„Meedia“-Mann Stefan Winterbauer weiß jetzt schon, dass wir mit „Krautreporter“ scheitern werden, „leider“. Das liegt daran, dass nach unserem Konzept auch Nicht-Mitglieder die Texte lesen können sollen:
Schon klar, die Krautreporter wollen den Fame und das Netz will die freie Info usw. Aber Geld zahlen fürs Kommentieren und reichlich ominöse Benefits (in Recherchen eingebunden, Hangouts und Treffen mit Autoren – wer will das?) – das wird nicht funktionieren.
Was Winterbauer als „Geburtsfehler“ bezeichnet, ist das, was ich spontan besonders reizvoll fand, als mir Sebastian Esser zum ersten Mal von der Idee erzählte: der Versuch, ein Online-Magazin von den Lesern finanzieren zu lassen, ohne die Inhalte hinter Bezahlmauern wegzuschließen. Paid Content ohne Paywall, wenn man so will.
Was das Netz ausmacht und zusammenhält, ist der Link; die Möglichkeit, auf einen Inhalt zu verweisen und den Leser mit einem Klick dorthin zu führen. Das war schon vor dem Siegeszug von Facebook und Twitter so. Viele Verlage bereuen heute, dass sie ihre Inhalte kostenlos ins Netz gestellt haben. Ich glaube, dass das nicht nur aus irgendeiner Verblendung geschah, sondern weil es die natürliche Form ist im Internet, oder wenigstens eine sehr naheliegende, seinem Wesen entsprechende.
Es ist auch die naturgemäße Haltung eines Journalisten, sich eine möglichst große Verbreitung zu wünschen. Nicht im Sinne einer Quotenfixiertheit, eines Schreibens für eine möglichst große Masse. Aber gerade, wenn wir glauben, dass es wichtig ist, was wir zu erzählen haben, relevant, lesenswert, wollen wir doch gehört werden, eine Wirkung erzielen, einen Unterschied machen. Wahrnehmbarer Teil der Debatte werden. Was Winterbauer gewohnt eloquent als Streben nach „Fame“ und „freie Info usw.“ bezeichnet, halte ich für einen elementaren Teil des journalistischen Selbstverständnisses.
Auch der Kollege Daniel Bouhs nennt das „Krautreporter“-Modell in der „taz“ „seltsam inkonsequent“:
Die 5 Euro im Monat sollen die „Krautreporter“-Fans nämlich allein dafür hinblättern, die Geschichten kommentieren und direkt mit der Redaktion in Kontakt treten zu können, etwa auf offenen Redaktionskonferenzen, Lesungen und Ausflügen.
Nein. Die 5 Euro im Monat sollen die „Krautreporter“-Fans vor allem dafür „hinblättern“, dass es „Krautreporter“ gibt.
Wer Mitglied im Club wird, soll auch was davon haben. Aber was der „Krautreporter“-Unterstützer für sein Geld vor allem bekommt, ist: „Krautreporter“. Ohne das Geld der Leser gibt es kein Magazin. So einfach ist das.
Was ändert sich dadurch, dass auch Menschen, die kein Geld geben, die meisten Teile des Angebotes nutzen können? Es gibt zwei Motive, sich dadurch übervorteilt zu fühlen. Erstens, weil man glaubt, Geld für etwas zu geben, für das man gar kein Geld geben müsste. Das stimmt aber nicht: Wenn man kein Geld gibt, riskiert man, dass es das Projekt gar nicht gibt. Zugegeben, das ist eine Ebene abstrakter als die normale Pay-Logik: „Wenn ich nicht bezahle, kann ich das nicht nutzen.“ Aber man muss nicht einmal besonders altruistisch denken, um einen Nutzen im Bezahlen zu sehen. Man gönnt sich die Existenz einer journalistischen Alternative.
Zweitens könnte man es ungerecht finden, dass andere ein Angebot, für das man selbst bezahlt, einfach kostenlos nutzen. Ja, damit wird man als „Krautreporter“-Unterstützer leben müssen: Mit dem Gefühl, dass andere von dem eigenen finanziellen Engagement profitieren. Aber sind wir wirklich so? Dass wir sagen: „Ich gebe gerne Geld für das Projekt, aber nur, wenn andere, die nichts geben, nichts davon haben?“ Wir kaufen für unsere Ecke im Büro einen Ventilator, lassen aber, wenn es heiß ist, niemand anderes dort sitzen, die hätten sich ja selber einen Ventilator kaufen können? Und wenn sich nicht vermeiden lässt, dass auch andere etwas von der Kühlung abbekommen, verzichten wir lieber ganz auf den Ventilator?
