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Betrugsverdacht bei Call-TV-Shows: Drei Verhaftungen

Jahrelang haben die Betreiber von dubiosen Anrufsendungen das Recht genutzt, um ihre Kritiker einzuschüchtern, mundtot zu machen und in den Ruin zu treiben. Vielleicht wendet sich jetzt endlich das Blatt. Der österreichische „Standard“ berichtet, dass drei Verdächtige verhaftet worden seien, zwei in Deutschland, einer in Österreich. Es geht um gewerbsmäßigen Betrug beziehungsweise die Beihilfe dazu.

Die Vorwürfe der Wiener Staatsanwaltschaft entsprechen demnach ziemlich genau dem, was Kritiker den Verantwortlichen detailliert vorgeworfen haben und wofür sie unter anderem von Leuten wie Stephan Mayerbacher, dem ehemaligen Chef der Firma Callactive, die Call-TV-Sendungen unter anderem für MTV produzierte, mit Prozessen überzogen wurden: Die Zuschauer, die kostenpflichtig anriefen, um die Rätsel auf dem Bildschirm zu lösen, hätten gar keine Chance gehabt, durchgestellt zu werden und die ausgelobten Gewinne zu kassieren. Stattdessen seien, so zitiert der „Standard“, „instruierte Fake-Anrufer organisiert und eingesetzt“ worden:

Eingefädelt haben soll das 2004 der nun verhaftete Deutsche S. M., der mit seiner Gesellschaft die erste Call-in-Show in Österreich produziert hat (für ATV). Er habe einem Mitarbeiter des TV-Studios Marx Media Vienna (MMV) erklärt, er brauche Leute, die sich „während der Sendung gegen Bezahlung zur Verfügung halten“, um, ins Studio geschaltet, vorab bekanntgegebene Antworten auf die Quizfragen zu geben.

Genau so sei es gelaufen, mit Leuten, die der MMV-Mitarbeiter organisiert habe. Sie mussten nach dem Gewinn „ihrer Freude … Ausdruck verleihen“, während „echte“ Anrufer nicht durchgestellt wurden.

Ziel der Dramaturgie“ sei es gewesen, die Anruferzahlen hochzuhalten. Die Gewinne wurden allerdings wieder eingesammelt – bis auf 500 Euro, die die Helfer behalten durften.

 
Kleine Auswahl aus dem Archiv:

[via Twipsy]

Gericht erlaubt Kritik an dubiosem Call-TV

Es ist eine krachende Niederlage für die Firma Mass Response und ihren Versuch, eine öffentliche Auseinandersetzung über die dubiosen Vorgänge in den von ihr produzierten Gewinnspielsendungen zu verhinden: Das Hamburger Landgericht hat eine Klage des Unternehmens gegen den Call-TV-Kritiker Marc Doehler in allen Punkten zurückgewiesen.

Es geht um ein Video, in dem Doehler Unregelmäßigkeiten in den Abläufen der Call-TV-Sendungen „Swiss Quiz“ und „Anrufen + Gewinnen“ dokumentiert und kommentiert hat. Zu sehen ist zum Beispiel:

  • wie Lösungs-Umschläge, deren Inhalt die Zuschauer erraten sollten, im Lauf der Sendung verschwanden und später an anderer Stelle wieder auftauchten.
  • wie Anrufer, die die richtige Lösung sagten, dennoch nicht den versprochenen Gewinn bekamen.
  • wie sehr sich die Stimmen vieler durchgestellter und angeblich unterschiedlicher Anrufer ähnelten.

Doehler hatte angesichts der Ausschnitte Zweifel daran formuliert, ob bei der Produktionsfirma alles „fair und transparent“ zugeht. Mass Response forderte ihn auf, zahlreiche Beschreibungen und Kommentierungen zu unterlassen und erwirkte zunächst eine umfassende einstweilige Verfügung gegen ihn. Doch im Hauptsacheverfahren wies das das Landgericht Hamburg jetzt alle Ansprüche zurück.

Die Firma Mass Response hatte beantragt, Doehlers Film schon deshalb zu verbieten, weil sie die umstrittenen Sendungen gar nicht produziert habe. In dem fraglichen Zeitraum soll das Münchner Unternehmen Primavera TV dafür verantwortlich gewesen sein. Doch Mass Response verwickelte sich in Widersprüche — das Gericht nahm dem Unternehmen seine Darstellung der Abläufe nicht ab. Und selbst wenn es den Auftrag zur Herstellung der Shows an Primavera TV als Subproduzenten übertragen habe, sei es zulässig, den Hauptproduzenten Mass Response als „Produzenten“ zu bezeichnen.

