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K11

Fernsehen für Menschen, die lieber bügeln. Mehr Redundanz wagen: Der unheimliche Erfolg der pseudodokumentarischen Serien “K11” und “Lenßen & Partner”

Es gibt „Tatort“-Folgen, die sind so dicht und komplex konstruiert, daß es reicht, einmal für zwei Minuten auf die Toilette gegangen zu sein, um die ganze Geschichte nicht zu verstehen. Na und? Es gibt Folgen von „Lenßen & Partner“, die sind so überschaubar gebaut, daß es reicht, zwei Minuten vor Schluß einzuschalten, um den ganzen Fall zu verstehen und nichts Wesentliches verpaßt zu haben.

Eine ganze Ausgabe von „Lenßen & Partner“ zu sehen lohnt sich eigentlich nur, wenn man nebenbei den Abwasch erledigt, telefoniert und versucht, Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie zu verstehen. Alles andere wäre Verschwendung. Diese Krimiserie ist für ein Publikum gemacht, das nur mit einem halben Ohr hinhört. Wir sehen eine junge Frau mit einer blutigen Kopfwunde auf der Straße liegen und fragen uns, ob sie nur gestürzt ist oder zusammengeschlagen wurde. Der Sprecher sagt aus dem Off: „Die junge Frau hat eine blutige Kopfverletzung. Ist sie unglücklich gestürzt oder brutal niedergeschlagen worden?“ Und schon beugt sich Ingo Lenßen über die Frau und sagt: „Sie bluten ja. Sind Sie gestürzt? Oder hat Sie jemand zusammengeschlagen?“

Es wäre falsch, deshalb die Zuschauer von „Lenßen & Partner“ für blöd zu halten. Sie haben halt Besseres zu tun, als auf den Fernseher zu achten, nur weil der gerade läuft. Das Bahnbrechende an der Serie ist, daß sie sich in einem nie gekannten Maß auf diese Fernsehhaltung eingestellt hat. Natürlich weiß jeder aufmerksame Zuschauer, daß der Detektiv jetzt eine Kamera vor der Wohnung installiert, um herauszufinden, ob sich darin ein Bordell befindet (und das nicht nur, weil er es vor drei Sekunden seiner Kollegin erklärt hat). Aber für unaufmerksame Zuschauer sagt der Off-Sprecher sicherheitshalber: „Betreibt der Mann in der Wohnung ein Bordell? Die Ermittler erhoffen sich, über eine Kamera Klarheit zu bekommen.“ Im Zweifel funktioniert die Fernsehserie problemlos auch als Hörspiel.

„Lenßen & Partner“ hat ein neues Fernsehgenre begründet. Erfunden wurde es von der Firma Constantin Entertainment, die sich als Produzent billiger Gerichtsshows einen Namen gemacht hatte und ahnte, daß man ihr hochwertige Serien nicht unbedingt abkaufen würde. Also holte sie statt dessen das Prinzip, echte Protagonisten in sehr abwegigen Geschichten, umgeben von hundsmiserablen Laiendarstellern, sich selbst spielen zu lassen, aus dem Gerichtssaal. Ingo Lenßen, ein echter Anwalt, der bislang als Verteidiger bei Fernsehrichterin Barbara Salesch aufgetreten war, eröffnete im Fernsehen eine Detektei und sucht seither nach entlaufenen Ehemännern, betrügerischen Huren, den Grenzen des guten Geschmacks und dem endgültigen Gegenteil von „Hochglanz“.

Und die Constantin stellte fest, daß billigste Herstellungsweisen einen Reiz darstellen können: Die verwackelten Bilder der Videokameras vermitteln ebenso wie der – wohlwollend formuliert – Verzicht auf Perfektion beim Aufsagen der Texte und beim Darstellen der Rollen ein Gefühl von Authentizität.

