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Wünsch dir was: re:publica

Am Mittwoch beginnt in der Berliner Kalkscheune die Blogger-Konferenz re:publica, gleich am ersten Nachmittag gibt es etwas, das sich hochtrabend „Die Qualitätsdebatte“ nennt (auch noch im „Großen Saal“), und auf dem Podium sitzen Mercedes Bunz, Thomas Knüwer, Angefragt und ich.

Ich sag’s mal so: Herr und Frau Angefragt kommen nicht, und mir fehlen ein bisschen die Ideen, worüber wir reden sollen. (Vielleicht bin ich auch nur zu faul, mir was Gutes auszudenken.) „Blogs vs Journalismus?“ steht da als Untertitel, aber ich kann mir schwer vorstellen, dass die Frage wirklich noch jemanden interessiert, insbesondere mangels Gegnern auf dem Podium, aber auch überhaupt.

Ich könnte die Gelegenheit stattdessen nutzen, meiner Ratlosigkeit über die Kommentarflut hier und den richtigen Umgang mit ihr Ausdruck zu verleihen, was unerträglich selbstmitleidig oder unvernünftig zornig werden könnte — aber ich weiß auch nicht, ob das jemand hören will.

Und da ich die Kommentatoren hier nicht nur hasse, sondern auch liebe (keine Ironie), frage ich mal in die Runde: Gibt’s irgendwelche Wunschthemen? Fragen, die wir beantworten sollen, Diskussionen, die wir führen müssen, Themen, über die wir uns in die Haare kriegen können?

Das obere Bloggerhundert

[Disclaimer: Ich schreibe regelmäßig für die Sonntagszeitung der FAZ.]

Die „Frankfurter Allgemeine“ kommt spät mit ihrem Artikel zur re:publica, aber dafür ist ihr Bericht (aus der Print-Ausgabe vom Mittwoch) im Gegensatz zu anderen lesens- und diskutierenswert. Dabei ist das Fazit von Martin Schöb durchaus vernichtend — sowohl was die Veranstaltung angeht, als auch Blogs insgesamt:

Was die deutschsprachige Blogosphäre nicht nur für Werbetreibende uninteressant macht, ist ihr beklagenswerter und in erster Linie selbstverschuldeter Zustand: Neben der Menge weitgehend unbekannter, nicht selten lesenswerter Blogs gibt es eine zweistellige Zahl prominenter A-Blogs. Diese drehen sich derart raumgreifend um sich selbst, dass für die anderen kein Vorbeikommen ist. (…)

Ohne Selbstbezüge und ohne die Bezugsgröße Print würden die meisten meinungsführenden Blogs — und zwar nur diese — in sich zusammenfallen wie ein Heißluftballon ohne Flamme. Bis es so weit ist, bleibt der Blog-Olymp für Neulinge nahezu unzugänglich; dort kennt man sich, man zitiert und kommentiert sich, spricht denselben Jargon, schreibt über sich und die Medien und bleibt so konsequent unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle all jener Leser, die ihr Leben nicht im Netz verbringen.

Hmmm. Wenn ich jetzt darüber blogge, was die FAZ über Blogs schreibt, dreht sich die Selbstbezüglichkeitsschraube noch eine Windung weiter. Andererseits: Ich habe auch in den etablierten Medien schon immer über Medien geschrieben, bei mir ist die Selbstbezüglichkeit quasi Dauerzustand. Ich würde auch nicht fordern, endlich mit dem Meta-Geblogge aufzuhören und finde auch nichts dabei, sich seinen Blog-Heißluftballon mit diesem Stoff und der Kritik an den etablierten Medien zu befeuern. Aber in den meinungsführenden deutschen Tageszeitungen kommen auf eine Medienseite mehrere Dutzend Seiten über Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport. In den „meinungsführenden deutschen Blogs“, wenn man davon sprechen will, ist das Verhältnis deutlich anders. Warum tun sich Themenblogs in Deutschland anscheinend so schwer? Oder ist das nur eine Phase gerade, eine Selbstfindungsphase des Mediums?

Ich würde Schöb in der Absolutheit vieler seiner Aussagen widersprechen. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass Blogs für Werbetreibende uninteressant sind. Und ich glaube, man muss den Zustand der Blogosphäre schon deshalb nicht so apokalyptisch beschreiben, weil das alles im Fluss ist, weil so viel gerade erst entsteht und weil sich alles mit rasanter Geschwindigkeit ändern kann.

Aber die Fragen, die Schöb aufwirft, sind berechtigt. Und tatsächlich glaube ich auch, dass die re:publica als Klassentreffen wunderbar funktioniert hat. Aber als Kongress litt sie darunter, dass Blicke von außen fehlten, „externe Expertise aus der Wissenschaft, den Medien, der Wirtschaft“, wie Schöb schreibt:

„Das obere Bloggerhundert will anscheinend alles selbst machen, alles wissen, alles können, aber mit niemandem außerhalb des Gemeinwesens etwas zu tun haben.“

Nachtrag. Selbstreferenz galore: Martin Schöb kommentiert die Blog-Reaktionen auf seinen Artikel über Blogs in seinem Blog.

Die WamS, das Netz und die Gosse

Ich habe gezögert, das hier jetzt schon wieder aufzuschreiben, weil es immer ein bisschen so aussieht, als würde man sich als Blogger reflexartig über Journalisten empören, die kritisch über Blogger schreiben. Aber darum geht es nicht. Es geht darum, dass ausgerechnet jene Journalisten, die sich den Bloggern in Anstand / Wissen / Glaubwürdigkeit / Recherchestärke für meilenweit überlegen halten, es regelmäßig nicht schaffen, fair oder wenigstens korrekt über Blogs zu berichten.

Und damit wären wir bei der „Welt am Sonntag“ (deren Titelseite heute übrigens so wie hier rechts aussieht, aber das nur am Rande) und bei Marco Stahlhuts Artikel von über die re:publica. Er trägt diese Überschrift:

Okay. Ich würde zwar sagen, dass die Überschrift genauso treffend wäre, wenn man „ein Blog“ durch „ein Büro“, „eine Wohnung“, „ein Auto“ oder „einen Platz im Kino“ ersetzte, aber das macht sie ja noch nicht falsch. Im Gegensatz zur Dachzeile. Ich bin mir nicht sicher, was die re:publica genau wollte, aber ich mir ganz sicher: Manieren wollte sie (wem eigentlich) nicht beibringen.

Der Artikel beginnt mit einer Beschreibung, wie nervös Johnny Haeusler gewesen sei, „weil jedes Wort, das er sagt, sofort live von den Zuhörern per SMS kommentiert werden kann“, was mir sehr unwahrscheinlich erscheint, aber gut.

Stahlhut schreibt weiter:

Um das „Leben im Netz“ soll es bei der Re:publica gehen. Und weil das manchmal wie ein Leben in der Gosse aussieht, geht eine Diskussionsrunde der staatstragenden Fragestellung „Wie viel Verantwortung braucht die Freiheit?“ nach. Seit Internetnutzer ihre Bilder und Texte unkontrolliert auf extra dafür geschaffene Webseiten stellen können, scheint die Moral im Netz endgültig erodiert. Gewaltvideos und selbst gedrehte Pornos sind besonders beliebt. Auf Blogs, eine Art von Internettagebüchern und Kommentarseiten, beschimpfen sich User gegenseitig als Idioten oder drohen einander Schläge an.

Hui, da weiß man doch gar nicht, wo man anfangen soll. Von welchen „extra dafür geschaffenen Webseiten“ reden wir, Herr Stahlhut? YouTube zum Beispiel? Haben Sie mal versucht, da einen Porno hochzuladen zu finden? Schicken Sie mir den Link? Und Gewaltvideos? Reden wir von Bären, die aus Hängematten plumpsen? Oder von Kindern, die sich mit dem Fahrrad hinlegen? Herr Stahlhut? Helfen Sie mir! Und Ihre Definition von Blogs… Nein, ich merke gerade, ich habe nicht einmal Lust, mir dazu eine treffende Formulierung auszudenken.

Die Diskussion (bei der ich auch auf dem Podium saß) fasst Stahlhut so zusammen:

Am Ende einigt man sich darauf, keine neue Ethik für das Webzeitalter zu brauchen, es würde ausreichen, wenn Leute ihre gute Erziehung nicht mit dem Einschalten des Computers ausschalten. Ja, das wäre schön.

Ja, Himmel. Ich würde mir auch wünschen, dass Leute ihre gute Erziehung nicht mit dem Einsteigen in eine volle U-Bahn ausschalten. Oder mit dem Betreten einer Kneipe. Oder mit dem Benutzen eines Autos.

Später geht’s um den Kommerz:

Ein Amerikaner schreibt ein spezialisiertes Blog über ein einziges Handymodell. Er verdient so rund 30 000 Dollar im Monat.

Echt? Wusste ich gar nicht. Kennt das jemand? Die „Welt am Sonntag“ hat leider vergessen, den Namen dieses Blogs zu recherchieren hinzuschreiben, mit dem man sich in drei Jahren quasi zum Millionär bloggt. Aber Stahlhut hat auch ein deutsches Beispiel:

Ein privates Blog zu „Deutschland sucht den Superstar“ hat täglich mehr Besucher als die offizielle Seite von RTL. Ein paar Tausend
Euro monatlich soll der Betreiber mit Werbung einnehmen.

Auch hier fehlt der Name, aber eigentlich kann es sich dabei nur um dsds-news.de handeln — das Blog, das ein paar Mal an den Tagen nach der Sendung auf Platz 1 der Blogscout-Charts landete. Es hatte an diesen Tagen (und auch nur an diesen Tagen) knapp 50.000 Besucher. RTL.de hatte im März täglich 1.000.000 Besucher.

Bei Welt Online ist der Artikel bislang übrigens noch nicht aufgetaucht. Womöglich hat der Autor sich das verbeten. Wollte nicht neben diesen ganzen Idioten-Blogs stehen.