Auch inhaltlich erlaubte das Gericht sämtliche Formulierungen, die Mass Response untersagen wollte — teilweise, weil sie schlicht stimmten. Zum Beispiel, was den merkwürdigen Umgang mit den Lösungsumschlägen anging. Doehler hatte formulierte:

„Wenn bei Mass Response wirklich alles fair und transparent zugeht, wie kann es dann sein, dass Lösungsumschläge mitten in der Sendung plötzlich verschwinden, am Sendungsende wie von Zauberhand wieder auftauchen — nur leider eben nicht an dem Platz, an dem sie vorher von der diensthabenden Moderatorin abgelegt worden sind?“

Mass Reponse wollte das verbieten lassen, doch das Gericht stellte anhand der Sendungsmitschnitte, die Doehler vorlegte, fest: „Diese Behauptung ist zutreffend.“ Mass Response habe dem „nichts Substantielles entgegengesetzt“.

Primavera TV hatte in einem anderen Verfahren über denselben Sachverhalt folgende Erklärung abgegeben, warum die Umschläge während einer Sendung vorübergehend verschwinden und dann anderswo wieder auftauchen können [pdf]:

Es kann passieren, dass Lösungsumschläge von Mitarbeitern in die Hand genommen und überprüft werden. (…) [D]ass die Prüfung von Umschlägen nicht gefilmt wird, ist auch keine Merkwürdigkeit oder Unregelmäßigkeit, sondern liegt daran, dass dieser Vorgang nicht Teil des Spiels ist.

Derartige Prüfungen erfolgen nicht willkürlich, sondern dann wenn sie erforderlich sind. Bei einer Live-Sendung kann es trotz mehrfacher Checks passieren, dass Fehler gemacht werden (z.B. alter Umschläge mit anderen Lösungen, Verwechslung von Umschlägen, die zu verschiedenen Spielen gehören usw.) Wenn während der Sendung beim Producer die Vermutung aufkommt, dass es zu einem Fehler gekommen sein könnte, dann muss eine Überprüfung vorgenommen werden. (…)

Umschläge sind also nicht „verschwunden“, sondern waren nur nicht mehr dort abgelegt, wo sie ursprünglich hingelegt wurden.

Aus dieser Tatsache zu schließen, dass in den gezeigten Sendungen „Lösungsumschläge und/oder deren Inhalte ausgetauscht würden“, sei nicht nur „falsch“, sondern verstoße auch „gegen allgemeine logische Denkgesetze“, formulierten die Anwälte von Primavera (die auch die Anwälte von Mass Response sind) forsch.

Das Hamburger Gericht hingegen fand, dass für einen solchen Verdacht „hinreichende Anhaltspunkte“ vorlägen, ebenso wie für die Zweifel an einem ordnungsgemäßen Ablauf:

Denn wenn Lösungsumschläge „verschwinden“ bzw. den Platz wechseln, ohne dass der Zuschauer nachvollziehen kann, wie es dazu gekommen ist, so ist dies jedenfalls eine nichttransparente Spielgestaltung, und es darf im Hinblick darauf auch in Frage gestellt werden, ob die Spielgestaltung tatsächlich fair ist.

Bemerkenswert ist, dass das Gericht in einem Kontext sogar die Verwendung des Begriffes „betrogen“ nicht untersagte — Doehler hat mehrere Verfahren verloren, in denen Call-TV-Produzenten sich vor allem gegen das Wort „Betrug“ wehrten. Für den damit angeblich verbundenen Vorwurf einer Straftat fehlten die Beweise.

Im aktuellen Fall geht es um eine Sequenz, in der ein Anrufer das richtige Lösungswort „Bratwurst“ nennt, die Moderatorin aber nur „Regenwurm“ versteht. Doehler formulierte, der Anrufer sei um seinen „rechtmäßigen Gewinn [regelrecht] betrogen“ worden. Das Gericht urteilte ungewohnt wirklichkeitsnah:

Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Tatbestandsmerkmale des § 263 StGB erfüllt sind, da die Begriffe „Abzocke“, „betrügen“ und „betrogen werden“ umgangssprachlich auch über die Bezeichnung eines Betruges im streng strafrechtlichen Sinne hinaus zur Wertung bzw. Kennzeichnung von Sachverhalten verwendet wird, in denen es um ein unredliches und/oder täuschendes Verhalten geht

Das Gericht weigerte sich auch, die Formulierung, bei Mass Response arbeite man mit „getürkten“ Anrufern, zu verbieten:

Auch diese Äußerung stellt sich im Hinblick auf die in dem Video enthaltenen Sequenzen aus „Swiss Quiz“ und „Anrufen & Gewinnen“, aus denen sich ergibt, dass Anrufer in die Sendung gelangen, deren Stimme und Sprachmuster immer gleich klingen, die sich aber mit den verschiedenen Namen melden, als zulässige Meinungsäußerung dar.

