Schlagwort: Landesmedienanstalten

Wie 9Live sich die Zukunft vorstellt

9Live will die Regeln verschärfen lassen, die für Call-TV-Programme wie 9Live gelten. Das entbehrt nicht einer gewissen Komik, denn schon an der Entwicklung der bisher geltenden Regeln der Landesmedienanstalten war 9Live maßgeblich beteiligt, und nicht einmal die hält der Sender ein.

Dennoch hat die 9Live-Besitzerin ProSiebenSat.1 vor der anstehenden Diskussionsrunde mit den Aufsichtsbehörden eine „Initiative Call-TV“ ins Leben gerufen und einen „Maßnahmenkatalog“ vorgeschlagen. Einzelne Formulierungen darin scheinen einer fremden Parallelwelt zu entstammen:

Das Konzept einer Call-In Sendung birgt immer das Risiko, dass Aussagen des Moderators durch den Zuschauer subjektiv gewertet werden bzw. aufgrund der Call-TV-typischen Dramaturgie missverstanden werden.

Es ist aber auch ein Kreuz mit den Zuschauern. Wenn der 9Live-Moderator sagt: „Das sind die letzten Sekunden“, werten sie das einfach subjektiv als Aussage: „Das sind die letzten Sekunden“. Wenn er ihnen zuruft, sie müssten sofort anrufen, interpretieren sie das als Aufforderung, sofort anzurufen. Oder missverstehen einen eingeblendeten Countdown als Countdown.

Gut, mit diesem „Risiko“ muss 9Live leben. Call-TV-Veranstalter haben’s auch nicht leicht.

Dennoch enthält das Papier auch konkrete Vorschläge. So sollen die Veranstalter von Call-in-Sendungen der jeweils zuständigen Landesmedienanstalt monatlich Protokolle über alle Telefonverbindungen, Gewinner und ausgezahlten Gewinne vorlegen. Das ist theoretisch sicher eine gute Idee. Praktisch stelle ich mir das allerdings so vor, dass die Mitarbeiter der Landesmedienanstalten die Protokolle in Empfang nehmen und sich danach wieder hinlegen ihren anderen wichtigen Aufgaben widmen.

Allerdings könnte man dann in Zukunft bei der Bayerischen Landesmedienanstalt nachfragen, wie viele Gewinner es bei 9Live tatsächlich gibt. Geschäftsführer Marcus Wolters sprach im vergangenen September von 60.000 Gewinnern im Jahr, gegenüber der FAZ nannte er jetzt die Zahl von 10.000 im Monat. Wie wahrscheinlich ist es, dass sich die Zahl der 9Live-Gewinner in einem halben Jahr verdoppelt hat?

Überhaupt: 9Live macht täglich ungefähr 14 Stunden Live-Call-in-Shows. 10.000 Gewinner im Monat bedeuten 24 Gewinner pro Stunde. Das heißt: Etwa alle zwei Minuten müsste jemand etwas gewinnen. Angesichts der endlosen Zeit, die in vielen 9Live-Sendungen vergeht, bis überhaupt jemand ins Studio gestellt wird, halte ich diese Zahl für sehr unrealistisch.

9Live schlägt weiter vor, dass eine einmal ausgelobte feste Gewinnsumme im Laufe eines Rätsels nicht reduziert werden darf, wie es der 9Live-Konkurrent CallActive in seinen Sendungen auf Nick, Comedy Central und MTV gerne macht: Gelockt wird mit hohen Gewinnsummen. Durchgestellt wird ein Anrufer in aller Regel aber erst, nachdem sie wieder gesenkt wurden. Solches Geschäftsgebaren hält selbst 9Live (zu recht) für unseriös.

Bei den beliebten Wortfindungsspielen (an der Tafel stehen verdeckt mehrere Tiere mit „S“, die der Zuschauer erraten soll), schlägt 9Live vor, dass „nur Begriffe verwendet werden dürfen, die am Tage der Rätselerstellung mindestens 100 Mal in der Internet-Suchmaschine ‚Google‘ dokumentiert sind“. Auch das klingt gut, würde aber zum Beispiel nicht verhindern, dass 9Live auch in Zukunft wieder als (angeblich leichtes) Tier mit „S“ den Stirnlappenbasilisk suchen wird. Der sympathische Leguan kommt auf über 40.000 Google-Treffer.

