Schlagwort: Markus Schächter

Konvergenz, Konsistenz, Inkontinenz: Die „Deutsche Content Allianz“

In der „Deutschen Content Allianz“ haben sich die Dieter Gornys dieses Landes zusammengeschlossen. Sie versuchen, sich vor dem Ertrinken zu bewahren, indem sie sich gegenseitig umklammern und das Wasser beschimpfen.

Es fiele mir leichter, ihnen dabei zuzusehen, wenn nicht ARD und ZDF ohne Not zu ihnen ins lecke Boot gestiegen wären — zwei Institutionen, die nicht zuletzt aufgrund ihrer Finanzierung durch das Volk in einer fundamental anderen Position sind, was die Herausforderung betrifft, sich in einer digitalen Welt professionelle kreative und journalistische Produktionen leisten zu können.

Insbesondere die WDR-Intendantin und amtierende ARD-Vorsitzende Monika Piel scheint sich aber zu einer Überlebensstrategie entschlossen zu haben, die auf dem Gedanken beruht, dass dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nichts passieren kann, solange er sich nur eng genug an seine natürlichen Gegner kuschelt. Die Interessen der Gebührenzahler müssen demgegenüber im Zweifel zurückstehen. (Mehr dazu in den nächsten Tagen an dieser Stelle.)

Jedenfalls hat die „Deutsche Content Allianz“, die man vielleicht treffender als den Verband der urheberrechteverwertenden Industrie bezeichnen könnte, gestern die Bundesregierung dazu aufgefordert, das ACTA-Abkommen unverzüglich und unverändert zu unterzeichnen. Es sagt schon viel aus, dass die „Deutsche Content Allianz“ ACTA als ein „Abkommen zum Schutz vor Internetpiraterie“ bezeichnet – dass sich die „Piraterie“, mit der sich der Vertrag beschäftigt, keineswegs auf das Internet beschränkt, verschweigen die beteiligten Verbände im Sinne einer klareren Desinformation.

Inhaltlich ist zum Streit um ACTA an anderen Stellen reichlich gesagt worden; ich möchte hier vor allem die verräterische Sprache in diesem Dokument würdigen. Die ganze hilflose Traurigkeit offenbart schon die Überschrift: „Deutsche Content Allianz fordert Bundesregierung zur konsistenten Positionierung zum Urheberrecht auf“. Man muss sich das bildlich vorstellen, Monika Piel und Dieter Gorny auf einer Demonstration vor dem Kanzleramt, in den Händen identische Plakate mit der Aufschrift: „Mehr Konsistenz wagen!“ Die vage und harmlos klingende Forderung steht in Wahrheit für einen Wunsch, wie er radikaler kaum sein könnte: Urheber-, oder genauer: Verwertungsrechte sollen durchgesetzt werden ohne lästige Abwägung mit anderen Rechten, mit denen sie kollidieren. Mit irgendeiner „konsistenten Positionierung“ ist exakt diese Positionierung gemeint — konsistent in ihrer Absolutsetzung eines Interesses.

Die „Deutsche Content Allianz“ fordert weiter laut ihrer Pressemitteilung:

Es seien jetzt eindeutige Signale notwendig, die Reform anpacken und durchsetzen zu wollen, da sonst die Gefahr einer Kluft zwischen der deutschen Kreativwirtschaft und den Gruppen unserer Gesellschaft, die den Schutz des geistigen Eigentums als einen Angriff auf die Freiheit im Internet diskreditierten, bestehe.

Ignorieren wir einmal die Problematik des Begriffes vom „geistigen Eigentums“ an sich, der eine Vergleichbarkeit mit tatsächlichem Eigentum suggeriert, die von der Content-Lobby politisch gewollt, aber in vielerlei Hinsicht irreführend ist. Abgesehen davon also: Ist das nicht rührend? Die Rechtindustrie sorgt sich, dass sich da womöglich, vielleicht, wenn man nicht aufpasst, in Zukunft eine Kluft auftun könnte. Als wäre diese Kluft nicht längst ein gewaltiger Canyon. Als würde es helfen, wenn die Bundesregierung „eindeutige Signale“ geben würde, Reformen „anpacken“ zu wollen. Und als würde sich die Kluft dadurch verringern, dass der Gesetzgeber auf der einen Seite des Grabens ein Flatterband als Absperrung zieht.

