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Jörg Kachelmann und die Verbrecher von kabel eins

Schalten wir um zu kabel eins. Dort läuft am Sonntag eine neue Doku des Grauens: „Die spektakulärsten Kriminalfälle – dem Verbrechen auf der Spur“.

Der Sender bewirbt sie mit einem dreißigsekündigem Trailer, in dem es heißt:

Dunkle Geheimnisse.

Undurchschaubare Abgründe.

Verhängnisvolle Taten.

Diese Menschen sind bis zum Äußersten gegangen und wurden zu Verbrechern, die jeder kennt.

Welche Motive hatten sie? Und warum ziehen uns wahre Kriminalfälle so in ihren Bann?

Die Faszination des Grauens in der neuen Doku.

„Die spektakulärsten Kriminalfälle – dem Verbrechen auf der Spur“. Am Sonntag um 20:15 Uhr.

Man muss es im Original gesehen und die Stimme des Sprechers und die dramatische Musik gehört haben, um es angemessen würdigen zu können:


 

Im Bild, unter anderem: Hans-Jürgen Rösner und O.J. Simpson, Marianne Bachmeier und Jürgen Harksen – und Jörg Kachelmann, der Wettermoderator, der von dem Vorwurf, eine Frau vergewaltigt zu haben, freigesprochen wurde.


Und kabel eins zeigt den — noch einmal: rechtskräftig freigesprochenen — Moderator als Verbrecher, den jeder kennt – was auf eine ironische Weise fast schon wieder treffend ist, angesichts der Vorverurteilung und der anhaltenden Folgen des Prozesses und der Berichterstattung für Kachelmann.

Kachelmanns Anwalt hat die Sendergruppe ProSiebenSat.1, zu der kabel eins gehört, abgemahnt. Die „Behauptungen“ über Kachelmann seien „allesamt unwahr“: Es habe schon keine Tat gegeben, deshalb auch kein Motiv und kein „Grauen“, das faszinieren könnte. Die Behauptung, Kachelmann sei ein „Täter“ bzw. „Verbrecher“ werde „in ehrenrühriger Weise und wider besseres Wissen aufgestellt“.

ProSiebenSat.1 bestätigte auf Anfrage, die geforderte Unterlassungserklärung abgegeben zu haben und den Trailer nicht mehr zu zeigen. In der Sendung selbst werde Kachelmann selbstverständlich in keiner Weise als Verbrecher dargestellt.

Kachelmann behält sich vor, eine Geldentschädigung zu verlangen.

Zeitungen, die Kiwis der Medienwelt

Als ich vor ein paar Jahren in Neuseeland war, wollte ich natürlich unbedingt Kiwis sehen. Wir fuhren in einen kleinen Zoo in der Nähe von Mount Bruce. Die Kassierein empfing uns mit der schlechten Nachricht, dass einer der beiden Bewohner die heftigen Regenfälle der Vortage nicht überlebt hatte. Anscheinend können Kiwis nicht nur nicht fliegen, sondern auch nicht schwimmen.

Kiwis sind zauberhafte Tiere. Aber wir wurden das Gefühl nicht los, dass die Natur uns etwas mitteilen wollte.

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Die deutschen Zeitungsverleger haben schon wieder jemanden gefunden, der Mitschuld an ihrem Niedergang ist. Diesmal ist es die Sendergruppe ProSiebenSat.1, weil sie in Zukunft die Möglichkeit anbieten will, in ihren Programmen regional begrenzt Werbung zu schalten.

Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger BDZV schlägt Alarm: „Dies würde zu schweren Einbrüchen in den ohnehin hart umkämpften regionalen Werbemärkten führen“, zitiert eine Sprecherin des BDZV in einer Pressemitteilung des BDZV einen Sprecher des BDZV.

Das ist unwahrscheinlich. Warum sollten Unternehmen weniger regional werben, wenn es einen neuen Anbieter regionaler Werbung gibt? Was ist aus der Binsenweisheit geworden, dass Konkurrenz das Geschäft belebt? Was der BDZV vermutlich meint: Das Engagement von ProSiebenSat.1 könnte zu Einbrüchen bei den Erlösen seiner Mitglieder führen.

Alles, was die Einnahmen von Zeitungsverlagen schmälert, ist aber zum Glück in Deutschland verboten — oder sollte es jedenfalls sein. Der BDZV räumt zwar ein, dass es im Rundfunkstaatsvertrag kein entsprechendes Verbot gibt. Das liege aber nur daran, weil man bisher nicht dachte, dass eine solche Regionalisierung technisch überhaupt möglich sei. Die Pläne von ProSiebenSat.1 seien dennoch „rechtswidrig“, denn:

Bereits 1986 habe das Bundesverfassungsgericht — damals im Zusammenhang mit dem niedersächsischen Landesmediengesetz — entschieden, dass regional/lokal ausgespielte Werbung nationaler Fernsehsender den Bestand und die Funktionsfähigkeit der Presse gefährden würde.

Hat es das?

In seinem sogenannten Vierten Rundfunkurteil befasste sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage, ob das niedersächsische Landesrundfunkgesetz mit dem Grundgesetz zu vereinbaren sei. Es ist eines der Urteile, die das Duale System mit unterschiedlichen Anforderungen an öffentlich-rechtliche und private Sender definierten.

In dem damals zu prüfenden niedersächsischen Rundfunkgesetz gab es eine Passage, die Rundfunkanbietern lokale Werbung untersagte. In Paragraph 26, Absatz 5 heißt es:

Werbung, die nicht im gesamten Verbreitungsgebiet eines zugelassenen Programms nach § 22 verbreitet wird, ist nicht zulässig. Solange das Programm nicht von mehr als 2,5 Millionen Einwohnern in Niedersachsen empfangen werden kann, ist nur eine Werbung zulässig, die Tatsachen, Ereignisse und Angebote mit mindestens landesweitem Bezug zum Gegenstand hat.

Mit dieser Beschränkung sollte die örtliche und regionale Presse vor Konkurrenz auf dem lokalen Werbemarkt geschützt werden. Das, stellte das Bundesverfassungsgericht fest, sei nicht zu beanstanden.

Anders als der BDVZ suggeriert, stellte das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht fest, dass eine solche oder ähnliche Regelung Pflicht oder Notwendigkeit sei. Anders als der BDZV suggeriert, traute sich das Gericht 1986 aus naheliegenden Gründen kein Urteil zu, welche Wirkung werbefinanzierter privater Rundfunk insgesamt auf die Presse haben würde:

Nicht abschließend beurteilen lassen sich die Rückwirkungen einer Werbefinanzierung privaten Rundfunks auf die Presse, insbesondere die Frage, ob der Presse oder zumindest zahlreichen Presseunternehmen hierdurch existenzwichtige Finanzquellen entzogen werden. (…)

Eine derartige Beeinträchtigung würde voraussetzen, daß das Gesamtvolumen der Werbung sich nicht mehr nennenswert steigert, daß ein wesentlicher Teil dieses Volumens von der Presse abgezogen wird und dem Rundfunk zufließt und daß damit die Rentabilitätsgrenze der Presseunternehmen unterschritten wird. Ob diese Voraussetzungen eintreten werden, ist ungewiß. (…)

Was die Auswirkungen auf die Presseunternehmen betrifft, geht die Monopolkommission davon aus, daß die Erhaltung der Printmedien als solche nicht gefährdet sei; doch dürften sie die Werbeeinnahmen der Presseverlage erheblich vermindern. (…)

Über diese und ähnliche Einschätzungen hinausgehende Aussagen erscheinen in der gegenwärtigen Phase, in der Werbung im privaten Rundfunk noch keine nennenswerte Rolle spielt, nicht möglich.

Ich kann nicht ganz ausschließen, dass es juristische Interpretationen dieses Urteils gibt, die über meine Lesart des Offenkundigen hinausgehen. Ich kann mir aber schwer vorstellen, dass die eine überzeugende Rechtsgrundlage dafür darstellen könnten, mehr als 25 Jahre später in einer vollständig anderen Wettbewerbssituation die deutschen Tageszeitungen vor einem neuen Konkurrenten zu schützen.

Überhaupt: dieses endlose Gejammer!

  • Regionale Werbung auf ProSieben bedroht die Existenz der Zeitungen!
  • Das schlechte Wetter bedroht die Existenz der Zeitungen!
  • Der 29. Februar bedroht die Existenz der Zeitungen!
  • Die Bundesregierung muss das Nicht-Kaufen von Zeitungen verbieten!

Ich bin ein großer Anhänger der Tageszeitung (oder wenigstens ihrer Idee). Aber wenn es wirklich so sein sollte, wie das Geschrei der Verlegerlobby nahelegt, dass die Tageszeitung nur dadurch überleben kann, dass man sie unter Artenschutz stellt und in Reservaten hält, die jeden Morgen gründlich von allen Keimen, Futterkonkurrenten und Parasiten gereinigt werden, mit hohen Schutzmauern und drei Fütterungen täglich — dann ist ihre Zeit vielleicht einfach vorbei.

Wie ich in den „Spiegel“ kam

Ich stand am Donnerstag voriger Woche gerade im Nieselregen in der Hamburger Fußgängerzone, als mich Martin U. Müller vom „Spiegel“ auf dem Handy erreichte. Nach ein bisschen Small Talk wechselte er den Tonfall und klang plötzlich, als müsse er etwas sehr Unangenehmes mit mir besprechen. Ihm sei da nämlich eine Information zugespielt worden.

Es stellte sich heraus, dass es nicht um die Sache mit den Schafen im Keller und den missglückten Sex-Experimenten ging, sondern bloß um einen Beitrag, den ich für das Online-Magazin screen.tv geschrieben habe, das die Sendergruppe ProSiebenSat.1 herausgibt. Müller konfrontierte mich mit der Beobachtung, dass ich da sogar im Impressum stünde und wollte wissen: Ob ich kein Problem damit hätte, für ein Unternehmen zu arbeiten, das sonst Gegenstand meiner Berichterstattung sei. Ob ich in Zukunft regelmäßig für die arbeiten würde. Ob die Bezahlung im üblichen Rahmen gewesen sei oder es sich um einen dieser sagenumwobenen Aufträge handele, für die man ein halbes Reihenhaus bekomme. Ob mir bekannt sei, dass der Berufsverband Freischreiber, bei dem ich ja Mitglied sei, eine strikte Trennung von Journalismus und PR-Arbeit fordere.

Ich versuchte, dem „Spiegel“-Redakteur zu erklären, dass es sich nicht um PR handelt, sondern einen journalistischen Artikel, den ich ohne jede Einflussnahme oder inhaltliche Vorgabe geschrieben habe. Bei screen.tv handelt es sich nicht um eine Werbebroschüre, sondern ein journalistisches Magazin, das nur insofern möglicherweise PR für ProSiebenSat.1 darstellt, als damit vielleicht die Hoffnung auf einen Imagegewinn verbunden ist: Dass ein solches Unternehmen es sich in solchen Zeiten leistet, Geld für ein solches Magazin auszugeben.

Ich versuchte den Verdacht, dass ich hier PR für ProSiebenSat.1 betreibe, noch dadurch zu entkräften, dass ich ihn darauf hinwies, dass deren Töchter in meinem Stück keineswegs gut wegkommen, woraufhin er fragte, ob ich das extra gemacht hätte, quasi als Demonstration der Unabhängigkeit, und ich erwiderte: Nein, einfach weil die Streaming-Angebote der Gruppe so schlecht sind. Es war ein anstrengendes Gespräch, was sicher auch daran lag, dass ich nicht verstand, was er mir eigentlich vorwarf, und noch weniger, was daran ein Thema für den „Spiegel“ sein könnte.

Medienjournalismus. Schon das Wort belustigt Begriffsstutze wie Henryk M. Broder, weil sie so tun, als wäre es analog zu Zeitungs-, Fernseh- und Onlinejournalismus gebildet und stelle also eigentlich einen Pleonasmus dar. Dabei steht es in einer Reihe mit Sport-, Politik- oder Wirtschaftsjournalismus; der erste Wortteil bezeichnet nicht das Medium, sondern seinen Gegenstand.

Doch die scheinbare Doppeldeutigkeit des Wortes zeigt auch das Spezielle an der Arbeit als Medienjournalist, das Dilemma beim Schreiben in den Medien über die Medien. Fast jeder Text ist zwangsläufig ein Text über ehemalige oder potentielle zukünftige Auftrag- oder Arbeitgeber, über direkte Kollegen oder Konkurrenten. Fast jeder medienjournalistische Text steht somit unter dem Generalverdacht einer Interessenskollision, eines Kalküls jenseits journalistischer Kriterien.

Ich nehme an, dass diese Situation auch den Medienjournalisten beim „Spiegel“ nicht fremd ist. Was ihnen aber offenbar fremd ist: Dass ein journalistisches Leben außerhalb der „Spiegel“-Redaktion existiert. Dass es Journalisten gibt, sogar Medienjournalisten, die nicht angestellte Redakteure sind, mit festem Gehalt und Einbindung in eine Hierarchie, sondern frei arbeiten, und das sogar freiwillig, nicht aus Not. Und dass diese Freiheit auch eine Form von Unabhängigkeit ist.

Als freier Journalist arbeite ich für verschiedene Auftraggeber. Die Auftraggeber sind Medienunternehmen. Medienunternehmen sind Gegenstand meiner Berichterstattung. Fast jeder Text ist insofern angreifbar, und dagegen hilft nur eines: der Beweis der Unabhängigkeit in der täglichen Arbeit.

Und damit sind wir wieder beim „Spiegel“, der tatsächlich Platz fand in seiner Ausgabe vom vergangenen Montag für ein Stück über mich und meinen Artikel im von ihm anonymisierten „Online-Magazin der ProSiebenSat.1 AG“. Der „Spiegel“ wirft mir nicht vor, einen bestellten PR-Text für ProSiebenSat.1 geschrieben zu haben. Er findet ausdrücklich, dass mein Text sich „nicht wie eine Eloge auf die Sendergruppe“ lese. Warum es sonst verwerflich ist, als Medienjournalist für ein journalistisches Magazin zu schreiben, wenn es nicht von einem Verlag, sondern einem Fernsehsender herausgegeben wird, lässt der „Spiegel“ offen. Martin U. Müller raunt nur, ich nähme es „offenbar nicht ganz so genau, was die Distanz zum Gegenstand [meiner] Berichterstattung betrifft“.

„Kritiker in der Kritik“ steht übrigens als Überschrift über der „Spiegel“-Meldung, und das ist einerseits natürlich ein alter Journalisten-Trick, sich quasi unsichtbar zu machen, aber die Wirkung des eigenen Tuns vorwegzunehmen. Der Kommentator dot tilde dot beschreibt den Effekt so:

interessant an dieser kritik ist, dass sie nur „ist“ und gar nicht stattfindet – außer im spiegel-artikel, der über die kritik berichtet. die aber gar nicht stattfindet, außer im spiegel-artikel, der über sie berichtet. obwohl sie nicht stattfindet.

(mir wird schwindelig. ich habe das gefühl, abschweifen zu müssen, um beim thema zu bleiben.)

Andererseits gab es die „Kritik“ aber tatsächlich schon vor dem Artikel, und das ist womöglich die interessantere Geschichte als die Frage, warum der „Spiegel“ mich kritisiert. Martin U. Müller ist nämlich nicht über die offizielle Pressemitteilung auf meine Mitwirkung an dem Magazin aufmerksam geworden, oder über Google oder Turi2, sondern über eine anonyme Mail. Der Absender hat sie in ähnlicher Form auch als Kommentar an verschiedenen Orten abgegeben, unter anderem hier im Blog unter dem Namen „finanzbeamter“:

Seit Februar2009 gab es für Herrn Niggemeier im Bereich Call TV nichts mehr über 9live zu berichten.Dafür engagiert er sich aber gerne für die Unternehmenskommunikation der Gesellschafterin, zusammen mit seinem Spezi Peer Schader. Wenn das mal kein Gschmäckle hat.

Ich kenne den Absender nicht, der allem Anschein nach auch schon unter anderem Namen hier kommentiert hat; offenkundig ist aber, dass er aus dem Umfeld der Call-TV-Branche und ihrer besonders schwarzen Schafe kommt. Dieselbe E-Mail-Adresse wurde auch schon benutzt, um als Drohungen zu verstehende Nachrichten an Kritiker des dubiosen Treibens von Call-TV-Firmen wie Primavera.TV verschickt.

Dieser Unbekannte hatte also Lust, mir ein bisschen Ärger zu machen – und fand ausgerechnet beim „Spiegel“ tatsächlich ein offenes Ohr. Die lustige Verschwörungstheorie, wonach ich (wenn ich das richtig verstehe) von ProSiebenSat.1 gekauft worden sei und deshalb nicht mehr kritisch über 9live berichte, hat zwar explizit dann doch keinen Weg in den „Spiegel“ gefunden. Aber Martin U. Müller konfrontierte mich im Telefongespräch tatsächlich auch mit diesem Vorwurf.

Und das, obwohl der nicht einmal einer schlichten Überprüfung der Fakten standhält: Ich habe noch im August 2009 über 9live berichtet. (Kann natürlich sein, dass ich erst danach gekauft wurde.)

Das ist das einzig wirklich Ärgerliche an meinem unfreiwilligen Gastauftritt im „Spiegel“: Dass das Nachrichtenmagazin sich beim Versuch, mich ein bisschen zu ärgern, zum Erfüllungsgehilfen irgendeines dubiosen Dunkelmanns gemacht hat, der gerade versucht, Call-TV-Kritiker einzuschüchtern.

Bauer-Verlag

Klatsch vom Fließband. Ein Verlag mit Gespür für den Massengeschmack: Bauer paßt zum Privatfernsehen.

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Sie hätten, statt des ganzen Bieterverfahrens um die Kirch Media, einfach einen Leo-Kirch-Ähnlichkeitswettbewerb veranstalten können – Heinz Heinrich Bauer hätte bestimmt gewonnen. Der Mann ist konservativ und öffentlichkeitsscheu, Christ und Patriarch, mythenumweht, und daß es von ihm nicht wie von Kirch nur eine Handvoll unscharfe Porträtfotos gibt, sondern zwei Handvoll, liegt allein daran, daß er sich einmal im Jahr öffentlich zeigt: bei der „Goldenen Feder“. Das ist eine merkwürdige Preisverleihung, die seit 1999 so organisiert ist, daß sehr viele, sehr prominente Menschen vorbeikommen, damit wenigstens an einem Tag im Jahr so etwas wie publizistischer Glanz auf das Unternehmen fällt. Aber selbst dann sitzt der heute 62 Jahre alte Verleger vorn an seinem Tisch und schweigt und läßt die Begrüßungsworte auf der Bühne von seiner Frau sprechen.

Warum der Hamburger Heinrich Bauer Verlag eine teure Image-Veranstaltung braucht, läßt sich nachvollziehen, wenn man einmal an den Kiosk geht, sich diverse Bauer-Zeitschriften greift, kurz grübelt, ob man einem Kassierer Rechenschaft über sein Kaufverhalten schuldet, und draußen das Zeitschriftenpaket verschämt zusammenrollt. Die Illustrierte „Neue Revue“, die eigentlich seit drei Jahren in einer Liga mit „Stern“ und „Bunte“ spielen soll, macht in dieser Woche mit der Information auf, daß Prinzessin Diana ihre Rivalin Camilla mit Gift im Champagnerglas töten wollte. Im Inneren enthüllt sie, daß man sich mit Homosexualiät keineswegs abfinden müsse, wie die Tochter von Berlusconi mit ihrem neuen, ehemals schwulen Freund bewiesen habe: „Sie hat ihn umgedreht.“ Die „Neue Revue“ markiert das obere Ende des Qualitätsspektrums des Bauer Verlages. Weiter unten befinden sich „Blitz Illu“ und „Coupé“, in denen es heute mehr denn je monoton um Genitalien und Stellungen geht. Das ist in diesem Fall ein Vorteil; vorher hatten dazwischen noch mehr Horror-Geschichten Platz, die auf unsägliche Weise Vorurteile pflegten und Panik schürten. Deutlich konsequenter, und gerne mal auf dem Index, sind die Titel „Sexy“, „Sexwoche“ und „Schlüsselloch“. Abgerundet wird dieses Segment durch Angebote wie schluck-alles.de.

Fast jede zweite verkaufte Klatschzeitschrift stammt aus dem Hause Bauer. Sie bedienen unterschiedliche Niveaus, am liebsten aber jenes, auf dem es genügt, wenn Günther Jauch in der „Achtziger Jahre Show“ darüber scherzt, wie gefährlich lange er damals in der Sonne gelegen habe, um daraus ein Titelthema zu stricken: Die Angst, in der Jauchs Familie wegen des Hautkrebses lebe.