Wie sehr sich 9Live auch für die Zukunft das Recht vorbehalten will, die Zuschauer an zentraler Stelle in die Irre zu führen, zeigen einige „Formulierungsvorschläge“ zur „Verbesserung der Kommunikation“. 9Live schlägt für die Moderation unter anderem folgenden Satz vor:

„Ob ein Rätsel schwer oder leicht ist, entscheiden Sie!“

Das wäre sogar ein Rückschritt gegenüber der bestehenden (von 9Live natürlich gern ignorierten) Regel, die lautet:

Dem Zuschauer sind bei allen Spielen in angemessenem Umfang Hinweise zum Schwierigkeitsgrad und zur Lösungslogik zu erteilen.

Bemerkenswert ist in dem „Maßnahmenkatalog“ allerdings ein Punkt, den das 9Live-Papier „Maßnahmen zur Verbesserung der Chancengleichheit“ nennt. Darin heißt es:

(…) die Zuschauer [müssen] jederzeit die Chance haben, die von den Moderatoren entsprechend ausgelobten Preise zu gewinnen. (…)

Jeder Veranstalter hat sicherzustellen, dass über ein technisches System (…) der Auswahlmechanismus derart konzipiert wird, dass jederzeit die Chance besteht, ausgewählt zu werden.

Das wäre allerdings tatsächlich revolutionär. Bislang beschränkt sich der Zufallsmechanismus bei den meisten Spielen auf 9Live, Nick, MTV, DSF und den anderen darauf, dass aus den Anrufern, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Leitung sind, zufällig einer ausgewählt wird. Der Zeitpunkt selbst ist aber nicht zufällig, sondern wird vom Redakteur bestimmt. Wenn über Stunden niemand ins Studio gestellt wird, wie es immer wieder vorkommt, liegt das also nicht am Zufall. Das heißt: Wer in dieser Zeit anruft, hat (ohne dass er es weiß) effektiv keine Chance zu gewinnen.

Wenn die Landesmedienanstalten 9Live in diesem Punkt beim Wort nähmen und es schafften, die Einhaltung zu überprüfen und Verstöße zu bestrafen (das sind viele Wenns!), dann wäre tatsächlich viel gewonnen. Dann könnte es zum Beispiel passieren, dass der große Hauptgewinn, den 9Live bislang fast immer erst nach Stunden des künstlichen Verzögerns und Einnahmen-Generierens ausgibt, schon in den ersten Minuten einer Sendung rausgeht.

Und Call-TV wäre plötzlich fast so fair wie ein Glücksspiel.

Dokumentation: Maßnahmenkatalog der „‚Call-TV‘-Initiative“ der ProSiebenSat.1 Media AG.

Call-TV: Medienanstalt räumt Scheitern ein

Wie egal den Senderfamilien ProSiebenSat.1 und MTV, dem DSF und anderen bei ihren teuren „Gewinn“-Spielen die Regeln für Call-in-Sendungen sind, die sie mit den Landesmedienanstalten verabredet haben, kann man jeden Tag in ihren Programmen sehen. Allmählich scheinen es auch die Medienanstalten zu bemerken.

Gegenüber „Was mit Medien“ wurde Peter Widlok, der Sprecher der nordrhein-westfälischen Landesmedienanstalt LfM, vergleichsweise deutlich:

„Es gibt eine ganze Reihe von Sendern, die in den letzten Monaten auffällig geworden sind. Die Moderatoren dieser Call-In-Shows halten sich oft an diese Vereinbarungen nicht.“

Konkret kritisierte Widlok zum Beispiel, dass die Moderatoren immer wieder den falschen Eindruck erwecken, man müsse in den nächsten dreißig Sekunden anrufen, um zu gewinnen:

„Bei solchen moderativen Elementen wird der Anrufer, der spielen will, genötigt, innerhalb dieser 30 Sekunden anzurufen, obwohl es diesen Zeitdruck faktisch nicht gibt.“

Auch andere Gebote würden verletzt:

„Was wir beobachten, ist, dass vermeintlich leichte Fragen gestellt werden, dass die Antwort aber so außerhalb des eigenen Vorstellungsvermögens liegt, dass man da von einer Transparenz oder von einer gewissen Logik nicht sprechen kann. Ob das schon Betrug ist, will ich mal dahingestellt lassen.“

Widlok räumte ein, dass sich die Praxis trotz Beanstandungen durch die Medienanstalten nicht bessere. Bislang hatten die Anstalten auf eine sogenannte „weiche Medienaufsicht“ gesetzt: Die Regeln wurden gemeinsam mit den Veranstaltern entwickelt und haben keinen besondere Rechtsverbindlichkeit.

„Wir sind sehr unzufrieden damit, wie diese Regeln, die wir gemeinsam formuliert haben, umgesetzt werden. (…) Wir sehen, dass das Prinzip der weichen Aufsicht so in diesem Fall nicht funktioniert hat. (…) Die Sender halten sich (…) durch die Bank nicht in dem Maße an diese Regeln, wie wir uns das eigentlich vorstellen. Wir wollen den Sendern deutlich machen, dass die Praxis, wie wir sie jetzt eineinhalb Jahre durchgeführt haben, nämlich hier und da eine Beanstandung auszusprechen, für uns nicht mehr ausreicht. Wir wollen den Sendern deutlich machen, dass wir jetzt schärfer reagieren werden. (…) Die Sender bewegen sich nah an dem, was man Betrug nennen könnte.“

Bei dem geplanten Treffen Anfang Mai soll 9live und den anderen nun klargemacht werden, dass es eine „deutliche Korrektur in der Praxis“ geben müsse. Sonst könnte es „gegebenenfalls zu Sanktionen kommen, die vielleicht auch über eine Beanstandung im Einzelfall hinausgehen.“

Wie solche Sanktionen aussehen könnten, sagte Widlok nicht.

Medienaufsicht kritisiert Gesamtsituation

Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet heute, die nordrhein-westfälische Landesmedienanstalt LfM habe eine Konferenz angesetzt:

Am 3. Mai sollen die Regeln für Call-In-Formate besprochen werden (…). Seitens der Sender mangelt es nach Ansicht der Landesmedienanstalten an der konsequenten Umsetzung der Richtlinien, die von Medienwächtern und TV-Anbietern 2004 und 2005 erarbeitet wurden. Zwar hätten sich in letzter Zeit weniger Zuschauer beschwert, dennoch sei man „mit der Gesamtsituation unzufrieden“, sagt Peter Widlok, Pressesprecher der LfM (…).

Bei der Konferenz wollen die Medienanstalten mit allen Sendern, die Call-In-Formate im Programm haben, sowie mit den beteiligten Produktionsfirmen die bestehenden Regeln überarbeiten. Es geht auch um strengere Einhaltung.

Das RTL-Politbüro gibt bekannt

KJM und RTL im konstruktiven Dialog zum Thema Jugendschutz bei DSDS

So lautete die Überschrift einer Pressemitteilung, die RTL gestern verschickte. Das ist die Art Satz, mit der früher gerne auch die „Aktuelle Kamera“ im DDR-Fernsehen ihre Meldungen begann.

Der Sender verlautbart:

RTL hat in der Sitzung der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) am 6. März die Gelegenheit erhalten, auf die Vorwürfe der Kommission zu „Deutschland sucht den Superstar“ zu reagieren. „Die Gespräche mit der KJM sind sehr konstruktiv verlaufen“, so Dr. Tobias Schmid, Bereichsleiter Medienpolitik bei RTL. „Unabhängig von der juristischen Bewertung von ‚Deutschland sucht den Superstar‘ durch die KJM ist das Thema Jugendschutz für uns von besonderer Bedeutung. Wir vertrauen darauf, dass es auch in Zukunft dazu einen positiven Austausch mit der KJM geben wird.“

Da hat jemand die ganz große Nebelmaschine angeworfen. Große Worte, viel Bläh und Bla. Eine Nachricht ist jenseits des Wir-haben-miteinander-geredet nicht zu erkennen. Und was bedeutet der letzte Satz? RTL „vertraut auf“ einen positiven Austausch mit den Jugendschützern? Ist das ein Versprechen: RTL wird sich Mühe geben, die Forderungen der Jugendschützer zu berücksichtigen? Oder eine Foderung: RTL verlangt, dass die Jugendschützer nicht so auf Konfrontationskurs gehen? Oder ein Deal: Wenn die Jugendschützer nicht so viel öffentlichen Krach schlagen, werden wir auch mit uns reden lassen?

Ein PR-Satz wie eine optische Täuschung: Wenn man genau hinguckt, ist plötzlich nichts mehr da.