Die „Deutsche Content Allianz“ diskreditiert berechtigte Sorgen um die Freiheit des Internets als Diskreditierung. Und dann beteuert sie:

Diese Freiheit sei ein hohes, unbestrittenes Gut, solange sie nicht als Rechtlosigkeit interpretiert werde.

Da hat vermutlich Freud zugeschlagen. Niemand – außer vielleicht die Musikindustrie in ihren feuchtesten Träumen – käme auf die Idee, Freiheit als Rechtlosigkeit zu interpretieren. Freiheit im Internet wäre ja in ihrer extremsten Interpretation gerade das Recht, alles zu tun, was man will. Die Autoren wollten wohl sagen, Freiheit sei gut, solange sie nicht als Gesetzeslosigkeit interpretiert werde. Nicht einmal das ist ihnen gelungen.

Nun wird die „Deutsche Content Allianz“ geradezu selbstkritisch:

Von der Kreativwirtschaft müsse offenbar in diesem Zusammenhang noch stärker als bisher vermittelt werden, dass sie mit dem für alle Kreativen und die Vermittler ihrer Werke existenziellen Schutz des geistigen Eigentums keineswegs Barrieren in der digitalen Internetwelt errichten wolle, sondern es zusammen mit zeitgemäßen Angeboten längst als unverzichtbare Zukunftssicherung begriffen hätte.

Hat jemand eine Idee, worauf sich das kleine „es“ beziehen könnte, das die „unverzichtbare Zukunftssicherung“ (wessen?) darstellt? Es, das „geistige Eigentum“? Es, das hier ungenannte Internet?

Die Content-Industrie braucht geistiges Eigentum zusammen mit zeitgemäßen Angeboten? Sie braucht das Internet zusammen mit zeitgemäßen Angeboten? Was?

Weiter im Text:

Gerade bei einer Generation, in der viele ohne jedes Unrechtsbewusstsein für „digitalen Diebstahl“ aus Schule und Elternhaus in die große Welt des Internets entlassen worden seien, verlange dies viel Aufklärung und vor allem Diskussionsbereitschaft, wie sie die vor knapp einem Jahr gegründete Deutsche Content Allianz bereits bei ihrer Gründung öffentlich angeboten hatte.

Ich weiß nicht, welche Generation die „Deutsche Content Allianz“ genau meint. Ich ahne aber, welche Generation da schreibt, wenn sie das Bild bemüht von Kindern, die „aus Schule und Elternhaus in die große Welt des Internets entlassen“ wird. Es ist ein vielfach perfides Bild: Es behauptet, dass die Kinder klauen wie die Raben. Es gibt Eltern und Lehrern die Schuld, dass die Kinder angeblich klauen wie die Raben. Und es stellt das Internet selbst als verkommenen Ort dar, in den die Kinder umziehen, nachdem sie die bürgerlichen Institutionen verlassen haben.

Der letzte Absatz ist mein Lieblingsabsatz:

Die Vertreter der Deutschen Content Allianz kritisieren, noch gelte für zu viele der Schutz des geistigen Eigentums und die Freiheit im Internet als unüberbrückbare Kluft. Das schlage sich auch in der praktischen Politik durch ein Auseinanderdriften von Medien- und Netzpolitik nieder. Politik, Medien und Gesellschaft seien gemeinsam aber einmal unter der Überschrift „Konvergenz“ angetreten. Auch wenn dies stets eine besondere Herausforderung dargestellt habe, dürfe man es nun nicht aus den Augen verlieren, argumentieren die Köpfe der Deutschen Content Allianz.

Politik, Medien und Gesellschaft sind gemeinsam einmal unter der Überschrift „Konvergenz“ angetreten. Das muss selbst in der Phrasenwelt eines Markus Schächter ein rekordverdächtig quatschiger Satz sein. Man wüsste so gerne, wo sie alle, wir alle, angetreten sind. Und wofür. Und wer die Überschrift gemacht hat. Und ob es auch eine Unterzeile gab. Und natürlich überhaupt, wer oder was da mit wem oder was konvergiert?

Unterdessen befindet sich übrigens Frau Piel in Verhandlungen mit den Zeitungsverlegern, den Online-Journalismus in Deutschland aufzuteilen: In Video und Audio, wofür die Öffentlich-Rechtlichen zuständig wären, und Texte, was die Verlage machen würden. –Frau Piel? Die Konvergenz hat angerufen für Sie. Sie möchte ihre Überschrift zurückhaben.

Immerhin stellen ARD, ZDF, Privatsender, Produzenten, Musikindustrie, Filmwirtschaft, Buchhändler und GEMA am Ende noch einmal gemeinsam fest, das sie „es“ nicht aus den Augen verlieren wollen. Was auch immer damit gemeint sein mag.

Diese Erklärung ist ein aufschlussreiches Dokument. Es macht anschaulich, in welchem Maße ein Verein, der behauptet, für die Existenz hochwertiger Inhalte zu stehen, nicht einmal in der Lage ist, selbst einen Inhalt zu formulieren, der verständlich, sprachlich richtig und inhaltlich korrekt ist. Die Presseerklärung ist mit all ihrem Sprachmüll und ihrer Gedankenlosigkeit ein Dokument der Hilflosigkeit. Aber ich fürchte, so niedlich es wirkt, wie ungelenk da die Branchengrößen mit Förmchen werfen, so hart ist in Wahrheit der Druck, den sie hinter den Kulissen auf die Politik ausüben. Die „Deutsche Content Allianz“ bezieht sich in ihrer Pressemitteilung sogar zustimmend auf einen Brief diverser Verbände an Abgeordnete des EU-Parlaments, der mit zutiefst antidemokratischer Haltung die Proteste gegen ACTA skandalisierte.

Das größte Ärgernis aber bleibt für mich, dass die öffentlich-rechtlichen Sender bei alldem mitmischen. Von Sascha Lobo kommt der treffende Satz: „Inhalte nennt man in Deutschland immer dann ‚Content‘, wenn jemand damit Geld verdienen will.“ Was haben ARD und ZDF, deren Aufgabe es ist, von unseren Gebühren Programme für uns zu machen, in dieser „Content Allianz“ zu suchen?

Die Grenzen der Satire beim ZDF: Sonneborns Chinesenwitze und Schächters Kotau

Ein vermutlich lustig gemeinter Beitrag der „heute show“ hat die Beziehungen zwischen dem ZDF und dem chinesischen Volk belastet. Eine satirische Umfrage von Martin Sonneborn auf der Frankfurter Buchmesse, bei der Chinesen mit mangelnden Deutschkenntnissen vorgeführt wurden, ist nach chinesischen Protesten aus dem Online-Archiv des Senders entfernt worden. In einem Brief an den chinesischen Botschafter drückte ZDF-Intendant Markus Schächter sein Bedauern aus, dass der Beitrag „die Gefühle vieler Chinesen verletzt hat und als beleidigend empfunden wurde“.

Der Satiriker Sonneborn hatte sich einen Spaß daraus gemacht, den Chinesen Aussagen über Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land in den Mund zu legen und ihnen für sie unverständliche Fragen über Folter und Massenerschießungen zu stellen. Er machte Witze über Produktpiraterie und „gegrillte Labradorsteaks“.

In China fanden das nicht alle lustig. Als eine untertitelte Version des Beitrags auf dem chinesischen Videoportal todou.com veröffentlicht wurde, löste er Reaktionen aus, die der in Taiwan lebende Journalist Klaus Bardenhagen in seinem Blog als „übliche Flut von ‚wir sind in unserem Nationalstolz verletzt und ganz furchtbar traurig, außerdem finden die bösen Ausländer uns sowieso alle böse‘-Kommentaren“ beschreibt. Auch das chinesische Staatsfernsehen CCTV berichtete über den vermeintlichen Skandal, verschwieg dabei aber offenbar, dass es sich nicht um eine Nachrichtensendung, sondern eine Satireshow handelte.

Die Propagandaseite des „China Internet Network Information Center“ (die Sonneborn ebenfalls einen „Journalisten“ nennt) meldete, dass sich das Außenministerium und die Botschaft in Deutschland beim ZDF beschwert hätten. Intendant Schächter habe sich daraufhin entschuldigt.

