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Katja Burkard

Die eine Möglichkeit ist, dass Katja Burkard irgendein dunkles Geheimnis über RTL kennt, das niemals an die Öffentlichkeit kommen darf und mit dem sie die Verantwortlichen erpresst. Es wäre eine vergleichsweise plausible Erklärung, warum sie seit dreihundert Jahren das Mittagsmagazin „Punkt 12“ moderieren darf.

Sie steht als eine Art Rauschgoldengelroboter in der Kulisse einer Nachrichtensendung und meldet mit großer Ernsthaftigkeit über Britney Spears: „Die 27-Jährige ist ziemlich mopsig geworden.“ Das würde allein schon für eine „Punkt 12“-Reportage samt Straßenumfrage reichen, aber diesmal kommt hinzu, dass während eines Auftrittes der Sängerin ihr Tamponbändchen zu sehen war. „Punkt 12“ dokumentiert das in Großaufnahme, Zeitlupe und mit rotem Pfeil, und Katja Burkard sagt: „peinlich, peinlich, peinlich“.

Wenn ein Beitrag läuft wie der über schlimme Vorwürfe gegen eine Kita, nimmt sie sich hinterher eine Sekunde Zeit, um fassungslos auf den Monitor zu schauen, bevor sie fassungslos den Kopf schüttelt und sicherheitshalber hinzufügt: „Man fasst es nicht.“ Nach süßen Tierfilmen sagt sie: „süß“, und das ist süß, weil sie einen Sprachfehler hat und S-Laute immer so sehr verzischt, dass man denkt, sie könne alles werden außer Fernsehmoderatorin.

Gelegentlich passieren allerdings Sachen, die noch krasser sind, als dass Prinz Charles zu spät zu einer Ausstellungseröffnung kommt. Amokläufe zum Beispiel. Dann muss Katja Burkard – trotz Sprachfehler und allem – Dinge tun, für die sie gar nicht programmiert ist. Bei Winnenden führte sie mehrere traumatische Gespräche mit einer hoffnungslos überforderten RTL-Reporterin vor Ort; am Donnerstag musste sie ahnungslos Bilder kommentieren, wie ein Autofahrer in den Niederlanden in eine Menschenmenge raste, und plapperte: „Hier sehen wir, wie einer durch die Luft flog, regelrecht . . . Auf jeden Fall ist hier ein großes Tohuwabohu . . .“

In den Nachrichten am Abend moderierte Peter Kloeppel einen Beitrag zum Thema mit den Worten an: „Mein Kollege hat die schlimmsten Bilder herausgeschnitten, dennoch bleiben viele Szenen verstörend.“ Wie nett. Zur Mittagszeit hatte RTL die schlimmsten Bilder von blutenden Körpern und über die Straße schleudernden Menschen weder herausgeschnitten noch vor ihnen gewarnt. Direkt zuvor informierte der Sender seine jungen Zuschauer über Neues von den „DSDS“-Kandidaten, direkt danach lockte Katja Burkard goldig mit tausend Euro, wenn jemand wisse, ob der Mai der „Wonne-“ oder der „Wannemonat“ sei.

Die andere Möglichkeit ist, dass man bei RTL irgendein dunkles Geheimnis über Katja Burkard kennt, das niemals an die Öffentlichkeit kommen darf und mit dem man sie zwingt, diese Sendung zu moderieren.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Ein grofef Tohuwabohu

Am Schlimmsten ist es, wenn sich Unglücke und Verbrechen zwischen zwölf und 14 Uhr ereignen, während der Sendezeit des RTL-Mittagsmagazins „Punkt 12“. Die Live-Berichterstattungs-Katastrophe vom Amoklauf in Winnenden war, wie es in diesem Genre gerne heißt, kein Einzelfall.

Um 12:25 Uhr kamen gestern die ersten Meldungen, dass bei den Feiern zum Königinnentag in Apeldoorn ein Auto in die Menge gerast sei und mehrere Menschen verletzt habe. Um 12:48 Uhr brachte „Punkt 12“ Bilder. Ohne Vorwarnung zeigte der Film ungeschnittene Aufnahmen von den Verletzten und Toten: Körper, die über den Asphalt geschleudert werden, blutende Menschen auf den Straßen, die ersten Sekunden, in denen sich Polizisten über die Opfer beugen und ihnen für Wiederbelebungsversuche die Hemden aufreißen, alles live kommentiert von der ahnungslosen Katja Burkard.

Ich habe mich entschieden, den Ausschnitt nur als Audio und nicht als Video zu dokumentieren. Nicht, weil RTL Probleme damit hat, das Zitatrecht anzuerkennen, und vermutlich versuchen würde, dagegen vorzugehen. Sondern weil ich glaube, dass sich die besondere Qualität der „Punkt 12“-Berichterstattung auch so erschließt. ((Wenn Sie genau wissen wollen, wie es auf einer Straßenszene nach so einem Anschlag aussieht, versorgen Sie die Online-Medien dazu freundlicherweise mit ungezählten Großaufnahmen — mehr dazu bei Lukas.)) Um einen Eindruck davon zu vermitteln, in welchem programmlichen Umfeld sich ein solches Unglück bei RTL ereignet, habe ich den Ausschnitt etwas länger gewählt.

[audio:http://www.stefan-niggemeier.de/blog/wp-content/punkt12.mp3]

Deutschland, ein Stilblütenmeerchen

Manchmal, wenn ich keine Lust zum Arbeiten habe, klicke ich mich durch das Internet-Angebot von RTL. Da gibt es immer was zu entdecken. RTL.de ist mit über 1,5 Millionen Visits am Tag eines der erfolgreichsten Online-Angebote in Deutschland und schafft das durch konsequenten Verzicht auf Qualität.

Ich bin immer versucht, die Texte, die dort erscheinen, dadurch zu erklären, dass sie von indischen Kindern neben ihrer Teppichknüpfarbeit geschrieben werden, aber dann wären sie besser. Wahrscheinlicher ist die Theorie, dass es sich um Rückübersetzungen aus dem Klingonischen handelt.

Mein aktueller Favorit ist das „60 Jahre BRD“-Special von „RTL aktuell“. Man täte ihm Unrecht, wenn man es auf die schlichten Fehler reduzierte wie die These, dass der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder 1998 wegen der Oderflut im Vorjahr Bundeskanzler wurde:

Gerhard Schröder allerdings rettete sein Krisenmangement die Wahl 1998. Durch seine Tätigkeit als Krisenmanager wurde auch der damalige brandenburgische Minister für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung, ’Deichgraf’ Matthias Platzeck, bundesweit bekannt.

Beeindruckend ist vielmehr die Kunst, aus den Möglichkeiten, die die deutsche Sprache bietet, konsequent immer jene zu wählen, die einen Sachverhalt so haarscharf nicht ganz trifft, dass es sich schlimmer liest, als wäre es völlig daneben:

Jemand, der viele deutsche Formulierungen schon mal gehört, aber nie richtig verstanden hat, schreibt über Dinge, von denen er schon mal gehört, die er aber nicht richtig verstanden hat.

1999 fegte der Orkan Lothar über Süddeutschland. Er gilt bis heute als Zeichen des Klimawandels. Immer heftigere Stürme in Mitteleuropa setzen den verliebenen Wäldern zu.

Bestenfalls liest es sich, als hätte jemand in der Redaktion aus dem Bestücken der Rubrik einen Wettbewerb gemacht und zum Beispiel gerufen: „Die Geschichte der deutschen Kanzler in einem Satz!“, und wer als erstes antwortete, bekam den Zuschlag:

Von Adenauer bis Merkel - Die deutschen Kanzler: Adenauer führte Deutschland nach Westen, Brandt nach Osten, Merkel ist die erste Frau im Amt und Alt-Kanzler Schmidt mittlerweile eine Ikone.

„Willy Brandts Biographie in drei Sätzen, passend zu einem Foto von ihm im Zug!“?

Brandt führte ein bewegtes Leben. Er floh vor den Nazis nach Skandinavien, wurde norwegischer Staatsbürger. Auf dem Foto sehen Sie ihn auf dem Weg nach Erfurt, wo er DDR-Ministerpräsident Willi Stoph traf und von den DDR-Bürgern begeistert empfangen wurde.

Manche Formulierungen klingen zunächst wie aus einem Privatfernseh-Wetterbericht und enthüllen ihre ganze vage, Metaphern mischende Schönheit erst beim zweiten oder dritten Lesen:

1945-49: Der Weg zur Staatsgründung. Die zunehmende Verhärtung der Fronten zwischen West und Ost seit der Konferenz von Potsdam im Sommer 1945 bestimmte den Weg in die Teilung des Deutschen Staates. Eine Einigung bezüglich der Rolle Deutschlands rutschte bis 1949 in immer weitere Ferne.

Im Abschnitt über Konrad Adenauer erfährt man erstaunliche Neuigkeiten über einen amerikanischen Präsidenten:

(Gut, dass JFK Katholik war, ist bekannt.)

Gelegentlich flüchtet sich die Formulierungsschwäche überraschend in Meinungsstärke:

Merkel stellt sich im September zum ersten Mal zur Wiederwahl. Anfangs sammelte sie große Lorbeeren, doch in der derzeit herrschenden Finanzkrise erweist sie sich nicht als führungstauglich. Angela Merkel (2005 - ?)

Unter die Überschrift „Negative Momente der BRD-Geschichte“ bzw. „Die trüben Momente unserer Republik“ hat rtl.de auch die Demonstrationen gegen den Nato-Doppelbeschluss, gegen die Startbahn West („Der Flughafenausbau war unvermeidlich, doch es gab militante Gegner, die ein Lager im Kelsterbacher Wald errichteten“) und gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf einsortiert. Und dann:

Mit dem Amoklauf von Winnenden (16 Toten) endet dieser Rückblick auf die Unglücke und weniger schönen Ereignisse aus 60 Jahren BRD.

(Muss ich dazu sagen, dass das zugehörige Foto nicht Winnenden zeigt?)

Und wo bleibt das Positive, das extrem Positive? Hier:

Die WM in Deutschland zeigte der Welt: Die Deutschen können friedlich feiern, Party machen und sind dabei extrem gastfreundlich. Im Ausland verankerte sich ein neues Bild des Ordnung liebenden humorlosen Deutschen. Ein extrem positives.

Nachtrag, 13:30 Uhr. Ein paar der oben genannten Formulierungen hat RTL.de geändert. Keine Sorge: Die meisten Stilblüten blühen weiter, aber JFK ist zum Beispiel nicht mehr so leicht mit Adenauer zu verwechseln, das Foto zu Winnenden zeigt nicht mehr Erfurt, und über Angela Merkel heißt es jetzt: „Anfangs sammelte sie große Lorbeeren, doch in der derzeit herrschenden Finanzkrise werfen ihr Kritiker ein zögerliches Verhalten vor.“

Im Zweifel hat sich „RTL aktuell“ für den Zweifel entschieden. Über Orkan Lothar ist nun zu lesen: „Ob Klimawandel oder nicht: Immer heftigere Stürme in Mitteleuropa setzen den verbliebenen Wäldern zu.“

Und was die Oderflut 1997 angeht, behauptet RTL.de sicherheitshalber nur noch, dass sie Gerhard Schröder „möglicherweise“ die Wahl 1998 gerettet hat. Noch wahrscheinlicher ist natürlich, dass es weder die Oder noch 1997 war.

Nachtrag, 22.15 Uhr. Jetzt geht RTL.de kein Risiko mehr ein und hat den ganzen Absatz über die politische Dimension der Oderflut 1997 ersatzlos gestrichen — mitsamt dem eigentlich richtigen Verweis auf die Rolle Platzecks. Aber was sollen die „RTL aktuell“-Leute auch machen? Sowas nachschlagen??

RTL lässt Winnenden-Video löschen

RTL möchte lieber nicht, dass die Menschen sich ein Bild von der journalistischen Kompetenz des Senders machen können, und hat einen Ausschnitt aus „Punkt 12“ bei YouTube entfernen lassen. Er zeigte einen Teil der Live-Berichterstattung vom Amoklauf in Winnenden: Eine hoffnungslos überforderte Reporterin vor Ort plapperte aufgeregt von den vielen „blinkenden Lichtern“ und dem „Chaos vom Feinsten“.

YouTube teilte mir am Dienstagabend mit, man habe den Zugriff auf das Video deaktiviert, „da uns von RTL interactive GmbH gemeldet wurde, dass dieses Material eine Urheberrechtsverletzung darstellt“. Das war insofern überraschend, als RTL zuvor auch auf wiederholte Nachfrage beteuert hatte, man habe nichts damit zu tun, dass bereits eine frühere Fassung dieses Videos bei YouTube entfernt wurde. Das entsprach nicht der Wahrheit.

RTL-Sprecher Matthias Bolhöfer erklärte mir nun auf die neue Sperrung bezogen:

Es ist richtig, dass wir den Beitrag auf You Tube haben löschen lassen, um so die Urheber- und Nutzungsrechte zu schützen. Das ist ein ganz normales Prozedere — in diesem Fall auch vor dem Hintergrund, dass sich die „Panorama“-Redaktion in der vergangenen Woche offensichtlich via You Tube den Beitrag besorgt hat, um die Reporterin noch einmal öffentlich vorzuführen.

Natürlich geht es RTL nicht um die Urheber- und Nutzungsrechte (auf die der Sender ohnehin scheipfeift, wenn es darum geht, private Fotos zum Beispiel von Verbrechens-Opfern zu zeigen). YouTube ist voller Ausschnitte aus RTL-Sendungen, auch von „Punkt 12“, auch vom Tag des Amoklaufs, die der Sender nicht entfernen lässt. Und noch eine Woche zuvor hatte Bolhöfer mir gegenüber auch genau das bestätigt: RTL lasse nur Videos von einer Handvoll Shows wie „Deutschland sucht den Superstar“ systematisch löschen.

Der Verweis auf den „Panorama“-Beitrag sagt alles: Der Ausschnitt, den das ARD-Magazin von dem RTL-Debakel zeigte, ist exakt 14 Sekunden lang. RTL glaubt, „Urheber- und Nutzungsrechte“ geltend machen zu können, um zu verhindern, dass eine selbstverständlich durch das Zitatrecht gedeckte 14-Sekunden-Szene bei der Konkurrenz erscheint.

Treffend ist hingegen die Formulierung, dass „Panorama“ die RTL-Reporterin „noch einmal“ öffentlich vorführte. Denn die ersten, die dies taten, waren die Möchtegernjournalisten des RTL-Magazins „Punkt 12“, die die Entscheidung trafen, dass so ein Amoklauf ein guter Anlass wäre, eine Frau ohne jede Erfahrung live ins Programm zu nehmen — und minutenlang auf dem Sender zu lassen und auch später, als der letzte im Sender gemerkt haben müsste, wie überfordert diese „Reporterin“ war, noch mehrmals zu ihr zu schalten.

Keine Frage, dass es nicht schön ist für die junge Frau, dass so öffentlich offenbar wurde, wie falsch ihre Berufswahl war. Aber bloßgestellt wird durch den Ausschnitt vor allem der Sender — und seine behauptete Informationskompetenz.

Und ich finde, damit muss er leben:

Sevenload: „Punkt 12 in Winnenden“

Nachtrag, 7. April. Dafür, dass RTL zunächst bestritten hat, solche Videos überhaupt zu löschen, sind sie inzwischen erstaunlich fleißig: Auch Sevenload hat den Film nun nach einem Einspruch des Senders gesperrt. Ich denk mir was aus.

Nachtrag, 21. April.

„Fragen stellen ist nun mal unser Beruf“

Wenn in Zukunft jemand fragt, was das eigentlich ist, was wir in Deutschland anstelle eines Nachrichtensenders haben, wird man ihm nur diesen Ausschnitt zeigen müssen.

Es ist fast, als hätte ein Satiriker ein Drehbuch geschrieben, um in knappster Form all die Katastrophen dieser Art von „Berichterstattung“ bloßzustellen — bis hin zu der Ironie, dass n-tv, während der Mann am Telefon davor warnt, sofort unkommentierte Bilder vom Tatort zu zeigen, in der Dauerschleife unkommentiert Bilder vom Tatort zeigt.

[via Alexander Svensson, dem auch ein Detail im Laufband aufgefallen ist]

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Der ähnlich eindrucksvolle Live-Bericht einer RTL-Reporterin aus Winnenden bei „Punkt 12“ („Es ist Wahnsinn, hier blinken die Lichter. Man hat nicht erwarten können, dass ein solches Großereignis hier heute eintritt. Es ist hier ein Chaos vom Feinsten!“) ist bei YouTube übrigens nicht mehr zu sehen. Stattdessen heißt es:

Das Merkwürdige daran ist, dass RTL beteuert, keine Löschung veranlasst haben. Bei YouTube heißt es dagegen, der Hinweis, der anstelle des Videos angezeigt wird, sei korrekt. Genauere Auskünfte gibt die Firma Google, zu der YouTube gehört, traditionell nicht. Auch auf nochmalige Frage kann man sich bei RTL den Vorgang nicht erklären.

Vielleicht könnte jemand, der den Ausschnitt zufällig hat, ihn nochmal hochladen? (Oder einfach mir schicken.)

Nachtrag, 17.50 Uhr. Georg hat mir freundlicherweise den Auftritt geschickt, so dass man ihn sich jetzt wieder ansehen kann:

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Unbedingt in Erinnerung blieben sollte von der medialen Aufbereitung dieses Ereignisses auch die „ZDF-Reportage“ zum Thema, die nicht unter den hektischen Bedigungen einer Livesendung entstand, sondern am darauffolgenden Sonntag ausgestrahlt wurde.

Sprecher: Tim K., der Amokläufer. Wenig erfährt man über ihn und seine Familie in den Tagen nach der Tat. Die meisten Menschen in Winnenden sind Reportern gegenüber sehr zurückhaltend. Das Elternhaus von Tim K. am Abend nach dem Amoklauf. (…) Die Familie wird als wohlhabend und eher zurückhaltend beschrieben. Bei Nachbarn wollen wir nachfragen.

Reporter: Bei dieser Wohnung, wo da noch Licht brennt, ist das Ihre Wohnung? Dann würde ich da natürlich nicht nochmal klingeln wollen.

Nachbarin: Nein, Sie dürfen im ganzen Haus nicht klingeln. Ich verbiete Ihnen des.

Sprecher: Distanz überall.

Reporter: (an einer Tür) … okay, gut, dann entschuldigen Sie die Störung, ich Danke Ihnen.

Sprecher: Reporterschicksal. Winnenden will Ruhe. Aber Fragen stellen ist nun mal unser Beruf.

Reporter: (an einer anderen Tür) … natürlich. Danke schön.

Sprecher: Deutschland will daheim am Fernseher Neuigkeiten sehen, aber in Winnenden möchte keiner von Reportern an der Haustür belästigt werden. Auch wir spüren den Unmut der Nachbarn.

Reporter: (an einer weiteren Tür) …gut, dann haben wir nicht länger gestört, danke schön.

Sprecher: Rechtschaffene Leute seien Tims Eltern, hören wir, als die Kamera nicht läuft. Ein paar Kilometer vom Wohnort hat der Vater einen Zulieferbetrieb für Verpackungen. Damit schirmen die Mitarbeiter jetzt die Fenster ab. Niemand möchte sich zeigen oder gar mit ihnen sprechen.

Reporter: (zu einem Mann, der gerade mit dem Auto vor dem Haus geparkt hat) Schönen guten Tag, dürfen wir Sie ganz kurz stören? Sie sind sicherlich ein Kunde des Hauses.

Passant: Ich geb dazu keine Antwort.

Reporter: Wie geht’s Ihnen heute mit der Situation?

Die Sendung kann man sich in der ZDF-Mediathek ansehen — dieser Ausschnitt ab ca. 13.15 Minuten.

„Mitten im Leben“: RTL hat noch ein paar Laien im Keller

Tagsüber schwappt das „wahre Leben“ ins RTL-Programm. Der Sender zeigt montags bis freitags je drei einstündige Folgen der Reihe „Mitten im Leben“, der Fortsetzung der täglichen Talkshows mit dokumentarischen Mitteln. Es geht um das übliche: junge Frauen, die sich die Brust vergrößern lassen wollen, ältere Frauen, die in ihrem Müll versinken, Männer, die sich vor ihren Ehefrauen ekeln – nur dass sie sich nicht im Studio entblößen, sondern die Kameras der Produktionsfirmen in ihr Leben lassen, die es dann fernsehgerecht krawallig aufbereiten.

Vorgestern ging es zum Beispiel um den Fall eines Fernfahrers, der plötzlich, aus heiterem Himmel, auf seine Frau losgeht, über Nacht ins Gefängnis kommt, herausfindet, dass seine Frau ihn betrogen hat und damit droht, sie um ihre Existenz zu bringen. Es ist eine Geschichte, die alle Zutaten hat, die das Privatfernsehen liebt, inklusive Vaterschaftstest natürlich — und das Beste: die Kamera ist immer dabei. Wir sehen die Rachepläne des Vaters, die Verzweiflung der Mutter, den lautstarken Streit der beiden auf dem Parkplatz vor dem Gefängnis.

Das muss man erst einmal schaffen, immer so dicht dabei zu sein, oder genauer gesagt: Man muss es nicht. Denn die Geschichte, die RTL in seiner vermeintlichen „Doku-Serie“ zeigte, war nur eine Laienspielaufführung. Die Familie war nicht echt, die Polizisten waren nicht echt, und alles andere war vermutlich auch nicht echt.

In dieser Woche sendet RTL auf dem 16-Uhr-Sendeplatz von „Mitten im Leben“ Fake-Doku-Soaps statt Real-Doku-Soaps. Dahinter steckt die Produktionsfirma Filmpool, die dem deutschen Fernsehen auch Richterin Barbara Salesch beschert und das schlechte Laienspiel als Standardgenre etabliert hat.

Dass sich hinter dem von RTL versprochenen „wahren Leben“ nun nicht nur die üblichen Inszenierungen, sondern komplette Drehbücher verbergen können, erfährt der Zuschauer vor oder während der Sendung nicht. Er kann es höchstens anhand der vergeblichen Versuche der Darsteller erraten, irgendeine Emotion zu spielen – oder gar überzeugend so unrealistische Sätze zu sagen wie: „Es war das erste Mal, dass ich richtig Angst vor meinem Mann hatte“.

Aber wenn er ganz genau hinguckt, kann er für zwei Sekunden am Ende des Abspanns einen dezenten Hinweis entdecken:

RTL folgt damit Sat.1 auf dessen Niveau. Der arme Münchner Konkurrenzsender muss seit Jahren schon sein größere Teile seines Programms mit in jeder Hinsicht billigen Gerichtslaienspielshows und Pseudo-Doku-Soaps wie „K11“ und „Lenßen & Partner“ bestücken. Damit sich deren Zuschauer auch im RTL-Programm heimisch fühlen, liegt unter den „Mitten im Leben“-Folgen sogar Eminems „Lose Yourself“ – die Titelmusik von „Lenßen & Partner“.

RTL-Sprecherin Anke Eickmeyer sagt, momentan sei nicht geplant, die ganze Reihe „Mitten im Leben“ auf die Fake-Variante umzustellen. „Nach unseren Erkenntnissen interessiert die Zuschauer nicht, ob es sich um Real-Doku-Soaps oder um gescriptete Dokusoaps mit Laiendarstellern handelt“, sagt sie. „Sie wollen interessante Geschichten sehen, die Machart ist nicht entscheidend.“

Womöglich hat sie Recht: Die erste Fake-Folge am Montag erreichte 18,8 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe – das ist nach Angaben von RTL der bisher höchste seit Start der Reihe im Mai 2008. Andererseits: Als Hans Meiser, Birte Karalus und Arabella Kiesbauer damit begannen, in ihren Talkshows ausgedachte Konflikte nachspielen zu lassen, war das der Anfang vom Ende ihrer Sendungen und des Talkshowbooms.

Guten Morgen aus Tralien: Dirk Bach am Dschungeltelefon

Heute Abend geht sie zu Ende, die vierte Staffel von „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“ Kurz vor dem großen Finale spricht Moderator Dirk Bach über das Phänomen Peter Bond, das Improvisieren im Dschungel, den erstaunlichen Abstand von Fremd- und Selbstbild bei den Kandidaten und Giulia Siegel, die nicht so gerne „der vierunddreißigjährige Krieg“ genannt werden möchte.


Dirk Bach mit Co-Moderatorin Sonja Zietlow. Fotos: RTL

Das Fernsehblog: Herr Bach, es ist kurz nach Mitternacht in Deutschland, die Show ist gerade vorbei. Wo sind Sie gerade? Ist da hinter dem Baumhaus gleich ein großer Studiokomplex angebaut?

Dirk Bach: Nein, das Baumhaus ist schon mittendrin im Dschungel. Von da aus muss man ganz oben auf den Berg fahren, da ist zwar immer noch Dschungel um uns herum, aber der fällt nach unten ab. Da ist unsere Technikzentrale. Da ist die Redaktion, die Schneideräume und da steht ein großer Wagen, in dem Sonja und ich wohnen.

Sie hatten gerade die heikle Aufgabe, mit Gulia Siegel zu plaudern, die nach ihrem Auszug erfahren musste, dass ihre Außenwirkung nicht ganz die war, die sie sich erhofft hatte. Haben Sie vorher schon Kontakt gehabt zu ihr?

Nein, wir sind von den Kandidaten komplett getrennt. Das vor der Kamera jetzt war unser erstes Interview mit Giulia Siegel. Wir lassen die Kandidaten dabei immer so lange warten, wie es geht, um es alles ganz frisch zu halten, und nicht vorher schon all die Sachen besprochen werden.

Sind sind also nicht im selben Hotel wie die ausgeschiedenen Kandidaten? Das ist vermutlich auch ein Schutz für Sie.

Deren Hotel ist richtig, richtig weit weg, aber gar nicht um uns zu schützen – bislang wollte uns noch keiner schlagen. Die müssen einfach weit weg sein. Wir wollen das nicht vermischen. Wir wohnen viel näher am Camp, obwohl wir auch schon ganz schön weit weg sind.

Giulia Siegel hat sich jedenfalls nicht wiedererkannt und meinte, dass Sie ihre Erlebnisse bösartig einseitig zusammengeschnitten haben.

Natürlich überhöhen wir die Dinge, die passieren, in den Filmen und auch in unseren Moderationen. Ich glaube aber nicht, dass das so weit ist von der Realität. Es ist keine Dokumentation, und es ist auch kein großes Experiment, wie „Big Brother“ vorgibt zu sein. Es ist einfach eine Unterhaltungssendung mit Prominenten, die ausprobieren: Wie gut halte ich es zwei Wochen dort aus, wo es nicht so ist wie zuhause. Ein bisschen, denke ich immer, liegt es an einem selbst, was man da macht. Ich glaube, dieses: „Hätte man doch nur alle 24 Stunden gezeigt, dann hätte man gesehen, was für ein guter Mensch ich bin“, das stimmt nicht. Vielleicht wird Giulia Siegel das auch mal erkennen. Sie ist ja ein ganz verständiger und kluger junger Mensch.


Dschungelprüfung mit Peter Bond.

Das ist ja ein roter Faden der Show, insbesondere in diesem Jahr, die Diskrepanz zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung. Bei Peter Bond, der sich die Welt und seinen Platz darin zurechtdenkt, war es besonders krass. Ist das ein spezielles Phänomen bei Prominenten?

Nein, das haben wir alle. Wir erleben ja selbst, wieviele Missverständnisse man produziert, wenn man etwas sagt und das von anderen ganz anders aufgenommen wird. Vielleicht hat man hier zwei Exemplare gefunden, die dann doch besonders weit auseinanderliegen, in dem, wie sie denken zu sein, und wie sie dann erscheinen.

Mit den beiden sind Sie und Sonja Zietlow in den Moderationen aber auch besonders gnadenlos umgegangen. Peter Bond hatte von der ersten Sekunde keine Sympathien bei Ihnen, oder?

Beim Peter kam aber noch einiges dazu, was man uns erzählte, was im Flug passiert ist. Und beim Einzug ins Hotel. Das nimmt man natürlich dankbar auf und setzt daraus dieses Bild von ihm zusammen. Und er hat wirklich nicht viel getan, dieses Bild zu verändern, auch jetzt, wo er nicht mehr da ist, hört man immer noch Dinge… Ich glaube, er ist da ganz mit sich im Reinen, dass es so ist mit ihm. Er ist, glaube ich, glücklich so. Aber wir haben hier nicht zehn wehrlose Hartz-IV-Empfänger eingeschlossen, sondern zehn Prominente, deren Beruf es ist, in diesem Medium zu leben, und die Sendung inzwischen gut kennen. Sie halten sich alle für Experten für das, was sie im Camp zu tun haben und wie man sich zu verhalten hätte. Denen ist schon klar, was sie hier tun, und wenn sie da so sind, wie sie sind, dann sind sie das durchaus auch im Einklang mit sich selbst.

Ist es heikel, wenn Sie nach all ihren hämischen Pointen später die Kandidaten treffen? Sie spielen ja dabei nicht nur eine Rolle und sagen Texte auf, sondern genießen es sichtlich, auf deren Kosten zu improvisieren.

Ja, wir haben nicht immer das Glück, alle Einspieler komplett gesehen zu haben, und sind oft selber verblüfft, was wir da hören. Dann müssen wir einfach noch nachsetzen, und klar, da entstehen ein paar Dinge. Wobei Giulia eben im Weggehen noch zu mir sagte: „Also, mich ‚der vierunddreißigjährige Krieg‘ zu nennen, war hart“, und ich dachte, mein Gott, das ist doch eine so süße Bemerkung, dass man der vierunddreißigjährige Krieg genannt wird, das hat mir gefallen. Nein, die Menschen hier wussten, worauf sie sich einlassen, das ist ja durchaus bekannt im vierten Jahr. Und in diesem Business ist es ja auch gut, wenn eine Pointe über einen gemacht wird, auch eine böse.


Lorielle London vor Ihrer Dschungelprüfung.

Beunruhigend ist, wie viele der Kandidaten zu glauben scheinen, dass sie im Camp ganz Deutschland etwas beweisen müssen. Bei Ross Antony war das so, bei Lorielle London noch mehr. Woher kommt das?

Bei Ross war es einfach schön, weil er diese beiden Seiten hat. Er zeigte, dass die Tunte, die immer nur quiekt, auch tough sein kann, auch wenn sie dabei quiekt. Das war ganz süß, weil er genau wusste, was er da machte – das war für mich der bewussteste Kandidat von allen. Bei Lorielle habe ich auch immer ein bisschen Angst, weil die, glaube ich, alles tun würde, nur um zu beweisen, dass sie liebenswert ist, was sie gar nicht müsste. Ich bin kein großer Fan der Dschungelprüfungen, meinetwegen könnte da jeder sagen: nee, mach ich nicht, wie komm ich dazu, ‘nen Hoden zu essen? Vielleicht ist das was Deutsches. Die Briten machen diese Prüfungen zwar auch alle, aber mit soviel Geschrei, dass klar ist: Es ist wirklich nur „Spiel ohne Grenzen“. Bei uns ist das sehr ernst, da fürchte ich mich auch immer ein bisschen vor.

Überhaupt, Lorielle und ihre Transsexualität. Sie ist damit ein Opfer vieler Pointen. Denken Sie darüber nach, welche Grenzen Sie nicht überschreiten wollen, welche Vorurteile nicht bedienen?

Ja, das ist für mich ganz wichtig. Sie ist selber an einem Punkt, wo sie sich ganz viel erfüllt, was sie nie haben konnte. Sie lebt gerade ihre Jungmädchenträume aus, das geht alles durch eine große Öffentlichkeit. Das können wir nicht verhindern, das hat sie selber alles schon angeleiert. Aber wir können versuchen, damit ganz gut umzugehen, und ich glaube, das ist uns gelungen. Sie zum Beispiel als Frau zu nehmen, die sie ja ist, egal, ob da noch was nicht perfekt ist.

Verfolgen Sie das Getöse der Berichterstattung über die Show?

Nicht so gerne. Ich bin natürlich, wie wir alle, quotenabhängig…

Die sind natürlich bei dieser Show eine seltene Freude.

Ja, was ich ja sonst nicht so erlebe. Aber der Rest: nicht so. Ich muss nicht auseinandersetzen mit der Berichterstattung vom „Stern“ oder von der „Bild“.

Müssten Sie sich nicht die gleiche Frage stellen wie die Kandidaten, ob es wirklich eine gute Idee ist, für die Karriere, in den Dschungel zu gehen – auch als Moderator der Show?

Ob es eine gute Idee ist, hängt davon ab, wo man hinmuss. Als homosexueller, dicker Mann in diesem Business hatte ich nie einen großen Plan, was mit mir passiert. Ich habe nur mal das englische Original gezeigt bekommen, und fand das sehr lustig und unterhaltsam, und war dann verwundert über die Reaktionen, die das hervorrief und wie man dann auf einmal als unappetitlich ausgegrenzt wurde. Aber das hat mich nie verunsichert. Für mich ist Fernsehen immer eine große Vielfalt von Dingen. Und in zwei Monaten fange ich an, in Bern an der Oper für den Sommernachtstraum von Benjamin Britten zu proben, und ich glaube, da wird mir das auch nicht so sehr schaden, was ich hier jetzt mache.

Warum wirkt „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“ so anders als andere Fernsehsendungen? Es scheint den Machern selbst mehr Spaß zu machen.

Es hilft, dass wir weiter weg sind von den großen Zentralen. Auch von der Umgebung her. Wir sitzen nicht in den deprimierenden, großen Unterhaltungskasernen, sondern wirklich im Dschungel. Die Entscheidungen werden hier viel kurzfristiger getroffen, wir produzieren viel mehr Material in kürzerer Zeit. Und das Team besteht fast vollständig aus Leuten, die seit der ersten Staffel dabei sind.

Aber Sie sind der Marco Schreyl des Dschungel, weil sie Ihre Texte dauernd von den Moderationskarten ablesen.

Wir müssen die haben. Wir machen ja noch nicht einmal einen richtigen Durchlauf, sondern nur Stellproben. Während die Einspielfilme laufen, versuchen wir uns zu erinnern, was wir uns ausgedacht hatten.

Es gibt keine Probe, in der Sie alles einmal durchspielen?

Nee, dafür ist keine Zeit. Es gibt eine Stellprobe für die Kameras, bei der wir aber nur ablesen, weil wir die Texte selber noch nicht kennen. Das ist alles ziemlich live rausgehauen.

Die endlosen Pausen, bis nach Ihren Moderationen endlich der nächste Beitrag kommt, während Sie noch irgendwie weiterplaudern, sind inzwischen fast stilprägend.

Da sind wir auch selbst immer unsicher: Sind wir durch? Und der Regisseur weiß auch nicht: Reden die da noch was Wichtiges? Und dann möchte er auch immer ausführlich mit den Kameras durch den Dschungel fliegen, um zu zeigen, wo wir sind. Um endlich Schluss zu machen mit diesen Aachener Gewächshausgerüchten.

Und wer gewinnt heute abend? Wer soll gewinnen?

Sonja und ich waren traurig, dass Gundis rausgewählt wurde, weil wir sie sehr geschätzt haben. Wir hätten eigentlich gerne drei Frauen am Schluss gehabt. Aber für mich ist es egal, wer jetzt welchen Platz macht: Es sind Königin Mutter, eine Prinzessin und der Prinz.

„Ich bin ein Star – legt vernünftige Musik unter mich!“

Ein Fluch liegt auf dem deutschen Fernsehen, der Terror der naheliegendsten musikalischen Untermalung. Egal ob ein Bauer seine Frau sucht, ein Restaurant seinen Rach oder ein Auswanderer sein Glück – unter jeder Szene liegt ein Musiktitel, der das Geschehen oder die aktuelle Stimmung doppelt. Die Auswahl scheint sich auf eine Doppel-CD mit den größten Hits der 80er und 90er zu beschränken (plus „Viva la Vida“ von Coldplay). Fast immer handelt es sich um die naheliegendste Idee oder den ersten Treffer bei der Titelsuche. Keine Kornfeld-Szene ohne Jürgen Drews; wenn jemand sagt, dass ihm etwas egal ist, kommt Shakespeare’s Sister mit „I Don’t Care“, und wenn Hilfe naht, naht sie nicht ohne die Beatles und „Help!“ Manchmal ist die Textzeile, die das Gesehene exakt wiederholt, sogar nur für drei Sekunden zu hören.

Zu den unterschätzten Qualitäten von „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“ gehört es, anders mit Musik umzugehen. Zum Abschluss der letzten Staffel, als die Kandidaten das Camp verließen, in der vagen Hoffnung, ihrer Karriere neues Leben eingehaucht zu haben, und mit der realistischen Aussicht, ihr den endgültigen Todesstoß versetzt zu haben, war „Vielleicht“ von den deutschen Indierockern Madsen zu hören: „Vielleicht ist das der Anfang / Vielleicht ist das das Ende…“

Wenn Giulia Siegel Peter Bond zärtlich im Teich wäscht, liegt „Underwater Love“ von Smoke City darunter. Und das intime Gespräch zweier Männer am Lagerfeuer wird vom Soundtrack zu „Brokeback Mountain“ begleitet.

Die Titel sind oft hintergründige Kommentare zum Gezeigten – und die Interpretenliste kann sich sehen lassen: Am Dienstag untermalten die Smashing Pumpkins, The Verve, Sigur Rós, Feist, Babyshambles, Justin Timberlake, Air, Amy MacDonald und die Dust Brothers das Geschehen im Dschungel.

Anlass für einen Anruf in Australien: bei Markus Küttner, 37, dem Ressortleiter Comedyshow bei RTL.

Das Fernsehblog: Sind Sie der Mann, der die Musik für die Dschungelshow aussucht?

Markus Küttner: Nicht jede Musik für jede Sendung, das sind ja hundert Titel. Aber ich sorge schon dafür, dass wir nicht zu jedem Sonnenaufgang „Morning has broken“ spielen, dass nicht immer „Money“ von Pink Floyd zu hören ist, wenn über Geld geredet wird, und nicht die Miss-Marple-Musik kommt, wenn eine alte Frau durchs Bild geht.

Das heißt, es gibt eine bewusste Vorgabe von RTL, es anders zu machen als in der typischen Doku-Soap?

Das ist eine Vorgabe von mir.

Manchmal entscheiden Sie sich aber auch für die naheliegendste musikalische Illustration. Wenn die Österreicherin „Mausi“ Lugner ins Bild kommt, erklingt zum Beispiel „Der dritte Mann“ oder Falcos „Vienna Calling“.

Die Producer, die den Film geschnitten haben, als Mausi auf der Dachterasse im Hotel erscheint, hatten ursprünglich Wiener Walzer darunter gelegt – das war mir doch eine Nummer zu hart. „Vienna Calling“ war dann der kurzfristige Ersatz – das fand ich noch ganz okay.

Wie läuft das ab bei der Produktion?

Die Producer sitzen hier in Australien ganz normal an Schnittprogrammen wie sonst auch – nur wenn man hier vor die Tür geht, ist nicht ein trauriges Industriegebiet, sondern Dschungel. Die Producer arbeiten dann ziemlich unabhängig und legen unter den Rohschnitt schon Musikvorschläge. Inzwischen wissen alle, in welche Richtung wir da gehen wollen – da schlägt keiner mehr „Money“ vor.

Haben Sie eine ganze Digital-Bibliothek dabei? Oder haben Sie Hundert CDs in den Dschungel mitgenommen?

Das haben wir tatsächlich bei den ersten beiden Staffeln gemacht. Das Internet hier war damals noch sehr langsam, und wenn man morgens um sechs eine Livesendung hat und um vier anfängt, bei iTunes einen Song runterzuladen und es nur millimeterweise vorwärts geht – dann wird man wahnsinnig. Ich habe mein iTunes komplett mitgenommen, was schon mal ganz gut ist, und viele Producer haben ihre Sammlungen mitgebracht. Wir kaufen aber auch viel spontan. Gerade für die Eröffnungssequenz, vor der Begrüßung durch Sonja und Dirk, da liegen ziemlich bombastische Titel drunter. Da ist oft auch Filmmusik drauf, die man nicht unbedingt parat hat.

Zum Einzug, als alle sich zum ersten Mal in dem Lageplatz mit dem Teich umsahen, war Peter Fox zu hören mit „Haus am See“ – allerdings nur der Instrumentalteil. Solche Anspielungen funktionieren also nur für Leute, die das Lied kennen. Was ist die Idee dahinter?

Zunächst einmal hat die Musik gut zu der Szene gepasst. Selbst wenn das Stück einen ganz anderen Text gehabt hätte, hätte die Musik alleine trotzdem gepasst. Das ist natürlich die Hauptsache. Aber wenn man noch einen kleinen Insider-Gruß für, ich weiß nicht, fünfzehn Prozent unserer Zuschauer mit hineinpacken kann, die es erkennen und sich freuen: um so besser. Die ganze Show ist vielschichtiger als ein Großteil derer, die darüber berichten, überhaupt erkennen. Es steckt viel mehr drin.

Als Giulia Siegel klagte, dass sie ohne eine aufgestockte Zigarettenration nicht im Dschungel bleiben könnte, lief „Better Living Through Chemistry“ von Queens Of The Stone Age.

Ja. Und in der letzten Staffel hatten wir Julia Biedermann, die gleichzeitig im „Playboy“ mit Hochglanzbildern war und im Camp aussah wie Rod Stewart nach einer durchsoffenen Nacht. Darunter haben wir von den Sternen „Was hat dich bloß so ruiniert“ gelegt – lustigerweise auch erst nur das Intro, ohne Text. Wir haben auch gerne mal schöne Intros von Radiohead, allerdings eher die älteren Sachen. Die neuen sind selbst für abgefahrenere Shows ein bisschen zu hart.

Ist es eine bewusste Entscheidung, so stark auf für RTL untypische Musikfarben zu setzen?

Ich weiß nicht, ob die Musikfarben wirklich so untypisch für RTL sind. Ich bin zum Beispiel auch für die Doku-Soap „Teenager außer Kontrolle“ zuständig. Da nehme ich nicht so viel Einfluss und wir haben mehr Filmmusiken, aber das geht in eine ähnliche Richtung. Auch bei der „Super-Nanny“. Ich bin seit Jahren großer Radiohead-Fan, und immer wenn Radiohead in der Show zu hören ist, bekomme ich innerhalb von drei Minuten 15 SMS von Freunden, die sagen: Du Idiot, was spielt ihr Radiohead im RTL-Programm?!

Schöne Situation: Sie müssen sich vor RTL rechtfertigen, dass sie Radiohead spielen, und vor den Radiohead-Fans, dass sie es bei RTL spielen? Sie machen beiden das Programm kaputt!

Vielleicht bringe ich da Welten zusammen, die in Wahrheit zusammen gehören… Nein, das macht einfach Spaß, und am Ende geht es immer um die Sendung.

Haben Sie, so weit weg von der Zentrale, mehr Freiheiten als sonst?

Freiheit habe ich sonst auch. Aber hier im Dschungel gibt es nur wenige Stellen mit Handyempfang. Da ist man nicht immer erreichbar, das kann schon mal praktisch sein. Wir haben uns in früheren Staffeln zum Beispiel über die wunderbaren Dschungelsongs lustig gemacht. Soviel Selbstironie muss erlaubt sein, schließlich machen Sonja und Dirk bei ihren Sprüchen auch vor sich selbst nicht halt.

Und trotzdem hatten sie den schrecklichen aktuellen Song, die Zipfelbuben mit „Hier im Dschungel“ neulich in die Sendung eingebaut.

Ach, das passiert.

Dann ist RTL Enterprises glücklich?

Ja. Aber der eigentliche Kampf als Programmverantwortlicher beginnt eher jetzt, wenn die Single im Handel erhältlich ist und Promo dafür gemacht wird. Ich wehre mich natürlich nicht grundsätzlich dagegen, aber so, wie Sonja und Dirk die Sendung moderieren, würde es nicht passen, das in der üblichen Manier zu tun.

Warum ist es so schwer, in anderen Shows auch so ambitioniert und überraschend bei der Musikauswahl zu sein? Ist es wirklich so, dass die Zuschauer eigentlich nur den Wiedererkennungseffekt wollen, dass in jeder Szene genau die Textzeile kommt, die sie kennen und die das Geschehen eins-zu-eins illustriert?

Tatsache ist, dass beides funktioniert. Es funktioniert der typische Doku-Soap-Stil genauso wie unser eher abwechselungsreiches Konzept. Es gibt eine Berechtigung für beides.

Darf ich mir noch was wünschen?

Klar.

Echt?

Na, ich habe ja nicht gesagt, dass ich Ihren Wunsch erfülle.

(Aber was läuft am Abend, in Folge 7, nach 14 Minuten, wenn sich die Kandidaten auf ein unerwartetes Belohnungsfrühstück mit Toast und Marmelade stürzen? „When Will I Ever Get Home“ von den Kilians!)

Programmhinweis (25)

Wenig Stoff hier die letzten Tage. Wer Entzugserscheinungen hat, kann auf FAZ.net meinen Artikel aus der heutigen „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ nachlesen, warum die Berichterstattung über das RTL-Dschungelcamp menschenverachtender ist als die angeblich so menschenverachtende Show. Besonders die Berichterstattung von stern.de ist ekliger als die madenreichste Prüfung in Australien. Offenbar ist der Versuch abgesagt, „Spiegel Online“ Konkurrenz zu machen, und man profiliert sich (was angesichts der Konkurrenz von „RP Online“ und anderen auch nicht so leicht ist) lieber als Trashportal:



(Abgesehen von der widerlichen Art, über die Transsexuelle Lorielle London zu schreiben — kann mir jemand erklären, was die Autorin mit der Formulierung „Günther Kaufmann gibt den lustigen Onkel. Hat einiges hinter sich, was nicht nur an seiner schwarzen Hautfarbe liegt“ sagen wollte?)

Ach ja, und meine „Teletext“-Kolumne über Roland Koch ist auch bei FAZ.net kostenfrei online.

25 Jahre RTL: Ein Fall für die Couch

Schauen Sie sich mal dieses Bild an:

Fällt Ihnen was auf? Warten Sie, hier sieht man’s noch besser:

Hammer, oder? Und hier verschwinden die letzten Zweifel:

Tatsache. Kein Sofa.

Es muss ich um eine RTL-Show handeln, der Standard-RTL-Show-Moderator steht in der Standard-RTL-Show-Kulisse, alles ist wie immer, aber es fehlt das Sofa!

Einen Augenblick lang dachte ich, RTL habe das Unvorstellbare gewagt und sich und uns zu seinem 25. Geburtstag eine Show geschenkt, die anders ist als all die Shows, die RTL sonst immer zeigt. Aber es stellte sich heraus, dass sich das Sofa nur ein bisschen verspätet hatte, aber nach dem ersten Block, im dem – wie immer – Menschen vor einer Blue-Box sitzen und mit Halbsätzen kommentieren, was sie und die Zuschauer gerade sehen…

…also danach war dann auch das Sofa da und es war fast alles wie immer:

(Später nahm dann statt Günther Jauch, Bruce Darnell und Dieter Bohlen Atze Schröder auf dem Sofa Platz, und es war exakt alles wie immer.)

Man darf das nicht klein reden, das Revolutionäre an der Entscheidung, die Sendung ohne das Sofa zu beginnen, vermutlich waren x Sondersitzungen diverser RTL-Gremien nötig, um diese Abweichung vom vorgeschriebenen RTL-Show-Standard zu genehmigen.

Prominente und Zuschauer staunten angesichts der Ausschnitte aus der RTL-Geschichte, was da früher alles im Sender gelaufen war. Nicht nur, wie unbeholfen und unfertig das oft daher kam, sondern auch welche Bandbreite von Genres es einmal im RTL-Programm gegeben hat – verglichen mit der heutigen Armut und Einfalt. Der mit Abstand erfolgreichste kommerzielle Sender und Taktangeber im deutschen Fernsehen hat fast nur noch eine einzige Art von Show im Programm: eben die, in der Prominente abwechselnd auf dem Sofa und vor der Blue-Box kurze Filmausschnitte kommentieren, in dem immer gleichen Studio, in dem höchstens zwei drei Kulissen verschoben oder die Sofabezüge ausgetauscht werden, wenn statt „25 Jahre RTL“ hier „Die ultimative Chart-Show“ produziert wird, mit der immer gleichen, hinter einem Halbkreis-Tor verborgenen Ecke für die Show-Acts. Unvorstellbar, dass RTL seinen Geburtstag in anderer Form gefeiert hätte, als große Gala, ohne die Schlafmützigkeit eines Oliver Geißen, als Dokumentation, Feature, intime Talkrunde. Es gibt diese Formen nicht im RTL-Programm, um Geschichten aus der Geschichte zu erzählen, es muss alles so sein wie immer, und die Quoten geben, wie man so schön sagt, RTL Recht.

Und es sind nicht nur die Shows: Auch für Geschichten aus dem Leben gibt es bei RTL nur noch eine einziges Genre. Ob die „Super-Nanny“ hilft oder „Rach, der Restauranttester“ kommt, ob Ausreißer gesucht oder Schulden getilgt werden: Erzählweise, Dramaturgie, Tonfall sind immer gleich.

Vielleicht ist das kein Zufall bei einem Sender, der von Anke Schäferkordt als Buchhalterin verwaltet wird. Sie hat gestern der „Süddeutschen Zeitung“ eines ihrer typischen Interviews gegeben, denen man nie anmerkt, ob sie überhaupt ein einziges Programm ihres Senders jemals gesehen hat, geschweige denn so etwas wie Leidenschaft dafür entwickelt hätte. „Was uns auszeichnet, ist unsere Vielfalt“, sagt sie, und auf die Frage, was das kommerzielle Fernsehen der Gesellschaft gebracht habe, antwortet sie: „Vielfalt, Qualität und Wettbewerb, der wach hält.“

Natürlich sagt sie auch den Satz, den alle Fernsehmanager als Mantra gewählt haben: „Wir haben die vielfältigste und qualitativ stärkste Fernsehlandschaft weltweit.“ Leider werden die Schäferkordts nie dazu aufgefordert, diese Behauptung zu begründen und zu erklären, inwiefern zum Beispiel das britische oder amerikanische Fernsehen eintöniger und schlechter wäre. In der „Süddeutschen“ konnte die RTL-Chefin sogar sagen: „Wir haben ein Vollprogramm und bieten in großem Umfang Informationsformate an“, ohne dass der Interviewer sie darauf hinwies, dass ihr Sender die Zuschauer zwischen 19.05 Uhr und 22.15 Uhr an keinem Tag der Woche mit auch nur einem einzigen Informationsprogramm behelligt.

Dabei wäre es so leicht: Oliver Geißen könnte in der Prime-Time die „Ultimative News-Show“ präsentieren, in der Günther Jauch, Rosi Mittermaier, Atze Schröder und Aleksandra Bechtel kurze Clips von aktuellen Neuigkeiten launig kommentieren und Peter Kloeppel als regelmäßiger Gast gelegentlich Faktenbroken einwirft. Vom Sofa aus, klar.