Das Gericht wies selbstverständlich auch die Forderung, dass Doehler Mass Response Schadensersatz zahlen solle, zurück.

Dass die Richter die Versuche von Mass Response, eine kritische Auseinandersetzung mit ihren früheren Sendungen zu kriminalisieren, so eindeutig zurückwiesen, ist überraschend. Denn dieselbe Zivilkammer 25 hatte noch im Dezember 2009 auf Antrag von Mass Repsonse zwei einstweilige Verfügungen gegen Doehler sowie Holger Kreymeier, den Betreiber der Internetseite fernsehkritik.tv, erlassen, die ihnen all diese Formulierungen untersagte. Nach der Darstellung von Kreymeier hatte das Gericht ihm in der mündlichen Verhandlung sogar bedeutet, es habe keinen Zweck, dagegen vorzugehen. Kreymeier begrüßt entsprechend das Urteil, schimpft aber über die „offensichtliche Willkür“ des Landgerichts Hamburg.

Gegen Kreymeier ist noch ein ganz ähnliches Verfahren in München anhängig — dort klagt nicht Mass Response, sondern Primavera TV.

Mass Response ist mit dem Call-TV-Geschäft übrigens offenbar nicht glücklich geworden. Der „Standard“ berichtet, das Unternehmen habe 2009 mehr als drei Millionen Euro Verlust gemacht. Mit den Anrufsendungen habe das Unternehmen zudem nicht so viel Umsatz erwirtschaften können, wie sich die Telekom Austria, die es vor drei Jahren kaufte, erhofft hätte.

[Offenlegung: Die Firma Primavera TV ist auch gegen mich juristisch vorgegangen. Mehr dazu in den nächsten Tagen in diesem Blog.]

Die geheimnisvolle Fionnghuala

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Seit Anrufsendern, die gutgläubige Zuschauer in die Irre führen, Bußgelder drohen, ist das Geschäft fairer geworden – und schlechter. Dabei hat noch keiner bezahlt.

Heute würde es Schlag auf Schlag gehen. Kein Gerede, keine Verzögerungen, garantiert zwanzig Gewinner in fünfzehn Minuten. Dirk Löbling, der Animateur, der an diesem späten Donnerstagabend Dienst hat bei 9Live, scheint angemessen aufgeregt. So ein „Gewinner-Countdown“, erklärt er, sei „sehr speziell“. Und weil er von der Regie vorgegeben werde, könne man sich darauf verlassen, dass das damit verbundene Versprechen eingehalten werde.

Vierzehneinhalb Minuten später ist ein Gewinner gefunden. Es stehen noch 25 Sekunden auf der Uhr, es fehlen noch 19 Gewinner, und Löbling macht Geräusche und Gesten, die seine Fassungslosigkeit ausdrücken sollen. Wie soll das zu schaffen sein?

Es ging dann doch recht entspannt. Es stellte sich nämlich heraus, dass der Anrufsender bei seinem „Gewinner-Countdown“ nur die Zeit zählt, die er zählt. Bis die nächsten zwanzig Sekunden Spielzeit abgelaufen waren, verging eine Dreiviertelstunde, in der der Moderator sich zeitweise mit einem Menschen in seinem Ohr über die Blumen in der Studiodekoration unterhielt. Nach endlosen Minuten erbarmte er sich, zählte einen Countdown runter, dann lief der „Gewinner-Countdown“ wieder weiter, jemand wurde durchgestellt, nannte einen Beruf, der auf „-er“ endet, und gewann einen zweistelligen Eurobetrag. Es schien, als müsse man sofort anrufen, weil das Spiel sofort vorbei sei. Aber 9Live könnte im Notfall einen solchen „Gewinner-Countdown“ von wenigen Sekunden über Jahre strecken.
Sie machen sich immer noch einen Spaß – und vor allem natürlich: ein Geschäft – daraus, die Zuschauer in die Irre zu führen. Aber die Hoch-Zeiten des Call-TV sind vorbei, im Guten wie im Schlechten. Die Tricks, die 9Live heute einsetzt, sind vergleichsweise harmlos. Aber auch die Erlöse sind nicht mehr, was sie mal waren. Der Marktanteil des Senders liegt bei nur noch 0,1 Prozent – bei jüngeren Zuschauern ist er nicht mehr messbar. Für die Schwestersender Sat.1, Pro Sieben und Kabel 1 produziert 9Live noch Anrufsendungen tief in der Nacht; eine Sendung wie „Quiz Night“ auf Sat.1 läuft regelmäßig vor immerhin ein- bis zweihunderttausend Zuschauern – aber wer weiß, wie viele von denen wach sind.