Ganz so war es nicht. Beim ZDF legt man Wert darauf, dass es sich bei dem Brief an den Botschafter nicht um eine Entschuldigung, sondern nur den Ausdruck des Bedauerns handele. „Satire ist eine Gattung mit langer Tradition“, doziert der Intendant in dem Schreiben. „Solange es Satire gibt, war und ist sie ‚Stein des Anstoßes‘. Deswegen löst sie auch hierzulande immer wieder Kritik, Verärgerung und intensive Diskussionen aus.“

Offenbar hat die Freiheit dieser Ausdrucksform aber hinter persönlichen oder nationalen Empfindlichkeiten zurückzustehen, denn Schächter fährt fort: „In Gesprächen mit der zuständigen Redaktion und den Autoren wurde deutlich gemacht, dass der Beitrag die Gefühle von Chinesen verletzt hat, damit es dazu keine Wiederholung gibt.“

Das ist ein erstaunlicher Kotau – und ein untaugliches Kriterium. Wenn Satire verletzend sein darf, dann muss sie auch Chinesen verletzen dürfen. Dass ein deutscher Intendant sich dem Druck chinesischer Regierungskreise beugt und einen Film aus dem Online-Archiv entfernen lässt, ist ein schlechtes Zeichen.

Und das, obwohl der „heute show“-Beitrag eine erbärmliche Form von Humor ist: Sonneborn demonstriert Überlegenheit gegenüber den Chinesen dadurch, dass er ihre fehlenden Sprachkenntnisse ausnutzt. Er missbraucht zufällige Buchhändler, die das Pech haben, ihm vors Mikrofon zu laufen, für etwas, das man nur mit viel gutem Willen als eine Kritik am chinesischen Staat oder der umstrittenen Politik der Buchmesse deuten kann. Nicht auszuschließen, dass Sonneborn durch die Instrumentalisierung der chinesischen Gäste zeigen wollte, wie die chinesischen Gäste durch die Medien instrumentalisiert werden. Wahrscheinlicher ist, dass es eine gute Gelegenheit war, ein paar Chinesenwitze zu machen.

Das ist traurig und geschmacklos – aber auf meine Gefühle nimmt die „heute show“ ja auch keine Rücksicht, wenn sie regelmäßig jemanden wie den Komiker Olaf Schubert beschäftigt. (Andererseits habe ich natürlich auch keine 100 Millionen Zuschauer für „Wetten dass?“ zu bieten.)

Markus Schächters Brief an den chinesischen Botschafter endet mit der Bitte, sein Bedauern „auch nach China zu übermitteln“. Und dem Satz: „Die Grundlage der langjährigen Beziehungen des ZDF zum chinesischen Volk und seinen chinesischen Partnern sollte, so hoffe ich, stabil und solide genug sein für ihre gedeihliche Weiterentwicklung in der Zukunft.“

Nikolaus Brender und die Heuchler

Vor siebeneinhalb Jahren, im Juni 2002, haben Wolfgang Clement und Heide Simonis ihre Sitze im Verwaltungsrat des ZDF niedergelegt. Einen Platz hätten die beiden damaligen SPD-Ministerpräsidenten ohnehin räumen müssen, weil die CDU gerade die Mehrheit im Bundesrat und damit einen zusätzlichen Sitz im obersten ZDF-Gremium erobert hatte — ihn bekam ein Mann namens Roland Koch. Aber Simonis und Clement gaben einen weiteren Sitz auf, um für mehr Staatsferne des Senders zu demonstrieren. „Es kann nicht richtig sein, dass Politiker, namentlich Regierungsmitglieder, die Gegenstand kritischer Berichterstattung sind, gleichzeitig die Entscheidungsgewalt über einen Sender innehaben“, hatte Clement gesagt. Eine unabhängige, politikferne und sachkompetente Persönlichkeit solle den vakanten Platz anstelle des üblichen Ministerpräsidenten übernehmen. Es wurde der ehemalige Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm. Er lehnte es auch ab, in einem der berüchtigten „Freundeskreise“ der beiden früheren Volksparteien Mitglied zu werden.

Es war eine gute Aktion der beiden SPD-Leute, an die in diesen Tagen aus aktuellem Anlass erinnert wird. Leider wird zu selten daran erinnert, was passierte, als Grimm nach fünf Jahren wieder aus dem Verwaltungsrat ausschied: Als seinen Nachfolger bestimmte die SPD eine Person, die weder unabhängig noch politikfern noch sachkompetent war: Matthias Platzeck, den brandenburgischen Ministerpräsidenten.

Soviel zum Willen der Sozialdemokratischen Partei, das ZDF dem direkten Zugriff der Parteien zu entziehen.

Wenn die Medien also wenigstens darauf verzichten könnten, im Fall Brender den Heucheleien eines Klaus Wowereit eine Plattform zu geben — es wär‘ schon viel gewonnen.

Ich hoffe, dass Nikolaus Brender am kommenden Freitag keine Mehrheit im Verwaltungsrat bekommt. Dass die CDU-Schergen für einen Eklat sorgen und den Vorschlag von ZDF-Intendant Markus Schächter für eine weitere Amtszeit des Chefredakteurs ablehnen.

Denn wenn Roland Koch ohne gute Gründe einen Chefredakteur abwählen lässt, nur weil er es kann, ist das schlimm. Der eigentliche Skandal ist es aber, dass er es kann.

Und um daran etwas zu ändern, muss die Sache noch viel mehr eskalieren. Wenn aber durch irgendein Wunder oder späte Einsicht einiger Unionsvertreter Brender doch noch im Amt bestätigt würde, könnten alle wieder zur Tagesordnung zurückkehren. In den vergangenen Wochen und Monaten haben so viele Menschen öffentlich erklärt, dass die Nicht-Wiederwahl Brenders das Ende der Rundfunkfreiheit symbolisieren würde, dass man Brenders Bestätigung fälschlicherweise für den Beweis der Staatsferne des ZDF halten könnte.

„Welt“-Kommentator Eckhard Fuhr, dem ich in fast allen Punkten seiner Analyse dieses Falls widersprechen würde, hat Recht, wenn er darauf hinweist, dass sich die Frage, ob ein öffentlich-rechtliches Gremium in seiner Zusammensetzung verfassungsgemäß ist, nicht daran messen lässt, welche Beschlüsse es fasst. Auch wenn der ZDF-Verwaltungsrat dem angekündigten Vorschlag des Intendanten zur Besetzung der Chefredaktion folgen sollte, würde es nichts daran ändern, dass es unerträglich ist, dass Regierungsvertreter über diese Frage entscheiden.

Deshalb stimmt auch Christian Bartels ironischer Einwurf im „Altpapier“, dass man sich gut überlegen soll, ob man den offenen Brief von Juristen und Bloggern an den Verwaltungsrat unterschreiben will, der mit dem Aufruf endet, „die Unabhängigkeit des Rundfunks zu bewahren“:

Wer unterschreibt, unterschreibt also sozusagen, dass derzeit, zumindest bis zum Freitag, diese Unabhängigkeit des Rundfunks noch besteht.

All die fast ermüdenden offenen Briefe und Solidaritätsbekundungen sind trotzdem gut, denn sie tragen zu einer Eskalation bei und schneiden Intendant Schächter den Rückzug auf halbgare Kompromisse ab. Schächter ist Meister im Kungeln (oder wie man das freundlicher nennt: im Machtpoker hinter den Kulissen). Vermutlich hätte er sich längst auf einen anderen Kandidaten festgelegt, wenn die Auseinandersetzung nicht von außen zu einer solchen Grundsatzfrage hochstilisiert worden wäre. Schächter beherrscht blendend die Spielregeln solcher Auseinandersetzungen, bei denen das oberste Gebot „Gesicht wahren“ lautet. Es ist schwer zu erkennen, wie ihm das angesichts der zugespitzten Konfrontation gelingen soll, und das ist gut so.

Man darf nicht vergessen, dass Schächter heute nur deshalb Intendant des ZDF ist, weil das ZDF so im Griff der Parteien ist. Nach einem monatelangen Gezerre der Parteipolitiker stellte er sich 2002 als der einzige mehrheitsfähige Kandidat heraus. Mein Kollege Nils Minkmar schrieb damals in der „FAS“:

Es wurde der gewählt, den zwar lange Zeit alle verhindern wollten, der aber als einziger Unions-Kandidat die Stimmen der SPD-Minderheit im Fernsehrat bekommen würde, weil durch seinen Aufstieg ein Posten für einen SPD-Mann frei wird.

Das sollte sich als große Täuschung herausstellen, denn wenige Monate später wurde klar, dass auch der neue Programmdirektor ein CDU-Mann sein müsse, und das Gezerre war einem Ausmaß unwürdig, dass man denken konnte, alle Beteiligten würden aus reiner Scham schon von weiteren Wiederholungen absehen, aber damit würde man den Machthunger der Partien natürlich absurd unterschätzen.

