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Zeitungskrise? „Die Lösung bin ich!“

— Ein Gastbeitrag von Sascha Lobo

Die „Spiegel“-Zeitungsdebatte wäre aus vielen Gründen eine fantastische Gelegenheit für mich, den Mund zu halten. Leider verpasse ich diese Gelegenheit hiermit. Denn mir ist etwas Bemerkenswertes aufgefallen. Jeder einzelne bisherige Teilnehmer der Debatte empfiehlt als Lösung der Zeitungskrise letztlich: sich selbst.

  • Jeff Jarvis sieht im Internet die „noch nie dagewesene Chance, einige Dinge ganz neu zu erfinden: unsere Beziehung zur Öffentlichkeit, der wir dienen“. Bekannt geworden ist Journalistikprofessor Jarvis auch dadurch, dass er seine eigene Beziehung zur Öffentlichkeit radikal neu entwickelt hat, indem er seine Prostata-Krebserkrankung zum Thema machte.
  • Der Werber Sebastian Turner spricht in der Debatte als einziger von der „Kreativwirtschaft“ — denn dieser Begriff schließt neben den Medien auch die Werbung, also sein Tätigkeitsfeld ein. Seine Empfehlung an Zeitungshäuser ist, in kleineren Einheiten regional zu operieren und profitable Unternehmen dazuzukaufen. Exakt so hat Turner die Agentur Scholz & Friends aufgebaut.
  • Thomas Knüwer erklärt zur digitalen Revolution: „Die Zeitungskonzerne reagierten darauf mit Ignoranz. Sie mochten keine Chance im Internet erkennen, nicht dessen Möglichkeiten ausloten.“ Knüwer selbst hat offensichtlich mit Nichtignoranz reagiert, seine Chance im Internet erkannt und dessen Möglichkeit ausgelotet: Er verabschiedete sich weitgehend vom Journalismus und wurde Internet-Berater.
  • Laut Richard Gutjahr brauchen Zeitungen „mehr Experimentierfreude“. Es gibt wenige Figuren in der deutschsprachigen Medienlandschaft, die so offensiv experimentierfreudig wären wie Gutjahr: seine spontane Reise auf den Tahrir-Platz 2011, das Fernsehexperiment „Rundshow“ beim Bayrischen Rundfunk 2012, sein Lobbyismus-Projekt lobbyplag.eu 2013.
  • Hatice Akyün schreibt: „Vielfalt, Erkennbarkeit und Kante brauchen alle Medien.“ Sie ist wegen ihrer meinungsstarken Debattenartikel Trägerin des Berliner Integrationspreises sowie des Preises für Toleranz und Zivilcourage der Stadt Duisburg. Und damit ein perfektes Beispiel für genau die Eigenschaften „Vielfalt, Erkennbarkeit und Kante“.
  • Stephan Weichert plädiert unter anderem für staatliche Subvention von Journalismus, aber warnt zugleich: „Es ist hilfreich, wenn sich die Verleger auch mit alternativen Finanzierungsmodellen befassen“. Er bringt dazu private Stiftungen und Crowdfunding ins Spiel. Weichert ist Gründungsherausgeber des Portals VOCER, das von mehreren Stiftungen finanziert wird, staatliche Förderung von der Bundeszentrale für politische Bildung erhält und Crowdfunding in Form einer ständigen Bitte um Geldspenden betreibt.
  • Constantin Seibt empfiehlt der Zeitung, sich auf einzelne, urbane Szenen zu konzentrieren und dort den Inhalt zu verbessern: „Es wird Zeit, in die Erneuerung des Handwerks zu investieren: in Stil, Raffinesse, Überraschung und Schönheit.“ Seibt betreibt das Blog Deadline, das sich an Journalisten wendet und praktisch ausschließlich davon handelt, wie man mit Raffinesse, Überraschung und Schönheit seinen Stil verbessert.
  • Mario Sixtus verfasst einen Artikel, der gegenüber Zeitungsmachern von oben heraber kaum sein könnte, und fragt „Wer lässt sich schon gerne von oben herab behandeln?“ Eine genaue Lösung kennt er nicht, aber als Möglichkeit vermutet er, dass „mutige Ausprobierer, wilde Experimenteure völlig neue Methoden erfinden werden, um Journalismus zu finanzieren.“ Sixtus ist mit seiner Medienproduktion Blinkenlichten ein mutiger Ausprobierer, sein „Elektrischer Reporter“ hat im Jahr 2011 für ZDFinfo eine Reihe so benannter „Laborexperimente“ veranstaltet.
  • Christian Lindner analysiert: „Zeitungsredaktionen, die auch im Web 2.0 verwurzelt sind, verändern ihre Blätter mutiger, schneller, konsequenter“. Er ist Chefredakteur der „Rhein-Zeitung“, der mit Abstand Social-Media-affinsten Regionalzeitung in Deutschland.
  • Der ORF-Nachrichtenmann Armin Wolf ist zwar sicher, dass „Menschen Nachrichten wollen und brauchen“. Wie sich dieser Umstand unternehmerisch umsetzen lässt, kann er aber nicht sagen: „Ich habe keine Ahnung, wie die Zukunft des Journalismus aussieht und wie sie sich finanzieren lässt“. Die eigene Ahnungslosigkeit zuzugeben, erscheint sympathisch. Aber es ist auch symptomatisch, dass die beiden einzigen Debattanten, die das tun — Armin Wolf und Mario Sixtus — für öffentlich-rechtliche Anstalten arbeiten, die sich nicht am Markt refinanzieren müssen. „Ich weiß nicht“, bezogen auf Journalismusfinanzierung, ist damit auch als Argument für die Notwendigkeit öffentlich-rechtlicher Anstalten zu verstehen.
  • Wolfram Weimer sieht die Zeitungskrise weniger im Internet als vielmehr darin, dass „niemand mehr nach dem Eigentlichen: den Inhalten“ frage. Dafür kennt er die richtigen Absender: „Die altmodischen, querköpfigen Wahrheitssucher also haben Qualitätsmedien groß und vor allem wichtig gemacht.“ Natürlich hat er ein Rezept für besseren Journalismus: „Der Drang in die politisch korrekte Mitte erzeugt einen Journalismus, der sich massen- und mehrheitskonform seicht dahin biegt.“ Er selbst ist auf altmodische und querköpfige Weise geradezu klassisch politisch unkorrekt: Er zweifelt an den Ergebnissen des Weltklimarates, spricht von einer „Multi-Kulti-Lüge“ und schrieb islamkritische Artikel wie „Der kulturelle Dschihad“.
  • Christian Jakubetz‘ Text bietet keine direkte Lösung an. Indirekt dagegen schon: Nicht genannte Zeitungsmacher würden sich eine Zukunft vorstellen, die von „Internet, von Apps, Smartphones, sozialen Netzwerken“ handelt. Jakubetz arbeitet als Berater, Journalist und Dozent zum Thema crossmediales Publizieren.
  • Wolf Schneider schließlich behauptet, dass die Gesellschaft bald in den Zustand zurückkehre, der vor Erfindung der Zeitung angeblich die Regel gewesen sein soll: „dem der öffentlichen Ahnungslosigkeit.“ Schneider sieht also gar keine Zukunft und gar keine Lösung. Er ist 88 Jahre alt.

Natürlich lässt sich diese Erstaunlichkeit — alle sehen in sich selbst die Lösung — auch positiv betrachten: Die Debattanten arbeiten konsequent nach den Prinzipien, die sie als richtig erkannt haben. Und lassen die Welt nun an ihren für sie erfolgversprechenden Erkenntnissen teilhaben. Die ebenso vorhandene Kehrseite aber ist größer, schwerer, unangenehmer: Die deutsche Mediendebatte krankt daran, dass ihre Teilnehmer unfähig oder unwillig sind, die eigene Perspektive zu verlassen. „Ein Gespräch setzt voraus, dass der andere Recht haben könnte“, sagte der Philosoph Hans-Georg Gadamer im Jahr 2000. Wenn man selbst die Lösung ist, wäre demnach keine Debatte möglich.

Wo bei 3sat der Spaß aufhört

In der aktuellen Folge ihres wöchentlichen Witz- und Schimpf-Duells setzen sich die Herren Sixtus und Lobo mit den (gefühlten) Wahlprogrammen der Parteien auseinander, darunter dem der CSU. Ins Fernsehprogramm von 3sat, das die Reihe in seiner Computersendung „Neues“ zeigt, schaffte es dieser Teil nur nach einem winzigen Schnitt:

[Offenlegung: Ich betreibe mit Sascha Lobo und Mario Sixtus ein Aufmerksamkeits- und Meinungskartell im Internet.]

Einfach mal abschalten!

Soeben erreicht mich folgende Pressemitteilung:

Schalter (Symbolfoto).
Foto: Winnie Quan.

Berlin / Hannover. Die CeBIT startet mit einem Paukenschlag. Das erfolgreiche Blog stefan-niggemeier.de/blog, bekannt als Innovationsmarktführer im Bereich der Medienbloggerei und preisgekrönt für seine nach unten offenen Kommentarspalten, hat heute bekannt gegeben, als erstes Blog weltweit eine individuell abschaltbare Kommentarfunktion einzuführen. „Auf diese Weise kommen wir den Wünschen vieler Blog-Leser nach, die sich von diesem interaktiven Moment bedroht fühlten oder das unfassbare Gesabbel unter viele Einträgen nicht mehr ertrugen“, erklärte Blog-Betreiber Stefan Niggemeier das neue Feature in dem nach ihm benannten Blog. Durch das Zu- und Abschalten der Diskussion mit den Lesern kann jeder das Niveau des Blogs mit einem einzigen Klick vervielfachen und halbieren bzw., je nach Standpunkt, halbieren und vervielfachen.

Sascha Lobo, strategischer Berater und Vermarkter von stefan-niggemeier.de/blog, sieht in der Technik einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Professionalisierung der Blogosphäre und erwartet eine Explosion der Werbeerlöse im bis zu einstelligen Prozentbereich: „Die Kommentare auf stefan-niggemeier.de/blog beweisen die intensive Mitmachability von Blogs bis tief in die unteren Zielgruppen hinein. Durch die individuelle Abschaltbarkeit wird sich die Nutzervarianz sehr stark einengen — ein klarer Vorteil für den Werbekunden, weil Kommentare nicht mehr unbeabsichtigt gelesen oder geschrieben werden dürften.“

Lobo plant darüber hinaus eine strategisch parallel aufgestellte Kommentarcommunity, oder kurz Kommmmunity, um sich als „First Mover im Bereich Individualized Commentary Annoyance Modulation“ zu positionieren. Niggemeier will mit der Erweiterung auch philosophisches Neuland erobern: „Ob der Kommentar da ist oder nicht, das bestimmt allein der Nutzer, beides ist gleichzeitig möglich.“ Das Projekt soll gleichzeitig als Hommage an das Digitale Kommentariat verstanden werden, als technisches Denk-Mal, das den Menschen zeigen soll, dass bis heute nicht in allen Ländern Kommentare möglich sind.

Das Feature beruht auf einer Technologie aus der PHP-Manufaktur Dipl.-ix.

Preisgekröntes… na, äh, Dings

Katrin Passig und Sascha Lobo waren heute früh extra unrasiert bei Kurt Beck in Mainz, um sich für die „Riesenmaschine“ den Erik-Reger-Literaturpreis und 2500 Euro geben zu lassen. Glückwunsch!

Die Pressestelle der Landesregierung hatte offenbar ein bisschen Mühe, sich zu entscheiden, worum es sich bei riesenmaschine.de handelt, entschied sich dann aber für den Begriff „Online-Projekt“ und die schöne Formulierung:

„Die Riesenmaschine“ ist ein Weblog aus täglich wechselnden Internet-Artikeln.

Und dpa machte aus dem „aus“ ein „mit“.