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Warum „Bild“ nicht bei Blendle ist und der Löwe den Geiger gefressen hat

Wer übrigens fehlt im Blendle-Kiosk: die „Bild“-Zeitung.

Gut, das spricht eher für Blendle, ist aber erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Axel Springer gemeinsam mit der „New York Times“ drei Millionen Euro in das Start-Up investiert hat und dafür 23 Prozent der Anteile hält. Die Blendle-Gründer hatten im vergangenen Jahr, als Springer und „New York Times“ einstiegen, betont, die Verlage erhielten dafür keinerlei Vorzugsbehandlung, und so scheint es auch zu sein.

„Bild“ hatte nämlich, so erzählen es die Blendle-Leute, Sonderregelungen gefordert, um auf der Plattform präsent zu sein. Zum einen störte sich das Blatt an der Möglichkeit, Zeitungsausgaben kostenlos im verkleinerten Original-Layout durchblättern zu können. Weil bei „Bild“ die Fotos wichtiger seien als der Text, hätte man auf diese Weise schon umsonst das Wesentliche einer „Bild“-Ausgabe erfassen können. Blendle hätte die Fotos unscharf machen sollen.

Außerdem hat „Bild“ ein Problem mit der leserfreundlichen Blendle-Funktion, dass man für einen Artikel, den man innerhalb von zehn Sekunden nach dem Öffnen wieder schließt, nicht zahlen muss. Zehn Sekunden, so soll „Bild“ argumentiert haben, könnten schon reichen, um die meisten „Bild“-Geschichten zu lesen. Das hätte also bei dem deutschen Boulevardblatt auch abgestellt werden müssen.

Die Blendle-Leute lehnten die Sonderwünsche ab, und so ist „Bild“ – im Gegensatz zu „Bild am Sonntag“, wo die Texte länger sind oder die Chefredaktion entspannter und experimentierfreudiger – nicht auf Blendle vertreten. Zugegeben: „Bild“ kann vermutlich ebenso gut auf Blendle verzichten wie Blendle auf „Bild“.

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Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende von Axel Springer, kam gestern trotzdem zur Blendle-Launch-Party in Berlin. (Er war, so erzählte es Mit-Gründer Alexander Klöpping, auch der einzige Verleger, der das Team je in ihren Büros in Utrecht besucht hat.) Er hielt eine kurze Ansprache und erzählte dabei einen Löwen-Witz:

Sie kennen vielleicht die Erfahrung des berühmten Geigers, der eine Exkursion in Zentralafrika macht und sich plötzlich von einer Herde Löwen umringt sieht und merkt, er hat keine Chance wegzulaufen. Die Sache ist wirklich gefährlich für ihn. Also, sagte er, ich tue das, was ich immer am besten konnte, ich spiele einfach Geige. Also, er holt seine Geige aus der Kiste, spielt Mozart-Sonaten und in der Tat, die Löwen sind total überwältigt, gruppieren sich in einem Kreis um ihn herum und hören andächtig diesen Mozartsonaten zu. Also, er spielt immer weiter und weiter und besser und besser. Und irgendwann nach einer Stunde kommt von außen ein anderer Löwe rein gerannt, springt über die anderen Löwen drüber in die Mitte, zerfleischt den Geiger in wenigen Sekunden. Daraufhin sagt ein Löwe zum anderen Löwen, ich wusste doch, sobald der Taubstumme kommt, ist das Konzert hier vorbei.

Ich war ungefähr der einzige, der an dieser Stelle laut gelacht hat, aber auch eher aus Überraschung über die Pointe.

Seitdem frage ich mich: Was wollte uns der Verlagschef, Musikwissenschaftler und Germanist Dr. Mathias Döpfner mit dieser Fabel sagen? Behinderte machen immer die Stimmung kaputt?

Döpfner selbst hat direkt im Anschluss folgende Interpretationshilfe gegeben:

Das heißt, es ist eben wichtig, dass das, was wir tun, nicht nur uns gefällt, sondern dass es auch denjenigen gefällt, für die wir es machen.

Das klingt ein bisschen wie der endlos zitierte Privatfernsehenleitsatz von Helmut Thoma, wonach der Wurm dem Fisch schmecken müsse und nicht dem Angler, nur dass der bei Döpfner lauten würde, dass der Wurm nicht nur dem Angler schmecken müsse, sondern auch dem Fisch, was ein bisschen eklig klingt. Vor allem aber ist in seiner Geschichte ja der Geiger der Wurm. Quasi.

Vielleicht ist es auch so gemeint, dass der Geiger der Journalismus ist, der gerade kurz davor ist, gefressen zu werden, aber um sein Leben spielt und so die, die es zu schätzen wissen, wenigstens noch eine Weile glücklich macht, bis der Google-Löwe kommt und ihn am Ende doch noch frisst. Steckt da irgendeine Mahnung, eine Lehre drin, etwas, das der Geiger tun könnte, um nicht gefressen zu werden, oder die Löwen? Ha, ich hab’s: Die anderen Löwen, also das Publikum, denen doch das Geigenspiel, also der Journalismus, gefällt, die können nicht einfach nur genießen, sondern müssen auch bezahlen, damit der Geiger sich ein schnelles Auto kaufen kann, um vor dem taubstummen Löwen zu fliehen!

Oder, ganz anders, die Theorie von Lukas: Die Löwen sind in Wirklichkeit sehr schlechte Geiger-Zähler und kommen nicht mal bis Eins. Der Taubstumme aber kann viel besser zählen (weil er ja mit seinen Pfoten kommuniziert, an denen vier … Finger sind), deswegen ist er schnell gelangweilt und will lieber was essen. Behinderung als Supermacht!

Oder hat jemand eine noch bessere Erklärung?

Google bekommt Vorzugsbehandlung von Axel Springer

Der Axel-Springer-Konzern diskriminiert kleinere Suchmaschinen und Aggregatoren. Das Unternehmen hat heute verkündet, Google die Erlaubnis gegeben zu haben, Ausschnitte aus den Inhalten sämtlicher Internetangebote des Unternehmens kostenlos in den Suchergebnissen anzuzeigen. Diese sogenannte „Gratis-Lizenz“ betrifft aber, wie mir der Verlag auf Anfrage mitteilte, ausschließlich Google. Andere, kleinere Anbieter müssen nach wie vor eine in der Regel kostenpflichtige Lizenz erwerben, wenn sie kurze „Snippets“ mit Textausschnitten anzeigen wollen, oder riskieren eine juristische Auseinandersetzung mit Springer oder der von Springer dominierten Verwertungsgesellschaft VG Media.

Anderen Anbietern erteile Springer keine kostenlose Lizenz, weil sie „keine marktbeherrschende Stellung haben“, erklärte eine Verlagssprecherin. „Aufgrund des geringen Marktanteils anderer sind wir nicht gezwungen, auch dort so vorzugehen.“

Ursprünglich hatten eine Reihe von Verlagen der Leistungsschutzrecht-Allianz für die Anzeige der „Snippets“ von Google Geld gefordert. Google reagierte darauf mit der Ankündigung, in den Ergebnislisten von solchen Angeboten nur noch die Überschrift zu zeigen, was auch nach dem neuen Presse-Leistungsschutzrecht unzweifelhaft kostenlos zulässig ist. Die meisten Verlage ruderten daraufhin zurück und erklärten, vorerst auf ihren vermeintlichen Anspruch auf Bezahlung zu verzichten.

Nur Springer gab für einen Teil seiner Online-Angebote zunächst keine solche Verzichtserklärung ab. In der Folge brach die Zahl der Zugriffe auf diese Seiten nach Angaben von Springer über die Google-Suche um 40 Prozent ein. Auf Dauer hätte das jährliche Umsatzeinbußen in Millionhöhe pro Marke bedeutet.

Nun darf Google diese kostenlose Leistung, die für die Springer-Angebote extrem wertvoll ist, wieder erbringen. Springer verzichtet also darauf, Geld von einem Unternehmen dafür zu verlangen, dass es ihm einen wesentlichen Teil seines Umsatzes beschert.

Der Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner kommentierte das in einer Telefonkonferenz, die aus seinem Paralleluniversum übertragen wurde, mit den Worten:

„Das ist vielleicht der erfolgreichste Misserfolg, den wir je hatten. So traurig es ist, aber wir wissen jetzt sehr präzise, wie massiv die Folgen der Diskriminierung sind, wie sich die Marktmacht von Google tatsächlich auswirkt und wie Google jeden bestraft, der ein Recht wahrnimmt, das der Deutsche Bundestag ihm eingeräumt hat.

Der Deutsche Bundestag hat den Verlagen tatsächlich das Recht eingeräumt, für kleinere Textausschnitte von Suchmaschinen Geld zu verlangen. Es hat nach allgemeiner Rechtsauffassung Suchmaschinen aber nicht dazu verpflichtet, diese Textausschnitte auch anzuzeigen, wenn sie kostenpflichtig sind.

Dadurch dass Springer und andere Verlage ausschließlich Google eine Gratis-Lizenz erteilt haben, werden andere Suchmaschinen und Aggregatoren benachteiligt. Sie müssten aufgrund dieser Diskriminierung entweder Geld an die Verlage zahlen oder, anders als Google, darauf verzichten, das Angebot deutscher Verleger-Medien ohne Einschränkungen in ihren Suchergebnissen anzuzeigen. Der Axel-Springer-Konzern trägt somit seinen Teil dazu bei, die Marktmacht von Google, die er beklagt, weiter zu vergrößern.

Nachtrag, 9. November. Christoph Keese, Außenminister bei Springer und der wichtigste Vater des Leistungsschutzrechtes, erwidert in seinem Blog:

(…) Die VG Media kann den kleineren Suchmaschinen gar keine Gratislizenzen einräumen, denn sie ist gesetzlich dazu verpflichtet, den genehmigten Tarif durchzusetzen. Nach dem Tarif — aber nur nach ihm! — muss sie alle Marktteilnehmer gleich behandeln. Es besteht Kontrahierungspflicht.

Die Gratislizenz an Google wurde jedoch gegen den Willen der VG Media und der Verlage erteilt — wegen des missbräuchlichen Drucks des Marktbeherrschers. Sie ist das Ergebnis einer Nötigung.

Kleinere Suchmaschinen sind aber keine Marktbeherrscher. Folglich können sie Verlage und VG Media nicht nötigen. Ohne Nötigung aber darf die VG Media nur auf Basis des staatlich genehmigten Tarifs gleichbehandeln. Mithin ist eine Gratislizenz an die kleineren Suchmaschinen nicht möglich. (…)

… bis der erste ernstzunehmende Politiker die Zerschlagung Googles fordert

Mittwoch, 16. April. Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender von Axel Springer, schreibt in der „FAZ“ an den Verwaltungsratsvorsitzenden von Google, Eric Schmidt:

Ein anderer Weg wäre die freiwillige Selbstbeschränkung des Siegers. Ist es wirklich klug, zu warten, bis der erste ernstzunehmende Politiker die Zerschlagung Googles fordert?

Donnerstag, 17. April. Rainer Brüderle, der frühere Bundeswirtschaftsminister (FDP), fordert im „Handelsblatt“:

Zerschlagt Google!

Na, da scheint Google ja noch ein bisschen Zeit zu haben.

Was die Zahl von 47.000 digitalen „Welt“-Abonnenten wirklich aussagt

Gibt es in Deutschland genug Menschen, die bereit sind, für Journalismus im Internet zu zahlen? Die Branche wartet ungeduldig auf Indizien. Die Axel Springer AG tut so, als würde sie sie endlich liefern.

„Bereits mehr als 47.000 zahlende digitale Abonnenten“ habe die „Welt“, gab das Unternehmen gestern bekannt. Die Pressestelle nannte das einen „Meilenstein“. „Welt“-Chefredakteur Jan-Eric Peters sprach von einer „richtig guten Zahl“.

Aber das heißt ja nichts.

47.000 klingt nach einer sehr hohen Zahl — im Vergleich zu der Zahl der Abonnenten der gedruckten „Welt“, die nur doppelt so hoch liegt, und angesichts der nur sechs Monate, seit die „Welt“ ihre Online-Inhalte für häufige Benutzer kostenpflichtig gemacht hat.

Aber was bedeutet sie wirklich? Die Axel Springer AG macht keine genauen Angaben, wie sich die Zahl zusammensetzt. Man kann das natürlich als Zeichen werten, dass Details das Bild einer Erfolgsgeschichte nur unnötig trüben würden.

Interessant wäre zum Beispiel, wie viele Menschen über eines der Paket-Angebote (Bundles) mit einem iPad Mini zu „Welt“-Digital-Abonnenten wurden. Aktuell lockt das Blatt mit einem Preisvorteil von „über 800 €“, wenn man das iPad für 19,99 Euro monatlich mit einem Zwei-Jahres-Abonnement von „Welt Digital komplett“ sowie „Welt“ und „Welt am Sonntag“ als E-Paper bestellt.

Aber es geht noch besser: Anfang Mai konnte man zum Beispiel ein iPad-Mini samt „Welt Digital komplett“ für monatlich 14,99 Euro bekommen. Das entsprach über zwei Jahre Mindestlaufzeit einem Preis von gerade einmal 1,25 Euro im Monat für das „Welt“-Abo. Oder wie es ein Kommentator auf der Schnäppchen-Seite treffend formulierte:

Das ipad wird praktisch mit 0,0 % finanziert! Und man bekommt das Abo noch umsonst dazu!

Es ist natürlich legitim, mit solchen Angeboten Kunden zu locken, und womöglich ist es sogar wirtschaftlich oder wenigstens strategisch sinnvoll. Nur lassen sich Menschen, die unter solchen Bedingungen gratis ein journalistisches Produkt abonnieren, um günstig in den Besitz eines Computers zu kommen, schwerlich als Beleg dafür nehmen, dass es, wie Springer formuliert, „eine Zahlungsbereitschaft für Journalismus auch in der digitalen Welt gibt“.

Wie viele der 47.000 Digital-Abonnenten der „Welt“ solche Käufer eines subventionierten iPad-Paketes sind, verrät Springer nicht. Auf Nachfrage erklärt eine Sprecherin nur:

Wir freuen uns, dass wir schon drei starke Vertriebskanäle entwickeln konnten, über die wir die 47.000 digitalen Abonnenten gewonnen haben: unsere eigene Webseite, die Stores mit Apples iTunes an der Spitze und Hardware-Bündel. Die iPad-Mini-Aktion trägt einen wesentlichen Teil zum Erfolg der dritten Säule bei.

Jan-Eric Peters hauchkonkretisierte das auf seiner Facebook-Seite mit der vagen Formulierung, der „Abo-Erfolg“ sei nicht „hauptsächlich“ dem iPad-Mini-Angebot zu verdanken.

Ein weiterer erheblicher Teil der 47.000 Abonnenten wird noch in der einmonatigen Probephase sein und bloß 99 Cent gezahlt haben. Angeblich entscheiden sich drei Viertel der Nutzer nach dem Test für die teurere Fortführung des Abonnements.

Unerwähnt bleibt in den Erfolgsmeldungen zudem, dass bei den 47.000 Digital-Abonnenten auch diejenigen mitgerechnet sind, die keines der Pakete abgeschlossen haben, die es seit einem halben Jahr gibt und zwischen 4,99 Euro und 14,99 Euro monatlich kosten. Als „Abonnent“ zählt nämlich auch, wer sich nur die deutlich billigere Smartphone-App leistet (1,79 Euro im Monat oder, inklusive „Welt kompakt“-PDF, 3,59 Euro im Monat).

Nach Angaben einer Sprecherin machen diese Kunden „nur einen sehr kleinen Teil der Abonnenten aus“. Wie klein, sagt sie nicht. Die häufigsten In-App-Käufe in der Smartphone-App sind allerdings im iTunes-Store solche 1,79-Euro-Angebote.

Angesichts all dieser Einschränkungen und Unbekannten: Sind 47.000 Abonnenten eine gute Zahl?

Im Mai 2010 kam das iPad in Deutschland auf den Markt. Ein halbes Jahr später behauptete Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner, dass allein die „Welt High Definition“-App schon „viele Tausende von zahlenden Abonnenten“ für 11,99 Euro im Monat habe.

Vor zwei Jahren, im August 2011, gab Springer bekannt, dass die „Welt“ täglich knapp 17.000 digitale Ausgaben verkaufe, davon mehr als die Hälfte über das iPad. Die Kategorien „digitale Ausgaben“ und „digitale Abonnements“ sind nach Ansicht von Springer nicht vergleichbar. „Die Zahl der digitalen Ausgaben wäre heute natürlich deutlich höher als die Zahl digitaler Abonnenten“, heißt es. Andererseits bedeutete die frühere Messgröße offenbar, dass sich am konkreten Tag jemand für eine digitale „Welt“-Ausgabe entschieden hat, während er heute schon zählt, wenn bloß sein Abo weiter läuft.