Auch der Spartenkanal Sport 1 bessert sein Einkommen mit den Telefongebühren dummer Zuschauer auf und lässt werktags nachmittags zum Beispiel weibliche Vornamen mit „A“ am Ende raten (gesucht waren am Freitag: „Notburga, Immacolata, Inmaculada, Fatoumata, Fearchara, Femmechina, Fionnghuala, Flordeliza, Rizalia, Boglarka“). Aber Sender wie Super-RTL, MTV, Viva, Nickelodeon, Tele 5 und Das Vierte haben sich inzwischen von dem zwielichtigen Geschäft verabschiedet; in der Schweiz sorgte ein Gerichtsurteil für das abrupte Ende der Branche.

Warum das Geschäft nicht mehr so läuft? Die einfachste Erklärung ist, dass die Teilnehmer im Laufe der Zeit entweder zu klug oder zu arm geworden sind, um noch mitzumachen. Pro-Sieben-Sat.1 nennt in seinem Geschäftsbericht als Grund für die sinkenden Anruferzahlen und Erlöse „die Einführung einer neuen Gewinnspielsatzung der Landesmedienanstalten“. Neu daran waren weniger die Regeln, die Mindeststandards an Fairness und Transparenz sicherstellen sollen und in ähnlicher Form schon vorher galten; neu war die Möglichkeit, Bußgeld gegen Sender zu verhängen, die sich nicht an sie hielten.

Seit die Satzung vor eineinhalb Jahren in Kraft getreten ist, hat die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) der Medienanstalten 54 Beanstandungen ausgesprochen und Bußgeld in Höhe von 575 500 Euro verhängt, den größten Teil gegen 9Live. Die Mängel sind fast immer dieselben: Es sei unzulässig Zeitdruck aufgebaut, über die Auswahlverfahren und Einwahlchancen in die Irre geführt oder über den Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe getäuscht worden.

Dem 9Live-Animateur Jürgen Milski, der als „Big Brother“-Kandidat und Kumpel des selig vergessenen Ztlatko aufgefallen war, wurde jetzt eine besondere Ehre zuteil: Erstmals sprach die ZAK ein Bußgeld nicht nur gegen den Sender, sondern auch den Moderator persönlich aus. Gesucht waren: „Tiere mit Doppelbedeutung“. Keine einzige der achtzehn 9Live-Lösungen (darunter Holzbohrer, Feuerwalze, Perlhuhn, Rammbock) wurde erraten. Inwiefern es sich zum Beispiel beim Rammbock überhaupt um ein Tier handele, ließ der Sender offen. Milski erweckte dafür wiederholt den Eindruck, es handle sich um ein leichtes Spiel. „Normalerweise halten wir uns an die Geschäftsführung und den Sender, weil es um strukturelle Probleme oder seine Aufsichtspflicht geht“, sagt Axel Dürr, Sprecher der in der ZAK geschäftsführenden baden-württembergischen Landesmedienanstalt LfK. In diesem Fall aber habe es den Eindruck gegeben, dass Milski besonders eigenmächtig die Regeln brach.

Jeder dieser Bußgeldbescheide ist ein kleines Wunder, denn er ist das Ergebnis eines bürokratischen Kraftaktes: Die zuständige Landesmedienanstalt stellt einen Verstoß fest, gibt dem Sender Gelegenheit zur Stellungnahme, wertet sie und gibt den Fall an die Prüfgruppe der ZAK, die ihn an die eigentliche Kommission aus den 14 Direktoren der Medienanstalten weiterleitet, die über den Bußgeldbescheid entscheidet, dessen Ausstellung dann wieder der zuständigen Medienanstalt obliegt. Gegen den Bescheid kann der Sender Beschwerde einlegen, womit sich wiederum die Medienanstalt beschäftigt und dann erneut die ZAK.

