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Was Jens Voigt an die DDR erinnert

Kann mir jemand erklären, was Radprofi-Sprecher Jens Voigt damit meint, wenn er über die Entscheidung von ARD und ZDF, nicht mehr live von der „Tour de France“ zu berichten, sagt:

Das ist ja wie früher in der DDR: Zwei Leute entscheiden gegen den Willen des Volkes.

Soweit mir bekannt ist, haben ARD und ZDF niemandem verboten, sich Live-Bilder von der Tour de France anzusehen, zum Beispiel auf Eurosport, einem Sender, der in über 90 Prozent der deutschen Fernsehhaushalte zu empfangen ist. Meines Wissens haben ARD und ZDF auch nicht verhindert, dass ein anderer Sender an ihrer Stelle von dieser Veranstaltung berichtet; im Gegenteil: Sie haben die Rechte zurückgegeben, damit Sat.1 sie erwerben kann. Und nach jetzigem Kenntnisstand haben ARD und ZDF nicht einmal den Versuch unternommen, die „Tour de France“ an sich abzusagen, sie verbieten zu lassen, ihre Fans zu verfolgen.

Was also genau ist an dieser Entscheidung, „wie früher in der DDR“?

Ich bin kein Sportexperte, aber das bringt mich auf die Palme: Dass diese Leute nicht einfach nur ihr ultrakommerzielles, skrupelloses Geschäft veranstalten, sondern gleichzeitig so tun, als gebe es ein Menschenrecht darauf, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen sich daran beteiligt und die Einnahmen der Veranstalter und Sponsoren mehrt — durch Lizenzzahlungen und die Aufmerksamkeit, die es dem Unternehmen „Tour de France“ verschafft.

Die „Berliner Zeitung“ hat sich in diesem Jahr übrigens für eine besondere Art der Berichterstattung entschieden: Redakteur Christian Schwager ist vor Ort, berichtet aber unter dem Titel „Die Spritztour“ ausschließlich über „die Tour und die Drogen“ sowie den „Radsport und die organisierte Kriminalität“. Die (vermeintlich) sportlichen Ergebnisse sind auf einen lapidaren Satz am Ende jeder Kolumne reduziert: „Übrigens, in Gelb fährt … .“

Jens Weinreich, Sportchef der „Berliner Zeitung“ und profilierter Sportjournalist der Art, die Kritiker „Nestbeschmutzer“ nennen würden, schrieb vor dem Auftakt:

Kann man sich für einen aufrechten, unabhängigen Sportjournalismus einsetzen, der nicht Promoter von Ereignissen sein will, sondern kritischer Begleiter; der mehr im Blick hat, als nur eine Unterhaltungsfunktion zu erfüllen? Und dann doch wieder, wie üblich, von der Tour berichten? Über die täglichen verlogenen Dramen, die gefallenen und neuen Helden, die wenig später mit gespenstischer Regelmäßigkeit als Betrüger enttarnt werden? (…)

Im Prinzip könnten wir uns hinter dem Allerwelts-Argument verstecken, Journalisten hätten Chronisten zu sein, im Auftrag ihrer Leser. Das stimmt selbstverständlich, aber es wäre zu billig. Denn es gibt Grenzen. Für das, was sich Radsport nennt, wäre ein täglicher Gerichtsreport die angemessene Form. (…)

Diese Form der Berichterstattung, die gewiss nicht nur Freunde finden wird, erscheint uns in diesem Jahr angemessen. Die Aufräumarbeiten im Radsport haben gerade erst begonnen. Es mag einige positive Entwicklungen geben, aber es wird immer noch betrogen und gelogen, vertuscht und geschwiegen, geleugnet und verborgen, verheimlicht und bestritten.

Im Prinzip ist es so: Wer in Gelb fährt, ist völlig unerheblich.

Sein Kommentar zum Ausstieg von ARD und ZDF ist ebenfalls lesenswert.