Sascha Lobo hat auf der re:publica die sogenannte Netzgemeinde dafür beschimpft, dass sie nicht bereit ist, Geld zu geben für Dinge, die ihr angeblich etwas wert sind. Er nannte als Beispiel das Buch „Überwachtes Netz“, das netzpolitik.org zum kostenlosen Download anbot, mit der Bitte, die Arbeit bei Gefallen durch eine Spende zu unterstützen. Das Buch wurde 70.000 mal heruntergeladen. Einen sichtbaren Effekt auf die Spenden gab es nicht.
Das ist, gelinde gesagt, ernüchternd. Aber vielleicht reift allmählich auch die Einsicht, dass es ein Problem ist, wenn wir für Dinge, die einen Wert haben und uns etwas wert sind, nichts zahlen.
(Ob Ihnen „Krautreporter“ überhaupt etwas wert ist, ist natürlich eine ganz andere Frage. Hier geht es nur darum, wie die Erfolgsaussichten dadurch beeinflusst werden, dass Sie nicht bezahlen müssen, um mitlesen zu können.)
Andererseits: Andrew Sullivan. Er ist mit seinem vielbeachteten Blog „The Dish“ von den etablierten Medienhäusern weggegangen und hat stattdessen seine Leser dazu aufgerufen, ihn zu bezahlen. Es gibt eine Bezahlschranke, bei einigen deutlich längeren Texten. Wer kein Abonnent ist, kann nur fünfmal auf „Weiterlesen“ klicken. Aber das ist nur ein theoretische Schranke; ich glaube, die meisten Leser erreichen sie gar nicht.
Sullivan hat im ersten Jahr knapp 900.000 Dollar erlöst und fast 34.000 Abonnenten gewonnen. Ich bin sicher, dass die meisten davon nicht zahlen, weil sie mal an die Bezahlmauer gestoßen sind und gemerkt haben, dass sie zahlen müssen, um weiterzulesen. Die meisten davon zahlen, weil sie wollen. Und weil sie wissen, dass die Existenz dieses Angebotes davon abhängt, dass jemand zahlt — und wer sollte das sein, wenn nicht sie selbst? (Es gibt aber übrigens auch bei Sullivan zusätzliche Goodies: Podcasts und laaaange Essays. Ähnliche Angebote wird es auch bei „Krautreporter“ geben.)
Ich bin einer der zahlenden Abonnenten von „The Dish“ und komischerweise habe ich beim Lesen auf der Seite nie das Gefühl eines Nachteils, dass das meiste dort ja auch Leute lesen können, die gar nicht bezahlt haben. Ich habe, im Gegenteil, das gute Gefühl, mit dazu beigetragen zu haben, dass es diese Seite gibt. Das ist ein schöner und nicht zu vernachlässigender Bonus-Wert, außer den Inhalten selbst natürlich. Ich bin Teil einer Gemeinschaft.
(Sullivan hat sich Ende 2013 bei den Abonnenten mir mit den Worten bedankt: „You built that. And we’re incredibly grateful to live in it.“ Schon für das warme Gefühl im Bauch sind 19,99 Dollar im Jahr kein schlechter Deal.)
Vielleicht haben Stefan Winterbauer und Daniel Bouhs recht, dass unsere Idee eine Schnapsidee ist. Ich glaube aber, dass sich ein Versuch lohnt (und, ehrlich gesagt: auch drei, fünf, elf Versuche), ob es nicht auch anders gehen kann, als es bislang ging.
Für mich wäre das ein Traum, als Leser und als Journalist, ganz unabhängig vom konkreten „Krautreporter“-Projekt: Wenn genügend Leute für Inhalte zahlen, die ihnen etwas wert sind, diese Inhalte aber dafür nicht weggeschlossen werden müssen. Es würde einem Journalismus helfen, der nicht auf die große Masse zielen muss, und trotzdem nicht elitär sein will.