Schlagwort: Panorama

Niemandem Rechenschaft schuldig

Ich würde nie behaupten, dass Thomas Osterkorn und Andreas Petzold, die Chefredakteure des „Stern“, zynische Arschlöcher seien. Aber nett wie ich bin, wollte ich ihnen die Bezeichnung zumindest mal zur Selbsterkenntnis angeboten haben.

Der „Stern“ gehört zu den Medien, die der Überzeugung waren, dass das Leiden für die Angehörigen der Opfer von Winnenden noch nicht groß genug war. Die Illustrierte half, ihr Leben noch ein bisschen unerträglicher zu machen, indem sie die Mädchen groß im Bild zeigte — mit Fotos, die offenbar jemand einfach aus ihren Profilen in verschiedenen sozialen Netzwerken entwendet hatte.

Das ARD-Magazin „Panorama“ fragte beim „Stern“ nach, woher die gezeigten Bilder stammen, ob die Angehörigen ihrer Veröffentlichung zugestimmt haben und wenn nein, warum man sie trotzdem zeigte. Der „Stern“ antwortete:

„Zu Redaktions-Interna erteilen wir keine Auskunft.“

Der vom ebenso ehrenwerten Helmut Markwort geleitete „Focus“ hatte — genau wie die „Bild am Sonntag“ — die Idee, dass es noch lukrativer wäre, die aus SchülerVZ oder kwick.de stammenden Porträts der Opfer gleich verkaufsfördernd auf die Titelseite zu packen. Auf die Fragen von „Panorama“ nach der Herkunft der Bilder und der Zustimmung der Angehörigen antwortete der „Focus“ nicht.

Auch RTL zeigte u.a. ein Opfer groß im Bild, Quellenangabe: „SchülerVZ“. Chefredakteur Peter Kloeppel gilt unbegreiflicherweise immer noch als Guter Journalist des Privatfernsehens, aber der Sender erklärte gegenüber „Panorama“, dass man die Fragen des Magazins nicht beantworten wolle.

Vor vier Wochen bediente sich das Hamburger “Abendblatt” im Internet, um einen Bericht über einen Mann, der sich und seine Familie getötet hatte, schön mit Familienfotos illustrieren zu können. Autor Florian Büh, der als Fotograf angegeben war, wollte auf Nachfrage von Onlinejournalismus.de keine Auskunft geben und verwies an “Abendblatt”-Chefredakteur Claus Strunz. Der antwortete „trotz mehrmaliger Nachfragen“ gar nicht.

Thomas Schmid, Chefredakteur der „Welt am Sonntag“, ließ einen Artikel über Winnenden mit einem Foto illustrieren, das scheinbar den Amokläufer zeigte, in Wahrheit aber einen Jungen bei der Opferfeier. Nachfragen des „Medium Magazins“ ließ Schmid unbeantwortet; in der nächsten Ausgabe der Zeitung fehlte jeder Hinweis auf den Fehler, jede Entschuldigung, jede Erklärung.

Vermutlich sind all die wichtigen Chefredakteure einfach zu beschäftigt, sich über elementare journalistische Grundsätze und antiquierte Vorstellungen von Anstand und Ethik hinwegzusetzen, als dass sie auch noch lästige Fragen dazu beantworten könnten.

Vergleichsweise vorbildlich ist da schon die „Bild“-Zeitung, die ihren Sprecher Tobias Fröhlich immerhin ein Statement abgeben ließ, das man auf den ersten Blick mit Antworten auf die gestellten Fragen verwechseln könnte. Fröhlich erlaubte sich gegenüber „Panorama“ den Witz, auf die Frage…

„Bilder von Toten dürfen — wenn nicht ein herausragendes öffentlichen Interesse besteht oder sie Personen der Zeitgeschichte sind — nur mit Genehmigung der Angehörigen veröffentlicht werden. Warum setzt sich BILD immer wieder darüber hinweg?“

…zu antworten:

„(…) entgegen Ihrer Annahme dürfen Fotos von Opfern auch ohne Genehmigung gezeigt werden, sofern es sich um Bildnisse im Zusammenhang mit wichtigen zeitgeschichtlichen Ereignissen handelt.“

Weiter scherzte er:

„Der Redaktion fällt eine solche Entscheidung nicht leicht (…).

(Man darf von seiner Antwort [pdf] aber nicht, wie ich es gerade getan habe, nur einzelne Sätze zitieren. Die „Bild“-Leute kennen schließlich ihre Rechte.)

Ich bin sicher, all die oben genannten Herren schlafen gut und halten (mit Ausnahme von Fröhlich natürlich) auf Anfrage auch gerne wohlklingende Vorträge darüber, wie wichtig es ist, dass Journalismus nicht von irgendwelchen skrupellosen Amateuren betrieben wird, sondern von Menschen, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind, also von ihnen selbst. Redaktions-Interna bleiben von solchen ethischen Erwägungen natürlich unberührt.

Panorama

Wenn sie schlau sind, die Lobbyisten der Verlage und Privatsender, stellen sie ihre eigene PR-Arbeit im Kampf für Beschränkungen öffentlich-rechtlicher Aktivitäten im Internet ein und überlassen sie vollständig den Fernsehmachern der ARD.

Nachdem Thomas Leif, der Chefreporter des Südwestrundfunks, vor zwei Wochen eine große, nein: lange Dokumentation zum Thema gemacht hat, die man wohlwollend als kontraproduktiv bezeichnen kann, übernahmen jetzt die Kollegen vom NDR-Magazin „Panorama“. Es ging eigentlich um die Frage, wie lange und unter welchen Bedingungen ARD und ZDF in Zukunft ihre Filme im Internet zeigen dürfen. Aber man kann es den Zuschauern nicht übel nehmen, die im Forum zur Sendung hinterher davon sprachen, das, was Verleger und Politik vorhätten, sei ja eine Art „Bücherverbrennung“. Tatsächlich taten die Autoren Britta von der Heide und Dietmar Schiffermüller immer wieder so, als gehe es nicht um Ausstrahlungsrechte, sondern die Vernichtung von Material: „Käme das neue Rundfunkgesetz, müssten diese Szenen im Extremfall gelöscht werden.“ Oder: „Dieser ‚Panorama‘-Klassiker müsste nach dem neuen Gesetz, wenn es in aller Schärfe umgesetzt würde, wohl gelöscht werden.“

Ungefähr jeder Satz war irreführend. Moderatorin Anja Reschke prahlte von den „echten Schätzen“, den „Zeitdokumenten“ und „Klassikern“, die sich im „Panorama“-Online-Archiv finden ließen: „wir senden seit 47 Jahren!“ – dabei ist das älteste Online-Dokument von 1996.

Ähnlich erschreckend wie die Bereitschaft zur Manipulation war die Wahl der Mittel: Grobschlächtig wie eine „Aktuelle Kamera“ pries „Panorama“ sich endlos selbst für seine wunderbare, unvergleichliche, unersetzliche Panoramahaftigkeit im selbstlosen Einsatz für das Lebensglück der Zuschauer. In einem von drei Ausschnitten aus älteren Sendungen war Helmut Kohl zu sehen, wie er zu einem Reporter sagt: „‚Panorama‘? Das hat doch mit Journalismus nichts zu tun.“ Es ist an dieser Stelle nicht ganz leicht, ihm zu widersprechen.

ARD und ZDF haben gute Argumente gegen viele Forderungen ihrer privaten Konkurrenz; Forderungen, die nur kommerziellen Interesse dienen und nicht der Allgemeinheit. Vielleicht ist die beschämendste Erkenntnis aus der ARD-Propaganda die: Dass die Verantwortlichen offenkundig nicht an die Kraft der Argumente und den Wert des seriösen Journalismus glauben, deren Garant sie sein sollen und als deren Aushängeschilder sich gerade Thomas Leif und die Leute von „Panorama“ gerne profilieren. Es ist – gerade für diejenigen, die sich starke Öffentlich-Rechtliche auch im Internet wünschen – zum Heulen.

Wenn sie schlau sind, die Lobbyisten der Verlage und Privatsender, sorgen sie dafür, dass zumindest dieser „Panorama“-Beitrag für alle Zeiten im Internet zu finden sein wird.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Medien im Blutrausch (upd.)

Eigentlich hatte ich auch den Glauben, dass die Öffentlich-Rechtlichen ziemlich objektiv wären. Ich hatte auch gedacht, dass nach dieser verfälschenden Berichterstattung eine Richtigstellung erfolgen würde. Da habe ich mich aber wohl geirrt.

Ich bin gespannt, ob irgendjemand von „Panorama“, „Hart aber Fair“, „Kontraste“ oder „Frontal 21“ zumindest den Versuch unternehmen wird, Matthias Dittmayer den Glauben an das Gute im deutschen Fernsehjournalismus wieder zu geben, und ersthaft Stellung nimmt zu dieser Anklage von ihm:

Ich habe die Richtigkeit von Dittmayers Aussagen nicht überprüft, aber seine Argumentation ist beeindruckend und allemal überzeugender als die ahnungslosen, berufsempörten Gesichter und Floskeln der gezeigten Protagonisten.

Und ich kann es nicht fassen, dass in Großbritannien zum Beispiel eine breite Diskussion stattfindet über Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit in den Medien, die sogar dazu führt, dass die „Noddys“ in Frage gestellt werden, die Gegenschüsse auf nickende Fragesteller, die nachträglich gedreht und in Fernsehinterviews geschnitten werden, und bei uns kann die Redaktion von „Kontraste“ einfach die Kritiker blöde anpöbeln und der Intendant des Norddeutschen Rundfunks, Jobst Plog, kann in einer Erklärung sinngemäß sagen: Klar haben wir die lachenden Gesichter von zwei Leuten einfach hinter eine Szene geschnitten, über die sie in Wahrheit gar nicht lachen, das machen wir immer so, na und? Und das vermeintliche Kontrollorgan, der Rundfunkrat, sagt dann: Wenn der Intendant das so sagt? Und es bricht kein Sturm der Entrüstung los und keine breite Debatte über den Zustand des öffentlich rechtlichen Vorzeigefernsehjournalismus und stattdessen reden wir über das Nazometer von Schmidt & Pocher? Im Ernst?

[via Medienlese, via jetzt.de]

Nachtrag, 30. November: Claus Richter, Redaktionsleiter des ZDF-Magazins „Frontal 21“, weist in einer ausführlichen Stellungnahme (pdf) die Vorwürfe als „gänzlich unbelegt, nicht stichhaltig oder irreführend“ zurück. Zum Vergleich: Dittmayers detaillierte Auseinandersetzung mit dem „Frontal 21“-Beitrag steht hier.

Nachtrag, 4. Dezember: Chris Winkler nimmt auf d-frag.de die Stellungnahme von „Frontal 21“ auseinander und urteilt: „(…) noch immer fehlt der zuständigen Redaktion die Einsicht, was damals schief gelaufen ist und womit sie die wütenden Reaktionen eigentlich provoziert hat. (…) die jetzige Stellungnahme [offenbart] erschreckend viel Unkenntnis gepaart mit unerschütterlichem Glauben an die eigene Unfehlbarkeit.“