„Scripted reality“ nennen die Programmacher das pseudodokumentarische Genre, und das Verblüffende ist: Es macht nicht nur einen kostenfixierten Privatsender glücklich, sondern auch die Zuschauer. Neben „Lenßen & Partner“ um 18 Uhr laufen auf Sat.1 täglich „Niedrig & Kuhnt“ (17 Uhr) und „K11 – Kommissare ermitteln“ (19.45 Uhr). Daß Sat.1 seine größten Sorgen los ist, liegt weniger an Prestigeprojekten als an diesen Discount-Produkten: „Niedrig & Kuhnt“ hat sagenhafte Marktanteile von zwanzig Prozent in der Zielgruppe; „K11“ ist mit weit über vier Millionen Zuschauern oft die meistgesehene Sat.1-Sendung. Ein Exportschlager ist das Format auch: Nach Polen, China und Rußland hat es der Sender schon verkauft.

Die einfachste Erklärung für den Erfolg wäre natürlich, daß die Menschen regelmäßig vor dem Bildschirm erstarren, fassungslos angesichts des darstellerischen und erzählerischen Grauens. Aber so einfach ist es wohl nicht. Constantin-Chef Ulrich Brock sagt, es liege nicht zuletzt daran, daß die Polizistendarsteller in „K11“ echte Polizisten seien: „Die Zuschauer erleben die Hauptfiguren als überzeugend und authentisch, nicht als Schauspieler. Sie agieren aus der Kompetenz des Echten. Die Fälle haben alle etwas mit der Realität zu tun, sie sind der Realität entliehen.“ Brock räumt ein: „Nicht alle Geschichten sind plausibel und logisch bis ins letzte Detail.“ Aber gerade manche besonders absurden Fälle seien ähnlich passiert. Es zählt nicht die innere Logik, und ob der Schluß einer Geschichte mit dem Anfang zusammenpaßt, gilt als zweitrangig – Hauptsache, es gibt ein paar schöne Überraschungseffekte zwischendrin.

„K11“ hat etwas Holographisches. Auch im kleinsten Teil findet sich das Ganze wieder. In jeder Szene wird das bisher Geschehene zusammengefaßt. Bei „K11“ fragt niemand: „Wo waren Sie gestern abend?“ Ein „K11“-Verhör geht so: „Herr Meyer, Sie haben Frau Müller, die Tote, mit der Sie ein Verhältnis hatten, ja als letzter lebend gesehen. Wo waren Sie gestern abend, also zu dem Zeitpunkt, als sie ermordet wurde?“ Das Ermitteln ist nur eine Nebentätigkeit der Kommissare; vor allem sind sie damit beschäftigt, das Gesagte zu wiederholen und zu erklären. Wenn eine Frau sagt: „Ich bin nämlich mit Peter zusammen“, erwidern sie: „Ach so, der Geschäftspartner des Toten ist Ihr Freund?“ Wenn sie einen Zettel finden: „Wir treffen uns in der Fabrik“, sagen sie: „In der Fabrik, also am Tatort.“ Und wenn sie einen Laptop entdecken, auf dem eine Internetseite mit dem Wort „Chatroom“ zu sehen ist, müssen sie noch sagen: „Hm, sein Laptop ist ja noch hochgefahren. Hier, da ist noch eine Internetseite eingeloggt. Das ganze scheint über Chatrooms abzulaufen. Die Leute geben sich einen Nickname und können sich verabreden.“ Selbst auf die Verdächtigen färbt das mitunter ab, die auf die Frage: „Wo waren Sie um 19 Uhr“ dann erwidern: „Um sieben?“

Für einen Konkurrenten von Sat.1 hat das Kölner Institut Rheingold das Phänomen „Lenßen & Partner“ untersucht und festgestellt, daß ein wesentlicher Teil des Erfolgs gerade damit zusammenhängt, daß es so „trashig“ ist. „Auch regelmäßige Zuschauer dieser Sendungen haben eine diebische Freude, sie als schlecht zu kritisieren“, sagt der Psychologe und Medienforscher Frank Szymkowiak. „Denen ist klar, daß das nur eine Pseudoauthentizität ist und daß die Fälle an den Haaren herbeigezogen sind.“ (Besonders mag er die Folge, in der eine Frau mit gespaltener Persönlichkeit als Prostituierte arbeitet, dabei auf ihren Ehemann als Kunden trifft und danach den Verdacht nicht los wird, daß er sie mit sich selbst betrügt. Oder so ähnlich.)

In fast allen Fällen tun sich hinter kleinbürgerlichen Fassaden Abgründe auf. „Es geht um sehr schmuddelige, unsaubere Verhältnisse“, sagt Szymkowiak. „Wenn man sich da als Zuschauer wirklich involvieren würde, müßte man sich ekeln und entrüsten.“ Doch das verhindert die billige Gesamtanmutung, die gebrochene Dramatisierung – kurz: die Tatsache, daß es sich erkennbar um Trash handelt. „Auf diese Art kann man mit der Nase tief in den größten Schmuddel hinein, ohne sich selbst schmutzig zu machen.“ Ingo Lenßen sei mit seinem akkuraten Zwirbelbart das beste Symbol dafür: Selbst nach einer Entführung und Flucht war er nicht schmutzig. „Wasch mich, aber mach mich nicht naß“ – dieses Kunststück schafft auch das Publikum. „Die Geschichten gehen spurlos an dem Zuschauer vorüber; er wird nicht gepackt oder angerührt.“ Gerade am Vorabend sei das genau die Funktion, die das Fernsehen für viele erfüllen soll.

Ein guter „Tatort“ zwingt die Zuschauer, sich zu dem Geschehen zu verhalten. Eine gut funktionierende Scripted-Reality-Folge schafft es, sie auf Distanz zu halten. „Alle eventuellen Ambivalenzen werden spätestens durch den Off-Sprecher geglättet“, sagt Szymkowiak. Noch bevor die Zuschauer sich entscheiden müßten, ob sie das in Ordnung finden, was zwei da miteinander treiben, beschreibt der das Geschehen schon als „perverse Sexspiele“. Und vollkommen wird das Gefühl, daß alles klar und nichts offen ist, dadurch, daß alle Formate mit dem Verlesen der Urteile und Schicksale enden; Menschen, die schuldig, aber nicht straffällig geworden sind, bringen sich gerne um.

Szymkowiak rät davon ab, die Geschichten hochwertiger zu produzieren (nicht daß die Gefahr wirklich bestünde), und er glaubt nicht, daß sie in der Hauptsendezeit funktionieren könnten, in der das Zuschauerverhalten ein anderes ist. Aber vielleicht ändert sich das auch gerade. Ulli Brock sagt: „Der nächste Schritt ist es, das Genre aus den Kinderschuhen herauszuführen und in der Prime-Time auszuprobieren. Die Zeit ist jetzt reif dafür.“ Im übrigen wartet er darauf, daß die günstigen, aber vergleichsweise teuren Telenovelas an ihre Grenzen stoßen, um dann in die Lücke zu stoßen: „Dieses Gefäß, das wir entwickelt haben, das schnelle Produktionen ohne großen Aufwand mit dem notwendigen authentischen Look erlaubt, läßt sich auch mit anderen Inhalten füllen – es müssen nicht unbedingt Detektiv-, sondern können auch Liebesgeschichten sein. Wir sind überzeugt, daß es mehr solcher Sendungen geben wird.“

Große Gefühle im Fernsehen sehen dann so aus wie am Ende von „K11“. Vor der Werbepause sagt der Sprecher: „Wird die minderjährige Tochter die traumatischen Erlebnisse verkraften?“ Hinterher sagt er: „Das Opfer hat die Tat nicht verkraftet und befindet sich in psychiatrischer Therapie.“ Und die Schauspielerin kommt nicht mal mehr ins Bild.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung