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„Spiegel“-Autor Neef: „Das ‚Stoppt Putin jetzt‘-Titelbild war misslungen“

Christian Neef, der für den „Spiegel“ unter anderem aus der Ukraine berichtet, hat sich vom „Stoppt-Putin jetzt!“-Titel distanziert. Anders als die Verschwörungstheoretiker glauben wollten, sei das Cover zwar nicht von der CIA initiiert, aber ein Beispiel dafür, „dass wir in Zeiten wie diesen noch mehr über Titelzeilen und -bilder nachdenken müssen.“ In einem Gastbeitrag für das „Medium Magazin“ schreibt er:

Das Titelbild von Heft 31 war misslungen. Zum einen, weil die Zeile „Stoppt Putin jetzt“ missverständlich ist — auch wenn ich den Gedanken dahinter teile. Zum anderen, weil die Fotos der Opfer von MH 17 von vornherein unterstellten, dass Russland die Boeing abgeschossen hat. Und drittens, weil es ein „unspiegeliger“ Titel war — „Spiegel“-Titel sollten klug, anregend und mitunter auch doppelsinnig sein, keinesfalls plakativ. Vielleicht sollten wir unseren Lesern mitunter auch Einblick in die heißen Debatten gewähren, die jeden Freitag im Titelbild-Ressort des „Spiegels“ entbrennen.

Ich denke, darauf können wir noch lange warten.

Das „Medium Magazin“ beschäftigt sich in seiner aktuellen Titelgeschichte „Ihr lügt doch alle!“ aus vielen Perspektiven mit der „Glaubwürdigkeitsfalle“, in der sich Medien befinden. Zu Wort kommen unter anderem WDR-Chefredakteurin Sonia Seymour Mikich, ARD-Korrespondentin Golineh Atai, „Zeit“-Politikchef Bernd Ulrich und der stellvertretende ZDF-Chefredakteur Elmar Thevessen. FAZ-Herausgeber Günther Nonnenmacher äußert sich in einem ausführlichen Interview zur Redaktionskultur bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und den Vorwürfen von Udo Ulfkotte. Und der Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger kritisiert (auch frei online in der Leseprobe) die inzwischen berühmte Untersuchung von Uwe Krüger über den „Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten“ und wirft dem Kollegen schwere wissenschaftliche Versäumnisse vor. (Von mir stehen auch ein paar Zeilen zu Ulfkotte im Heft.)

Laudatio auf Thomas Gottschalk

… als „Journalist des Jahres 2011“ in der Kategorie „Unterhaltung“, gekürt vom „Medium Magazin“:

Sehr geehrte Damen und Herren,

Sie haben es vermutlich schon mitbekommen: Es ist etwas furchtbar schiefgelaufen. Keiner der diesjährigen Gewinner in der Kategorie „Unterhaltungsjournalist des Jahres“ ist Journalist. Gut, es hätte schlimmer kommen können. Es hätte keiner der Gewinner unterhaltsam sein können. Das ist zum Glück nicht der Fall. Sie sind alle unterhaltsam. Nur Journalisten sind sie nicht.

Die Drittplatzierten heißen Joachim Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf, „Joko & Klaas“. Bei denen durfte ich neulich in ihrer lustigen Show „Neo Paradise“ zu Gast sein. Ich wurde wie ein exotisches Wesen behandelt. Mehrere Verantwortliche nannten mich mit einer Mischung aus Faszination, Ehrfurcht und Abscheu einen „richtigen Journalisten“ und betonten, so einer wäre noch nie in der Sendung gewesen. Joko war immerhin schwer verkatert, aber ich fürchte, das allein macht ihn noch nicht zum Journalisten.

Auf den zweiten Platz wurde die wunderbare Silke Burmester gewählt. Die bezeichnet sich zwar selbst gelegentlich als Journalistin. Aber jeder, der ihre bösen Kolumnen in der „taz“ oder bei „Spiegel Online“ kennt, weiß, dass sie dafür viel zu lustig ist.

Und dann, der Sieger, der Unterhaltungsjournalist des Jahres: Thomas Gottschalk, ein Mann, der von sich sagt: „Ich habe mich nie als Journalist betrachtet.“

Ich könnte jetzt aus dieser Laudatio ein Proseminar II im Aufbaumodul „Kernkonstituenten eines Journalisten“ machen und mit Ihnen durchdiskutieren, welche Kriterien Thomas Gottschalk trotzdem erfüllt – und sei es widerwillig. Ich glaube aber, das wäre gar nicht interessant.Viel interessanter ist die Frage, warum die Journalisten in der Jury sich dafür entschieden haben, Gottschalk zu einer Art Ehren-Journalisten zu küren.

Es gab, wenn wir ehrlich sind, nur ein winziges Zeitfenster, in dem diese Wahl möglich war: Die kurze Zeit, in der die Journalisten nicht mehr damit beschäftigt waren, schlechtgelaunt jede Sendung „Wetten dass“ zu verreißen, und noch nicht damit beschäftigt waren, schlechtgelaunt jede Sendung „Gottschalk live“ zu verreißen.

Es brauchte diesen Moment des Innehaltens, um zu erkennen, dass es an diesem Mann nicht nur viel auszusetzen gibt, sondern auch unendlich viel zu rühmen: Sein Gespür in heiklen Situationen; seinen spontanen Witz; seine Abgrenzung von einem Wettlauf um das niedrigste Niveau; seine Bildung, auf die er zurückgreifen konnte, wenn er geistreich sein wollte; seinen Mut, nicht auf Nummer Sicher zu gehen, sondern mit einer täglichen Live-Show noch einmal ganz neu anzufangen; seine Größe als Entertainer.

Ich verstehe die Auszeichnung für Thomas Gottschalk als einen Dank der Journalisten an einen Mann, dem sie nicht nur beste Unterhaltung, sondern auch unendlich viel Stoff für ihre Geschichten verdanken. Und der etwas mitbringt, was rar geworden ist: Fallhöhe. Vielleicht ist es auch ein Dank dafür, dass Gottschalk einer der letzten ist, die Journalisten noch ernst nehmen. All die Kritik des Feuilletons, die er gut ignorieren könnte, all die fehlende alltägliche Wertschätzung nagt an ihm.

Ich weiß nicht, warum das so ist. Aber ich hoffe, dass das jetzt besser wird. Nun, da er nicht nur einen Grimme-Preis hat, sondern auch als „Unterhaltungsjournalist des Jahres“ ausgezeichnet wurde. Herzlichen Glückwunsch!