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Lafontaine & das Medien-Perpetuum-Mobile

In einem Punkt immerhin gibt der „Spiegel“ zu, in seiner Berichterstattung über Oskar Lafontaine und sein angebliches Verhältnis zu Sahra Wagenknecht einen Fehler gemacht zu haben.

Aber machen wir vorher noch einen kurzen Abstecher in die heutige Medienkolumne von Kai-Hinrich Renner im „Hamburger Abendblatt“, in der er schreibt:

In Berliner Politik-Kreisen gilt es mittlerweile als gesichert, dass die „Spiegel“-Story stimmig ist. Der klagefreudige Lafontaine hat bisher nicht mal eine Gegendarstellung verlangt.

„Stimmig“ ist ein schönes Wort in diesem Zusammenhang. Offenbar wissen weder Renner noch die „Kreise“, mit denen er gesprochen hat, ob die „Spiegel“-Geschichte stimmt. Vielleicht hatte das „Abendblatt“ auch nur keine Lust, die angebliche Klagefreude des Politikers doch noch herauszufordern.

Aber das erleichtert die journalistische Arbeit natürlich ungemein, wenn sich Stimmigkeit oder Plausibilität als neues publizistisches Kritierium durchsetzt: Endlich nicht mehr recherchieren müssen, was war, sondern nur noch, was gewesen sein könnte. Das veröffentlicht man dann, und wenn der Betroffene „nicht mal eine Gegendarstellung verlangt“, nimmt man es fortan als wahr an. (Was hätte Lafontaine in der vergangenen Woche auch anderes zu tun gehabt, als sich um Gegendarstellungen zu kümmern — mal abgesehen von der Frage, wie klug ein solches Vorgehen gewesen wäre. Im übrigen behauptet der „Spiegel“ nicht einmal, Lafontaine habe ein Verhältnis zu Wagenknecht, sondern nur, dass es Gerüchte in der Linkspartei gebe, die ihm das unterstellen. Was hängen bleibt, ist natürlich etwas anderes.)

Ich kann nicht beurteilen, ob die „Spiegel“-Behauptungen über Lafontaine wahr (oder auch nur „stimmig“) sind, und zu der perfiden Art, wie der „Spiegel“ seine Umwidmung zum Klatschblatt rechtfertigt, ist an anderen Stellen schon genug gesagt worden. Aber nachhaltig faszinierend finde ich es, wie die „Spiegel“-Autoren sich zu ihrem Gerüchtetext, der überwiegend aus Fragen besteht, eine zusätzliche Scheinquelle gebastelt haben. Sie schreiben:

Auch ein Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vor zwei Wochen („Lafo hat was am Laufen mit Sahra Wagenknecht“) blieb unwidersprochen.

Aber die „FAS“ hat das nicht berichtet. Sie hat in ihrer wöchentlichen Kolumne „Herzblatt-Geschichten“, die ironisch die Behauptungen der Klatschblätter kommentiert, berichtet, dass das in der „Bunten“ stehe, dort angedeutet unter anderem durch die Formulierung:

„Die Kommunistin Sahra Wagenknecht, intime Kennerin von Lafontaines Positionen und nicht nur in Streikfragen mit ihm auf Augenhöhe, verlangt wie er regelmäßig französische Verhältnisse.“

Und woher hat die „Bunte“ diesen merkwürdigen Satz? Aus dem „Spiegel“, wo sich die Autoren Stefan Berg, Markus Deggerich und Frank Hornig mit ihm Mitte Oktober für eine „vielversprechende Karriere in der Bütt“ empfohlen hätten, wie Jens Berger treffend kommentiert.

Also noch einmal: Der „Spiegel“ schreibt, was die „FAS“ schreibt, was die „Bunte“ schreibt, was der „Spiegel“ schreibt. Oder kürzer: Der „Spiegel“ bestätigt sein eigenes Gerücht mit seinem eigenen Gerücht. Hut ab vor soviel Chuzpe.

Ich habe gestern Georg Mascolo, den „Spiegel“-Chefredakteur gefragt, ob so ein Vorgehen seriös sei. Er hat das nicht direkt beantwortet, sagt aber:

„Die Autoren haben für dieses Stück wochenlang recherchiert. Es gibt keinen Anlass an der Darstellung zu zweifeln.

Bei dem Text in der FAS handelt es sich erkennbar um eine Glosse; sie hätte so im SPIEGEL nicht zitiert werden dürfen.“

Wie gesagt: Immerhin.

PS: Natürlich hat sich das Klatschblatt „Bunte“ auch in dieser Woche wieder dem Thema gewidmet, unter der bestimmt lustig gemeinten Überschrift: „Oskar und die linke Lady“. „Bunte“ weist darauf hin, dass Frau Wagenknecht „süß-saure Krabben im Wok oder Lammhüfte in Rotweinjus“ koche und 1997 mit „reichlich Brautschmuck im Haar“ geheiratet habe, „obwohl“ sie noch 1989 in die SED eingetreten sei. Und als einen Beleg für die Affäre nennt „Bunte“ was? Natürlich:

Auch die renommierte „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ berichtete vor zwei Wochen: „Lafo hat was am Laufen mit Sahra Wagenknecht.“

Die Medien haben das Perpetuum Mobile entdeckt. Läuft ohne Antrieb von außen, macht aber viel Dreck.

[Offenlegung: Ich schreibe regelmäßig für die FAS.]