Am Ende, wenn die Sender das Bußgeld nicht akzeptieren, geht es vor Gericht. Und weil das dauert und die Sender bislang gegen jede Beanstandung Beschwerde eingelegt haben, ist nach Auskunft von Dürr bislang kein Cent tatsächlich bezahlt worden. Gegen verschiedene Pflichten, die Spiele transparent und fair zu veranstalten, wehrt sich 9Live zudem mit einer Klage und bestreitet die Rechtmäßigkeit der Satzung insgesamt. In einzelnen Punkten gab ihm das Verwaltungsgericht München im vergangenen Jahr Recht, beide Seiten sind in Revision gegangen.

Trotz des langen, schwierigen Prozesses meint Dürr, dass die Satzung und die Bußgelder Wirkung gezeigt hätten. Neben den drohenden Kosten schmerze die Sender vor allem, dass die ZAK ihre Beanstandungen konsequent öffentlich macht. „Es ist immer noch nicht alles Gold, und wir lehnen uns nicht zurück, aber es hat sich einiges getan. Ein Großteil der Beanstandungen ist abgestellt worden.“ Tatsächlich warnt 9Live zum Beispiel regelmäßig, dass die Zuschauer auf ihr „Telefonverhalten“ achten sollen. Es läuft sogar immer wieder der Hinweis durchs Bild, dass die Chance, durchgestellt zu werden, nicht von der Zahl der angeblich offenen „Telefonleitungen“ abhänge – diesen Eindruck haben die Produzenten sonst immer gerne erweckt.

Auch Marc Doehler meint, es gebe „definitiv Fortschritte“. Er verfolgt mit anderen Verrückten seit Jahren die Call-TV-Programme und protokolliert den Ablauf in einem Forum (citv.nl). Es sind ausführliche und erschütternde Dokumente der Täuschungen und Lügen, die wohl einen wesentlichen Beitrag geleistet haben, die schlimmsten Auswüchse abzustellen. Viel weniger Regelverstöße entdeckt Doehler heute im Programm, auch weil nur noch eine Handvoll einfacher Spiele immer wieder wiederholt werde. Teilweise würden die Zuschauer zwar mit ausgeklügelten Tricks noch in die Irre geführt. Aber wer auf die idiotischen Aussagen der Moderatorinnen hereinfalle, die die Aufgabe, eine deutsche Stadt mit A an zweiter Stelle zu finden, als „ziemlich schwer“ bezeichnen, sei schon selbst schuld. Warum er trotzdem noch guckt? „Der Unterhaltungsfaktor ist immer noch groß“, gibt Doehler zu. „Und ehe ich mir ‚Frauentausch‘ ansehe…“

9Live möchte sich zu alldem nicht äußern, weil man „derzeit konstruktive Gespräche mit der ZAK“ führe. Deren Sprecher Dürr bestätigt, dass geredet wird: „Da ist Bewegung drin.“ Im September werde die ZAK eine Bilanz der Gewinnspielsatzung vorlegen, womöglich gäbe es bis dahin auch eine Absprache mit 9Live, die die endlosen Verfahren unnötig mache. Das Ziel beider Seiten sei dasselbe: dass weniger Bußgelder verhängt werden müssen.

Eine andere Auseinandersetzung mit Call-TV-Veranstaltern eskaliert dagegen gerade: Es geht um die Firmen Mass Response und Primavera, die mit besonders dubiosen Methoden unter anderem im Schweizer Fernsehen auffielen. Zu den Unregelmäßigkeiten, die von Beobachtern wie Doehler und der Seite fernsehkritik.tv dokumentiert wurden, gehört, dass Umschläge mit den Lösungen in der Live-Sendung plötzlich verschwanden und an anderer Stelle wieder auftauchten, was den Verdacht von Manipulationen nährte. Die Firmen bestreiten dies und gehen juristisch gegen die Kritiker vor. Einiges deutet darauf hin, dass es in den anstehenden Prozessen endlich nicht mehr um Formalien geht oder sich die Firmen mit einem Verwirrspiel um die Verantwortlichkeiten herausreden können, sondern sich die Gerichte in der Sache mit den Betrugsvorwürfen auseinandersetzen werden. [Nachtrag, 26. September: Bislang sind gerichtliche Verfahren, die von Primavera gegen diese Vorwürfe eingeleitet hat, zu Gunsten der Call-TV-Firma ausgegangen oder noch nicht rechtskräftig beendet.] Als Zeugen sind auch viele Producer und Moderatoren benannt, die die unwahrscheinlich klingenden Erklärungen der Produktionsfirmen plausibel machen sollen.

Der Countdown läuft.