Schlagwort: Landgericht Hamburg

Callactive ./. Niggemeier II, Urteilsbegründung

Im Rechtsstreit zwischen dem Call-TV-Produzenten Callactive und mir wegen eines unzulässigen Kommentars, der nachts hier unter diesem Eintrag abgegeben wurde und den ich am nächsten Morgen gelöscht habe, liegt jetzt die schriftliche Urteilsbegründung vor. Das Landgericht Hamburg hatte, wie berichtet, die einstweilige Verfügung gegen mich bestätigt, weil ich die Kommentare im konkreten Fall vorab hätte prüfen müssen.

Die entscheidenden Passagen aus der Urteilsbegründung (zum besseren Verständnis: „Antragsgegner“ bin im Folgenden ich):

(…) Je mehr konkreter Anlass zu der Befürchtung besteht, dass es durch Kommentare auf einer Internetseite zu Persönlichkeitsrechtsverletzungen Dritter kommen wird, und je schwerwiegender die zu befürchtenden Verletzungen sind, umso mehr Aufwand muss der Betreiber auf sich nehmen, um die auf seiner Seite eingestellten Kommentare einer persönlichkeitsrechtlichen Überprüfung zu unterziehen (…) Es besteht somit ein „gleitender Sorgfaltsmaßstab“ mit einem Spektrum abgestufter Prüfungspflichten: Ist mit großer Sicherheit vorhersehbar, dass es zu schweren Persönlichkeitsrechtsverletzungen kommen wird, so kann die Prüfpflicht des Betreibers demnach an dem einen Ende des Spektrums bis hin zu einer Dauer- und Vorabkontrollpflicht anwachsen. Die Kammer verkennt nicht, dass die sich daraus ggf. ergebenden Überwachungspflichten für die Betreiber von Internetseiten mit erheblichen Belastungen verbunden sein können. Das Erfordernis des soeben beschriebenen gleitenden Sorgfaltsmaßstabes folgt nach Auffassung der Kammer jedoch zwingend aus dem Umstand, dass in der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung zwischen Meinungs- und Medienfreiheit einerseits und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht andererseits keines dieser Rechtsgüter einen generellen Vorrang beanspruchen kann.

Nach diesen Grundsätzen hat der Antragsgegner die ihm obliegenden Prüfpflichten im vorliegenden Fall verletzt. Das gilt auch dann, wenn man den Vortrag des Antragsgegners als wahr unterstellt, wonach er den angegriffenen Beitrag ca. 7 ½ Stunden nach dessen Einstellung unaufgefordert löschte. Hierdurch hätte der Antragsgegner zwar durchaus zu erkennen gegeben, dass ihm zumindest an der Vermeidung schwerwiegender Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Kommentare auf seiner Seite gelegen war. Die Kammer verkennt auch nicht, dass er damit mehr getan hätte, als viele andere Seitenbetreiber nach den derzeitigen Gepflogenheiten im Internet für nötig halten. Die Kammer ist aber gleichwohl der Auffassung, dass aufgrund der konkreten Umstände des vorliegenden Falles so gravierender Anlass zu der Befürchtung bestand, dass es durch Kommentare zum Artikel „Call-TV-Mimeusen“ zu schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen Dritter kommen würde, dass selbst die vom Antragsgegner vorgetragene Überprüfung nicht ausreichte.

Anzuführen ist insoweit zunächst der Inhalt des vom Antragsgegner verfassten Artikels „Call-TV-Mimeusen“. Damit begab sich der Antragsgegner selbst zumindest in den Grenzbereich des persönlichkeitsrechtlich Zulässigen. Zwar sind sowohl die kritische Auseinandersetzung mit „Call-TV-Sendungen“ als auch die Diskussion um die rechtliche Zulässigkeit der Bezeichnung von Moderatorinnen derartiger Sendungen als „Animösen“ Gegenstand eines gewichtigen öffentlichen Interesses. Eine Auseinandersetzung mit diesen Themen wäre aber durchaus auch unter Anonymisierung der betroffenen Moderatorinnen möglich gewesen. Stattdessen zog es der Antragsgegner vor, die persönlichen Schmähungen, die Gegenstand seiner Betrachtungen waren, dadurch aktiv weiterzuverbreiten, dass er unter voller Namensnennung der betroffenen Moderatorinnen darauf hinwies, dass diese als „Animösen“ bzw. „Rätselanimösen“ bezeichnet worden seien, und zwar ohne sich hiervon auch nur im Ansatz zu distanzieren. Im Gegenteil: Durch die Überschrift seines Artikels gab er zu verstehen, dass er es für „mimosenhaft“ halte, sich gegen die in Rede stehenden Bezeichnungen zur Wehr zu setzen. Ferner enthielt bereits der erste Absatz seines Artikels zumindest die Verdachtsäußerun, dass sich eine der genannten Moderatorinnen durch ihre Moderationstätigkeit des Betrugs im juristischen Sinne strafbar mache, was allerdings möglicherweise nicht beweisbar sei. Es bedarf vorliegend keiner abschließenden Prüfung, ob der Antragsteller [sic! Gemeint ist Anstragsgegner] damit schon selbst Persönlichkeitsrechtsverletzungen begangen hat. Entscheidend ist vorliegend allein, dass er durch seinen zumindest außerordentlich scharfen und polemisierenden Beitrag für die sich daran anschließende Diskussion einen Ton angeschlagen hat, der ersichtlich geeignet war, bei einzelnen Diskussionsteilnehmern persönlichkeitsrechtliche Grenzüberschreitungen zu provozieren, zumal die Diskussion ein ohnehin in erheblichem Maße emotional aufgeladenes Thema betraf.

Dies gilt umso mehr, als es den Nutzern der Seite des Antragsgegners offen stand, Kommentare auch unter Verwendung von Pseudonymen einzustellen, wovon dann auch zahlreiche Nutzer gebrauch machten (…). Es steht außer Frage, dass die Möglichkeit, sich unter einem Pseudonym zu äußern, für den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung von Nutzen sein kann. Das gilt besonders dann, wenn der Äußernde ohne diese Möglichkeit aus Angst vor ungerechtfertigten Repressalien von einem an sich schützenswürdigen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung abgehalten werden könnte. Es steht nach Einschätzung der Kammer aber ebenso außer Frage, dass die Möglichkeit der Verwendung von Pseudonymen die Gefahr maßgeblich erhöht, dass es in einer Diskussion zu Persönlichkeitsrechtsverletzungen Dritter kommt. Wer sich bei seinen Äußerungen hinter einem Pseudonym verstecken kann, wird sich weit eher dazu verleiten lassen, Persönlichkeitsrecht Dritter zu verletzen, als jemand, der befürchten muss, für seine Äußerungen persönlich zur Rechenschaft gezogen zu werden. Wer als Betreiber eines Forums oder Blogs die Verwendung von Pseudonymen zulässt, muss daher eine erhöhte Sorgfalt bei der Überprüfung der Inhalte seines Angebotes walten lassen.

Vor diesem Hintergrund konnte es nicht überraschen, dass die vom Antragsgegner angestoßene Diskussion dann auch tatsächlich von Beginn an eine Reihe von ebenfalls sehr scharfen, z.T. auch persönlichkeitsrechtlich zumindest bedenklichen Einträgen aufwies, wie z.B. die folgenden:

2. Persönlich bezeichne ich die Herren und Damen in diesen Sendungen als „Nervendes Pack die offensichtlich nichts anständiges gelernt haben“.

6. So weit scheint es mit [… (folgt der Nachname einer der betroffenen Moderatorinnen)] nicht her zu sein, wenn Sie diese geniale Bezeichnung Anim*** nicht aushält.

15. Das deutsche Justizsystem gemahnend, rate ich Marc schon mal ordentlich Geld beiseite zu sparen, […].
Einziger Ausweg: Beleidige sie richtig, dann hast Du wenigstens etwas für Dein Geld. (z.B.: Animatrice, Wortspielgespielin,Quotenkonkubine, Bildschirmtelefonadaptöse, Vernunftsedativum…) – obwohl ich Animeuse in der alten Schreibweise viel chiquer finde.

19. […]
Darüberhinaus würde ich eh Animörser bevorzugen… im Sinne von Animateurin mit mörserähnlich wirkender Dummlabergeschosswirkung. […]

25. Wenn es nicht so ernst wäre, wäre es ganz wunderbar.
Animöse klingt doch ganz nett, geht auch Animoese oder Animeurin?
Den Abgemahnten viel Glück und so.

32. Mir gefällt die Wortschöpfung.
Schließlich ist es ja kene normalie ANIMation was die Damen da treiben, sondern regelrechtes getÖSE. ;-)
So denn, vel Glück.

33. anni Möse, deutsche Meisterin im elongieren!

39. Interessant auch, dass die [… (folgt ein Wortspiel auf Grundlage des Namens einer der betroffenen Moderatorinnen)] in Ihrer Vita mit keinem Wort von der tollen Anstellung bei Callactive berichtet. […]
animösitäre Beschäftigungen scheinen sich in der CV nicht so gut zu machen

45. verlinkt doch alle mal [… (folgt der Name einer der betroffenen Moderatorinnen)] auf diese seite, ein bisschen spass muss sein.

Spätestens diesen in äußerungsrechtlicher Hinsicht zumindest grenzwertigen Verlauf der Diskussion musste der Antragsgegner zum Anlass nehmen, zu einer fortdauernden Überprüfung der eingehenden Kommentare überzugehen – sei es z.B. durch die Einschaltung eines geeigneten Moderators oder durch eine „schubweise“ Freigabe von Beiträgen nach erfolgter Vorabkontrolle –, denn in der Gesamtschau der obigen Erwägungen war konkret vorhersehbar, dass es jederzeit zu schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen Dritter kommen konnte.

Dem kann der Antragsgegner nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass ihm derartige Prüfungspflichten aufgrund des großen Umfangs seines Weblogs (500 eigene Einträge mit 13.000 hierauf bezogenen Kommentaren allein im vergangenen Jahr) unzumutbar gewesen seien. Wer ein öffentliches Diskussionsforum eröffnet, kann sich seiner Pflicht zur angemessenen Überwachung dieses Forums nicht dadurch entziehen, dass er es auf ein für ihn nicht mehr angemessen kontrollierbares Maß anwachsen lässt. (…)

(Geschäftsnummer: 324 O 794/07.)

Ich werde, wie angekündigt, gegen das Urteil Berufung einlegen.