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Einer gegen die VG Wort: Martin Vogel und die zweifelhaften Ansprüche der Verlage

Medium Magazin

Es ist ein ungleicher Kampf. Auf der einen Seite die deutschen Verlage, die großen Journalistenverbände und -gewerkschaften, die Verwertungsgesellschaften sowie womöglich sogar zigtausend Journalisten, die in diesem Sommer keinen Scheck von der VG Wort bekamen. Und auf der anderen Seite Martin Vogel, 65 Jahre alt, Urheberrechtsexperte und Patentrichter in München.

Die einen warnen davor, das bestehende System der Verwertungsgesellschaften zu gefährden, verweisen auf Tradition und Gewohnheit und darauf, dass doch alle irgendwie ganz gut damit fahren, so wie es ist. Und der andere sagt: So wie es ist, widerspricht es aber dem Gesetz.

Es geht um das Geld, das die VG Wort von Kopiergeräteherstellern und Copy-Shops einsammelt, um die Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werken zu vergüten: die Reprographieabgabe. Diese Einnahmen schüttet sie nämlich nicht nur an die Urheber aus, sondern beteiligt daran mit 30 bis 50 Prozent auch die Verlage. Die Verlage haben die VG Wort mit begründet; die Gemeinsamkeit sollte sie auch stark machen.

Doch sie haben nach Ansicht von Vogel gar keinen Anspruch, der eine Beteiligung rechtfertigen würde. Das Geld, zig Millionen Euro jährlich, stünde allein den Urhebern zu.

Die Materie ist kompliziert, und es macht die Sache nicht leichter, dass viele Beteiligte schon seit vielen Jahren an dem Streit beteiligt sind. Die juristischen Meinungsverschiedenheiten und Auseinandersetzungen verschiedener Interessen werden überlagert von persönlichen Verletzungen. Vogel ist in der Rolle eines einsamen Querulanten — oder wird, je nach Standpunkt, in sie gedrängt. Aber er gehört zu den renommiertesten deutschen Urheberrechtlern, und seine Positionen und Interpretationen sind keineswegs die exotischen Minderheitenmeinungen, als die seine Gegner sie darstellen.

Es ist ein bisschen anstrengend, mit ihm zu reden. Fast jede Frage, die auf die Gegenwart zielt, beantwortet er mit einem Exkurs in die Vergangenheit. Für ihn ist es so etwas wie seine Lebensaufgabe geworden. „Ich habe einen Großteil meiner Freizeit in diese Arbeit gesteckt, um für die rechtliche Besserstellung der Urheber zu kämpfen.“

Er hat für die damalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin am sogenannten „Stärkungsgesetz“ mitgewirkt, mit dem die rot-grüne Koalition 2002 die Position der Kreativen gegenüber den Verwertern verbessern wollte. In einem neuen Paragraph 63a wurde darin festgehalten, dass Urheber auf ihre Ansprüche aus der Reprographie-Vergütung nicht verzichten und sie nur an eine Verwertungsgesellschaft abtreten können. Damit konnten Verlage sich diese Rechte nicht mehr von den Autoren übertragen lassen und bei der VG Wort geltend machen. Als Folge wurde in einem Kompromiss — ebenfalls erst nach Druck von Martin Vogel — beschlossen, den Verlegeranteil an den Ausschüttungen zögernd und schrittweise zu reduzieren.

Doch die Verlagsvertreter erreichten es, dass der Paragraph 63a revidiert wurde. In einer Neufassung, die 2008 in Kraft trat, wurde ausdrücklich erlaubt, dass Urheber ihre Verwertungsrechte an Verleger abtreten können, wenn diese wiederum sie in die VG Wort einbringen. Dadurch sollte die langjährige Praxis der VG Wort, die Verlage nach vorgegebenen Pauschalanteilen an den Erlösen zu beteiligen, wieder legitimiert werden.

Martin Vogel kritisiert die Neufassung als Schwächung der Position der Urheber — meint aber, dass diese Neufassung es der VG Wort trotzdem nicht erlaubt, einfach zu ihrer alten Praxis zurückzukehren. Viele Urheber hätten einen Wahrnehmungsvertrag mit der VG Wort geschlossen, was die spätere Abtretung ihrer Vergütungsansprüche an einen Verlag ausschließe. Deshalb könne die VG Wort nicht einen Teil der Zahlungen, die den Autoren zustehen, einfach an die Verlage weiterreichen.

Nach mehreren Versuchen, eine außergerichtliche Regelung zu finden, klagte er. Der DJV, bei dem er Mitglied ist, lehnte es ab, ihm Rechtsschutz zu gewähren, aber Vogel fand einen Weg, den Streitwert und damit seine Kosten gering zu halten: Er klagte nur wegen acht Artikeln, die er selbst verfasst hatte, gegen die VG Wort. Im Mai gab ihm Landgericht München I in erster Instanz recht.

Die VG Wort scheint das Urteil völlig unerwartet getroffen zu haben — „obwohl ihr die Klage seit Dezember vorlag“, wie Vogel sagt. Die Entscheidung stellt ihre Praxis — obwohl es sich nicht um einen Musterprozess handelt — fundamental in Frage. Die VG Wort kündigte daraufhin an, bis nach einer genauen Prüfung zunächst gar kein Geld auszuschütten, was den Nebeneffekt hatte, dass Martin Vogel nun für viele Autoren nicht derjenige war, der für ihre Rechte stritt, sondern derjenige, der Schuld war, dass sie erst einmal kein Geld bekamen.

Interessensvertreter wie Gerhard Pfennig, bis Ende 2011 Vorsitzender der VG Bild-Kunst, versuchten, Stimmung gegen Vogel zu machen: „Dass die von vielen nicht beamteten, sondern freiberuflichen Urhebern dringend benötigten Zahlungen der VG Wort und der VG Bild-Kunst jetzt erst einmal auf längere Zeit ausbleiben werden, muss einen Patentrichter, für den die Zahlungen bestenfalls die Weihnachtsgans finanzieren, nicht weiter stören, sofern es nur der Wahrheitsfindung dient“, schrieb Pfennig im Mai in einem Leserbrief an die „Süddeutsche Zeitung“. Er versuchte darin, Vogels Kampf gegen die Verteilungspraxis der VG Wort als einen persönlichen Rachefeldzug darzustellen, weil ihm der „gewünschte Aufstieg in die Verwaltungsgremien versagt blieb“.

Auch Vertreter des Deutschen Journalistenverbandes schürten öffentlich die Wut auf Vogel. Michael Hirschler, Referent für Freie Journalisten, nannte das Urteil eine „Katastrophe für die freien Journalisten“ und spielte deren angenommene chronische Geldknappheit gegen das vermutete Auskommen des Patentrichters Vogel aus. „Wohlbestallter Richter kippt die Autorenzahlungen der VG Wort“, polterte Hirschler in einem DJV-Blogeintrag, nannte Vogel „mutmaßlich wohlversorgt“ und schimpfte, er dürfe „wohl weniger finanzielle Sorgen haben“ als die Urheber, die er um ihr Geld bringe — „und spielt zugleich den Unschuldigen“.

Es ist erstaunlich, in welchem Maß die Gewerkschaften für die Interessen der Verleger zu kämpfen scheinen. DJV-Justiziar Benno H. Pöppelmann aber bestreitet das und sagt, der Verband kämpfe bloß für den Erhalt der VG Wort in der jetzigen Form. „Es geht uns dabei um die Interessen der Autoren. Wenn dieses Urteil rechtskräftig wird, könnte die VG Wort so nicht weiter existieren.“ Bis ein Ersatz etabliert sei, könnte es Jahre dauern „und die ganze Ausschüttung zum Stillstand kommen.“

Zunächst läuft sie wieder. Ende August hat die VG Wort schließlich doch das Geld an Urheber (und Verlage) ausgezahlt — unter Vorbehalt und „unter Hinweis auf mögliche Rückforderungen“, falls die Entscheidung des Gerichtes Bestand hat. Tatsächlich kann es sein, dass in diesem Fall nicht nur die Verlage, sondern auch die Autoren Geld zurückzahlen müssen. Dann nämlich, wenn sie die ihnen eigentlich zustehenden Wahrnehmungsrechte schon an die Verlage abgetreten haben — was aber nach Meinung Vogels auch gegen geltendes Recht verstoßen kann.

Das Urteil, das Martin Vogel erstritten hat, kann also dafür sorgen, dass einige Urheber nicht mehr Geld von der VG Wort bekommen, sondern gar keins. Auch dafür wird er von Gewerkschaftsvertretern verantwortlich gemacht, dabei wäre das eine Folge der Neufassung des Paragraphen 63a, an der sie mitgearbeitet haben. „Ich bin der Sündenbock dafür, dass die diesen Mist gemacht haben und ich das aufgedeckt habe“, sagt Vogel.

Von „zivil- und urheberrechtlichem Formalismus“ spricht ver.di-Justiziar Wolfgang Schimmel. Martin Vogel sagt: „Die VG Wort muss ihre Strukturen dem Gesetz anpassen, nicht umgekehrt.“

Bestätigt sieht Vogel seine Position auch durch das sogenannte „Luksan“-Urteil des Europäischen Gerichtshofes, wonach die Zahlungen aus gesetzlichen Vergütungsansprüchen originär dem Urheber zustehen. Die Praxis der VG Wort, die Verleger daran pauschal zu beteiligen, wäre nach Vogels Ansicht demnach auch nach europäischem Urheberrecht unzulässig.

Gegenwind bekommen die Verwertungsgesellschaften auch aus Brüssel: Die EU-Kommission hat einen Richtlinienentwurf vorgelegt, der von ihnen viel größere Transparenz fordert.

Die VG Wort hat gegen das Münchner Urteil Berufung eingelegt. Für „zigtausend Euro“ habe sie dafür Gutachten eingeholt, sagt Vogel — Geld, das wiederum eigentlich den Urhebern zustehe. „Warum sollten die Urheber das mitfinanzieren“, fragt er, „wenn es doch nach der Lukas-Entscheidung und nach nationalem Urheberrecht allein um die vermeintlichen Rechte der Verleger geht.“