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ARD-Programmdirektor verhindert „Brennpunkt“ zur Späh-Affäre


Fotos: ARD

Das Erste sendet heute nach der „Tagesschau“ keinen „Brennpunkt“ zu den neuesten Wendungen in der NSA-Affäre — obwohl sich die Chefredakteure der ARD-Anstalten intern einstimmig dafür ausgesprochen haben. Der Programmdirektor des Ersten, Volker Herres, hat sein Veto eingelegt. Womöglich sorgt er sich um die Quoten der Show „Die deutschen Meister“ mit Kai Pflaume, die dort im Programm steht.

Gestern wurde bekannt, dass ein Mobiltelefon von Bundeskanzlerin Angela Merkel möglicherweise von den Amerikanern abgehört wurde. Die Nachricht löste erhebliche Verstimmung, diesmal auch in der Union aus.

Nach Ansicht der ARD-Chefredakteure wäre das ein guter Aufhänger, die Ausspäh-Affäre, die die breite Bevölkerung bisher eher mit geringem Interesse wahrgenommen hat, massenattraktiv aufzugreifen. Durch die Zuspitzung auf das Handy der Kanzlerin habe es heute größte Aufmerksamkeit für die Vorgänge gegeben. Reinhold Beckmann wird zwar in seiner Talkshow um 22:45 Uhr das Thema in prominenter Runde diskutieren; es wäre aber ein guter Anlass gewesen, sich ihm in der Primetime des Ersten zu widmen.

Eine Sonderprogrammierung wie ein zusätzlicher „Brennpunkt“ bedarf aber der Zustimmung des Programmdirektors. Die verweigerte Volker Herres. Das ist zwar kein einmaliger, aber wohl ein seltener Vorgang, insbesondere angesichts des einstimmigen Votums der Chefredakteure. Auch ARD-Chefredakteur Thomas Baumann und das ARD-Hauptstadtstudio hätten einem „Brennpunkt“ am Ende der täglichen gemeinsamen Schaltkonferenz zugestimmt.

Herres und die Pressestelle des Ersten wollten all das nicht bestätigen und sich nicht äußern.

Anders als die legendären „Brennpunkte“, die das Erste ins Programm nimmt, wenn es zu seltenen Wetterphänomenen wie Schnee im Winter kommt, sind politische Sondersendungen ein Risiko, wenn es um die Quote geht. (Es geht immer um die Quote.) Dass ein weitgehend inhaltsloser „Brennpunkt“ mit dem Titel „Die Lügen des Limburger Bischofs“ vor genau zwei Wochen trotz der Moderation von Alois Theisen von fünf Millionen Zuschauern gesehen wurde, hatten in der ARD keineswegs alle erwartet.

Die Kai-Pflaume-Sendung „Die deutschen Meister“, in der heute von 20:15 Uhr an unter anderem die besten deutschen Stadt-Land-Fluss-Experten gegeneinander antreten, ist zwar einerseits nur eine von vielen überaus verwechselbaren Shows, mit denen die Öffentlich-Rechtlichen gerade ihre Programme fluten. Andererseits könnte ihre Quote dem Programmdirektor besonders am Herzen liegen: Es ist der zweite von vier Teilen. Wenn die Leute sich das nicht anschauen, weil sie vorher bei einem „Brennpunkt“ über irgendwelche vergleichsweise marginalen politischen Enthüllungen wegzappen, könnte sich das auch auf die beiden verbleibenden Sendetermine negativ auswirken.

Rechenschaft ist etwas, das man ablegt, wo keiner rankommt

Die SPD hat der Bundesregierung vor gut drei Wochen 115 Fragen über die Ausspähprogramme der Vereinigten Staaten gestellt. In der Antwort der Bundesregierung steht der folgende erstaunliche Satz:

Die Bundesregierung ist nach sorgfältiger Abwägung zu der Auffassung gelangt, dass die Fragen 3, 10, 16, 26 bis 30, 31, 34 bis 36, 38, 42, 46, 47, 49, 55, 61, 63, 65, 76, 79, 85 und 96 aus Geheimhaltungsgründen ganz oder teilweise nicht in dem für die Öffentlichkeit einsehbaren Teil beantwortet werden können.

Die Bundesregierung kann oder will uns, dem Volk, also nicht sagen:

3. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung zwischenzeitlich zu PRISM, TEMPORA und vergleichbaren Programmen?

10. Welche Gespräche gab es seit Anfang des Jahres zwischen den Spitzen der Bundesministerien, BND (Bundesnachrichtendienst), BfV (Bundesamt für Verfassungsschutz) oder BSI (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik) einerseits und NSA andererseits, und wenn ja, was waren die Ergebnisse?

War PRISM Gegenstand der Gespräche?

Waren die Mitglieder der Bundesregierung über diese Gespräche informiert?

Und wenn ja, inwieweit?

16. Welche Hinweise hat die Bundesregierung darauf, ob und inwieweit deutsche oder europäische staatliche Institutionen oder diplomatische Vertretungen Ziel von US-Spähmaßnahmen oder Ähnlichem waren?

Inwieweit wurde die deutsche und europäische Regierungskommunikation sowie die Parlamentskommunikation überwacht?

Konnten die Ergebnisse der Gespräche der Bundesregierung dieses ausschließen?

26. Wie wurde die Einhaltung der Zusicherung der amerikanischen Regierung bzw. der NSA aus dem Jahr 1999, derzufolge Bad Aibling „weder gegen deutsche Interessen noch gegen deutsches Recht gerichtet“ und eine „Weitergabe von Informationen an US-Konzerne“ ausgeschlossen ist, durch die Bundesregierung überwacht?

27. Gab es Konsultationen mit der NSA bezüglich der Zusicherung?

28. Hat die Bundesregierung den Justizminister Eric Holder bzw. den Vizepräsidenten Joe Biden auf die Zusicherung hingewiesen?

29. Wenn ja, wie stehen nach Auffassung der Bundesregierung die Amerikaner zu der Vereinbarung?

30. War dem Bundeskanzleramt die Zusicherung überhaupt bekannt?

31. Welche Überwachungsstationen in Deutschland werden nach Einschätzung der Bundesregierung von der NSA bis heute genutzt/mit genutzt?

34. Wie viele Anschläge sind durch PRISM in Deutschland verhindert worden?

35. Um welche Vorgänge hat es sich hierbei jeweils gehandelt?

36. Welche deutschen Behörden waren beteiligt?

38. Wie erklärt die Bundesregierung den Widerspruch, dass der Regierungssprecher Steffen Seibert in der Regierungspressekonferenz am 17. Juli erläutert hat, dass das in Afghanistan genutzte Programm „PRISM“ nicht mit dem bekannten Programm „PRISM“ des NSA identisch sei und es sich stattdessen um ein NATO/ISAF-Programm handele, und der Tatsache, dass das Bundesministerium der Verteidigung danach eingeräumt hat, die Programme seien doch identisch?

42. In welchem Umfang stellen die USA (bitte nach Diensten aufschlüsseln) welchen deutschen Diensten Daten zur Verfügung?

46. Kann es nach Einschätzung der Bundesregierung sein, dass die USA deutschen Diensten neben Einzelmeldungen auch vorgefilterte Metadaten zur Analyse übermitteln?

47. Zu welchem anderen Zweck werden sonst die von den USA zur Verfügung gestellten Analysetools nach Einschätzung der Bundesregierung benötigt?

49. Um welche Datenvolumina handelt es sich nach Kenntnis der Bundesregierung gegebenenfalls?

55. Werden die Ergebnisse der deutschen Analysen (egal ob aus US-Analysetools oder anderweitig) an die USA rückübermittelt?

61. Welchem Ziel dienten die Treffen und Schulungen zwischen der NSA und dem BND bzw. dem BfV?

63. Was ist nach Einschätzung der Bundesregierung darunter zu verstehen, dass die NSA den BND und das BSI als „Schlüsselpartner“ bezeichnet hat?

64. Wann hat die Bundesregierung davon erfahren, dass das BfV das Programm „XKeyscore“ von der NSA erhalten hat?

76. Wie funktioniert „XKeystore“ [sic]?

79. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung, ob und in welchem Umfang auch Kommunikationsinhalte durch „Xkeyscore“ rückwirkend bzw. in Echtzeit erhoben werden können?

85. Welche Datensätze haben die deutschen Nachrichtendienste zwischen 2010 und 2012 an US-Geheimdienste übermittelt?

96. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um die Kommunikationsinfrastruktur insgesamt, insbesondere aber die kritischen Infrastrukturen gegen derartige Ausspähungen zu schützen?

Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um die Vertraulichkeit der Regierungskommunikation, der diplomatischen Vertretungen oder anderer öffentlicher Einrichtungen auf Bundesebene zu schützen?

[via Dominik Wichmann / Facebook]

Wenn Angela Merkel Kassiererin im Supermarkt wäre

Kunde: Was kosten die Nudeln?

Merkel: Der Preis berechnet sich aus dem Einkaufspreis und der Handelsspanne. Es können auch weitere Überlegungen noch eine Rolle spielen.

Kunde: Und was kosten die Nudeln jetzt?

Merkel: Für die Festsetzung des Preises ist letztendlich die Zentrale in Essen zuständig.

Kunde: Hier klebt kein Preisschild drauf!

Merkel: Dafür ist meine Kollegin verantwortlich. Wir werden über das fehlende Preisschild reden.

Kunde: (ohne Ironie) Ich muss zugeben, Sie wirken kompetent! Ich nehme acht Packungen von den Nudeln.

Es ist gar nicht so leicht, die Methode zu greifen zu bekommen, mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel — wie vergangene Woche in der „Zeit“ zum Abhörskandal — nichts sagt. Jaheira hat es in den Kommentaren mit dieser Parodie geschafft. Danke!