Schlagwort: Meedia

Heucheln und heucheln lassen

Stefan Winterbauer, der Blinde unter den Einäugigen beim Braanchendienst „Meedia“, hat das Spiel längst abgepfiffen. Die „taz“ sei zum wiederholten Male beim Versuch gescheitert, „Bild“-Chef Kai Diekmann vorzuführen. „Genauso wie Lucy Charlie Brown in letzter Sekunde den Ball wegzieht, lässt sich die taz immer wieder von Kai Diekmann am Nasenring durch die Medienmanege führen“, urteilte er gestern.

Die „taz“ hatte Diekmann öffentlich Fragen gestellt zum undurchsichtigen Umgang seines Blattes mit der Nachricht, die Bundespräsident Christian Wulff auf seiner Mailbox hinterlassen hatte. Diekmann machte erst einen Witz daraus, der von „Meedia“ gleich aufgeregt nacherzählt wurde, und ließ die Pressestelle dann antworten. „Die Antworten der Bild“, urteilt Winterbauer, „enthielten nichts Brisantes oder Neues, sondern ausführlich dargestellt noch einmal die Angaben zu den Abläufen und die redaktionellen Erwägungen, warum die Mailbox-Nachricht zunächst in der Berichterstattung thematisiert wurde.“

(Er meint vermutlich: nicht.)

Dabei ist die Antwort von „Bild“ in mehrfacher Hinsicht entlarvend. Zum Beispiel schreibt die Pressestelle:

Nachdem die Redaktion die Abschrift der Nachricht an das Büro des Bundespräsidenten übermittelt hatte, häuften sich bei der Axel Springer-Pressestelle Anfragen von Journalisten zum vollständigen Inhalt der Nachricht. In Gesprächen wurden einige der bereits bekannten Passagen erläutert.

Wer in seinem Beruf ein bisschen mit Antworten von Pressestellen zu tun hat, kann erahnen, dass die Formulierungen im letzten Satz wohl vor allem der Verschleierung dienen. Journalisten rufen bei Springer an, wollen den kompletten Text wissen und die Pressestelle „erläutert“ „einige der bereits bekannten Passagen“? Was bedeutet das überhaupt? Man muss vermutlich bei einem PR-affinen Unternehmen wie „Meedia“ arbeiten, um das für eine befriedigende oder gar erschöpfende Antwort von „Bild“ zu halten.

In Wahrheit war es offenbar so, dass „Bild“ mehreren Journalisten zu verschiedenen Zeitpunkten die Abschrift der Nachricht am Telefon vorgelesen hat — unter der Maßgabe, das Gespräch nicht mitzuschneiden und es nicht vollständig zu veröffentlichen.

Insofern stimmt es in einem sehr engen, sehr wörtlichen Sinne womöglich auch, wenn „Bild“ der „taz“ antwortet:

Eine Abschrift der Nachricht wurde von der Pressestelle an keine Zeitung oder Zeitschrift geschickt. Es gab keinen Auftrag an Redakteure von Bild, die Nachricht oder Passagen daraus weiterzugeben.

Nicht nur an dieser Stelle klaffen größere Lücken in der Antwort von „Bild“. Genau genommen äußert sie sich nur über ihr Verhalten vor dem 1. Januar und nach dem 5. Januar — das ist leider der „taz“ ebensowenig aufgefallen wie Winterbauer. Dabei ist gerade der Zeitraum dazwischen interessant, in dem die Geschichte in die „Süddeutsche Zeitung“ kam und dann explodierte. In dem die „Bild“-Zeitung so tat, als habe sie nichts mit der Berichterstattung zu tun. Weshalb sie dann ganz scheinheilig den Bundespräsidenten fragen konnte, ob sie die Nachricht veröffentlichen dürfe, und ganz scheinanständig darauf verzichtete, als er ablehnte.

Ich würde unterstellen, dass die Leerstellen in den Antworten von „Bild“ sehr bewusste Leerstellen sind. Es wirkt ein bisschen, als würde man gefragt, ob man eine Geschäftsbeziehung zu einem Unternehmer gehabt habe, und verneint, weil man ja nur mit seiner Ehefrau einen Kreditvertrag hatte.

Als ich den „Bild“-Sprecher für „Spiegel Online“ nach einigen dieser Leerstellen fragte, war es plötzlich vorbei mit der Transparenz, die man dem Publikum und Leuten wie Winterbauer vorgespielt hat. Es gab auf keine meiner Fragen eine Antwort. Das ist kein Wunder, denn das ist das normale Verhalten des „Bild“-Sprechers. Zu laufenden Verfahren, zu redaktionellen Entscheidungen, zu Personalspekulationen, zu Interna, zu Thema XY äußert er sich grundsätzlich nicht.

Wenn dieser Verlag, wenn dieses Blatt, jemanden anders zu Transparenz und Wahrhaftigkeit auffordert, dann ist das selbst dann ein böser Witz, wenn die Forderung berechtigt sein sollte.

Aber Kai Diekmann sagt auf kritische Nachfragen manchmal etwas Lustiges, das man aus der Ferne mit Selbstironie verwechseln könnte. Nicht nur für die Leute von „Meedia“ ist das mehr wert als jede Wahrheit. Auch deshalb kommt „Bild“ so oft mit ihren Halbwahrheiten und Heucheleien durch.

Journalistische Qualität und Glaubwürdigkeit

Was viele nicht wissen: der Braanchendienst „Meedia“, „Deutschlands führendes Medien-Portal“, lässt zu jeder seiner „Top-Stories“ aufwendig eine eigene Fotomontage anfertigen.

Die Ressourcen muss man natürlich an anderer Stelle einsparen.
 

FAZ-Eigen-PR redaktioneller „Meedia“-Beitrag
Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (F.A.S.) gibt es jetzt auch auf dem iPad. Ein eigenes Team kümmert sich nicht nur darum, dass alle Inhalte der gedruckten Ausgabe für das mobile Endgerät aufbereitet werden, sondern ergänzt diese auch durch interaktive Grafiken, Bilder und Videos. Damit wird die preisgekrönte journalistische Qualität und Glaubwürdigkeit einer der erfolgreichsten deutschen Sonntagzeitungen mit der Faszination einer neuen, multimedialen Erlebniswelt verknüpft. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) gibt es jetzt auch auf dem iPad. Ein eigenes Team kümmert sich nicht nur darum, dass alle Inhalte der gedruckten Ausgabe für das mobile Endgerät aufbereitet werden, sondern ergänzt diese auch durch interaktive Grafiken, Bilder und Videos. Damit wird die preisgekrönte journalistische Qualität und Glaubwürdigkeit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit der Faszination einer neuen, multimedialen Erlebniswelt verknüpft.
Jeweils sonntags ab 6 Uhr morgens ist die neue ipad Ausgabe verfügbar und lässt sich nach dem Download offline lesen. Auf Geräten mit der neuen iOS5 Software lässt sich die die F.A.S. App auch über den „Apple Zeitungskiosk“ laden. Abonnenten haben die Option, neue Ausgaben jeweils auf ihr Gerät gespielt zu bekommen, wenn sich das Gerät im häuslichen WLAN befindet. Jeweils sonntags ab 6 Uhrhttp://UrlBlockedError.aspx/ morgens ist die neue iPad-Ausgabe verfügbar und lässt sich nach dem Download offline lesen. Auf Geräten mit der neuen iOS5-Software ist die FAS-App auch über den Apple Newsstand erhältlich. Abonnenten haben in Kürze die Option, neue Ausgaben jeweils auf ihr Gerät gespielt zu bekommen, wenn sich das Gerät im WLAN befindet.
Die F.A.S. App ist kostenlos mit einer Testausgabe über www.faz.net/apps oder direkt im iTunes Store erhältlich. Die FAS-App ist kostenlos mit einer Testausgabe über www.faz.net/apps oder direkt im iTunes Store erhältlich. Die Einzelausgabe kostet 2,99 Euro, das Monatsabo 10,99 Euro. Für den Quartalsbezug fallen 31,99 Euro, für ein Jahresabo 124,99 Euro an.
Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung wurde mehrfach für ihre redaktionelle und grafische Qualität ausgezeichnet. Bereits vier Mal gewann sie als „World’s Best Designed Newspaper“. Auch mit ihrer iPad Ausgabe setzt sie neue gestalterische Maßstäbe. Grafisch am klassischen Zeitungsdesign angelehnt, verbindet die F.A.S. iPad App eine attraktive Aufbereitung der Inhalte mit einer einfachen Bedienung und hervorragenden Lesbarkeit. Die Übersichtsfunktion ermöglicht es, die umfangreiche Zeitung komfortabel zu überfliegen und jeden Artikel direkt aufzurufen. Die iPad-Ausgabe der FAS will neue gestalterische Maßstäbe setzen. Grafisch ist sie am klassischen Zeitungsdesign angelehnt und soll die Leser mit einfacher Bedienung und guter Lesbarkeit überzeugen. Die Übersichtsfunktion ermöglicht es, die umfangreiche Zeitung zu überfliegen und jeden Artikel direkt aufzurufen.
Holger Steltzner, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: „In der Sonntagszeitungs-App für das iPad werden die Vorzüge einer unterhaltsamen Qualitätszeitung mit den Vorteilen der elektronischen Welt kombiniert, bei einfacher Bedienung und Konzentration auf das Wesentliche. Die Herausforderung, das Layout der wiederholt zur schönsten Zeitung der Welt gekürten Sonntagszeitung auf einen kleinen Bildschirm zu übertragen, hat unser Art Director (KB) auf ganz eigene Art und Weise gemeistert. Wir sind gespannt, wie den Lesern unsere digitale Sonntagszeitung gefallen wird.“ Holger Steltzner, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: „In der Sonntagszeitungs-App für das iPad werden die Vorzüge einer unterhaltsamen Qualitätszeitung mit den Vorteilen der elektronischen Welt kombiniert, bei einfacher Bedienung und Konzentration auf das Wesentliche. Die Herausforderung, das Layout der wiederholt zur schönsten Zeitung der Welt gekürten Sonntagszeitung auf einen kleinen Bildschirm zu übertragen, hat unser Art Director auf ganz eigene Art und Weise gemeistert. Wir sind gespannt, wie den Lesern unsere digitale Sonntagszeitung gefallen wird.“
Gemeint sind hier vor allem neue Käuferschichten, denn die Hemmschwelle für Bestandskunden ist hoch: Anders als bei den Digitalausgaben anderer Medienhäuser bietet die FAS kein Upgrade zu einem schmalen Preis für Abonnenten der Zeitung an. Wer als Printleser die FAS auf dem iPad kennenlernen möchte, muss den vollen Digitalpreis zahlen. Nach Angaben eines Sprechers gegenüber MEEDIA sei ein Kombi-Angebot auch künftig „nicht vorgesehen“.

Nachtrag, 16.23 Uhr: Stimmt gar nicht. Auf eine aufwendige Fotomontage hat „Meedia“ hier sogar verzichtet.

Gaby Köster und der „seltsame Beigeschmack“

Dreieinhalb Jahre lang haben Gaby Köster und ihr Management fast jeden Bericht über ihre schwere Erkrankung juristisch verhindert. Nun hat sie ein Buch über ihr Schicksal geschrieben und wirbt dafür, indem sie in einer Vielzahl von Medien und Talkshows all das erzählt, was sie vorher verbieten ließ. Wer dabei einen üblen Beigeschmack empfindet, soll sich von mir aus daran elend verschlucken.

Gestern hatte die Komikerin bei „Stern-TV“ ihren ersten Fernsehauftritt seit einem Schlaganfall im Januar 2008. Ihre linker Arm ist gelähmt, auch ihr linkes Bein hat sie immer noch nicht ganz unter Kontrolle. Gehen und Stehen fällt ihr schwer; ihr Gesicht wirkt um Jahrzehnte gealtert. Als ihre Begleiterin erzählt, dass sie Fortschritte mache, sagt Gaby Köster mit ihrem brutalen Gaby-Köster-Humor: „Ja, noch mehrere hundert Jahre, dann geht es vielleicht wieder.“ Sie raucht — „weil das was ist, was ich alleine machen kann“.

Sie soll in den nächsten Tagen noch beim „Kölner Treff“, bei „Volle Kanne“ und bei „Tietjen & Hirschausen“ auftreten sowie im November bei „Riverboat“. Sie hat mit der „Bild der Frau“ über ihre Erfahrungen gesprochen und mit dem „Stern“, der daraus eine Titelgeschichte gemacht hat.

Es gibt Leute, die ihr das nach der vorherigen Nachrichtensperre übel nehmen. Journalisten, vor allem. Man kann ein Beleidigtsein sogar zwischen den Zeilen einer dpa-Meldung erahnen, die erst Kösters PR-Termine aufzählt und dann anfügt:

Gegen die Berichterstattung über ihre Krankheit hatte sich Köster vor mehr als drei Jahren noch juristisch gewehrt. Jetzt tritt sie selbst damit in die Öffentlichkeit und vermarktet gleichzeitig ihr Buch „Ein Schnupfen hätte auch gereicht – Meine zweite Chance“.

„Welt Online“ vermutet, dass Gaby Köster „nicht gut von einem Management beraten war, das eine völlige Informationssperre verhängte“. „Focus Online“ spricht von einer „Medien-Strategie, die zumindest fragwürdig ist“. Und in einem selbst für „Meedia“-Verhältnisse erbärmlichen Artikel stellt die Autorin Christine Lübbers „einen seltsamen Beigeschmack“ fest. Sie spekuliert, die Buch-PR „dürfte zumindest bei den Medien für Verwunderung und Diskussionen sorgen, die zuvor Unterlassungserklärungen im Zusammenhang mit der Krankheit Kösters abgegeben haben“.

Es scheint für diese beleidigten Journalisten unmöglich, die Wahrheit zu akzeptieren: Gaby Köster darf selbst entscheiden, wann und wie sie die Öffentlichkeit über eine Erkrankung informiert. Das ist ihr Recht, und zu diesem Recht gehört nicht nur die Möglichkeit, Berichterstattung zu unterbinden, sondern auch die Freiheit, sie wieder zuzulassen und sogar zu forcieren. Den Zeitpunkt, zu dem sie das tut, darf sie frei wählen und sich dabei ganz von der Frage leiten lassen, was für sie ideal ist — persönlich, gesundheitlich, geschäftlich.

Es ist, auch wenn sie eine Person der Öffentlichkeit war, wenigstens bei etwas so Intimem wie einer Krankheit: ihr Leben. Es gehört nicht „Bild“, nicht ihren Fans und schon gar nicht „Meedia“.

Natürlich ist es zulässig, jetzt öffentlich zu diskutieren, ob das Vorgehen von Gaby Köster oder ihrem Management und ihren Anwälten geschickt war — geschickt im Sinne von: günstig für Gaby Köster. Aber das Schmollen und Raunen der Medien, der implizite Vorwurf der Bigotterie, sind unangemessen und abstoßend.

Sie fühlen sich offenbar benutzt: Erst dürfen wir nichts schreiben und nun sollen wir ihr bei der PR helfen.

Nur gibt es gar keine Pflicht dazu, Teil von Gaby Kösters Vermarktungsstrategie zu werden. Niemand zwingt „Meedia“, für Kösters Auftritt bei „Stern-TV“ zu trommeln. Gaby Köster hat „Welt Online“ nicht dazu verpflichtet, in einer sechsteiligen Bildergalerie und über einem halben Dutzend Artikeln (inklusive Klickstrecke: „Die besten Überlebensmittel: US-amerikanische Forscher haben in getrockneten Apfelringen einen starken Cholesterinblocker gefunden“) über Kösters Rückkehr in die Öffentlichkeit zu berichten. So unvorstellbar das insbesondere für die meisten Online-Redaktionen zu sein scheint: Es gäbe die Möglichkeit, darüber nicht zu berichten.

Wenn die „Meedia“-Beigeschmackstesterin fragt:

„Wenn all das über lange Zeit als Privatsache geschützt wurde, warum soll nun plötzlich und quasi auf Knopfdruck alles wieder von öffentlichem Interesse sein?“

Lautet die Antwort: Weil sie, erstens, jetzt gerade gesund genug ist, das auszuhalten, und es, zweitens, ihre verdammte Entscheidung ist.

Der stellvertretende Chefredakteur von „Meedia“ fragt dann in den Kommentaren unter dem Beitrag noch:

gelten für Krankheiten andere Spielregeln der Berichterstattung? (…) Wann werden aus Personen öffentlichen Interesses wieder private Personen? Und wann werden sie wieder öffentlich? Wer legt das fest?

Er nennt das „offene Fragen“, dabei sind sie längst beantwortet — von Gerichten und vom Deutschen Presserat, der feststellt: „Körperliche und psychische Erkrankungen oder Schäden fallen grundsätzlich in die Geheimsphäre des Betroffenen.“ Das Wort „Geheimsphäre“ ist dabei kein Synonym für „Privatsphäre“, sondern ein noch stärker geschützter Bereich.

Aber selbst wenn die Journalisten von „Bild“, „Meedia“ & Co. das verstünden, würden sie es nicht akzeptieren.

Im „Focus Online“-Artikel sagt ein Medienethiker, der „Kommunikationsberuf“, den Köster als „TV-Unterhalterin“ ausübe, bringe „doch gewisse Pflichten mit sich“. In vielen Varianten heißt es dort, das Management hätte doch wenigstens kurz sagen können, dass Gaby Köster krank ist, aber lebt. Schon Anfang 2009 schrieb „Focus Online“, die Fans wollten doch „nur etwas mehr Gewissheit. Wird die Kabarettistin jemals wieder auf einer Bühne stehen?“ Diese „Gewissheit“ hätte sicher auch Gaby Köster gerne gehabt. Vor allem aber: Was für eine rührende Naivität, zu denken, die Medienbranche funktioniere so, dass man den Leuten von „Bild“ oder RTL einen kleinen Informationsbrocken hinwirft und die sich dann damit zufrieden geben und nicht weiter versuchen, Schnappschüsse von Frau Köster im Rollstuhl zu erhaschen.

Die ganze Infamie von „Meedia“ in einem Satz:

Und mancher wird sich fragen, ob die juristische Unterdrückung der Berichterstattung nicht vor allem dazu gedient haben könnte, die Ware Information in dieser Sache über einen langen Zeitraum künstlich zu verknappen, damit anschließend der Aufmerksamkeits- wie Vermarktungswert der Story umso größer ist.

Auf welchen Zeitraum mag sich Frau Lübbers beziehen? Meint sie, die Berichterstattung wurde unterdrückt, als Gaby Köster noch im Krankenhaus zwischen Leben und Tod war, um bestens gerüstet zu sein für den Fall, dass sie ein Buch schreiben will, für den Fall, dass sie überlebt? Oder während der Zeit, als sie daran arbeitete, in ein Leben zurückzufinden, in dem sie die überhaupt in der Lage sein würde, ein Buch zu schreiben?

Und selbst wenn es so wäre, dass die ganze Informationswarenverknappung nur dazu gedient hätte, den Vermarktungswert zu steigern — wäre das nicht legitim? Gaby Köster hat sich den Schlaganfall ja nicht ausgesucht, um ihrer Karriere eine originelle Wendung zu geben. Sie habe, sagt sie im „Stern“, in den vergangenen dreieinhalb Jahren, ihre „Rente verblasen“. Es ist völlig unklar, ob sie je wieder in ihrem Beruf als Komikerin oder Schauspielerin arbeiten kann. Kann man ihr es dann nicht gönnen, wenigstens das meiste aus diesem Buch herauszuholen?

Ein Medienporno

Das ist der Stoff, aus dem heute Medienaufreger sind: Vor vier Wochen ist in einem Filmbericht im Regionalfernsehen des Saarländischen Rundfunks für drei Sekunden klein der Name einer Pornoseite zu lesen gewesen. Auf einem Reiter („Tab“) im Browser konnte man sehen, dass sie hinter der gezeigten Seite des Lebensmittelhändlers Rewe aufgerufen war.

„Sauereien auf Gebührenkosten“, nennt Holger Kreymeier das in der aktuellen Ausgabe seines Magazins fernsehkritik.tv. „Die Sau hat nebenbei auf […] herumgesurft. Unglaublich!“

Der österreichische „Standard“ behauptet:

Ein Redakteur des Saarländischen Rundfunks (SR) wurde nun dabei ertappt, dass er sich während der Arbeitszeit Schmuddelfilme ansieht.

Der Branchendienst „kress“ berichtet unter der Überschrift:

Auf […] erwischt:
 SR-Bericht zeigt Journalisten bei der Arbeit

Der Artikel beginnt sarkastisch:

Es war bestimmt die Recherche im Internet-Porno-Milieu, die hinter dem frivolen Browser-Tab […] steckt.

Auch „Meedia“ hat die Story abaufgeschrieben. Hier steht sie mit dem schönen Satz:

Wozu der Journalist eines öffentlich-rechtlichen Senders während der Arbeitszeit auf einer Webseite für Pornovideos surfte — unklar.

(Felix Schwenzel hält die bescheuerte Ausdrucksweise für eine Marotte der „Meedia“-Konkurrenz „turi2“, aber in Wahrheit ist sie erstens ursprünglich von Kress.de und zweitens von begrüßenswerter Halbehrlichkeit. Noch transparenter wäre es natürlich, wenn „Meedia“ statt „— unklar“ schreiben würde: „wissen wir nicht“, „stand da nicht“, „uns doch egal“, oder, wenn es unbedingt eine Ellipse sein soll: „— unrecherchiert“.)

Jedenfalls: Wenn „Meedia“ die Frage, wozu der Journalist auf einer Porno-Website surfte, nicht bloß in den Artikel geschrieben, sondern dem SR gestellt hätte, hätte die Antwort wie folgt gelautet:

Der Bericht dreht sich um den Hacker-Angriff auf eine REWE-Datenbank. Dort hatten sich überwiegend Kinder und Jugendliche angemeldet, um Tiersticker zu tauschen. Durch den Angriff besteht nach unseren Recherchen die große Gefahr, dass die betroffenen Kinder verstärkt mit Spam- und Phishingmails bombardiert werden, unter anderem auch mit pornographischen Angeboten.

Mehrere dieser „Angebote“ wurden vom Kamerateam abgefilmt. Im endgültigen Schnitt hat sich der Autor aber dafür entschieden, diese Bilder nicht im Vorabendprogramm zu zeigen — auch nicht elektronisch verfremdet.

So erklärt sich der bildliche Zusammenhang zwischen der REWE-Datenbank und dem winzigen Tab zu einer Pornoseite. (…)

Das Schlimmste, das man dem SR und seinem Autor vorwerfen kann, ist also, versehentlich den Namen einer aus beruflichen Gründen besuchten Pornoseite öffentlich gemacht zu haben. Im Filmbericht war er, wie gesagt, rund drei Sekunden klein zu sehen. Kress.de nennt ihn mitsamt dessen Slogan werbewirksam in der Schlagzeile, „Meedia“ im Vorspann.

Kress.de hat allerdings immerhin die Erklärung des Saarländischen Rundfunks nachgetragen (und dabei unauffällig auch die Überschrift geändert). Bei „Meedia“ und dem „Standard“ stehen weiter die skandalisierenden Original-Versionen. Bestimmt fehlt den Mitarbeitern dort die Zeit zur Korrektur, weil sie schon die nächste geile Geschichte, äh, recherchieren.

stern.de: Anatomie einer Attrappe (3)

Der Braanchendienst „Meedia“ hat mit Chefredakteur Frank Thomsen über meine Kritik an stern.de gesprochen. Thomsens Kernaussage ist möglicherweise:

Eine News-Seite ist ein komplexes Gebilde aus verschiedensten Dingen, die auch gewürdigt werden von Usern.

Die Tatsache, dass stern.de systematisch Bildergalerien, Videos, aber auch Artikel vervielfältigt und umdatiert und so zum Beispiel auch eine vier Jahre alte Falsch-Meldung als aktuell ausgibt, hält Thomsen für „sehr tiefgehende Technik-Diskussionen und viel Klein-Klein“. Das Veröffentlichungsdatum eines Artikels für das Veröffentlichungsdatum eines Artikels zu halten, nennt er ein „Missverständnis“.

„Meedia“ schweift ab

Gestern mittag erreicht mich ein Hilferuf von Michael T. Bei diesem Artikel des Braanchendienstes „Meedia“, dass eine Serie im Kinderkanal Kika zur „Porno-Parodie mutiert“ sei, habe es ihm die Sprache verschlagen. Ob mir dazu etwas einfiele.

Lieber Michael T., ich fürchte, da muss ich passen. Manche Sachen sind selbst mir zu doof.

Zum Glück habe ich aber zwei Ersatzkommentatoren gefunden, die sich des Themas auf angemessenem Niveau annehmen:

Vorurteil im Schnellgericht

Wer SPUTNIK hört oder auf SPUTNIK.de klickt, kann sich sicher sein, dass alles, was wir erzählen auf Fakten basiert. Mit der journalistischen Sorgfaltspflicht nehmen es aber nicht alle Medien so genau. (SPUTNIK.de)

Die Zeitschrift „Journalist“, die MDR-Jugendwelle „Sputnik“ und der Online-Dienst „Meedia“ erheben schwere Vorwürfe gegen w., einen 25-jährigen Journalisten, der auch für BILDblog arbeitet. Er soll in Artikeln, die er an „Spiegel Online“, „Welt Online“ und den „Südkurier“ verkauft hat, Zitate frei erfunden haben.

W. erwidert auf seiner Homepage:

Ich habe keine Zitate erfunden. Ich habe keine Zitate gefälscht. Aufgrund einer Leserbeschwerde beim Presserat hat sich herausgestellt, dass ein vermeintlicher Anwalt, den ich in mehreren Artikeln zitiert habe, ein Hochstapler war. Das ärgert mich und war ein Fehler von mir – ich hätte den Hintergrund dieser Person genauer prüfen müssen. Ich protestiere aber gegen die vorverurteilende und mich identifizierende Berichterstattung über diesen Fall auf journalist.de und meedia.de. Sie ist einseitig und falsch.

Ich habe W. als zuverlässigen und vertrauenswürdigen Kollegen kennengelernt. Mir fehlen aber bislang die Grundlagen, um die konkreten Vorwürfe gegen ihn abschließend beurteilen zu können. Unabhängig davon halte ich die Art, wie das vermeintlich seriöse Branchenblatt „Journalist“ sowie der Abschreibedienst „Meedia“ in ihrer Berichterstattung mutwillig oder fahrlässig die Existenz eines jungen Journalisten riskieren, für skandalös.

Und fast müsste man die Beteiligten dafür bewundern, mit welcher journalistischen Sorglosigkeit sie anderen journalistische Sorglosigkeit vorwerfen, wenn es nicht so ein trauriges Lehrstück darüber wäre, wie Medien aus dem Nichts den Anschein eines Zeitdruck produzieren, dem sie dann alle Sorgfaltspflichten opfern.

· · ·

Als die Medienzeitschrift „Journalist“, das Verbandsorgan des Deutschen Journalistenverbandes, am Freitagnachmittag die Vorwürfe auf ihrer Internetseite und mit einer Pressemitteilung öffentlich machte, ließ sie keinen Zweifel an der Schuld des Betroffenen, den sie auch namentlich nannte. Schon im Bildtext heißt es unmissverständlich: „Von Welt bis Spiegel Online brachte ein Journalist ausgedachte Experten-Statements unter“, im Text selbst wirft der Autor ihm „Betrug“ vor. W. kommt nicht zu Wort. Der Artikel endet mit dem Satz:

[W.] war trotz mehrerer Anfragen per E-Mail und Telefon für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Zwischen der ersten Anfrage bei W. und der Veröffentlichung lagen gerade einmal 26 Stunden. Das Presseratsverfahren, das die ganze Geschichte auslöste, liegt fast ein halbes Jahr zurück. W. hat nach eigenen Angaben seit November 2009 über den Fall nichts mehr gehört. Aber als der „Journalist“ Monate später das Thema aufgriff, erwartete er von dem Beschuldigten, innerhalb eines Tages zu antworten.

Ohne einen erkennbaren Grund wird aus einer höchstens sehr latent aktuellen Geschichte eine Eilmeldung, die um jeden Preis so schnell wie möglich veröffentlicht werden muss. Und natürlich von anderen Medien, wiederum so schnell wie möglich und wiederum journalistische Pflichten dieser Eile opfernd, weiter verbreitet werden muss.

Der „Journalist“-Autor hatte am Donnerstag Nachmittag erstmals versucht, W. zu erreichen. Der aber hatte gerade Urlaub, war mit seinen Eltern unterwegs und kontrollierte deshalb nach eigenen Angaben weder Anrufe noch E-Mails. Er hatte keinen Grund zur Annahme, dass es einen aktuellen Anlass geben könnte, dessentwegen er unbedingt erreichbar sein müsse.

Am Freitagnachmittag versuchte der „Journalist“-Autor auch über andere Wege, W. zu erreichen. Er fragte BILDblog-Chef Lukas Heinser nach der Nummer, und als der ihm die spontan nicht geben konnte, sagte er sinngemäß: Es eilt ja nicht, es ist ja für ein Monatsmagazin. In einer Mail an W. kündigte er allerdings an, „auf jeden Fall etwas Kleines“ veröffentlichen zu wollen, „möglicherweise heute noch“.

Kurz darauf veröffentlichte der „Journalist“ die Anschuldigungen, ohne mit W. gesprochen zu haben. Der Autor erklärt auf meine Anfrage, „wir hatten den Eindruck, dass Herr [W.] sich nicht mehr äußern wird – egal, wie lange wir noch warten“ und begründet das unter anderem damit, dass W. am Freitagnachmittag seines Wissens im Internet-Netzwerk Xing eingeloggt gewesen sei, also Zugang zu seinen Mails gehabt habe.

Irgendwann berichtete der „Journalist“-Autor offenbar auch im Programm von MDR-„Sputnik“ über die Vorwürfe. Auf der Senderhomepage wird W. zum „Spiegel-Online Redakteur“.

Der Branchendienst „Meedia“ machte aus den Vorwürfen des „Journalist“ noch am selben Tag eine „Top-Story“. Wie bei „Meedia“ üblich wurden die Formulierungen des „Journalist“ fast wörtlich und mit nur geringsten Änderungen übernommen.

Aber „Meedia“-Chef Georg Altrogge hat auch recherchiert. Er hat zwar nicht versucht, W. zu erreichen, aber mir und Lukas Heinser eine eilige Mail geschickt, in der er wissen wollte, ob W., den er [mit dem falschen Vornamen] Stefan nennt, Autor oder Mitarbeiter bei BILDblog ist, und uns wörtlich fragte: „Ziehen aus dem Verdacht Konsequenzen?“

„Meedia“ beließ es nicht bei der Namensnennung, sondern zeigt W. auch groß im Bild. Das Foto hat „Meedia“ kurzerhand und ohne Genehmigung von dessen Homepage genommen.

Auch die Nachrichtenagentur ddp nahm den Fall auf. Sie anonymisierte aber den Beschuldigten, und widersprach in einem entscheidenden Punkt der Darstellung von „Journalist“, „MDR Sputnik“ und „Meedia“: Der Springer-Verlag habe nach eigenen Angaben Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet, nicht gegen W. Auf einen entsprechenden Hinweis von W. hin, der inzwischen die Kontaktversuche und die Berichterstattung auf journalist.de bemerkt hatte, wurde dem Text dort ein Nachtrag mit einer entsprechenden Aussage W.s hinzugefügt.

Ebenfalls noch am selben Abend schrieb W. an „Meedia“, dass die Vorwürfe gegen ihn falsch seien, und forderte den Mediendienst auf, das Foto zu entfernen. Altrogge hielt sein Schreiben für merkwürdig und ignorierte es.

Nachdem sich W. am Freitag beim „Journalist“ über die Berichterstattung beschwert hatte, macht dessen Chefredakteur Matthias Daniel ihm am Samstag ein Angebot, sich in einem Interview mit dem Autor der Geschichte nachträglich zu dem Sachverhalt zu äußern. Das halte er „für die sauberste Lösung“, schrieb er ohne erkennbare Ironie. W. aber machte zur Bedingung, dass zunächst die fehlerhaften Passagen in dem journalist.de-Text korrigiert werden. Weil er nicht mit einer fairen Berichterstattung rechnete, nahm er das Interview-Angebot nicht an und behält sich juristische Schritte gegen den „Journalist“ vor.

· · ·

Ich habe „Meedia“-Chefredakteur Georg Altrogge Freitagnacht per Mail gefragt, ob er vor der Berichterstattung versucht hat, W. zu erreichen und auf welcher Rechtsgrundlage er glaubt, sein Foto zeigen zu dürfen. Erst 19 Stunden später und auf nochmalige Nachfrage bekomme ich eine Antwort, die ich aber nicht zitieren darf. Er sei über die Sache gut genug informiert, um sich ein Urteil erlauben zu können, und kenne beide Seiten.

Das ist ein bisschen erstaunlich, denn noch am Tag zuvor teilte er mir mit, dass er nicht beurteilen könne, was an den Vorwüfen von „Journalist“ und „Sputnik“ dran ist. An dem „Meedia“-Bericht hat jemand in der Zwischenzeit offenbar in großer Hektik Reparaturarbeiten ausgeführt. Hinzugefügt wurde u.a. auch folgender Nachtrag:

Nachtrag, 27. März: Wie aus dem MEEDIA-Artikel hervorgeht, ist dort nicht die Behauptung aufgestellt worden, das [sic!] Springer eine Anzeige gegen Stefan [sic!] [W.] erstattet hätte, sondern lediglich, dass der Verlag Strafanzeige erstattet hat. Auf Wunsch des Autoren hat MEEDIA in einem Nachtrag oben deutlich gemacht, dass die Anzeige (wie offenbar eine weitere der Spiegel-Gruppe) gegen Unbekannt erfolgten.

Bei dem von Stefan [sic!] [W.] genannten „Kölner Rechtsanwalts“ [sic!] handelt es sich um einen aller Wahrscheinlichkeit nicht existenten Anwalt, unter dessen Namensnennung Zitate in mehreren Texten des 25-Jährigen zu verschiedenen Themen enthalten waren. Mit diesem Thema sind derzeit die Staatsanwaltschaften in Berlin und Hamburg befasst, wobei zu klären ist, wer was erfunden hat und ob unter Umständen ein unbekannter Dritter den Autoren [sic!] hinters Licht geführt haben könnte. Wie dem Artikel oben zu entnehmen ist, geht es aber offensichtlich um weitere von [W.] angeführte Experten, deren Existenz ebenfalls strittig ist. Bis zur endgültigen Aufklärung wird also noch einige Zeit vergehen.

Heute vormittag bekam ich folgendes Statement von Altrogge:

Ein Autor, der sich selbst so exponiert zu Fragen der journalistischen Berufsethik äußert, muss es auch hinnehmen, dass über die Methoden und Qualität seiner Artikel ebenso öffentlich diskutiert wird. Nach unserem Kenntnisstand gibt es dabei eine solche Fülle von Ungereimtheiten, dass es abwegig erscheint, dies durch Zufälle oder Pech bei der Recherche zu erklären. Dafür spricht auch, dass mehrere große Medienhäuser wie berichtet nach intensiver Prüfung die Zusammenarbeit mit diesem Autoren beendet und die betroffenen Artikel aus dem Archiv gelöscht haben.

Ich habe auch den „Journalist“-Chefredakteur Mathias Daniel gefragt, warum er die die Vorwürfe veröffentlicht hat, ohne eine Stellungnahme des Betroffenen abzuwarten, ob die Sache eine besondere Dringlichkeit hatte, die es nicht erlaubt hätte, eine Antwort von W. abzuwarten, und ob er es für gerechtfertigt hält, den Namen des 25-jährigen Studenten zu veröffentlichen und per Pressemitteilung zu verbreiten und damit seinen beruflichen Ruin zu riskieren. Daniel antwortete:

Bei [W.] handelt es sich eben nicht um einen 25-jährigen Berufsanfänger, sondern um einen bereits etablierten Journalisten, der nach Aussage mehrere Medien Zitate erdichtet hat. Nachweislich gibt es den mehrfach zitierten Experten nicht.

Nicht wir haben behauptet, dass gegen [W.] eine Strafanzeige gestellt wurde; das hat Welt Online getan.

Wir haben selbst keine Vorwürfe erhoben, sondern über bestehende Vorwürfe berichtet.

Den Namen haben wir genannt, weil ein Journalist qua seines Berufes in der Öffentlichkeit steht und agiert. Was er publiziert, ist stets öffentlich und nicht privat. Wenn ihm vorgeworfen wird, zu lügen oder Dinge zu erfinden, ist das von Bedeutung für die Öffentlichkeit, jedenfalls in unserer Branche. Wir haben aber in der Tat länger darüber diskutiert, ob die Namensnennung klug ist. Letztlich stehen aber die Vorwürfe seine öffentliche Funktion betreffend im Raum, und nachdem wir mit allen Beteiligten gesprochen haben (und davon ausgehen mussten, dass [W.] nicht mit uns reden will), haben wir uns entschlossen, den Namen zu nennen.

Dass der „Journalist“ selbst keine Vorwürfe erhoben hat, ist natürlich falsch. Und bei der Frage der Namensnennung geht es nicht nur darum, was „klug“ ist, sondern auch, was journalistisch und juristisch erlaubt ist.

Immerhin wurde auf meine Nachfrage unauffällig die Bildzeile geändert. Statt „Von Welt bis Spiegel Online brachte ein Journalist ausgedachte Experten-Statements unter“ steht da nun plötzlich: „Falsche Zitate in Spiegel Online, Welt Online und Südkurier?“ Ob das bedeutet, dass die Leute vom „Journalist“ mit einem Mal auch nicht mehr der Meinung sind, dass der Sachverhalt „ziemlich klar ist, bloß Autor äußert sich nicht“, wie sie gestern noch twitterten, weiß ich nicht.

· · ·

Da sind also gestandene Journalisten und Chefredakteure von Medienmagazinen. Sie glauben genau zu wissen, was passiert ist, müssen es aber kurz darauf zurücknehmen. Sie schaffen es nicht, den Verdacht anderer so zu zitieren, dass sie ihn sich nicht zu eigen machen. Sie verzichten auf elementarste Grundregeln von Fairness, Recherche und Journalismus. Ihre Artikel sind hastig zusammen geschludert und strotzen teilweise vor Fehlern. Sie glauben, in größter Eile eine Monate alte Geschichte berichten zu müssen. Und sie sind überzeugt, mal eben die Glaubwürdigkeit, die Existenz eines 25-jährigen Journalistikstudenten zerstören zu dürfen, weil der sauberer hätte arbeiten müssen?

*) Nachtrag, 1. April. Aus juristischen Gründen habe ich den Namen des Beschuldigten nachträglich anonymisiert, auch in den Kommentaren.