Es spricht einiges dafür, dass die Zahl 47.000 nicht so imposant ist, wie sie klingt. Aber sie lässt sich nicht seriös bewerten, weil die Axel Springer AG, wie es ihrer Geschäftskultur entspricht, keine detaillierten, nachvollziehbaren Angaben macht, sondern bloß eine Black Box in den Raum stellt, deren Größe eindrucksvoll, deren tatsächlicher Inhalt aber unbekannt ist. Für Pressemitteilungsabschreiber reicht das natürlich.

Seit fast zehn Jahren verschweigt das Unternehmen, wie viele Exemplare es von seiner Light-Zeitung „Welt kompakt“ verkauft und wie viele noch von der Vollfett-„Welt“, und gibt nur eine Gesamtauflage an. Es wäre abwegig, ausgerechnet von diesem Laden zu erwarten, dass er brauchbare, transparente Antworten auf die Frage liefert, in welchem Maß die Menschen in Deutschland bereit sind, für Journalismus im Netz zu bezahlen.

Ein Kartell nutzt seine Macht: Wie die Verlage für das Leistungsschutzrecht kämpfen

Es ist kein Spaß, sich mit dem Kartell aller großen Häuser anzulegen. Wer will Springer, Burda, „Süddeutsche“, „FAZ“, DuMont und die „WAZ“-Gruppe gegen sich haben? Natürlich sagen Mathias Döpfner, Frank Schirrmacher oder Hubert Burda ihren Redakteuren nicht, was sie schreiben sollen. Das wissen die schon von allein.

(Jakob Augstein)

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Morgen Demnächst will das Bundeskabinett über ein Presse-Leistungsschutzrecht entscheiden. Wenn man den Verlagen glaubt — wozu kein Anlass besteht — geht es um nichts weniger als um Leben und Tod der freien Presse in Deutschland.

Seit gut dreieinhalb Jahren kämpfen die Verlage öffentlich für ein solches Recht, mit dem die geschäftliche Nutzung ihrer frei zugänglichen Inhalte im Internet lizenzpflichtig gemacht werden soll. Ursprünglich sollte schon das Lesen von Online-Medien auf geschäftlichen Computern Geld kosten; inzwischen ist nur noch eine Lex Google übrig geblieben, die Suchmaschinen dafür zahlen lassen will, dass sie kurze Anrisse aus Verlagstexten zeigen, um Nutzer zu deren Seiten zu leiten.

Es sieht im Moment nicht so aus, als ob die Geschichte, wie die Verlage die Bundesregierung dazu brachten, ihre Rechte und potentiell ihre Einnahmen durch ein neues Gesetz deutlich auszuweiten, am Ende aus Verlagssicht eine Erfolgsgeschichte sein wird. Sie ist trotzdem ein Lehrstück: Dafür, wie die führenden deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenverlage ein politisches Klima herstellten, in dem ein solches Gesetz notwendig erschien, und wie sie ihre publizistische Macht dazu benutzten, ihre politische Lobbyarbeit zu unterstützen. (mehr …)

Perpetuum Mobile

Am vergangenen Montag, 2. Januar, berichtete „Spiegel Online“ exklusiv:

Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE telefonierte Wulff auch mit dem Vorstandsvorsitzenden der Springer AG, Mathias Döpfner, um diesen zu bitten, bei Diekmann Einfluss zu nehmen. Doch der Konzernchef, in dessen Haus die „Bild“ erscheint, soll ihm in knapper Form beschieden haben, sich nicht in die Belange der Redaktion einmischen zu wollen.

Der Springer-Verlag antwortete zunächst nicht auf eine Anfrage von SPIEGEL ONLINE, ob es ein Telefonat mit Döpfner gab. Am Nachmittag bestätigte dann der Verlag den Gesprächsversuch Wulffs mit dem Vorstandschef.

Was danach geschah:

dapd, 2. Januar, 16:14:

Wulff intervenierte auch bei Springer-Chef Döpfner wegen Artikel

(…) Wulff habe neben dem Chefredakteur der „Bild“-Zeitung, Kai Diekmann, auch beim Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer AG, Mathias Döpfner, interveniert, sagte ein Sprecher des Konzerns am Montag der Nachrichtenagentur dapd.

Er bestätigte damit einen Bericht von „Spiegel Online“. (…)

epd, 2. Januar, 16:16:

„Süddeutsche Zeitung“: Wulff rief auch bei Springer-Chef Döpfner an

München (epd). Bundespräsident Christian Wulff hat nach Informationen der „Süddeutschen Zeitung“ auch mit einem Anruf beim Vorstandsvorsitzenden des Springer-Verlages, Mathias Döpfner, versucht, die Berichterstattung der „Bild“-Zeitung über die Finanzierung seines Privathauses zu verhindern. „Es ist korrekt, dass der Bundespräsident auch Mathias Döpfner in dieser Angelegenheit angerufen hat und es ist auch korrekt, dass Herr Döpfner auf die Unabhängigkeit der Redaktion hingewiesen hat“, heiße es in einer schriftlichen Stellungnahme des Verlages, aus der die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrer Dienstagsausgabe zitiert. (…)

dpa, 2. Januar, 17:39:

Wulff wollte „Bild“-Bericht verhindern – Kritik und Protest

(…) Wie die „Bild“-Zeitung am Montag bestätigte, versuchte Wulff persönlich, die erste Veröffentlichung von Recherchen zur Finanzierung seines Privathauses zu verhindern. Bei „Bild“- Chefredakteur Kai Diekmann habe er mit strafrechtlichen Konsequenzen für den verantwortlichen Redakteur gedroht. Auch bei Springer-Chef Mathias Döpfner intervenierte Wulff erfolglos. Das bestätigte der Verlag. (…)

dpa, 3. Januar, 15:37:

