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Gibt 9Live sich die Kugel?

Ich habe für die heutige Ausgabe der „taz“ über die neuen Gewinnspielregeln geschrieben, die vermutlich vom kommenden Frühjahr an die Rechtsgrundlage für die teuren Anrufspiele von 9Live, DSF, Tele 5 und die anderen bilden werden. Einige ursprünglich im Entwurf vorgesehene Punkte, die tatsächlich für Transparenz hätten sorgen und Spielsüchtige schützen können, konnten die Privatsender zwar verhindern. Aber die neue Satzung, das neue Aufsichtsgremium der Landesmedienanstalten („ZAK“) und die Tatsache, dass Verstöße erstmals eine Ordnungswidrigkeit sind und mit einem Bußgeld von bis zu 500.000 Euro geahndet werden können, werden das Leben für 9Live & Co. erheblich erschweren. (Mehr dazu auf taz.de.)

9Live-Geschäftsführer Ralf Bartoleit hat im E-Mail-Interview auf die Verschärfung der Bedingungen mit süßlichen Nebelkerzen reagiert:

Ist 9Live mit dem jetzt vorliegenden Entwurf zufrieden?

Nun, der vorliegende Entwurf ist noch nicht abschließend in Kraft getreten. Zunächst müssen die Gremien der einzelnen Landesmedienanstalt das Papier prüfen und absegnen. Was unser Programm angeht, sehen wir für uns keine grundlegenden Änderungen. Seit Jahren verpflichten wir uns freiwillig einem strengen Regelwerk und gehen bereits heute mit gezielten Verbraucherhinweisen über die Forderungen der Landesmedienanstalten hinaus.

Halten Sie diese Regeln für praktikabel?

Grundsätzlich ist es doch so: Durch klare Regeln schafft man Transparenz und damit Vertrauen. Deshalb war und ist 9Live auch ein Treiber und Befürworter in dieser Sache. Natürlich kann man sich darüber streiten, ob die deutlich gestiegene Zahl der Hinweispflichten einem Live-Programm zuträglich ist. Aber ein klares Règlement stellt auch einen fairen Wettbewerb sicher, von dem auch der Zuschauer profitiert. Wir setzen uns seit jeher dafür ein, das Geschäftsmodell langfristig und nachhaltig abzusichern.

Die jetzige Fassung ist gegenüber einem früheren Entwurf weniger streng — weggefallen ist zum Beispiel die Pflicht, die Zahl der Teilnehmer an einem Spiel ins laufende Programm einzublenden und eine Obergrenze für die Teilnahme pro Tag. Ist das im Sinne von 9Live?

Wir nehmen die Verantwortung gegenüber unseren Zuschauern ernst. So weisen wir zum Beispiel im laufenden Programm stets darauf hin, dass die Zuschauer ihr Anrufverhalten kontrollieren sollen.

Was wird 9Live am Programm und der konkreten Gestaltung der Spiele ändern müssen, um den neuen Regeln gerecht zu werden?

Wie bereits erwähnt, ist der vorliegende Entwurf noch nicht in Kraft. 9Live praktizierte aber bereits vor der neuen Gewinnspielsatzung die meisten der angekündigten Maßnahmen. Beispielsweise stellte 9Live schon immer sicher, dass für jeden Teilnehmer zu jeder Zeit des Spiels eine Chance besteht, ausgewählt zu werden und zu gewinnen. Die Teilnahme an den Gewinnspielen kostet seit jeher 50 Cent und Grundbedingung für eine Spielteilnahme bei Call-In Sendungen ist ein Mindestalter von 18 Jahren.

Besonders offensichtlich ist der Versuch der Irreführung bei Bartholeits letztem Satz: Denn zu der Begrenzung der Kosten und dem Ausschluss Jugendlicher ist 9Live auch schon „seit jeher“ gezwungen. Das hat mit den „angekündigten Maßnahmen“ nichts zu tun.

Unterdessen versucht auch der einschlägig bekannte 9Live-Moderator Max Schradin, den Kritikern „den Segel aus dem Wind“ zu nehmen. Die unermüdlichen Protokollanten von „Call-in-TV“ haben seine Aussagen mit dem Sendealltag von 9Live kontrastiert — das Video ist auch eine schöne Übersetzung dafür, was Ralf Bartholeit mit „Transparenz“ und „Vertrauen“ meinen muss:

(Über das merkwürdige Verhalten der „schwarzen Kugeln“ bei 9Live gibt es auch eine eigene ausführliche Video-Dokumentation. Mag sein, dass es sich nur um eine abwegige Verschwörungstheorie handelt. Aber warum sollte 9Live nicht auf diese Weise seine Ausgaben zu senken und die Ziehung zu manipulieren versuchen?)