Malen nach Zahlen

Man kann natürlich fragen, welches Interesse die „Bild“-Zeitung und ihr Chefkorrespondent Einar Koch daran haben, das Ausmaß rechtsextremistischer Gewalt in diesem Land kleinzureden. Ich vermute, es ist ein alter, aus ideologischeren Zeiten übrig gebliebener, rechter Reflex, der in doppelter Hinsicht gegen die Linke zielt: Man versucht ihren Generalverdacht, dass Deutschland immer noch und wieder voller Nazis sei, zu widerlegen. Und man behauptet, dass die Gewalt von links ohnehin das viel drängendere Problem ist. (Die mutmaßlich linken Brandstifter, die in Hamburg und Berlin seit Monaten Autos anzünden, nennt „Bild“ nicht zufällig „Terroristen“.)

Aber der Grund, warum ich mich über die Falschmeldung über den Rückgang rechter Gewalt besonders geärgert habe, hat weniger mit „Bild“ zu tun. Sondern mit allen anderen. In dieser Geschichte steckt fast das ganze Elend des Journalismus von heute.

· · ·

Die „Bild“-Zeitung möchte also gerne wissen, wie sich die Zahl der rechten Gewalttaten im vergangenen Jahr verändert hat. Sie möchte aber nicht abwarten, bis im Frühjahr die offiziellen Zahlen bekannt gegeben werden. Sie möchte nicht einmal abwarten, bis in einem Monat die vorläufigen Zahlen für das ganze Jahr vorliegen. Mit anderen Worten: Sie möchte gar nicht wissen, wie sich die Zahl der rechten Gewalttaten im vergangenen Jahr verändert hat. Sie möchte nur irgendwas als erster melden, was vielleicht stimmt und vielleicht nicht. Ich fürchte, damit ist sie nicht allein.

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Glaubt überhaupt irgendjemand, dass sich die Gefahr des Rechtsextremismus durch solche Statistiken messen lässt? Dass man zum Beispiel aufatmen könnte, wenn die Zahl der Gewalttaten tatsächlich um 8,5 Prozent zurückgegangen wäre? Wenn überhaupt, bräuchte man doch einen Kontext: Warum ist die Zahl zurückgegangen? Haben irgendwelche sozialen Angebote geholfen? Gab es massive Razzien? Haben die Neonazis ihr Vorgehen vom brutalen Einschüchtern aufs unauffällige Unterwandern verlagert? Oder was?

Der Zahlenfetisch der Massenmedien hat bizarre Ausmaße angenommen. Irgendwelche Prozentwerte, Statistiken und Hitparaden sagen zwar oft nichts aus, tun aber immer so, als ob. Sie wirken wie Fakten, lassen sich knackig auch in kürzesten Meldungen formulieren und ersetzen die ungleich mühsamere Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit in Form von Anschauung und Reflexion. Was will eigentlich Karl-Theodor zu Guttenberg, wofür steht er, welche Widersprüche tun sich auf? Egal, aber er ist in der Liste der beliebtesten Politiker von Platz 2 auf Platz 1 geklettert! Kein Mensch beschäftigt sich inhaltlich mit den Urteilen des Presserates, aber wenn bekannt wird, dass die Zahl der Beschwerden um 70 Prozent zugenommen hat, seit man sie einfach online einwerfen kann, schreiben das alle. Wie gut sind eigentlich die Kommentare in den „Tagesthemen“? Keine Ahnung, wer guckt das schon, aber der WDR liegt in der Kommentarhitparade an erster Stelle, und Siegmund Gottlieb BR hat zweimal häufiger kommentiert als Holger Ohmstedt vom NDR.

Und nur so kommt auch das Thema Rechtsradikalismus verlässlich in die Nachrichten: als Hitparade (die Neonazis sind zum zehnten Mal dabei, bitte nicht wiederwählen).

Wenn Journalisten Zahlen sehen, setzt bei ihnen der Verstand aus. Eine Kosmetikfirma, die sich auf natürlich-dezente Alternativen zum Make-up spezialisert hat, veröffentlicht eine angebliche „Studie“, wonach den meisten Männern dick aufgetragenes Make-Up bei ihren Partnerinnen (!) nicht gefällt. Die offenkundige PR-Geschichte geht in all ihrer Belanglosigkeit um die Welt und erscheint natürlich auch auf „Spiegel Online“ samt zehnteiliger Bildstrecke — unter der bizarr-abwegigen Überschrift „Die Lockstoff-Falle: Wenn Stars zu viel auflegen“. Und weil Autorin und Ressortleiterin Patricia Dreyer offenbar meint, dass andere Leute genau so auf den Statistik-Quatsch reinfallen müssten wie sie selbst, formuliert sie, dass die Umfrage „Katie Price und Kolleginnen zum Nachdenken anregen dürfte“. Genau. Katie Price, das Fotomodell und Gesamtkunstwerk, wird sich jetzt fragen, was sie falsch gemacht hat, all die Jahre, mit der ganzen Schminke und dem ganzen Erfolg.

Mein Lieblingsbeispiel ist natürlich von den Kollegen vom Braanchendienst „Meedia“, die es schafften, in einer Meldung über getötete Journalisten in der Welt gleich zwei Hitparaden unterzubringen: Die Länder- und die Jahres-Hitparade:

Von den weltweit 88 getöteten Journalisten starben allein bei dem Massaker auf den Philippinen Ende November 35. Durch dieses eine Ereignis steigt die südostasiatische Region zum gefährlichsten Land für die Berufsgruppe auf. Auf den weiteren Plätzen: Acht Journalisten wurden in Pakistan getötet, sieben in Mexiko und sechs in Somalia. In Russland verloren fünf Journalisten ihr Leben. Weitere europäische Länder sind in dem Bericht nicht aufgelistet.

Bereits jetzt liegt 2009 im Jahresvergleich an dritter Stelle seit Beginn der WAN-Berichte im Jahr 1998: nur 2007 mit 95 und 2006 mit 110 getöteten Medienvertretern waren noch blutiger.

Ist das nicht toll? Wenn es in diesem Jahr kein einzelnes vergleichbares blutiges Massaker auf den Philippinen gibt, wird „Meedia“ es als „Aufsteiger“ des Jahres in Sachen Journalistensicherheit feiern können. (Die Meldung ist übrigens vom 1. Dezember. Natürlich wollte keiner das Ende des Jahres abwarten.)

Aber zurück zu den rechten Gewalttaten und „Bild“: Das Blatt behauptete gestern auch, die Zahl „rechter Straftaten insgesamt (z. B. Volksverhetzung)“ sei „um 0,35 %“ gestiegen. Diese (vermutlich falsche) Aussage fanden die Agenturen AFP, AP, dpa so interessant, dass sie sie begierig in die Welt trugen. Schreiben wir einmal aus, was der Wert tatsächlich bedeutet: Derjenige Teil der rechten Straftaten zwischen Januar und November 2009, der bereits in einer vorläufigen Zählung erfasst wurde, liegt um ein winziges Fitzelchen höher, als derjenige Teil der rechten Straftaten zwischen Januar und November 2008, die damals schon erfasst wurden, sich im Nachhinein als viel zu niedrig herausgestellt hatte, wovon auch in diesem Jahr wieder auszugehen ist. Das ist eine Nachricht? Wirklich? Warum?

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Und dann ist da der Fluch der Vorabmeldung. Vermutlich gibt es bei Nachrichtenagenturen interne Regeln, wie eine Nachricht auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen ist, bevor man sie veröffentlicht. (Ich weiß, der Anschein spricht nicht dafür, aber es soll solche Regeln tatsächlich geben.) Jede Pflicht zur Überprüfung einer Information erlischt aber offenbar dann, wenn sie per Fax oder E-Mail am späten Abend eintrifft und von irgendeinem Medium kommt, das ankündigt, darüber am nächsten Tag zu berichten.

Ohne jede Kontrolle beeilten sich dpa, APD, Reuters, AFP, die Behauptung von „Bild“, die Zahl rechter Gewalttaten sei zurückgegangen, möglichst schnell und möglichst weiträuming in die Welt zu pusten. So wichtig wie es für „Bild“ war, die vermeintlichen Zahlen über das Jahr 2009 noch vor dem Vorliegen auch nur vorläufiger Zahlen für 2009 in zu veröffentlichen (egal ob sie stimmen oder nicht), so wichtig war es für die Nachrichtenagenturen, diese Informationen noch vor Tagesanbruch weiterzutragen. AP schaffte es 0.15 Uhr als erstes, AFP zog um 1.56 Uhr nach, dpa brauchte bis 2.31 Uhr und die Nachtschicht von Reuters konnte um 4.28 Uhr Vollzug melden.

Keine dieser Agenturen fand die Quelle „Bild“ zu halbseiden, keine erinnerte sich, dass der Autor der „Bild“-Meldung einschlägig bekannt ist und vor knapp vier Jahren schon einmal zum selben Thema eine Falschmeldung produziert hatte. Keine der Agenturen stutzte, dass die Behauptungen von „Bild“, die auf Zahlen des BKA beruhen sollen, den von ihnen allen damals vermeldeten Äußerungen von BKA-Chef Jörg Ziercke widersprachen, der vor drei Wochen erst gesagt hatte, er rechne für 2009 mit ähnlich vielen rechten Straf- und Gewalttaten wie im Vorjahr, und auch angesichts der besonderen Brutalität rechter Schläger davor warnte, an Aussteigerprogrammen zu sparen.

Wenn die Nachtschicht sich nur auch nur zwei Minuten genommen hätte, ins eigene Archiv zu gucken, hätten sie vielleicht auch entdeckt, dass die aktuelle Behauptung von „Bild“, linksradikale Gewalt habe in den ersten drei Quartalen um 49,4 Prozent zugenommen (nein, nicht um die Hälfte, um 49,4 Prozent!) keine Neuigkeit war. Die Zeitung hatte das schon am 16. Dezember behauptet. Das Bundesinnenministerium und das BKA hatten damals davor gewarnt, diesen Zahlen zu glauben, weil sie noch vorläufig und nicht verlässlich seien. Aber die Agenturen hatten sie natürlich trotzdem übernommen.

Das war schlimm genug. Aber nicht zu merken, dass diese Zahlen, die „Bild“ noch einmal veröffentlicht hat, weil sie so einen schönen Kontrast darstellen zur angeblich zurückgehenden Zahl rechter Gewaltdelikte, und sie als Neuigkeit zu behandeln, wie es dpa, AFP und APD getan haben, ist schlicht bekloppt. AFP packte die Scheinnachricht sogar in die Überschrift: „Zeitung: Weniger rechtsextreme Gewalttaten in Deutschland – Laut BKA aber Zunahme bei Linksextremisten“ (wohlgemerkt: jenes BKA, das sich schon von der ersten Veröffentlichung im Dezember distanziert hatte).

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Nächster Akt: Bei dpa bekommt jemand plötzlich einen Rechercheflash. Am Vormittag fragt er beim BKA nach den Zahlen, die „Bild“ unter Berufung auf das BKA nennt, und bekommt zur Antwort: Von uns ist das nicht. Nun könnte man denken, dass das ein guter Grund wäre, die halbgaren Daten aus einer Quelle von der bekannten Seriösität der „Bild“-Zeitung nicht zu verwenden. Falsch. Für dpa ist es ein Grund, die Daten noch einmal zu vermelden — nur halt mit dem Zusatz, dass das BKA sie nicht bestätigen möchte.

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An dieser Stelle muss man noch einmal darauf hinweisen, was passiert, wenn Nachrichtenagenturen Meldungen aus dubiosen Quellen wie „Bild“ übernehmen: Sie machen aus ihnen Meldungen aus seriöser Quelle. Der Presserat, das Selbstkontrollsimulationsgremium, hat erklärt, dass Journalisten sich blind auf die Meldungen von Nachrichtenagenturen verlassen dürfen. Ihnen ist kein Vorwurf zu machen, wenn sie das nicht mehr nachrecherchieren. Ist das nicht toll? Unsere Nachrichtenagenturen melden Dinge, die sie nicht nachprüfen, und andere dürfen sie dann unbesehen übernehmen, weil sie von Nachrichtenagenturen gemeldet werden.

Das passiert im Online-Journalismus natürlich inzwischen sogar weitgehend automatisch, weshalb die Quatschmeldung vom Rückgang der rechten Straftaten innerhalb kürzester Zeit von den Internet-Ablegern vermeintlich renommierter Medien wie der „Süddeutschen Zeitung“, dem „Stern“ und der „Deutschen Welle“ weiterverbreitet wurde.

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Als nächstes habe ich einen Fehler gemacht. Ich habe einem Kollegen bei dpa geschrieben, dass ich angesichts von deren Berichterstattung eine fiese Migräne bekommen habe (sinngemäß), was leider einen anderen dpa-Mann veranlasste, der Sache mit „Bild“ und dem BKA und den Zahlen noch einmal nachzugehen. Vom Bundesinnenministerium erfuhr die Agentur, dass die Zahlen nicht seriös seien, was sie in einer weiteren Meldung brav aufschrieb, bevor sie die unseriösen Zahlen zum inzwischen dritten Mal vermeldete. Vor allem aber hatte sie den Schwerpunkt ihrer, nun ja: Recherche fatalerweise auf nicht die fehlende Aussagekraft der „Bild“-Zahlen gelegt, sondern die Frage, woher die „Bild“-Zeitung schon den vorläufigen Wert für November kennt, obwohl der noch gar nicht veröffentlicht wurde.

Die dpa-Meldung trug den Titel „Wirbel um Zahlen zu rechtsextremen Gewalttaten“, was dem überaus ahnungslosen diensthabenden Nachrichten-Redakteur bei „Focus Online“ offenbar zu langweilig war. Er schmückte die ohnehin abwegige dpa-Geschichte noch weiter aus und verpackte sie so:

Wer hat geplaudert?

Eine Meldung über zurückgehende Zahlen bei rechtsextremer Gewalt hat für Wirbel gesorgt. Die Zahlen waren nicht amtlich, das BKA sucht nach der undichten Stelle. Eine angebliche Spur führt in den Bundestag.

Aus Zahlen ohne Aussagekraft (die aber ohnehin jeden Monat veröffentlicht werden) sind also nun Zahlen von höchster Brisanz geworden (die jemand lanciert hat, obwohl sie eigentlich geheim gehalten werden sollten).

Das ist nun die Art Meldung, auf die der hysterisch-paranoide Mob der Möchtegern-politisch-Inkorrekten gewartet hat. Diese Leute sind der Meinung, dass Ausländer und Moslems dieses Land in den Untergang führen, und dass ihnen dabei eine Verschwörung der Massenmedien und der herrschenden Klasse hilft, die Meldungen über Ausländerkriminalität unterdrücken und die Gefahr durch deutsche Neonazis übertreiben. Man findet diese Leute in besonders konzentrierter Form bei „Politically Incorrect“, einer riesigen Internet-Selbsthilfe- und Selbstbestätigungsgruppe für Menschen, die nicht verstehen, warum sie Rassisten sein sollen, obwohl sie doch nur was gegen Moslems und andere Ausländer haben, aber auch massenhaft in den Kommentarspalten vieler Medien.

Diese Leute verstehen die „Focus Online“-Meldung nun als Beweis für ihre Verschwörungstheorie. Jemand habe verbotenerweise ausgeplaudert, was eigentlich geheim bleiben sollte: dass das mit der Neonazi-Gewalt gar nicht (mehr) so schlimm ist (nachzulesen u.a. in den Kommentaren auf „Focus Online“, natürlich bei „Politically Incorrect“, mit Kommentaren wie: „Der Kampf gegen Rechts ist die SA der LinksgrünInnen“, aber auch in ähnlich schlimmer Form in der „Readers Edition“). Wenn irgendwann im Frühling die tatsächlichen Zahlen über rechte Gewalt veröffentlicht werden (von denen noch unbekannt ist, ob sie zugenommen oder abgenommen hat, deren Zahl aber auf jeden Fall drastisch über den von „Bild“ genannten liegen wird, weil das in der Natur der Sache der vorläufigen Zählung liegt), dann werden diese Leute auch das wieder als Bestätigung für ihre krude Weltsicht interpretieren: Man habe die Zeit genutzt, so lange die Zahlen zu manipulieren, bis das rauskam, was rauskommen sollte, nämlich dass Nazis immer noch ein großes Problem sind, obwohl doch in Wahrheit die Ausländer das Problem seien.

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Hinter der hier exemplarisch beschriebenen Form der flächendeckenden Desinformation steckt keine Panne. Sie hat System. Wenn „Bild“-Chefkorrespondent Einar Koch in seinem Wahn, die Zahl rechtsextremer Gewalt kleinschreiben zu wollen (oder auch nur derjenige zu sein, den alle mit der Exklusiv-News über die Zahl rechtsextremer Gewalt zu zitieren) nächsten Monat oder nächstes Jahr wieder denselben Unsinn veröffentlicht, wird wieder genau dasselbe passieren.

Die Rügen-Routine, journalismusfrei

Alle drei Monate gibt der Deutsche Presserat die Rügen bekannt, die seine Beschwerdeausschüsse ausgesprochen haben. In knapper Form nennt er die Medien, beschreibt die Fälle und zitiert die Richtlinien des Pressekodex, gegen die sie verstoßen haben. Aus der Pressemitteilung machen dpa, andere Nachrichtenagenturen und die Branchendienste dann durch Kürzen und Umstellen einzelner Sätze Meldungen. Eine Recherche findet nicht statt.

Am Donnerstag war es wieder so weit. Die Pressemitteilung trug diesmal den Titel „‚Erstklassige‘ Schleichwerbung: Presserat rügt Zeitung für Luxusflug-Reportage“. Die Agentur dpa behielt die Überschrift gleich bei und meldete: „Presserat rügt Zeitung für Luxusflug-Reportage“. Die Kollegen der Katholischen Nachrichtenagentur KNA entschieden sich für: „Presserat erteilt sechs Rügen“.

„Kress Report“, „W&V“, „Horizont“, „Meedia“, „DWDL“ — sie alle verwursteten die Pressemitteilung zu Online-Meldungen, nicht ohne gelegentlich kleine Fehler einzubauen. Bei kress.de wurde aus der öffentlichen Rüge für die „Thüringer Allgemeine“ eine nicht-öffentliche; bei horizont.net aus einer Rüge wegen Diskriminierung von Sinti und Roma eine wegen Verletzung der Intimsphäre. Die Ab- und Umschreibespezialisten von „Meedia“ übernahmen beim Copy & Paste ganze Absätze der Pressemitteilung inklusive Flüchtigkeitsfehler („Persönlichkeitsreichte“), missverstanden eine zeitlose Richtlinie aus dem Pressekodex als aktuelle Anspielung auf den Fall Robert Enke und personalisierten auf fast perfide Weise die Rüge für die „Thüringer Allgemeine“, indem sie so taten, als sei der „von der WAZ freigestellte und in der Diskussion als Qualitätsjournalist etikettierte“ Ex-Chefredakteur Sergej Lochthofen persönlich getadelt worden.

Mit Ausnahme von horizont.net, die immerhin den Link zu einem der gerügten Artikel heraussuchten (aber absurderweise zur Illustration irgendeine „Welt am Sonntag“ zeigen und nicht die Seite mit dem gerügten Text), hat keines dieser Medien in irgendeiner Weise selbst recherchiert.

Dabei hätte es nur wenige Minuten gedauert, die gerügten Online-Artikel zu ergooglen oder aus den Archiven zu suchen. Die Kollegen hätten sich die Artikel selbst durchlesen und sie mit eigenen Worten beschreiben können, anstatt sich auf die Formulierungen des Presserates verlassen zu müssen. Sie hätten sich ein eigenes Bild machen und die Urteile des Presserates, der ja nicht unfehlbar ist, kritisch würdigen können. Sie hätten merken können, dass die eine Werbegeschichte aus der „Welt am Sonntag“, die der Presserat gerügt hat, von einem nicht unbekannten Schriftsteller verfasst wurde. Sie hätten bei Edda Fels, der Kommunikationschefin von Axel Springer, nachfragen können, ob die „Welt am Sonntag“ für den Bericht über die First Class von Singapore Airlines tatsächlich die Kosten von rund 9000 Euro selbst bezahlt hat, wie es ihre ach so strengen journalistischen Leitlinien vorschrieben. Sie hätten darüber stolpern können, dass die gerügten Online-Medien nur die Artikel aus ihren Print-Müttern übernommen haben, und beim Presserat nachfragen, warum er in solchen Fällen nicht beide Versionen rügt.

Es hat mich 15 Minuten gekostet, herauszufinden, wer der Bürgermeister und ehemalige Bundestagsabgeordnete ist, über den sein früherer Pressesprecher eine Abrechnung in der „Thüringer Allgemeinen“ schreiben durfte. Vermutlich wäre das mit einem Anruf beim Presserat auch in drei Minuten zu erfahren gewesen.

Je nach vorhandenem Interesse und verfügbarer Zeit hätten sich mit einer Investition von wenigen Minuten oder zwei Stunden auf Grundlage der Pressemitteilung des Presserates interessante, relevante, lesenswerte eigene Artikel produzieren lassen. Stattdessen haben sich alle Mediendienste sowie die Nachrichtenagenturen dafür entschieden, nichts weiter zu tun, als die Pressemitteilung umzuschreiben.

Das ist typisch ist für die Art, wie in vielen (Online-)Redaktionen gearbeitet und auf die Möglichkeit verzichtet wird, sich mit geringstem Aufwand ein eigenes Bild zu verschaffen, sich von der Konkurrenz zu unterscheiden und, herrje: journalistisch zu arbeiten. Und ich glaube, dass sich das nicht nur mit Geld-, Zeit- und Personalnot erklären lässt. Es ist eine Frage des Handwerks. Und der Haltung.

Wenn einem journalistischen Medium die Mittel fehlen, mit einer Pressemitteilung mehr zu tun als sie zu kürzen, dann fehlen ihm die Mittel, ein journalistisches Medium zu sein. Und warum sollte es ökonomisch sinnvoll sein, zuverlässig dasselbe zu produzieren wie die Konkurrenz? Worin besteht der Mehrwert für den Leser?

Journalismus ist in einem erstaunlichem Maße durch das routinierte, fast mechanische Reproduzieren von Inhalten ersetzt worden. Ein Teil der Belegschaft ist ganz für die Arbeit am Content-Produktions-Fließband abgestellt, wo selbst der Gedanke an eine Mini-Recherche, wie in diesem Fall ein Link auf die gerügten Artikel des Presserates, abwegig ist.

Es ist ein Journalismus, dem das Interesse an seinem Gegenstand abhanden gekommen ist. Wer braucht den?

(Nein, dieser Text hat nicht die versteckte Botschaft: Seht her, wie toll wir das im Vergleich bei BILDblog machen. Ich ärgere und wundere mich nur jedesmal über den Umgang mit den Presserats-Meldungen und halte sie für ein besondes anschauliches Beispiel dafür, wie Journalismus bloß simuliert wird.)

Ein Synonym für Roland Koch

Der Mediendienst „Meedia“ bringt die Diskussion um Nikolaus Brender auf ein neues Niveau:

Nachtrag, 13.17 Uhr. „Meedia“-Chef Georg Altrogge kommentiert:

Bei der „Ente“ handelt es sich um einen nicht zur Veröffentlichung frei gegebenen Text, der durch einen internen Fehler für wenige Minuten online war. MEEDIA distanziert sich von der Formulierung im Zusammenhang mit Roland Koch. [Wir] überprüfen derzeit den Vorgang und werden dafür sorgen, dass sich Derartiges nicht wiederholt.