Wenn die SPD so massiv den Chefredakteur Nikolaus Brender verteidigt, der in den vergangenen Monaten zu einem merkwürdig übersteigerten Symbol für journalistische Unabhängigkeit geworden ist, darf man das nicht mit einem Unabhängigkeitskampf verwechseln. Die SPD muss die Pläne der Union auch deshalb so massiv abwehren, weil die Besetzung des Chefredakteursposten beim ZDF traditionell den Sozialdemokraten zusteht. Die politische Geschäftsgrundlage sieht vor, dass die Union Intendant und Programmdirektor bestimmt, die SPD Verwaltungsdirektor und Chefredakteur. Deshalb konnte auch Hans Janke 2002 nicht als Nachfolger Schächters Programmdirektor werden, denn Janke galt zwar (im Gegensatz zu Thomas Bellut, der es dann wurde) als besonders kompetent, aber aus irgendwelchen Gründen auch (ebenfalls im Gegensatz zu Thomas Bellut) als SPD-nah. Wie wenig sich der hessische Ministerpräsident Roland Koch damals schon für die Besetzung nach Parteipräferenzen genierte, verdeutlichte epd-Medien damals in einem Bericht über die Sitzung des Verwaltungsrates:

Nach epd-Informationen reagierten die Unionsvertreter — namentlich der thüringische Ministerpräsident Bernhard Vogel und dessen hessischer Amtskollege Roland Koch — ungehalten auf das Vorgehen der sozialdemokratisch orientierten Seite.

Koch kritisierte dabei u.a. auch den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten und Vorsitzenden des ZDF-Verwaltungsrates, Kurt Beck, weil er öffentlich für Janke als neuen Programmdirektor eingetreten sei und damit die vorherige Vereinbarung mit Vogel, dass für diese Position der Union die Präferenz zustehe, aufgekündigt worden sei.

Das Eins-links-eins-rechts-einen-fallenlassen-Spiel wird auch in den Niederungen der Hierarchie fortgesetzt, wie ein weiterer Satz aus derselben Meldung verdeutlicht:

Unter parteipolitischen Gesichtspunkten sei bei den Personalien Ekkehardt Gahntz als neuer Leiter Wirtschaft, Soziales und Umwelt für die „rote“ Seite ein Problem gewesen, umgekehrt habe die „schwarze“ Seite Schwierigkeiten mit dem Vorschlag Bettina Schausten als neue Innenpolitik-Chefin gehabt.

Wenn die SPD so besorgt ist um das Hineinregieren der Politik in das ZDF, warum zieht sie dann nicht einseitig ihre Parteivertreter oder wenigstens die Regierungsvertreter aus den Gremien des Senders zurück — insbesondere Kurt Beck, den Vorsitzenden des Verwaltungsrates und Ministerpräsidenten des Landes, in dem das ZDF seinen Sitz hat, eine besonders enge Verbindung? Was hält sie davon ab, ihre Plätze mit unabhängigen Persönlichkeiten zu besetzen oder gar von unabhängigen Gremien bestimmen zu lassen? Die Sorge, dass die CDU dann durchregieren würde und sich einen peterhahnesken Sender ganz nach dem Geschmack von Roland Koch basteln könnte?

Aber das wäre doch wunderbar, dann wäre für jeden sichtbar, in welchem Maße das ZDF im Griff der Parteipolitik ist — und der unerträgliche Zustand wäre endlich wirklich unerträglich. Wenn hingegen Nikolaus Brender am Freitag gewählt wird, ist wieder Ruhe, und Union und SPD können weitermachen wie bisher, und bei der nächsten Wahl geht alles wieder von vorne los.

Nein, Markus Schächter muss in diese Auseinandersetzung mit den Partei- und Regierungsvertretern gezwungen werden — und zur Aufgabe des traditionellen Konsens mit diesen Leuten. NDR-Justiziar Werner Hahn hat in einem Beitrag für die FAZ mehrere Varianten erklärt, wer gegen die Zusammensetzung des Verwaltungsrates klagen könnte. Keine der Varianten ist sehr realistisch. Ein Drittel der Bundestagsabgeordneten wäre zum Beispiel ausreichend, also etwa SPD plus Grüne: „Mit Blick auf die Machtinteressen auch der SPD in Rundfunkfragen dürfte aber dieses Szenario ebenfalls äußerst unwahrscheinlich sein“, schreibt Hahn. Bliebe, unter bestimmten Voraussetzungen, der ZDF-Intendant, wenn er es wagte, sich offen mit den Politikern anzulegen, was ganz etwas Neues wäre.

Irgendjemand muss den Parteien sagen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht ihnen gehört, sondern uns. Irgendjemand muss ihnen das ZDF wegnehmen. Nicht nur dem Koch, auch dem Beck.