Der öffentliche Druck auf Wulff wird stärker

Berlin (dpa) – Wegen eines umstrittenen Kredits und seines Umgangs mit den Medien gerät Bundespräsident Christian Wulff immer mehr unter Druck. Ein Rückblick:

12. Dezember 2011: Bundespräsident Wulff besucht die Golfregion und versucht, „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann zu erreichen, um die Veröffentlichung von Recherchen zur Finanzierung seines Privathauses zu verhindern. Bei Springer-Chef Mathias Döpfner ruft er ebenfalls an – und laut einem Bericht auch bei Springer-Mehrheitsaktionärin Friede Springer. (…)

epd, 4. Januar, 8:47:

(…) Seitdem nach dem Jahreswechsel öffentlich wurde, dass der Bundespräsident „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann sowie Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner angerufen hatte, um Berichterstattung über den Kredit zu verhindern, verschärfte sich der öffentliche Druck auf Wulff noch einmal deutlich. (…)

dpa, 4. Januar, 18:56:

Bundespräsident Christian Wulff hat ARD und ZDF am Mittwoch ein Interview gegeben. (…)

Ulrich Deppendorf: „Jetzt kommen wir mal zu den Kritikpunkten, die Ihnen vorgeworfen werden. Sie sind in den letzten Tagen besonders in die Kritik geraten wegen der Anrufe bei dem Chefredakteur der „Bild“-Zeitung, Kai Diekmann, und bei dem Vorstandsvorsitzenden des Springer-Konzerns, Herrn Döpfner. Ihnen wird Verletzung des Grundrechts der Pressefreiheit vorgeworfen. Sie sollen auf dem Band beide Herren bedroht haben. Sie sprechen von Krieg führen, vom endgültigen Bruch. (…)“

epd, 5. Januar, 8:57:

(…) Seitdem nach dem Jahreswechsel Wulffs Anrufe bei Diekmann sowie Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner bekanntgeworden waren, hatte sich der öffentliche Druck auf den Präsidenten noch einmal deutlich erhöht. (…)

dpa, 6. Januar, 15:20

„Bild“ contra Wulff – ein Rückblick

Berlin (dpa) – Es war ein Bericht der „Bild“-Zeitung, der Bundespräsident Christian Wulff Mitte Dezember in Erklärungsnot brachte. Jetzt streiten beide über einen ominösen Telefonanruf. Ein Rückblick:

12. Dezember 2011: Bundespräsident Wulff besucht die Golfregion und versucht, „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann zu erreichen, um die Veröffentlichung von Recherchen zur Finanzierung seines Privathauses zu verhindern. Bei Springer-Chef Mathias Döpfner ruft er ebenso an. (…)

Reuters, 7. Januar, 17:58:

Spiegel – Wulff soll auch Springer-Chef Döpfner gedroht haben

Berlin, 07. Jan (Reuters) – Bundespräsident Christian Wulff soll einem Medienbericht zufolge neben dem „Bild“-Chefredakteur auch Springer-Verlagschef Mathias Döpfner mit scharfen Worten gedroht haben, um die Veröffentlichung eines Berichts über seine Kreditaffäre zu verhindern. (…)

dapd, 7. Januar, 18:08:

Spiegel: Wulff soll auch Springer-Chef Döpfner gedroht haben

Berlin (dapd). Bundespräsident Christian Wulff soll auch Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner gedroht haben. (…)

dpa, 7. Januar, 18:34:

„Spiegel“: Wulff soll auch Döpfner gedroht haben

Berlin (dpa) – In der Affäre um einen Anruf von Bundespräsident Christian Wulff beim Chefredakteur der „Bild“-Zeitung, Kai Diekmann, kommen weitere Details ans Licht. Nach Informationen des Nachrichten-Magazins „Der Spiegel“ soll Wulff dem Vorstandsvorsitzenden des Springer-Verlags, Mathias Döpfner, mit ähnlichen Worten gedroht haben wie dem „Bild“-Chef. Eine Stellungnahme des Präsidialamtes war am Samstagabend zunächst nicht zu erhalten, ebenso wenig vom Springer-Verlag. (…)

dpa, 7. Januar, 19:22

Springer bestätigt Bericht über Wulff-Drohung bei Döpfner

Berlin (dpa) – Der Springer-Verlag hat einen Medienbericht bestätigt, demzufolge Bundespräsident Christian Wulff in der Kreditaffäre auch Verlagschef Mathias Döpfner gedroht haben soll. „Wir können die Darstellung des „Spiegels“ bestätigen, wollen das aber nicht weiter kommentieren“, sagte der für die „Bild“-Zeitung zuständige Sprecher Tobias Fröhlich am Samstagabend auf Anfrage. (…)

dapd, 7. Januar, 19:36:

Wulff soll auch Springer-Chef Döpfner gedroht haben
(Neu: Bestätigung Verlagssprecher) (…)

„Spiegel Online“, aktuell:

Döpfners rote Linie

Es ist weniger ein Interview, das die „Süddeutsche Zeitung“ mit Mathias Döpfner geführt hat, als eine Möglichkeit für ihn, ausführlich und ungestört durch kritische Nachfragen die eigene Position darzustellen. Das ist vielleicht kein Zufall, denn die „Süddeutsche Zeitung“ klagt mit der Axel-Springer-AG, deren Vorstandsvorsitzender Döpfner ist, (und anderen Verlagen, darunter auch dem der FAZ, für die ich regelmäßig arbeite) gegen die kostenlose „Tagesschau“-Anwendung für iPhone und iPad.

Döpfner sagt, die ARD habe mit der „Tagesschau“-App (Abb.) eine „rote Linie“ überschritten. Das ist bemerkenswert, denn es gibt andere Stellen, an denen sich eine solche Grenze deutlich klarer ziehen ließe. Man könnte zum Beispiel, wenn man wollte, argumentieren, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Internet gar nichts zu suchen haben. Man könnte auch sagen, dass sie im Internet nur Videos und Audio-Aufnahmen publizieren dürfen, wahlweise mit der Einschränkung, dass die auch im Radio oder Fernsehen gelaufen sein müssen. Für Döpfner sind das aber bestenfalls andersfarbige Linien.

Die Grenze zieht er dort, wo die ARD Inhalte aus ihrem Internetangebot in einer für Tablets und Smart Phones optimierten Version anbietet. Das Kriterium gibt ihm die „SZ“ freundlicherweise in der Frage vor:

Markiert die Selbstverständlichkeit, mit der auf einem Markt überwiegend bezahlter Angebote ein kostenloses Produkt eingebracht wird, für Sie die Grenze der zumutbaren Aktivitäten von ARD und ZDF?

Döpfner bejaht.

Das ist ein erstaunlich komplexes Kriterium für eine „rote Linie“. Die Grenze besteht darin, dass es um einen Markt geht, in dem angeblich die Mehrheit der Anbieter Geld für etwas nimmt, das die „Tagesschau“ aufgrund ihrer Gebührenfinanzierung kostenlos anbieten kann. Natürlich hat das Angebot von tagesschau.de auch dann einen Wettbewerbsvorteil, wenn man es über einen Internet-Browser aufruft, weil es sich nicht durch Werbung finanzieren muss. Aber das Internet scheint Döpfner als Medium, in dem eine „Gratiskultur“ herrsche, ohnehin abgeschrieben zu haben. Auf Smartphones oder Tablets werde dagegen bezahlt, „für jedes Telefonat, jede SMS, MMS, für Apps“. Kostenlose Angebote wie das der „Tagesschau“ bedrohen nach dieser Logik die Bezahlkultur auf iPhone und iPad insgesamt und jedes einzelne kostenpflichtige Nachrichtenangebot.

Die Argumentation würde umgekehrt bedeuten, dass es tagesschau.de als kostenloses Angebot auch im Internet-Browser nicht geben dürfte, wenn es Döpfner und seinen Leuten gelungen wäre oder noch gelänge, eine umfassende Bezahlkultur im Internet zu etablieren, was vielleicht schon eine Ahnung davon vermittelt, wie wenig tragfähig diese Argumentation ist.

Schon eine einzige kostenlose App wie die der „Tagesschau“, suggeriert Döpfner, kann ein ganzes Geschäftsmodell zerstören. Aber wenn sich allein über den Preis solche erstaunlichen Nutzerzahlen erreichen lassen, ist das natürlich eine verführerische Nische auch für einen privaten Wettbewerber. In einer Welt voller kostenpflichtiger Apps kann es sich lohnen, der eine zu sein, der kostenlos ist und sich dank enormer Reichweite mit Werbung refinanzieren kann. Selbst wenn es Döpfner und seinen Mitstreitern gelänge, die „Tagesschau“ aus dem Wettbewerb im App-Store zu verbannen, wäre das ein erhebliches Risiko.

Schon vor eineinhalb Jahren hatte Döpfner die „Tagesschau“-App mit dem Verlust von „Tausenden Arbeitsplätzen in der Verlagsbranche“ in Verbindung gebracht. Er hat seine These seitdem eher noch weiter zugespitzt. Im Grunde scheint das Überleben des gesamten Qualitätsjournalismus jenseits öffentlich-rechtlicher Anstalten von der Finanzierung durch Apps abzuhängen: „Es geht schlicht um die Frage“, sagt er, „ob Qualitätsjournalismus als Geschäftsmodell noch Bestand haben wird.“ Auf Papier allein werde er sich nicht mehr finanzieren lassen, im Internet herrscht die angebliche Kostenloskultur, bleiben nur die Apps.

So wie er es schildert, ist es extrem schwierig, in Zukunft überhaupt noch guten Journalismus unter kommerziellen Bedingungen zu produzieren. Daraus schließt er, dass der Staat alles tun muss, um jedes potentielle Hindernis für die Verlage (die wohl synonym sind mit Produzenten hochwertiger journalistischer Inhalte) auszuräumen. Das hat natürlich eine gewisse Logik. Es hat aber auch einen großen Haken. Niemand, auch nicht Döpfner, kann garantieren, dass das Katastrophenszenario, das er beschreibt, nicht trotzdem eintritt, obwohl die „Tagesschau“ und ähnliche öffentlich-rechtliche Angebote verboten werden.

Es gäbe natürlich eine andere Antwort auf die Herausforderung, die Döpfner beschreibt. Wenn unklar ist, wie sich unter den Bedingungen der digitalen Welt überhaupt hochwertiger Journalismus finanzieren lässt und ob Verlage nicht womöglich massenhaft eingehen, obwohl die kostenlose „Tagesschau“-App verboten wurde, ist es aus gesellschaftlicher Sicht doch begrüßenswert, sich wenigstens darauf verlassen zu können, öffentlich-rechtliche Anbieter die Menschen gut informieren.

Döpfners Katastrophenszenario verschafft ARD und ZDF im Netz eine neue mögliche Legitimation, genau genommen die alte: durch verlässlich und von allen gemeinsam finanzierte Medien eine umfassende Grundversorgung sicherzustellen, selbst wenn die privaten Anbieter in schlechten Zeiten oder aus grundsätzlichen Problemen das nicht in befriedigendem Maße tun können. Aber das habe ich ja alles schon mal geschrieben.

