Schlagwort: Paris Hiton

Jetzt wird zurückgelogen

Marcus Böttcher vom „Express“ fand sich richtig schlau. Das geht vermutlich vielen so, wenn sie über Paris Hilton berichten. Es ist ja auch so leicht. Marcus Böttcher also schrieb am vergangenen Donnerstag:

Achtung, Achtung. Es folgt Teil 154 in der Serie „Wie doof kann man sein??“ Stargast wie fast immer: Fräulein Paris Hilton. Denn deren persönlicher Guru entpuppte sich jetzt als Schauspieler.

Böttcher schrieb, wie der angeblich erfolglose Schauspieler Maxie Santillan Jr. sich als Schamane ausgab, denn — Böttcher kennt sich aus:

Die Dienste eines solchen — Segnen, Predigen, aus buddhistischen Schriften vorlesen — sind in Hollywood schließlich gefragt. Auf zu vielen Menschen hier lastet das schlechte Gewissen nach zahlreichen Suff-Sex-Promi-Partys.

Mit Paris Hilton (27) hat Maxie Santillan allerdings das ganz große Los gezogen. Denn die Hotelerbin trifft sich mit ihm nicht im dunklen Kämmerlein, sondern schlendert mit ihrem neuen Freund durch Los Angeles (EXPRESS berichtete).

Hahaha, die Hilton, blöde Kuh, fällt auf einen Schauspieler rein! Sicherheitshalber fragte Marcus Böttcher bei einem anderen Fachmann nach: Michael Kneissler. Er nennt ihn „Society-Experte“, und tatsächlich spricht der Journalist ungefähr ununterbrochen Fernurteile und -diagnosen über das Privatleben von mehr oder weniger prominenten Menschen in irgendwelche Kameras oder Mikrofone. Kneissler also sagte Böttcher auf die Frage, ob durch das „Outing“ nun die „Freundschaft“ Hiltons zu dem Schein-Schamanen gefährdet sei:

„Nein. Durch ihn hat sie wieder weltweite Aufmerksamkeit bekommen. Auch wenn er sie als unechter Guru zum Deppen gemacht hat.“

Nein. Die Deppen in dieser Geschichte sind Michael Kneissler und Marcus Böttcher. Und in einem Abwasch gleich all ihre vermutlich zigtausend Kollegen, die das Leben von Stars — oder das, was uns mithilfe von Paparazzi-Fotos, PR-Geschichten und Halb- und Unwahrheiten als solches vorgegaukelt wird — alltäglich zu bunten Märchen oder hämischen Abgesängen verarbeiten. Denn die Geschichte mit dem Schamanen war eine einzige Verlade. Paris Hilton hat sie mit Ashton Kutcher („Punk’d“) in Szene gesetzt, um sich an den skrupellosen Paparazzi, ahnungslosen Möchtegern-Society-Experten und überheblichen Boulevardfantasten dieser Welt zu rächen. Die Sendung heißt „Pop Fiction“ und läuft auf dem amerikanischen Sender E!, ist aber auch im Internet zu sehen. In vorerst acht Folgen sollen 20 — teils höchstkarätige — Prominente ihr Spiel mit der gutgläubigen Medienmeute spielen.

Auf die Schamanen-Geschichte sind alle reingefallen – und der grenzenlos hämische Tonfall, in dem sie sich über die wieder einmal völlig verrückte Paris Hilton lustig machen, spricht für sich selbst.

Weit vorne in die deutschsprachige Deppenliga hat es auch der „Berliner Kurier“ geschafft, der so „berichtete“:

Die Schamlose und der Schamane Paris Hilton jetzt mit Guru: Kann der Zottel sie zu einem besseren Menschen machen?

(…) Chihuahua Tinkerbell war einmal. Paris Hilton hat ein neues Schoßhündchen: Sie führt jetzt einen Schamanen spazieren. (…)

So konnten die Fotografen mitverfolgen wie Mönch Namenlos ihr segnend die Hand auf den Kopf legte und ihr Haar streichelte. Wie sehr sie diese Berührung veränderte, führte Paris auch gleich vor. Beim Verlassen des Lokals nahm sie ihr Diamantherz-Halsband ab und schenkte es einer Studentin. Paris sagte dazu von sich selbst gerührt: „Mein Guru hat mir gesagt, dass ich das tun soll. Denn Schenken ist die größte Gabe für einen selbst.“ Doch die Millionärin hatte sich für ihre Ich-bin-jetzt-ein-Gutmensch-Aktion die Falsche ausgesucht. Die beschenkte Studentin kündigte an: „Das Halsband verkaufe ich bei Ebay“. Für manchen ist Versteigern eben eine noch größere Gabe …

(Ja, auch die Verschenk-Aktion stand im Drehbuch, die vermeintliche Studentin war eingeweiht.)

