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Norbert Lammert und das schlechte Gesetz

Auch wenn ungezählte Medien gerade das Gegenteil behaupten: Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat dem von ihm jetzt kritisierten sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz der schwarz-gelben Koalition im Bundestag zugestimmt. Man kann das an vielen Stellen überprüfen: Im „Parlameter“-Angebot von heute.de (leider nicht direkt verlinkbar), auf abgeordnetenwatch.de und, vermutlich am Überzeugendsten: Im Protokoll der Abstimmung auf der Homepage des Deutschen Bundestages.

Trotzdem berichtete die Nachrichtenagentur Reuters am Sonntagmorgen:

Lammert kritisierte auch das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das mit der Mehrheit von CDU/CSU und FDP im Bundestag verabschiedet worden war. Er habe dem Paket ausdrücklich nicht zugestimmt und mit Nachdruck für eine andere Vorgehensweise geworben.

Und die Konkurrenz von AFP formulierte es sogar als Tatsache:

Lammert hatte dem auch innerhalb der Union äußerst umstrittenen Wachstumsbeschleunigungsgesetz im Bundestag nicht zugestimmt.

Weil in vielen Redaktionen keine Journalisten arbeiten, sondern Meldungsübernehmer, findet sich die Ente u.a. auch auf tagesschau.de, „Focus Online“, sueddeutsche.de, Handelsblatt.com. Und „WAZ“-Leitartikler Miguel Sanches fantasiert:

Norbert Lammert gehört zu den CDU-Abgeordneten, die dem Steuerpaket der Koalition im Bundestag nicht zugestimmt haben. Das ist ein paar Wochen her und war schon damals ein Vorgang.

Nein.

Der „Vorgang“ bestand darin, dass Lammert seine Zustimmung mit einer persönlichen Erklärung verband, in der er die Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Hotelbetriebe als „willkürlich“, „nicht praktikabel“ und „unsinnig“ kritisierte. Außerdem stimmte er für einen entsprechenden Änderungsantrag der Grünen, diesen Punkt aus dem Gesetz zu entfernen. Aber eben auch für das Gesetz selbst.

Die Falschmeldung geht offenbar darauf zurück, dass Lammert dem Deutschlandfunk ein Interview gab, in dem es hieß:

Lammert: Aber in dieses Gesetz sind neben manchen sinnvollen auch manche zweifelhafte und einige, wie ich finde, schlicht misslungene, auch nicht vertretbare Regelungen hereingekommen.

Adler: Und wenn wir das Kind beim Namen nennen, dann meinen Sie die Mehrwertsteuerabsenkung für Hotels?

Lammert: Ja, ich habe dieser Regelung ja auch nicht zugestimmt.

„Dieser Regelung“, nicht dem ganzen Paket. Es war also nicht der Bundestagspräsident, der die Falschmeldung in die Welt gesetzt hat. Es waren ahnungslose, schlampig arbeitende Journalisten.

[mit Dank an Michael Dreisigacker]