Aber die Verlautbarung geht ja noch weiter. Womöglich werden wir noch so etwas wie eine Nachricht in ihr finden:

Das Unterhaltungsformat „Deutschland sucht den Superstar“ läuft inzwischen in der vierten Staffel sehr erfolgreich.

Okay, das hat mit dem Thema nichts zu tun, schreibt sich aber gut reflexartig mal hin.

„Wir sind sehr darauf bedacht, die Akteure nicht zu beschädigen.“

Das sagt der RTL-Unterhaltungs-Chef Tom Sänger, und ich hoffe, sie haben wenigstens herzhaft gelacht bei RTL, als sie sich diesen Satz ausdachten. Weiter sagt er:

„Einige der jetzt diskutierten Fragen sind aber wohl eher Geschmackssache und weniger ein nachhaltiges Problem des Jugendschutzes. Entsprechend freuen wir uns, dass es hinsichtlich des Formats DSDS und den Ausstrahlungen im Hauptabendprogramm keine Beanstandung geben wird.“

Haben Sie’s gemerkt? Da war die News. Denn es wird zwar keine formelle Beanstandung für die Ausstrahlung im Hauptabendprogramm geben, sehr wohl aber eine für die Wiederholung im Nachmittagsprogramm. Und das Urteil der KJM ist erfrischend deutlich, wie aus deren Pressemitteilung hervorgeht:

Beleidigende Kommen­tare der Jury sowie die redaktionelle Aufbereitung und Inszenierung der Auftritte einiger Kandidaten waren geeignet, die Entwicklung von Kindern unter 12 Jah­ren zu beeinträchtigen. In einem Massenmedium wurde vorgeführt, wie Menschen herab­gesetzt, verspottet und lächerlich gemacht werden. Antisoziales Verhalten wird auf diese Weise als Normalität dargestellt.

Und auch was die Ausstrahlung am Abend angeht, kritisieren die Jugendschützer RTL:

[Die KJM] war der Auffassung, dass die Sendungen auch für diese Altersgruppe [der 12- bis 16-jährigen] problematisch sind und äußerte Kritik daran, dass sie vor Ausstrahlung nicht von der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) geprüft worden waren.

Aber auf all das wird RTL ja nun in seiner Pressemitteilung eingehen. Vielleicht ein bisschen harmloser formuliert, ein bisschen schöngefärbt, am besten gleich mit einer fundierten inhaltlichen Erwiderung gegen die Bedenken der Bedenkenträger. Also, hier der Rest der RTL-Pressemitteilung:

„Natürlich wissen wir um unsere besondere Verantwortung als Familiensender, die wir sehr gewissenhaft wahrnehmen“, so Tom Sänger, Bereichsleiter Unterhaltung Show & Daytime bei RTL.

Oh.

Wieviel Angst muss ein deutscher Fernsehsender haben, um solche prawdaesken Pressemitteilungen herauszugeben? Und bei der Prawda hatte das noch halbwegs Sinn, weil deren Leser keine Chance hatten, das, was sie verschwieg, woanders zu erfahren. Heute ist die Wahrheit nur einen Klick entfernt.

Ich glaube übrigens wirklich, dass das nicht nur traurig, sondern einfach schlechte PR ist. Denn mit jeder Pressemitteilung dieser Art, die RTL verschickt, sinkt das Grundvertrauen, das ich als Journalist in Zukunft gegenüber einer Pressemitteilung von RTL habe.

Fernsehaufsicht in Deutschland

Am 1. Dezember 2004 schickt „Big Brother“ die Container-Bewohnerin Franziska für zehn Stunden in ein „Bestrafungszimmer“ und spielt ihr immer wieder dasselbe Lied vor.

Am 20. Dezember 2006 entscheidet der Vorstand der Hamburgischen Anstalt für Neue Medien, die Übertragung dieser Aktion im Tagesprogramm des (seit über einem Jahr nicht mehr existierenden) Senders MTV2Pop förmlich zu beantstanden.

Und diesen Witzfiguren ist es nicht einmal zu peinlich, dazu noch eine Pressemitteilung herauszugeben.

Wie gesagt.

(via Popkulturjunkie)

Nachtrag. Gerade erst gesehen: Die arbeiten sich ja in einen richtigen Rausch, bei der Hamburgischen Landesmedienanstalt. Vor gut zwei Wochen erst, am 5. Dezember 2006, rügten sie eine MTV2Pop-Sendung vom September 2004.