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Verwirrspiel um Callactive

Die berüchtigte Gewinnspiel-Firma Callactive macht sich gerade ein bisschen unsichtbar. Die Firmenhomepage führt neuerdings ins Leere, der Geschäftsführer Stephan Mayerbacher verschickt Mails, die man als Verabschiedung verstehen kann, und auch als Produzent der Sendung „Money Express“, die auf den MTV-Sendern Viva, Comedy Central und dem Kindersender Nick läuft, tritt Callactive seit gestern nicht mehr in Erscheinung.

Produziert wird die Sendung laut Homepage nun von der Firma Mass Response, einer Tochter von Telekom Austria. Mass Response ist ein alter Bekannter: Die Firma war bisher schon der technische Dienstleister von Callactive und hat im März von Callactive bereits die Produktion von Gewinnspielsendungen im Schweizer Fernsehen übernommen. Eine Anfrage von mir bei „Mass Response“ blieb bislang unbeantwortet.

Eine Sprecherin von MTV erklärte auf Anfrage, sie könne nichts über die Hintergründe der Veränderungen sagen. Der Vertrag zwischen MTV und Callactive erlaube es Callactive ausdrücklich, die Produktion der Sendung an ein anderes Unternehmen zu delegieren — von dieser Möglichkeit mache die Firma jetzt offenbar Gebrauch. Für den Sender seien unverändert Callactive und Geschäftsführer Stephan Mayerbacher die Ansprechpartner.

Offenbar seit dem Wochenende lässt Callactive auch die Domain call-in-tv.de, die die Firma vor kurzem unter merkwürdigen Umständen in ihren Besitz gebracht hat, nicht mehr auf die Seite von „Money Express“ umleiten, sondern auf die Beschwerdeseite der zuständigen nordrhein-westfälischen Landesmedienanstalt. Aber auch die entsprechenden österreichischen und schweizer Domains call-in-tv.at und call-in-tv.ch, die ebenfalls Callactive gehören, verweisen nun auf die deutsche Behörde.

Eine Entscheidung, die teuren Gewinnspiele in Zukunft, anders als bisher, fair und nach den Regeln der Landesmedienanstalten zu veranstalten, ist mit dem Produzentenwechsel offenkundig nicht verbunden. Gestern, in der ersten Nacht unter der neuen Regie, wurde zum Beispiel ein Spiel beendet, ohne überhaupt noch einem Kandidaten die Möglichkeit zu einem Lösungsversuch gegeben zu haben. Zuvor war 90 Minuten lang (laut Protokoll auf call-in-tv.net) kein Kandidat in die Sendung durchgestellt worden. (Videozusammenschnitt hier.)

(Verabschiedet hatte sich Callactive in der Nacht zuvor unter anderem mit einem Spiel, in dem „Tiere mit S“ gesucht waren. Erstaunlicherweise wurden weder Sprenkelbeutelmaus, noch Stumpfkrokodil, Stummelschwanzhörnchen, Scheckente, Schmalfußbeutelmaus, Schmiedekiebitz, Schneckenmilan oder Schwimmwühle erraten.)

Was tatsächlich hinter der merkwürdigen Manövern der letzten Tage und Wochen steht, weiß ich nicht. Als sicher kann aber gelten, dass das Geschäft mit der Dummheit und Spielsucht der Zuschauer nicht mehr so gut läuft wie früher. Das Produktionsfirma Endemol, die bis vor einem halben Jahr 51 Prozent an Callactive hielt (der Rest gehörte über eine Holding Mayerbacher selbst), formulierte in ihrem Jahresabschluss 2007:

Die Ertragslage der Callactive GmbH, München, hat sich im laufenden Geschäftsjahr deutlich verschlechtert. Auch die geplanten Cash Flows mussten nach unten korrigiert werden. Diese Tatsachen und die Ergebnisse der Unternehmensbewertung der Firma PricewaterhouseCoopers basierend auf der Mehrjahresplanung der Callactive GmbH führen unseres Erachtens zu einer voraussichtlich dauernden Wertminderung dieser Beteiligung, so dass eine Teilwertabschreibung i. H. v. T€ 3.772 vorgenommen wurde.

Das war kein gutes Geschäft: Endemol hatte die Beteiligung an Callactive im Oktober 2006 für 5 Millionen Euro gekauft, verkaufte sie aber im Dezember 2007 für nur rund 1,5 Millionen Euro an die Endemol Holding. Von der Endemol Holding kaufte Mayerbacher sie schließlich im April zurück und war wieder alleiniger Besitzer der Firma Callactive — was immer die heute tun mag.

Nachtrag, 11. Juni: Mehr dazu hier.

[Disclosure: Callactive führt gegen mich mehrere Rechtsstreite.]

Call-TV-Mimeusen gewinnen vor Gericht

Miriam Wimmer scheint eine interessante Frau zu sein.

Sie hat kein Problem damit, Fernsehsendungen wie „Money Express“ zu moderieren, die die Mitspieler systematisch über Gewinnchancen und Spielregeln täuschen, gegen die Gewinnspielregeln der Landesmedienanstalten verstoßen und in denen sich Unregelmäßigkeiten häufen, die viele Beobachter auf den naheliegenden, aber unbewiesenen Gedanken bringen, die Zuschauer würden mit betrügerischen Methoden zum teuren Anrufen verleitet. (Mehr über die „Money Express“-Produktionsfirma Callactive und ihre Methoden hier.)

Sie hat aber ein Problem damit, wenn Männer Messer ablecken oder ihre Tätigkeit bei „Money Express“ als „Animöse“ bezeichnet wird.

Im ersten Fall droht sie mit Liebesentzug, im zweiten mit dem Anwalt.

Das Hamburger Landgericht hat ihr am Freitag Recht gegeben (was die Animöse angeht, nicht das Messerablecken). Es bestätigte eine einstweilige Verfügung gegen den Betreiber des Forums call-in-tv.de, die auch Wimmers Kolleginnen Daniela Aschenbach und Anneke Dürkopp erwirkt hatten. (Mehr zur Vorgeschichte hier.)

Das Gericht berief sich auf die „Stolpe-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichtes: Wenn eine Äußerung über jemanden mehrdeutig ist, genügt es, wenn nur eine mögliche Interpretation dieser Äußerung seine Persönlichkeitsrechte verletzt, um eine Wiederholung dieser Äußerung verbieten zu lassen. Der Rechtsanwalt Jony Eisenberg nannte das Urteil damals in der „taz“, die er regelmäßig vertritt, einen „wahrhaft schwarzen Tag für die Presse- und Meinungsäußerungsfreiheit“.

Weil sich das Hamburger Landgericht auf dieses Urteil berief und offenbar der Meinung war, es sei nicht völlig auszuschließen, dass das Wort „Animöse“ auch als Beleidigung zu verstehen sei, beschäftigte es sich gar nicht erst mit der Frage, was die tatsächliche Intention des Gebrauchs gewesen sei. Und auch nicht mit einem Gutachten, das der renommierte Soziolinguist Norbert Dittmar für den Anwalt von call-in-tv.de-Betreiber Marc Doehler erstellt hat. Dabei ist das eine wunderbare Lektüre:

Das Wort [Animeuse] ist eine spontane Entlehnung aus dem Französischen ins Deutsche. Dabei wird der Verbstamm {anim-} des französischen Verbs animer („beleben“) mit dem das Femininum markierenden Suffix {-euse} zur Substantivderivation {Animeuse} („Beleberin“) amalgamiert. (…)

Animeuse wird analog zu (beispielsweise) Friseuse gebildet. Es handelt sich um eine spontane (sprechsprachliche) Entlehnung (Derivation), in der durch graphische Assimilation ans Deutsche daneben die Variante [Animöse] entstanden ist (so wie bureau > Büro und meuble > Möbel wurde). Die sprechsprachliche Ambiguität („Homonymie“) kann in der Schriftsprache durch eine ‚frankophone‘ oder eine ‚germanophone‘ Schreibweise ({-euse} vs.{-öse}) aufgelöst werden.

Dass das Suffix {-euse} in [Anim-euse] einerseits Entlehnungssufix in „eingedeutschter“ Schreibweise existiert ({-öse}) und andererseits als Grundmorphem ({möse} : wertnegativ belegter Begriff für ‚Vagina‘), ist dem Zufall geschuldet. Eine intentionale — pejorative — Entlehnungshandlung lässt sich nicht nur nicht nachweisen, sondern ist auf der Grundlage der Entlehnungsforschung unwahrscheinlich. Viele solche ambivalenten Entlehnungen sind kreativer Arbitrarität geschuldet.

Wie sich für Worte wie „geil“ mühelos nachweisen lässt, macht gerade diese „zufällig entstandene“ Ambivalenz die Beliebtheit der Wahl solcher Ausdrücke aus. Somit macht die Ambivalenz das grosse „Scherzpotenzial“ solcher Worte aus und steigert besonders in jugendlichen Kreisen die Beliebtheit des Wortes. (…)

Ein beleidigender negativer Wert ist der reinen Wortform denotativ nicht nachzuweisen. (…) Insbesondere bei Diskussionsforen im Internet beobachten wir ein breitgefächertes, zwischen Spass und Provokation schillerndes Bedeutungsspektrum, das in der Regel als „ungeschminkte freie Meinungsäusserung“ zu verstehen ist und gerade wegen der Situationsentbindung den illokutiven Charakter von Beleidigungen nicht aufweist. (…)

Hach. Möchte man da nicht sofort anfangen zu philosophieren, ob die Existenz von 9Live und ihren Nachahmern letztlich nicht auch kreativer Arbitrarität geschuldet sind?

Für das Hamburger Landgericht indes war das Gutachten bedeutungslos. Frank Metzing, der Anwalt von call-in-tv.de, will seinem Mandanten empfehlen, in Berufung zu gehen.