Es ist bemerkenswert, in welchem Maß Döpfner die „rote Linie“, die ARD und ZDF keinesfalls überschreiten dürfen, davon abhängig macht, was private Unternehmen tun. Die Grenze soll davon abhängen, welche Refinanzierungsmodell die Mehrheit der Unternehmen in einem noch extrem jungen und beweglichen Markt wie dem der Nachrichten- und Medien-Apps wählt. Das Bundesverfassungsgericht, das mit seinen Rundfunkurteilen das Duale System in Deutschland maßgeblich gestaltet hat (weil die Politik es noch nie konnte oder wollte), hat die Rechte von ARD und ZDF aber immer aus sich selbst heraus definiert. Was Unternehmen, die sich mit journalistischen Inhalten unter kommerziellen Bedingungen auf einem Markt bewähren müssen, unter bestimmten Umständen zu leisten vermögen, war für das Gericht bislang ausdrücklich nicht entscheidend, weil es keine Gewähr dafür gab. Ich wüsste gerne, woher die Verlage den Optimismus nehmen, dass das Bundesverfassungsgericht in diesem Fall plötzlich anders urteilen sollte.

Döpfner und seine Mitstreiter sind nicht zu beneiden. Sie müssen argumentieren, dass es erst die App der „Tagesschau“ war, durch die die ARD eine endgültige Grenze überschritten hat, weil sie es versäumt haben, schon gegen das Internet-Angebot tagesschau.de vorzugehen. Dabei verstößt auch das ihrer Meinung nach gegen den Rundfunkstaatsvertrag, weil es nicht nur Videos, sondern auch Artikel enthält. (Nach Ansicht des FDP-Medienpolitikerclowns Burkhardt Müller-Sönksen handelt es sich deshalb um eine „Printausgabe“ der „Tagesschau“.)

Die Konzentration auf die Kostenlosigkeit der „Tagesschau“-App führt zu schmerzhaften Verrenkungen der Verleger. Springers Außenminister Christoph Keese sagt: „Im Supermarkt kann man für den Joghurt auch keinen Euro nehmen, wenn daneben kostenlose Ware steht.“ Dem ist gleich zweierlei zu erwidern: Erstens, natürlich kann man. Wenn der eigene Joghurt besser ist als das Gratis-Angebot oder auch nur einzigartig. Menschen bezahlen für Zeitungen, obwohl es vielfältige Möglichkeiten gibt, sich kostenlos zu informieren — weil sie die besondere Qualität von Zeitungen insgesamt oder ihrer Stammzeitung zu schätzen wissen. Und zweitens: Wenn Keese Recht hätte, könnte er seine Joghurtproduktion gleich dichtmachen. Es wird immer jemanden geben, der Nachrichten kostenlos im Netz oder auf Smartphones anbietet. Ich fürchte, ein Geschäftsmodell, das nur funktioniert, wenn alle Konkurrenten mitmachen und niemand andere Wege nutzt, den Joghurt zu finanzieren, ist kein Geschäftsmodell.

Die „Tagesschau“ ist nicht die einzige kostenlose Anwendung, die den kostenpflichtigen Verlagsangeboten im App-Store Konkurrenz macht. Auch der Fernsehsender n-tv bietet gratis eine, Müller-Sönksen würde sagen: dicke Printausgabe an. Nun ist es natürlich in vielerlei Hinsicht ein Unterschied, ob ein privatwirtschaftliches Unternehmen einen solchen Schritt geht oder eine durch „Zwangsgebühren“ finanzierte Anstalt. Aber wenn Döpfner und Keese mit ihrer Alles-oder-nichts-Argumentation Recht hätten, wäre das Ergebnis dasselbe: der Tod des Qualitätsjournalismus.

Ich weiß nicht, wie die Gerichte entscheiden werden. Aber ich bin mir sicher, die rote Linie, die Döpfner da auf den Boden gemalt hat, ist keine.

PS: Auf meinem iPad ist die angeblich kostenpflichtige „Welt HD“-App aus dem Hause Springer installiert. Das Abo ist angeblich „seit 28. Oktober 2010“ abgelaufen. Aber die App funktioniert. Ist das auch eine Form von Gratiskultur? Und versündige ich mich am Qualitätsjournalismus, wenn ich die App trotzdem benutze? (Zahlen würde ich dafür allerdings nicht.)

Kurz verlinkt (45)

Trotzdem betrachtet etwa „Springer“-Chef Matthias Döpfner direkte Bezahlung für werbefinanzierte Inhalte als gewissermaßen gottgegebenes Vorrecht, das auch für Verlage gelten müsse. Im Gespräch mit dem „manager magazin“ sprach er im Zusammenhang mit kostenlosen Inhalten im Netz von „abstrusen Phantasien spätideologisch verirrter Web-Kommunisten“. Dass journalistische Angebote online fast ausschließlich kostenlos verbreitet werden, sei ein „Unsinn“. Springer sei aber „nicht groß genug“ gewesen, „um diesen Wahnsinn allein zu stoppen“.

Döpfner sagte nicht, ob er auch die Anteilseigner der ProsiebenSat.1 Media AG für Wahnsinnige hält. Oder die Eigentümer der RTL Group. Wo die doch seit Jahrzehnten die Kostenloskultur des privaten Rundfunks nähren mit ihren Angeboten. Springer selbst besitzt Anteile an mehreren Privatradiosendern.

„Spiegel Online“-Redakteur Christian Stöcker entlarvt die Quatsch-Argumentation von Mathias Döpfner.

Warum Paid-Content-Versuche gut sind

„Wir müssen als Verleger alles versuchen, um eine Wirtschaftsgrundlage für die digitale Welt zu schaffen.“

Das hat Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende der Axel-Springer-AG, nicht gesagt. Gesagt hat er:

„Wir haben als Verleger geradezu eine heilige Verantwortung, alles zu versuchen, um eine Wirtschaftsgrundlage für die digitale Welt zu schaffen.“

So groß ist die Hybris dieser Menschen. So ungetrübt ihr Glaube an das Heilsbringende, das geradezu Göttliche der eigenen Existenz.

In einem Interview mit der „FAZ“ kündigte Döpfner am Freitag an, bei den Online-Auftritten der Regionalzeitungen des Verlages ein „Freemium-Modell“ einzuführen:

„Allgemeine Nachrichten sind für den Leser gratis, Premiuminhalte kosten Geld. Wer etwa die Exklusivgeschichte aus der Stadtverordnetensitzung lesen möchte, das Archiv oder den Staumelder nutzen will, muss zahlen.“

Nun gibt es zwar weder in Berlin noch Hamburg überhaupt Stadtverordnete, und ich habe weder auf den Seiten des „Hamburger Abendblattes“ noch der „Berliner Morgenpost“ Staumelder gefunden (dafür aber — kostenlos — auf denen von NDR und RBB), aber vermutlich darf man einem Kreuzritter nicht mit so lächerlichen Details kommen. So ein Döpfner denkt in ganz anderen, heiligen, Kategorien, und meint, dass die Leser „über Jahrhunderte“ bewiesen hätten, dass sie für wirklich attraktive Inhalte auch Geld bezahlen würden.

Nun ja.

Ganze Heerscharen von Verlegern haben der angeblichen „Kostenlos-Kultur“ im Internet den Kampf angesagt. Angeführt von Rupert Murdoch wollen sie ihre Inhalte — oder wenigstens einen Teil davon — nur noch zahlenden Kunden zugänglich machen. Dafür ernten sie viel Spott von Bloggern und Netzaktivisten.

Doch bei aller Skepsis, ob die Pläne aufgehen: Ihre Versuche sind eine große Chance, weil sie die Verlage zu einem entscheidenden Umdenken zwingen. Wer überhaupt eine Chance haben will, Leser zum Bezahlen für seine Inhalte zu bringen, muss Qualität liefern.

Dass der deutsche Online-Journalismus in einem so trostlosen Zustand ist, liegt nicht nur an den geringen Einnahmen. Es liegt auch daran, dass er in weiten Teilen gar nicht für Leser gemacht ist, sondern für die Klickzähler der IVW und für Google.

Journalismus ist eine Dienstleistung, und über Jahrtausende, wie Döpfner sagen würde, versuchten gute Journalisten, Nachrichten so aufzuschreiben, dass die Leser möglichst viel davon hatten. Ob es darum ging, Sachverhalte möglichst einfach oder knapp zu erklären oder in großer Tiefe verständlich zu machen — Geschäftsgrundlage war der Versuch, den Leser zufrieden zu stellen und zu einem glücklichen Kunden zu machen.

Im real-existierenden Online-Journalismus geht es darum häufig nicht. Nicht einmal die komischen Leute vom „Hamburger Abendblatt“ werden annehmen, dass sich ihre Leser freuen, wenn ihnen „alle 68 neuen Fahrradstationen“ in der Stadt auf 68 einzelnen Seiten verteilt präsentiert werden. Oder dass sie es zu schätzen wissen, dass sie bis zu 175-mal klicken dürfen, wenn sie herauszufinden wollen, ob sie mit ihrem Auto „Gewinner und Verlierer bei der neuen Kfz-Steuer“ sind.

Diese Klickstrecken sind nicht nur ein merkwürdiger Spleen, sie sind ein Symbol für die Perversion des journalistischen Selbstverständnisses in vielen Online-Medien. Die Unzufriedenheit des Lesers wird in Kauf genommen, um die Klickzahlen in die Höhe zu treiben.

Außer auf die IVW ist diese Inhalteproduktion auch auf die Suchmaschinen hin optimiert. Ob zum Beispiel die Überschrift über einem Artikel den Lesern gefällt, ist häufig nur noch ein Zweitargument neben der wichtigeren Frage, ob sie Google gefällt, sprich: Ob der Aufbau und die enthaltenen Schlagwörter dazu führen, dass der Artikel weit oben in den Suchergebnissen auftaucht.

Bei bezahlten Angeboten sind solche Kriterien nachrangig. Wer in einem Umfeld aus kostenlosen Inhalten Geld nehmen will, kann überhaupt nur eine Chance haben, wenn er den Leser als Kunden ernst nimmt und alle anderen Erwägungen seiner Zufriedenheit unterordnet. Verlage, die Inhalte kostenpflichtig machen wollen, werden gezwungen zu überlegen, was ihre Angebote besser macht als die der Konkurrenz oder wenigstens einzigartig. Sie werden Andersartigkeit als Chance entdecken müssen und nicht mehr auf bloße Reproduktion des Vorhandenen setzen können. Sie werden Konzepte entwickeln müssen, wie Leser mit möglichst wenig Klicks an gewünschte Informationen kommen und nicht mit möglichst vielen. Vielleicht entdecken sie auch andere Themen als lukrativ, weil sich zwar Trilliarden von Menschen für die neuesten Britney-Spears-Gerüchte interessieren, wenn man sie frei Haus bekommt, aber doch eher nur einem Bruchteil von ihnen das auch Geld wert wäre, und plötzlich Relevanz wieder ein Auswahlkriterium werden könnte. Sie werden so attraktiv sein müssen, dass sie Menschen etwas wert sind, und nicht mehr bloß attraktiv genug, um kostenlos angeklickt zu werden. Womöglich werden die Medien sogar transparent werden und ihre Fehler korrigieren, weil jemand, der für Journalismus zahlt, das zukünftig erwartet.

Okay, ein Traum.

Aber genau darum geht es ja: Die Verleger träumen davon, für ihre journalistischen Inhalte im Internet Geld nehmen zu können. Sie werden das, wenn überhaupt, nur mit guten Journalisten und gutem Journalismus erreichen — was bisher nicht unbedingt die dominierenden Mittel im Wettlauf um Klicks und Werbeeinnahmen waren.

Ich freue mich auf den Versuch.