In der „B.Z.“ fantasierte Annika Hennebach: „Paris Hilton sucht Zuflucht bei Schamanen“, auf Bild.de glaubte Gerlinde Jänike: „Paris Hilton hat einen eigenen Guru. Einen richtigen, echten, mit grauem langen Bart, einen Schamanen“, und vanityfair.de fabulierte angesichts des unerklärlichen Begleiters: „Vielleicht liegt es am teuflischen Einfluss ihres Freundes Benji Madden (…).“

Beeindruckend ist, dass die versammelte Boulevardmeute auch dann noch nicht daran zweifelte, wer klug ist (sie) und wer dumm (Paris Hilton), als herauskam, dass Hiltons Begleiter nur ein Schauspieler war — nicht nur dem „Express“ ging das so. Das Paparazzi-Blog Viply.de schrieb:

Wie peinlich, Paris hat sich mal wieder selbst übertroffen! (…) Offenbar konnte [der Schauspieler] eine Aufbesserung des „Taschengelds“ gut gebrauchen – so wie Paris ein „ernsthafteres“ Image. Nur wenige Tage zuvor beklagte sie ihr Los in einem Interview: „Die Leute wissen gar nicht, wie ich wirklich bin und das macht mich wütend! (…)“ — Ein weiterer ihrer Schüsse, der nach hinten losging.

Auch Avril Lavigne führte in der Premierenfolge von „Pop Fiction“ die Weltöffentlichkeit in die Irre — dadurch, dass sie eine Andeutung von Bauch trug. Wie absurd sich das liest, wenn die daraus resultierenden Spekulationen bis in die traurigsten Verästelungen des Boulevardbetriebs durchsickern, demonstriert schön viva.tv:

Avril Lavigne – Schwanger? Der Babyboom in Hollywood nimmt kein Ende!

Nach Jennifer Lopez, Christina Alguilera und Nicole Richie ist nun auch bei Sängerin Avril Lavigne angeblich der Storch gelandet.

Zwar wurde ihre Schwangerschaft noch von keiner Seite bestätigt, doch laut viply.de könnte man sich allmählich sicher sein.

Avril und ihr Ehemann Deryck kauften vor kurzem Babykleidung ein und vergaßen dabei ein noch viel interessanteres Indiz in ihrem Auto. Ein Ultraschallbild! Sehr verdächtig, finden wir!

Genauso verdächtig ist Avrils neue Art sich vorwiegend „bedeckt“ zu kleiden. Da wird die Kapuzenjacke überm Bäuchlein sachgemäß zugezogen, um ja keine Rundungen hervorblitzen zu lassen.

Diese „Pop Fiction“-Aktion ist grandios — und überfällig. Die Sendung zeigt die immer wieder unfassbare Zahl, Allgegenwart und Aggressivität der Fotografen, und mit welcher Geschwindigkeit und Wucht und welchem Desinteresse an Tatsachen aus einem harmlosen Anlass Titelseiten und weltweite Schlagzeilen fabriziert werden. Sie ist eine Art Notwehr der Prominenten – und wirkt, im Idealfall, medienpädagogisch: Je mehr dem Publikum bewusst ist, dass all die „Star-News“, mit denen sie von Viva über „Bunte“ bis „Spiegel Online“ überflutet werden, im Zweifelsfall reine Erfindungen sind (der Medien oder der Stars selbst), um so größer ist die Chance, dass das Interesse an diesem Genre wieder sinkt. Oder man sich wenigstens darauf einigt, dass man sich dann die Geschichten gleich ganz ausdenken kann, ohne dafür echte Menschen zu behelligen, und vielleicht davon absehen kann, zu versuchen, Britney Spears oder Amy Winehouse in den Tod zu treiben.

Und wenn Leute wie Marcus Böttcher und Michael Kneissler in Zukunft öfter ausgelacht werden, ist schon viel gewonnen.