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Olli Dittrich

Die erfolgreichste Kochshow gerade ist eine, in der Menschen für andere kochen, die aus gutem Grund ihren Lebensunterhalt nicht damit verdienen, für andere zu kochen. RTL und ProSieben lassen in Eislaufarenen fachfremde Prominente (an deren eigentliche Talente man sich schon kaum erinnern kann) gegeneinander antreten – um zu zeigen, wie in ein paar Wochen mit viel hartem Training aus Menschen, die kaum gerade auf dem Eis fahren können, Menschen werden, die kaum eine Pirouette auf dem Eis fahren können. Nachmittags spielen Richter, Staatsanwälte und Polizisten Schauspieler, die Richter, Staatsanwälte und Polizisten spielen. Die langlebigsten Serien sind von jungen Leuten bevölkert, die die Darstellerei offenbar als Durchgangsstation zum Job als „Moderator“, „Sänger“ oder „Gast“ verstehen. Selbst die Show „Let’s Dance“ „You Can Dance“, in der Tanztalente gesucht werden, besteht daraus, HipHopper zum Wiener Walzer zu zwingen und Jazztanzer zum Rap.

Man muß sich diesen Kult des Amateurhaften, Halbfertigen, Dilettantischen vergegenwärtigen, um die Leistung von Olli Dittrich wirklich würdigen zu können. Jemand wie er wäre mit seinem fast beunruhigenden Perfektionismus und Ehrgeiz vermutlich in jeder Form von Fernsehkultur eine Ausnahmeerscheinung. Aber in dieser, in unserer ist er ein Wunder.

Am Donnerstag verkörperte er in einem „Harald Schmidt“-Special Franz Beckenbauer, und schon die ersten Sekunden, während Schmidt ihn ankündigte, waren ein erstaunliches Schauspiel. Die Art, wie Dittrich in seinem Stuhl saß und Schmidts Worte wortlos kommentierte, einmal mit einem Wangenzucken, einmal indem er den Daumen leicht bewegte – er war mit jeder Faser Der Kaiser. Jemand, der die Rituale dieses Millionsten Interviews erträgt, mit Würde, Routine und mildem Desinteresse – das Gefühl, daß diese Huldigungen sehr angemessen, aber auch sehr langweilig sind, goß Dittrich in kleinste Regungen. Er schuf ein Beckenbauer-Konzentrat – keine Parodie, eine Imitation, bei der alles noch einen Tick beckenbaueresker war als bei Beckenbauer (was schon als Möglichkeit schwer vorstellbar war, bevor man Dittrich gesehen hatte).

Er zeigte die ganze Vielfalt beckenbauerschen Lachens: das zeitgewinnende Öhöhö, das routiniert-amüsierte in Worten wie „FC Ba-ha-hayern“, das eine eigene Pointe ankündigende Hähä, das irritierte Ä-ä-ä-ä, wenn eine Frage ihn tatsächlich amüsierte. Auf die Eingangsfrage, ob in Kitzbühl Schnee liegt, antwortete er: „Der Willi Bogner, es ist ein Freund von mir, hat jetzt ein, zwei Schneekanonen in Position gebracht, die große Freude in diesem Jahr, es wird auch unter dem Weihnachtsbaum immer eine Rolle spielen, die Weltmeisterschaft, die wir gehabt haben, die uns einfach in den nächsten hundert, achtzig, fuchzig, zwanzig, dreißig, ja: drei, bis vier Jahren wahrscheinlich nicht mehr ins Haus schneien wird.“ Von seiner Audienz beim Papst berichtete er mit den Worten: „Er hat gesagt, Sie sind eine Lichtgestalt, ich hab gesagt: Sie aber auch. Da ham wir beide gelacht.“ Und als Schmidt ihn auf Rudolf Nurejew ansprach, hatte Dittrich-Beckenbauer noch vor dem Ende des Nachnamens „der Rudi!“ eingeworfen (und dann vom Ein-Zimmer-Appartment erzählt, das sie sich in New York teilten: „im Big Apple, wie man heutzutage sagt“).

Anstatt nach Sollbruchstellen zu suchen, an denen die Imitation vom Original abweicht, ließ Dittrich einen viele Abgründe des Beckenbauerschen Mediendaseins überhaupt erst bewußt werden. Und daß die Gedankengänge und Formulierungen des Franz an manchen Stellen ein bißchen so klangen wie die eines gewissen Dittsche, kann nur damit zu tun haben, daß es da bisher unerforschte Parallelen gibt. An Dittrich lag es nicht.

Beckenbauer hätte noch am Donnerstagabend zurücktreten müssen. So gut wie Olli Dittrich ist er als Beckenbauer einfach nicht.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung