehen kann.

Die „Bild“-Leute wissen, wie mächtig Bilder sind. Die ISIS-Terroristen wissen es auch. Und die „Bild“-Leute wissen, dass die ISIS-Terroristen es wissen. Das ändert aber nix.

Noch einmal Julian Reichelts Zitat:

ISIS zieht seine Kraft, seine dunkle Faszination daraus, seine Kämpfer in Momenten brutaler Allmacht – bei Hinrichtungen und Massakern – zu zeigen, die Bilder junger, triumphierender Männer in den sozialen Netzwerken um die Welt zu schicken.

„Kämpfer in Momenten brutaler Allmacht“? „Bilder junger, triumphierender Männer“? So etwa?

Wenn der IS ein Werbebanner gestaltet hätte, es hätte vermutlich kaum anders ausgesehen und der Slogan ähnlich gelautet („Jetzt auch auf deutsch!“).

Immer wieder verbreitet „Bild“ die Botschaften der Terroristen in dieser und ähnlicher Weise.

Aus einem IS-Propaganda-Film, der zeigt, wie ein Kind zwei vor ihm auf dem Boden kniende Männer erschießt, hat „Bild“ in seiner eigenen Version zwar die Bilder, in denen die Schüsse fallen, durch Schwarzblenden ersetzt. Aber „Bild“ zeigt die Augenblicke davor, die Machtpose des bewaffneten IS-Kämpfers, die gesenkten Köpfe der Gefangenen kurz vor ihrem Tod, das triumphierende Kind, die auf englisch übersetzten Schwüre der Terroristen.

Was passiert nun, wenn man „Bild“ auf diesen Widerspruch hinweist – zwischen der Erkenntnis, dass der IS seine Kraft, seine „dunkle Faszination“ (offenkundig auch für dafür empfängliche junge Leute im Westen) aus seinen Inszenierungen bezieht, und der Tatsache, dass „Bild“ selbst diese Propagandabildern verbreitet? Dies:

(BILDblog hat versehentlich den Text aus dem „Bild“-„Top 7“-Newsletter von Julian Reichelt dem „Bild“-Politik-Newsletter von Béla Anda zugeordnet.)

Spätestens an dieser Stelle konnte man den Versuch, über ein tatsächliches Mediendilemma mit dem „Bild“-Politik-Chef zu diskutieren, wohl als gescheitert ansehen.

Auch Julian Reichelt schaltete sich ein. Er bezeichnete die BILDblogger nicht als „gestört“, aber als Terroristenfreunde. Vor ein paar Tagen, als BILDblog kritisierte, dass sich „Bild“ im IS-Prozess nicht an die Vorgaben des Celler Gerichtes hielt, die Angeklagten nur verpixelt zu zeigen, hatte er den Kollegen schon „Mitgefühl für Mörderbanden“ unterstellt. Nun prophezeite er:

Béla Anda hält es für irgendwie mutig, möglichst viel von dem IS-Propagandamaterial zu zeigen. Wer dafür plädiert, sich damit zurückzuhalten, gerade weil es im Interesse der Terroristen ist, wird von ihm als feiger Terroristenversteher verunglimpft.

Julian Reichelt ist der Gedanke einer medienethischen Diskussion offenkundig so fremd, dass er sie nur als ideologisch motivierten Streit wahrnehmen kann. Wer die „Bild“-Zeitung für ihre Berichterstattung über Terroristen kritisiert, muss ein Sympathisant von Terroristen sein. Es ist die Argumentationsweise eines Fanatikers.

Dadurch, dass die „Bild“-Zeitung in großem Umfang IS-Bilder zeigt, kann sie sich als besonders entschlossener Kämpfer gegen die Terroristen darstellen und fühlen. Und von der Attraktivität des schrecklichen Materials profitiert sie sicher auch bei den Klickzahlen. Den Gedanken, ob sie sich damit vielleicht ungewollt zum Handlanger der Terroristen macht, vertreibt sie durch wildes Um-sich-Schlagen.

Bleibt also alles, wie es ist: Die Terroristen von IS werden weiter Propagandavideos von ihren Gräueltaten produzieren und im Zweifel versuchen, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit durch immer noch brutalere und perversere Bilder zu behalten. Die „Bild“-Zeitung wird diese Bilder besinnungslos groß in Szene setzen. Und wer das kritisiert, wird von den selbstblinden „Bild“-Verantwortlichen als „gestört“ oder Terroristenfreund bezeichnet.

Nachtrag, 19:50 Uhr: Die österreichische Ausgabe der „Neuen Zürcher Zeitung“, nzz.at, kritisiert im selben Zusammenhang unter anderem die „Kronen“-Zeitung und schreibt:

Alles in allem war es wohl ein guter Tag für Mohamed Mahmoud [einen der beiden Mörder in dem aktuellen IS-Video]. Er hat seine Propaganda nach Österreich und Deutschland getragen. Er hat für Unruhe gesorgt, seine Botschaften standen in jeder Zeitung des Landes, liefen im Radio, im Fernsehen.

Genau das ist sein Job in der Gruppe Islamischer Staat. Die straff organisierte Miliz versucht, gezielt über die sogenannten „Foreign Fighters“ in ihren Reihen, einzelne Länder in ihren Kampf hineinzuziehen. Ein Engländer für England, ein Österreicher für Österreich. Dafür brauchen sie Medien, die ihre Propaganda möglichst aufgeregt, schrill und unbedacht weitertragen, damit auch jeder Angst vor den „Löwen des Islams“ hat.