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Die scheinheilige Empörung über Schumachers gestohlene Krankenakte

Was wäre so schlimm daran, wenn jemand die medizinischen Informationen über Michael Schumacher veröffentlicht würde? Ich frage für Michael Konken, den Vorsitzenden des Deutschen Journalisten-Verbandes, der am Dienstag vorsorglich an die Medien appellierte, die gestohlenen Daten keinesfalls zu veröffentlichen, dem dafür aber kein guter Grund einfiel: Das sei „Sensationsjournalismus ohne Substanz und Relevanz“, formulierte er hilflos; der Inhalt der Akte habe „weder politische noch gesellschaftliche Bedeutung“.

Dass ein Inhalt weder politische noch gesellschaftliche Bedeutung hat, kann nicht im Ernst ein Grund sein, seine Veröffentlichung zu untersagen. Und genau genommen wäre es Sensationsjournalismus ohne Relevanz, aber mit Substanz: Er würde ja zur Abwechslung mal nicht auf Spekulationen und Hörensagen, sondern auf gesicherten Informationen eines behandelnden Arztes beruhen.

Im Original fuhr Konken noch fort: „Die Veröffentlichung wäre ein vollkommen inakzeptabler und äußerst schwerwiegender Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von Michael Schumacher.“ Ich kann nur erahnen, wie lange sie in der DJV-Pressestelle überlegt haben, ob sie ihn nicht vielleicht sogar „total super übervollkommen inakzeptabel“ sagen lassen sollen, damit niemand daran zweifelt, wie unglaublich inakzeptabel der Chef das findet, und niemand darauf kommt, ihn zu fragen, warum eigentlich.

Die Antwort liegt natürlich einerseits auf der Hand: Man muss schon moralisch sehr verkommen sein, solche Unterlagen zu stehlen, sie zum Verkauf anzubieten oder zu veröffentlichen. Aber daran gibt es doch gar keinen Zweifel. Dafür brauchen wir doch keine Pressemitteilung des DJV, um das zu sehen.

Interessant würde es doch, andererseits, dort, wo Konken erklären müsste, warum gerade diese potentielle Veröffentlichung so ein viel äußersterer schwerwiegender Eingriff in die Persönlichkeitsrechte Schumachers wäre als all die tatsächlichen Veröffentlichungen, die es in den vergangenen Monaten über seinen Gesundheitszustand gegeben hat.

All die Spekulationen und Gerüchte, all die Fantastereien und Behauptungen unter Bezug auf wissende Quellen. Wie die „Bunte“, die vor knapp zwei Wochen schrieb, was „aus Klinikkreisen zu erfahren“ sei und was sie „aus dem medizinischen Umfeld der Klinik in Grenoble“ erfahren habe: Dass zum Beispiel möglicherweise das Gehirn Schumachers stärkere Schäden davongetragen habe als bisher in der Öffentlichkeit bekannt. Oder dass „man“ in der Klinik nicht mehr an eine vollständige Genesung Schumachers glaube.

Keine Ahnung, ob die Illustrierte da einfach wild vor sich hinspekulierte oder über beste Drähte verfügte — womöglich zu jemandem, der Einblick in Schumachers Krankenakte hat? Und was von beidem wäre schlimmer, ekliger, eine größere Persönlichkeitsrechtsverletzung?

Das ist ein interessantes ethisches Labyrinth: Die Veröffentlichung der Krankenakte wäre gerade deshalb auch so empörend, weil ihr Inhalt wahr wäre. Im Gegensatz zu all dem unzuverlässigen Geraune, mit dem die Medien ihre Schumacher-Berichterstattung füllen. Und wenn sie doch, wie sie suggerieren, bestens informiert sind: Woher? Wer hat da aus dem Krankenhaus berichtet und für wieviel Geld?

Es wird ja vermutlich nicht reichen, einfach — wie anscheinend der „Focus“ — treuherzig in Richtung Krankenzimmer Schumachers zu spazieren und sich als „unerwünschter Besucher“ wieder herauswerfen zu lassen.

Die Schweizer Boulevardzeitung „Blick“ „wusste“ nach der Verlegung Schumachers von Grenoble nach Lausanne, was im Inneren des Krankentransporters vor sich ging: „Schumacher soll zwar nicht gesprochen haben. Aber er habe mit der Transportbesatzung per Kopf­nicken kommuniziert. Während der über 200 Kilometer langen Fahrt von Grenoble nach Lausanne habe er über weite Strecken die Augen geöffnet gehabt.“ Angeblich weiß „Blick“ auch, dass Schumacher viel Gewicht verloren hat.

Die „Bild“-Zeitung hatte da sogar konkrete Kilo-Angaben, sowohl was den Verlust angeht als auch den aktuellen Stand. Sie erzählte nicht nur von den Operationen, die an Schumachers Kopf durchgeführt wurden, sondern wusste auch, wann „Schumis Wille am stärksten“ war. Und sie berichtete ohne Quellenangabe, wie er atmet, ob er sprechen kann und dass er mit den Augen kommuniziere: „Sie reagieren auf Corinna deutlich stärker als auf andere Menschen“.

All das scheint den Chefsprecher der deutschen Journalisten nicht zu einem Appell herausgefordert zu haben. Vielleicht waren ihm die Türen da einfach nicht offen genug zum Einrennen.

Und man weiß ja auch gar nicht, woher „Bild“ und „Blick“ und „Bunte“ ihre Informationen hatten und ob sie überhaupt zutrafen. Nur dass sich die Medien sonst (wenn sie nicht gerade damit beschäftigt waren, Gerüchte zu kolportieren) einig waren, dass zuverlässige Informationen ausschließlich von der Managerin Schumachers zu haben sind. Und dass diese Managerin dringend darum bat, die Privatsphäre Schumachers zu achten.

Die Aufregung um die gestohlenen medizinischen Unterlagen ist heuchlerisch. Für die Boulevardmedien ist der Fall ein Traum, weil sie so tun können, als würden sie anständig und verantwortungsvoll mit Michael Schumacher umgehen. Undenkbar, dass sie solche geheimen, gestohlenen Informationen kaufen und veröffentlichen würden – also, undenkbar in diesem einen Fall.

Aber ich bin gespannt, was passiert, wenn irgendein, sagen wir, ausländisches Medium die Akte doch noch veröffentlicht. Werden „Bild“ und „Bunte“ — und „Focus Online“ in seinem ewigen Schumacher-Live-Ticker — dann nicht berichten, was darin an Fakten stand?

Sondern stattdessen auf ihre anderen, dubiosen Quellen zurückgreifen, um gegen den Willen der Familie über Schumachers Gesundheitszustand zu spekulieren?

„Bild“ und Co. haben den Markt erst geschaffen, der Menschen glauben lässt, dass eine Kranken-Akte Schumachers viel Geld wert ist. Die einzige zulässige Berichterstattung über seinen Gesundheitszustand jenseits der offiziellen Statements der Managerin wäre: keine.

Verkonkt (1)

Michael Konken ist der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes (DJV). Ich bin ihm hier schon einmal begegnet. Vergangene Nacht äußerte er sich im ARD-„Nachtmagazin“ zum Thema der neuen Leserreporter-Kamera, die „Bild“ mit Lidl anbietet:

Fast überall wird der Bürger inzwischen in die Medien eingebunden. Vor allem in der Internet-Welt. Bringt das die Berichterstattung nicht nach vorne?

Konken: Nein, denn das ist die Aufforderung, wirklich hier die Privatsphäre zu missbrauchen. Denn diejenigen, die dann die Berichte liefern, die die Videoaufnahmen machen, die wissen nicht, wo die Privatsphäre anfängt. Sie werden zur Hetzjagd gezwungen auf Prominente, die nicht mehr sicher sein können. Sie werden Katastrophen filmen wollen. Sie werden damit Hilfskräfte dann auch in ihrer Arbeit behindern. Sie werden Polizeikräfte auf der Autobahn behindern. Das sind Auswüchse, glaube ich, die wir nicht gutheißen können, und die auf jeden Fall den Journalismus gefährden. Denn diejenigen, die ihn hauptberuflich ausüben, die werden Nachteile dadurch haben.

Der letzte Satz ist wichtig: Konken kämpft nicht für den Journalismus. Er kämpft für Journalisten. Es gibt schließlich Menschen, die davon leben, dass sie zu Unfällen fahren, die Rettungskräfte, Wracks, Verletzten und die zugedeckten Leichen filmen und die Aufnahmen an Privatsender und „Hallo Deutschland“ im ZDF schicken. Was soll aus denen werden, wenn plötzlich nicht mehr Profis, sondern Amateure unseren Voyeurismus bedienen? Wer gerade mit dem Rücken auf dem Asphalt einer deutschen Autobahn eine Herz-Lungen-Massage bekommt, soll wenigstens die Gewissheit haben, dass der Kameramann, der ihn dabei filmt, das hauptberuflich macht und weiß, wo seine Privatsphäre angefangen hätte.

Aber der andere Satz, den Konken über potentielle Leserreporter sagt, ist natürlich noch viel besser: Sie werden zur Hetzjagd auf Prominente gezwungen?

Ich habe eine Weile überlegt. Mir ist dazu nichts mehr eingefallen.

Von den Regeln in die Traufe

Am Ende des Abends gab es sogar so etwas Ähnliches wie eine Nachricht: Der Pressekodex soll in Zukunft auch für die Online-Angebote von Zeitungen und Zeitschriften gelten. Bislang ist der Presserat ausdrücklich nur für gedruckte Medien zuständig — und für „digitale Beiträge“ ausschließlich dann, wenn sie „zeitungs- oder zeitschriftenidentisch“ sind. Schon vor über einem Jahr hatte Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner in einem bizarren öffentlichkeitswirksamen Appell bei einem Festakt zum 50. Geburstag des Gremiums das Ausklammern des Internet als „gespenstisch“ bezeichnet und die Ausweitung der Freiwilligen Selbstkontrolle gefordert.

Nun scheinen sich die Verlegerverbände und die Journalistengewerkschaften, die den Presserat tragen, endlich darauf verständigt zu haben, und als dessen Geschäftsführer Lutz Tillmanns bei der Diskussion des Deutschen Journalistenverbandes über „Regeln oder Anarchie? — Journalismus im www“ stolz diesen Durchbruch bekannt gab, bin ich geplatzt.

Denn der Deutsche Presserat ist kein Gremium, das für die Einhaltung journalistischer Mindeststandards sorgt. Der Deutsche Presserat ist ein Gremium, das dazu dient, den Eindruck zu erwecken, es gebe ein Gremium, das für die Einhaltung journalistischer Mindeststandards sorgt.

Würde man das Beste annehmen und unterstellen, dass der Presserat die Printmedien tatsächlich kontrollieren will, müsste man feststellen, dass er mit dieser Aufgabe hoffnungslos überfordert ist. Es ist ein Organ von erschütternder Anspruchs- und Wirkungslosigkeit, und wenn sich der Geschäftsführer nun hinstellt und bedeutungsschwanger bekannt gibt, dass man jetzt auch für Online zuständig wird, heißt das nur: Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass wir in Zukunft in einem noch größeren Bereich als bisher scheitern werden.

Keine Frage: Es ist absurd, dass der Pressekodex bislang für „Spiegel Online“ und sueddeutsche.de, faz.net und Bild.de nicht gilt. Und richtig ist auch, dass Regeln selbst dann sinnvoll sein können, wenn sie nicht eingehalten werden. Es ist zum Beispiel auch dann gut, dass es die Genfer Menschenrechtskonvention gibt, wenn die Vereinigten Staaten sich nicht an sie halten — immerhin bietet sie eine Richtschnur, mit der es möglich ist, die Abweichung von diesen Regeln überhaupt zu messen. In diesem Sinne benutzen wir den Pressekodex gelegentlich auch bei BILDblog: Als Maß, um zu zeigen, wie weit sich die „Bild“-Zeitung in ihrer Berichterstattung außerhalb dieser fixierten Standards bewegt, obwohl jeder weiß, dass diese Standards für „Bild“ ohnehin keinerlei praktische Relevanz haben.

So gesehen ist es also schön, wenn man also in Zukunft sagen kann, dass die Formen der Schleichwerbung, wie sie sich zum Beispiel auf sueddeutsche.de finden lassen, gegen einen Kodex verstoßen, der auch für sueddeutsche.de gilt. Davon geht aber die Schleichwerbung auf sueddeutsche.de noch nicht weg. Denn warum sollte sueddeutsche.de die Gültigkeit eines Kodex brauchen, um auf die Idee zu kommen, dass redaktionelle und werbliche Inhalte klar voneinander getrennt werden müssen?

Ich unterstelle: Es geht den Verlagen und Journalistenverbänden, die den Presserat tragen, nicht darum, dass die Online-Medien besser werden, sondern darum, behaupten zu können, besser zu sein. Mathias Döpfner sorgt zwar nicht dafür, dass die in seinem Verlag erscheinende „Bild“-Zeitung sich an ethische Mindeststandards hält, will aber, dass sie in Zukunft auch für Bild.de gelten. Das ist nur scheinbar paradox. Döpfner will sagen können: Bild.de ist ein Qualitätsmedium, weil für uns (anders als für web.de oder ein Nachrichtenportal von AOL oder wen auch immer) der Pressekodex gilt.

Weite Teile der Angriffe von Vertretern etablierter Medien auf Blogger folgen einer ähnlichen Prämisse: Sie seien besser, weil für sie Regeln gälten, während im Internet jeder (vermeintlich) tun könne, was er wolle. Die Behauptung der qualitativen Überlegenheit klassischer Medien beruht darauf, dass Regeln existieren — nicht dass sie eingehalten werden. Die Debatte ist entsprechend fruchtlos: „Für uns gelten Regeln!“ — „Aber ihr haltet Euch nicht dran!“ — „Aber ihr habt nicht mal welche!“ — „Na und?“

Die klassischen Medien haben in den vergangenen Jahren nicht nur das Monopol darauf verloren, die Bevölkerung zu informieren. Sie haben auch das Monopol darauf verloren, vor einem breiten Publikum Lügen zu verbreiten, Menschen zu verunglimpfen und Persönlichkeitsrechte zu verletzen. Manchmal kommt es mir so vor, als kämpften sie gerade verzweifelt darum, beide Monopole zu verteidigen. Voller Abscheu zeigen sie mit dem Finger auf den Dreck im Internet, fordern, das wegzumachen, und ignorieren dabei, dass es noch lange dauern wird, bis das deutschsprachige Internet die „Bild“-Zeitung als größter Verbreiter von Schmutz jeder Art eingeholt hat. Jahrelang gab eine Tochter des Heinrich-Bauer-Verlages das Lügenwichsblatt „Coupé“ heraus. Das hat offenbar die Journalisten- und Verlegerelite nicht groß gestört, sie fanden nicht einmal etwas dabei, sich von diesem Verlag mit einem Preis auszeichnen zu lassen. Und sie hatten ja recht: Wenn da etwas Schlimmes drinstünde, in Heinrich Bauers „Coupé“, dann würde sich ja der Presserat schon drum kümmern und in aller Härte womöglich sogar eine Pressemitteilung herausgeben.

Eine der grundlegendsten und selbstverständlichsten Forderungen des Pressekodex ist nach meiner Erfahrung im deutschen Journalismus weitgehend bedeutungslos: Die Pflicht, Fehler zu korrigieren. Das macht man in Deutschland nicht. Auch in seriösen Blättern sind die dominierenden Gedanken, wenn ein Fehler passiert ist: Wie können wir das verschleiern? Und: Wie können wir den Geschädigten beruhigen, ohne uns korrigieren zu müssen? Das klare Eingeständnis: War falsch, tut uns leid, ist immer noch die Ausnahme.

Ein feines Beispiel dafür hat mir Michael Konken, der Bundesvorsitzende des DJV, bei der Diskussion gestern geliefert. Konken äußert sich quasi ununterbrochen öffentlich zu irgendeinem Thema aus der weiten Welt der Medien. Qualifiziert ist er dazu durch sein Amt; Sachkenntnisse sind optional.

Im vergangenen Sommer gab der DJV eine Pressemitteilung über den Stellenabbau bei ProSiebenSat.1 heraus, in der es hieß:

DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken bezeichnete es als medienpolitischen Skandal, dass die Senderkette offensichtlich ihr komplettes Informationsangebot streichen und auf diese Weise rund 250 Arbeitsplätze im Bereich des Fernsehjournalismus vernichten wolle.

Der DJV beharrte damals auch auf Nachfrage darauf, dass das stimme.

Ich habe Konken gestern damit konfrontiert, dass seine von vielen Medien verbreitete Aussage, die gesamte Sendergruppe ProSiebenSat.1 wolle alle Informationssendungen einstellen, falsch war und ist. Und er antwortete zuerst:

Wir haben nicht gesagt „alle“. Die wollen das reduzieren, haben wir gesagt.

Und dann:

Das ist jetzt auch nicht der Punkt.

Und schließlich:

Aber es kam zum rechten Zeitpunkt, weil dann doch nicht alles eingestellt wurde. Vielleicht wäre es ja alles eingestellt worden…

Und das ist der Mann, der eine Qualitätsdebatte über Online-Journalismus führen und quasi amtlich „Müll von Qualität trennen“ lassen will?

Wir können gerne lange darüber diskutieren, welche Qualitätsstandards wünschenswert sind, aber es gibt nur einen Weg, sie durchzusetzen, und der gilt für kleine Blogger wie für große Medien: sich selbst dran halten.

[Die gestrige Diskussion kann man sich hier anschauen, einen Überblick über andere Beiträge zum Thema gibt onlinejournalismus.de.]