Mehr noch dominiert Bauer den Markt der Fernsehzeitschriften und verdankt ihm sein größtes Format: „TV Movie“, die zu besten Zeiten mehr als drei Millionen verkaufte und heute noch zweieinhalb Millionen Exemplare abesetzt. Ihr Konzept einer vierzehntäglichen Fernsehzeitschrift mit umfangreichen Spielfilmtips war zwar eigentlich Dirk Mantheys Idee – sein Milchstraßenverlag hatte es mit „TV Spielfilm“ erfunden. Kreativität ist nicht die Stärke des Verlags oder seines Verlegers. Beide beherrschen aber eine Umsetzung im Detail, die bei den Massen ankommt. Notfalls zögert der Verlag nicht, seine Macht durch Preiskämpfe zu verteidigen: Als ein Konkurrent ein neues Segment im Fernsehzeitschriftenmarkt eröffnete – billiger und dünner als „TV Movie“ und „TV Spielfilm“ – setzte Bauer schnell ein eigenes Heft namens „TV 14“ zusammen und verkaufte es so lange zum Schleuderpreis, bis es alle Auflagenrekorde gebrochen hatte und die kleineren Mitbewerber abgehängt hatte. Mitbewerber, die nicht über die Fließbandproduktion und das finanzielle Polster des Bauer Verlages verfügten, dessen Verleger angeblich schon persönlich nachzählt, ob in einer Druckerei nicht zu viele Lampen hängen.

„TV Movie“ war lange ein strategisch besonders wichtiges Objekt für Bauer, weil es den Weg zu Anzeigen von Markenartiklern eröffnete. In die meisten anderen Blätter traute sich kaum ein Unternehmen, das einen Ruf zu verlieren hätte. „TV Movie“ war die erste Bauer-Zeitschrift, die sich nennenswert aus Werbeerlösen finanzierte. Bauer-Blätter sind Vertriebs-Zeitschriften, und damit war viele Jahre ein Makel und ein Minderwertigkeitskomplex verbunden. Als Heinz Bauer 1999 den PR-Profi und ehemaligen Kohl-Sprecher Andreas Fritzenkötter als Verlagssprecher engagierte, der auch die „Goldene Feder“ neu erfand, ging es nicht nur darum, etwas für die Außenwirkung zu tun. Fritzenkötter nahm sich auch vor, so etwas wie ein gutes Gefühl in der Mitarbeiterschaft aufzubauen. Anders als der Hamburger Rivale Gruner + Jahr, der schöne, edle Hefte herstellte und dessen Journalisten stolz waren, dazu beitragen zu dürfen, war an den Bauer-Zeitschriften nichts schön und edel – außer der Auflage. Die Gruner + Jahr-Zeitschriften hatten Preise, Image, große Namen; die Bauer-Titel waren seelenlose Produkte, von namenlosen Menschen in industrialisierten, rationalisierten Prozessen gefüllt und von Chefredakteuren kontrolliert, die bis zu fünf Titel gleichzeitig führen mußten oder durften. Und doch hatten die Bauers ein entscheidendes Argument gegen den Hochmut der Gruner + Jahr-Leute: Sie machten die Zeitschriften, die Millionen Menschen lesen wollten.

Es ist ein Argument, das jetzt schlagend geworden ist. Mit dem Einbruch der Anzeigenmärkte stehen plötzlich jene gut da, die nie viele Anzeigen hatten. Nicht die Qualitäts-, sondern die Massenpresse. Es ist kein Zufall, daß Bauer bislang im Fernsehen an einem Sender wie RTL 2 beteiligt war. Nicht nur wegen der offensichtlichen Nähe des Verlags, der „Bravo“ herausgibt, zu einem jungen Vollprogramm und nicht etwa, weil der Verlag auf Sex und Provokation festgelegt sei, die das RTL-2-Profil jahrelang ausmachten. Sondern weil ihm die Inhalte egal sind. Während sich die Bertelsmann- und RTL-Leute wanden, wenn RTL 2 sein Heil wieder in neuen Untiefen suchte, war Bauer daran interessiert, daß am Ende das Geld stimmte. Wenn RTL-2-Geschäftsführer Josef Andorfer glaubte, mit Flachsinn am meisten Gewinn machen zu können, gut. Wenn er glaubte, durch den Verzicht darauf am meisten Gewinn machen zu können, auch gut.

Bauer hat im Print-Bereich umgesetzt, was für das Privatfernsehen längst gilt: daß so etwas wie ein verlegerischer inhaltlicher Anspruch an Medien Ballast ist und nur die Quote zählt. Er hat längst die Sparmentalität in seinem Unternehmen umgesetzt, die zumindest in den nächsten Jahren das Fernsehen prägen muß, das weitere schmerzhafte Schritte noch vor sich hat. Bauer steht dafür, dies durchzusetzen. Und schließlich gewinnt er so die Millionen Kunden zurück, die ihm in den vergangenen Jahren verlorengegangen sind, als das Fernsehen die Themen der Boulevardpresse entdeckte.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung