Miriam Wimmer scheint eine interessante Frau zu sein.
Sie hat kein Problem damit, Fernsehsendungen wie „Money Express“ zu moderieren, die die Mitspieler systematisch über Gewinnchancen und Spielregeln täuschen, gegen die Gewinnspielregeln der Landesmedienanstalten verstoßen und in denen sich Unregelmäßigkeiten häufen, die viele Beobachter auf den naheliegenden, aber unbewiesenen Gedanken bringen, die Zuschauer würden mit betrügerischen Methoden zum teuren Anrufen verleitet. (Mehr über die „Money Express“-Produktionsfirma Callactive und ihre Methoden hier.)
Sie hat aber ein Problem damit, wenn Männer Messer ablecken oder ihre Tätigkeit bei „Money Express“ als „Animöse“ bezeichnet wird.
Im ersten Fall droht sie mit Liebesentzug, im zweiten mit dem Anwalt.
Das Hamburger Landgericht hat ihr am Freitag Recht gegeben (was die Animöse angeht, nicht das Messerablecken). Es bestätigte eine einstweilige Verfügung gegen den Betreiber des Forums call-in-tv.de, die auch Wimmers Kolleginnen Daniela Aschenbach und Anneke Dürkopp erwirkt hatten. (Mehr zur Vorgeschichte hier.)
Das Gericht berief sich auf die „Stolpe-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichtes: Wenn eine Äußerung über jemanden mehrdeutig ist, genügt es, wenn nur eine mögliche Interpretation dieser Äußerung seine Persönlichkeitsrechte verletzt, um eine Wiederholung dieser Äußerung verbieten zu lassen. Der Rechtsanwalt Jony Eisenberg nannte das Urteil damals in der „taz“, die er regelmäßig vertritt, einen „wahrhaft schwarzen Tag für die Presse- und Meinungsäußerungsfreiheit“.
Weil sich das Hamburger Landgericht auf dieses Urteil berief und offenbar der Meinung war, es sei nicht völlig auszuschließen, dass das Wort „Animöse“ auch als Beleidigung zu verstehen sei, beschäftigte es sich gar nicht erst mit der Frage, was die tatsächliche Intention des Gebrauchs gewesen sei. Und auch nicht mit einem Gutachten, das der renommierte Soziolinguist Norbert Dittmar für den Anwalt von call-in-tv.de-Betreiber Marc Doehler erstellt hat. Dabei ist das eine wunderbare Lektüre:
Das Wort [Animeuse] ist eine spontane Entlehnung aus dem Französischen ins Deutsche. Dabei wird der Verbstamm {anim-} des französischen Verbs animer („beleben“) mit dem das Femininum markierenden Suffix {-euse} zur Substantivderivation {Animeuse} („Beleberin“) amalgamiert. (…)
Animeuse wird analog zu (beispielsweise) Friseuse gebildet. Es handelt sich um eine spontane (sprechsprachliche) Entlehnung (Derivation), in der durch graphische Assimilation ans Deutsche daneben die Variante [Animöse] entstanden ist (so wie bureau > Büro und meuble > Möbel wurde). Die sprechsprachliche Ambiguität („Homonymie“) kann in der Schriftsprache durch eine ‚frankophone‘ oder eine ‚germanophone‘ Schreibweise ({-euse} vs.{-öse}) aufgelöst werden.
Dass das Suffix {-euse} in [Anim-euse] einerseits Entlehnungssufix in „eingedeutschter“ Schreibweise existiert ({-öse}) und andererseits als Grundmorphem ({möse} : wertnegativ belegter Begriff für ‚Vagina‘), ist dem Zufall geschuldet. Eine intentionale — pejorative — Entlehnungshandlung lässt sich nicht nur nicht nachweisen, sondern ist auf der Grundlage der Entlehnungsforschung unwahrscheinlich. Viele solche ambivalenten Entlehnungen sind kreativer Arbitrarität geschuldet.
Wie sich für Worte wie „geil“ mühelos nachweisen lässt, macht gerade diese „zufällig entstandene“ Ambivalenz die Beliebtheit der Wahl solcher Ausdrücke aus. Somit macht die Ambivalenz das grosse „Scherzpotenzial“ solcher Worte aus und steigert besonders in jugendlichen Kreisen die Beliebtheit des Wortes. (…)
Ein beleidigender negativer Wert ist der reinen Wortform denotativ nicht nachzuweisen. (…) Insbesondere bei Diskussionsforen im Internet beobachten wir ein breitgefächertes, zwischen Spass und Provokation schillerndes Bedeutungsspektrum, das in der Regel als „ungeschminkte freie Meinungsäusserung“ zu verstehen ist und gerade wegen der Situationsentbindung den illokutiven Charakter von Beleidigungen nicht aufweist. (…)
Hach. Möchte man da nicht sofort anfangen zu philosophieren, ob die Existenz von 9Live und ihren Nachahmern letztlich nicht auch kreativer Arbitrarität geschuldet sind?
Für das Hamburger Landgericht indes war das Gutachten bedeutungslos. Frank Metzing, der Anwalt von call-in-tv.de, will seinem Mandanten empfehlen, in Berufung zu gehen.