Lesestunde mit Max Schradin

Es gab Anfang des Jahres schon einmal einen Versuch der Kontaktaufnahme. Nachdem ich einen Artikel über die Praktiken von 9Live und seinen Nachahmern in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ geschrieben hatte, erhielt ich folgende Mail, abgeschickt nachts um 2.50 Uhr:

Sehr geehrter herr Niggemeier,

mein Name ist Max Schradin, bin Moderator bei Neun Live und Sat 1 und würde mich sehr gerne mal mit Ihnen über den Artikel in der Sonntagsausgabe unterhalten.

Beste Grüsse

max Schradin

PS: Über eine Antwort von Ihnen mit Telefonnummer würde ich mich sehr freuen.

Lustige Idee natürlich, nicht die eigene Nummer mitzuschicken, sondern die des gewünschten Gesprächspartners zu verlangen. (Andererseits ist seine Nummer ja bekannt; es ist halt nur so schwer, durchzukommen.) Ich antwortete ihm trotzdem mit meiner Nummer. Ich habe nichts mehr von ihm gehört.

Seit dem vergangenen Sonntag klappt das besser mit der Kommunikation. Schradin las meine Kolumne, die ich über ihn geschrieben hatte, live auf 9Live vor:

(Für alle, die keine Lust haben, zum Vergleich mitzulesen: Den Halbsatz „während die Regie keinen der vielen Anrufer ins Studio durchstellt“ hat er sicherheitshalber weglassen. Und meine Formulierung „die Zuschauer zu teuren Anrufen zu verführen“ hat er um das Wort „teuren“ gekürzt. Sicher ist sicher.)

[natürlich via call-in-tv.de]

Max Schradin

Ich weiß nicht, welche Drogen Max Schradin nimmt. Ich weiß nicht einmal, ob er Drogen nimmt. Vor allem weiß ich nicht, was mir lieber wäre. Das ist ja auch kein angenehmer Gedanke: dass es möglicherweise Menschen gibt, die ganz nüchtern und ohne künstliche Nachhilfe schon in diesem Maß Selbstüberschätzung, Unbeherrschtheit und Wahnsinn ausstrahlen.

Schradin ist 29 Jahre jung, nennt sich „TV-Moderator“ und ist von den beunruhigenden Gestalten, die auf 9Live, ProSieben und Sat.1 versuchen, die Zuschauer zu teuren Anrufen zu verführen, eine der beunruhigendsten. In seinen mehrstündigen Live-Auftritten wirkt er wie eine Mischung aus Klaus Kinski und einem amerikanischen Fernsehprediger – mit dem Unterschied, dass Fernsehprediger über vermeintliche Wunderheilungen in Extase geraten und bei Schradin dafür schon das Einblenden oder Ablaufen eines Countdowns genügt. „Jäääätz“, brüllt er dann, tobt, klagt und scheint mit bizarr großen Gesten demonstrieren zu wollen, dass er den Fortgeschrittenen-Kurs „Teufelsaustreibungsrituale im Alltag“ erfolgreich absolviert hat.

Wenn er nicht gerade die Zuschauer beschimpft, dass sie nicht anrufen (während die Regie keinen der vielen Anrufer ins Studio durchstellt), beschimpft er die Konkurrenz oder die Mitglieder eines kritischen Forums, die er „Hochverräter“ und „Waisenzigeuner“ nennt und ihnen live im Fernsehen zuruft: „Ihr kleinen Petzliesen habt keinen Pimmelwutz.“ Wenn man ganz großes Pech hat, erzählt er einem auch von seinem „Durchfall“: „Ich hab Stuhl, liebe Fernsehzuschauer, man nennt’s auch Spritzwurst, das ist ganz eklig, wenn’s in die Schüssel knallt da.“ Als das ARD-Magazin „Plusminus“ diese Woche weitere Belege für die dubiosen Machenschaften von 9Live, den „zentralen Interaktionsdienstleister“ für ProSiebenSat.1, brachte, reagierte Schradin mit einer wütenden Tirade gegen die ARD und ihre „dummen“ Zuschauer. Und weil 9Live in dem Beitrag erneut vorgeworfen wurde, die Zuschauer unzulässig zum wiederholten Anrufen aufzurufen, rief Schradin die Zuschauer auf: „Von mir aus können Sie auch solange [die Telefonnummer] tippen, bis die Finger bluten.“ Bei Schradin von „Hybris“ zu sprechen, wäre Schönfärberei.

Über sich selbst sagt Schradin auf seiner Homepage, er sei „ein Typ, der sich schwer abstempeln lässt“. Als „Lebensziele“ gibt er „Gesundheit und Zufriedenheit“ an. Wollen wir hoffen, dass er sie irgendwann erreicht.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung