Schlagwort: Schleichwerbung

Die Schleichwerbelinks von sueddeutsche.de

Vor zwei Jahren hat das Kammergericht Berlin ein erfrischend klares und verbraucherfreundliches Urteil gefällt. Es stellte fest:

Ein Link, der aus einem redaktionellen Zusammenhang auf eine Werbeseite führt, muss so gestaltet sein, dass dem Nutzer erkennbar ist, dass auf eine Werbeseite verwiesen wird.

In dem Prozess ging es damals um Bild.de.

Das Internetangebot einer Zeitung wie der „Süddeutschen“ müsste schon aus Sorge um seinen guten Ruf darauf verzichten, seine Leser mit solchen Tricks in die Irre zu führen. Sogar ohne juristischen Fingerzeig.

Sollte man denken.

Aber sueddeutsche.de bietet Werbekunden seit geraumer Zeit in verschiedener Form die Möglichkeit, sich gegen Geld unauffällig in den redaktionellen Inhalt zu schleichen. Im Ressort Fitness scheint es zur Zeit zum Beispiel ein Unterressort „Alles über Erkältung“ zu geben:

Nichts deutet vor dem Klicken darauf hin, dass sich dahinter kein Angebot von sueddeutsche.de, sondern der Firma Bayer HealthCare verbirgt. Auch der verlinkte Artikel selbst ist nicht als Anzeige gekennzeichnet und sieht einer Nachrichtenseite von sueddeutsche.de zum Verwechseln ähnlich — das Bayer-Logo in der Mitte sollte aber zumindest aufmerksameren Lesern einen Hinweis auf den wahren Charakter der Seite geben.

Der Sparkassenverband Bayern hat das Schleichwerbeangebot von sueddeutsche.de genutzt, um sich im Ressort München als (vor dem Klick) redaktionell erscheinender „Finanz-Check“ auszugeben:

Und als redaktionelle Rubrik „Vermögen & Vorsorge“ tarnt sueddeutsche.de im Ressort „Geld“ Werbung von einem Fonds-Anbieter — ohne dass der unbefangene Leser eine Chance hätte, vor dem Klicken zu erkennen können, dass es sich darum handelt.

(Moment — habe ich weiter oben ernsthaft suggeriert, dass sueddeutsche.de einen guten Ruf hätte?)

Der „Subway“-Journalismus von ProSieben

Vor einigen Monaten habe ich, eher nebenbei, darüber geschrieben, mit welch erstaunlicher Gründlichkeit ProSieben seine Zuschauer über die faszinierende Welt der Sandwichkette „Subway“ informiert. Über den tollen Teig und die tollen Restaurants, über die tollen Ausbildungsplätze und das tolle Prinzip.

Die Sendersprecherin hatte mir allerdings auf Nachfrage erklärt, diese Berichte hätten „ausschließlich etwas mit journalistischen Gründen zu tun“.
was frag ich auch den Sender! Ich hätte natürlich die PR-Agentur „foleys“ fragen sollen — oder einfach auf ihre Homepage gucken. Dort veröffentlichte sie im April folgende Pressemitteilung:

12,91 Millionen TV-Einschaltquote in vier Monaten

Schon im letzten Jahr ist es foleys PR gelungen, SUBWAY® Sandwiches in bekannten TV-Formaten wie „Galileo“ oder „Deine Chance — 3 Bewerber, 1 Job“ auf PRO7 zu platzieren. Auch in 2008 zeigt sich die Ulmer Agentur auf diesem Gebiet sehr erfolgreich: foleys PR realisierte bereits im ersten Quartal des neuen Jahres mehrere Projekte mit „Abenteuer Leben“ auf Kabel 1 und „Galileo“ auf PRO7.

Das Team von foleys PR initiierte und begleitete dabei alle Drehs, bereitete deren Inhalte vor, briefte die Protagonisten und TV-Teams und stand ihnen und den jeweiligen Franchisepartnern vor ORt mit Rat und Tat als verantwortliche Kontrollinstanz (und Pressesprecher) zur Seite. Das Resultat: Über 73 Minuten kostenlose TV-Präsenz für SUBWAY® Sandwiches, mit 12,91 Millionen Gesamteinschaltquote und einem Mediagegenwert von über zwei Millionen Euro. Doch damit ist noch lange nicht Schluss: foleys PR hat bereits weitere spannende TV-Projekte für die Sandwichmacher in Arbeit.

foleys PR achtet dabei auf Ausgewogenheit: Nicht nur die Produkte der Sandwichmacher sollen dem deutschen Fernsehpublikum präsentiert werden. Die PR-Spezialisten legen auch Wert darauf, dass alle Facetten ihres Kunden gut beleuchtet werden. So lag der Fokus der Beiträge „Galileo Existenzgründung“ (Pro7) und „Abenteuer Wissen“ (Kabel 1) auf dem Franchisesystem SUBWAY® Sandwiches. Zukünftige Projekte werden zum Beispiel die Arbeit im einzelnen Restaurant beleuchten. foleys PR ermöglicht es seinem Kunden somit, (kostengünstig) seine Bekanntheit und Beliebtheit durch umfassende und redaktionell sehr glaubwürdige Einblicke in das System zu steigern — natürlich mit positivem Effekt auf Umsätze und Zahlen von Franchiseinteressierten.

Man soll ja skeptisch sein bei solchen PR-Meldungen. Aber komisch: Ich glaube denen jedes Wort. (Und worauf sie so stolz sind, kann man sich zum Beispiel hier angucken).

[Mit Dank an Benjamin Gasser]

Nachtrag, 14:10 Uhr. Die Agentur foleys scheint die Pressemitteilung von ihrer Seite entfernt zu haben.

Nachtrag, 16:00 Uhr. Axel Roggmann, Geschäftsführer von foleys, schreibt in den Kommentaren u.a.:

Wir möchten fest halten, dass foleys PR weder in eigenem noch im Namen dritter Schleichwerbung betrieben hat noch dieses beabsichtigt hat. Es gab keinerlei Zuwendungen an den Sender oder die Produktionsfirma. Jeder Beitrag wurde stets von einem Redakteur des Senders bzw. der von ihm beauftragten Produktionsgesellschaft unabhängig durchgeführt. Selbstverständlich wurde jedoch jeder Dreh von foleys PR (im Auftrag von SUBWAY® Sandwiches) vor Ort professionell begleitet, was bedeutet, dass z.B. evtl. vorhandene Drehpläne z.T. vorab gelesen wurden um evtl. sachliche Fehler eines Redakteurs und des Filmteams zu vermeiden (denn nachträglich festgestellte sachliche Fehler sind kaum zu korrigieren). Natürlich wurde auch den jeweiligen Franchisepartnern
(allesamt TV-unerfahren und entsprechend auf Unterstützung angewiesen) vor und während des Drehs zur Seite gestanden. Es ist die Aufgabe einer PR-Agentur sie bei solch einem Dreh zu unterstützen. Den Vorwurf von „Dauerwerbesendung“ und Schleichwerbung weisen wir von uns. Wir entschuldigen uns für evtl. missverständlich formulierte Aussagen auf unserer Website und bedauern, wenn diese evtl. zu Irritationen geführt haben.

Hademar Bankhofer, der Melissa-Mann (2)

Genau genommen ist Hademar Bankhofer natürlich nicht von Bloggern zu Fall gebracht worden, sondern von seiner eigenen Dusseligkeit. Der bloße Anschein, dass der Medizinjournalist den ein oder anderen Markennamen ein bisschen zu häufig genannt haben könnte, hätte vermutlich nicht dazu geführt, dass der WDR sich von seinem Gesundheitsexperten trennt, schon gar nicht so schnell. Aber Bankhofer war offenbar so ungeschickt, am Mittwoch kategorisch zu bestreiten, einen PR- oder Werbevertrag mit der Firma MCM Klosterfrau zu haben, und erst auf weitere Nachfrage am Donnerstag einzuräumen, dass er aber einen Beratervertrag mit dieser Firma hat. Zufällig exakt jener Firma, die den Namen „Klostermelisse“ als Markenzeichen hat eintragen lassen, den Bankhofer gerne erwähnte — angeblich ohne diesen Zusammenhang zu kennen.

Vielleicht gehört Bankhofer auch zu den Menschen, von denen man in den letzten Tagen so viel hört, die eine Zeitschrift namens „Der Spiegel“ lesen. Die berichtete in dieser Woche, dass Blogger in Deutschland ohne Relevanz und Wirkung seien: „David hat keinen Stein in der Schleuder. Also schmeißt er mit Dreck.“

Das mit der Wirkungslosigkeit würde Bankhofer heute vermutlich nicht unterschreiben, aber das mit dem Dreck, das sieht er genauso. Gegenüber stern.de klagte er: „Das Internet ist furchtbar!“ Das Video, in dem markante Szenen aus dem Schaffen Bankhofers zusammengeschnitten und kommentiert waren, bestätige ihm, dass das Netz „praktisch, aber auch sehr schlimm sein kann“. Sein Anwalt werde sich der Sache annehmen. Und per E-Mail schrieb er „Handelsblatt“-Blogger Thomas Knüwer: „Mit einem Wort: Da ist jemand, der den Bankhofer weghaben will und der mit allen Tricks dafür auffährt… Mir würde sehr interessieren, wer dahinter steckt.“

Walter Holiczki findet den Video-Zusammenschnitt der Blogger laut stern.de rufschädigend. Er produziert mit seiner Werbeagentur die Sendung „Die gesunde halbe Stunde“ mit Hademar Bankhofer im österreichischen Sender TW1, die das lustige Konzept hat, finanziert von den Produzenten irgendwelcher Gesundheitsprodukte, die auch redaktionellen Einfluss auf die Sendung nehmen können, über eben diese Produkte zu, äh: informieren. (Weiterlesen bei stern.de.)

Der Blogger Marcus Anhäuser (der auch schon die Wirksamkeit der Namen „Klostermelisse“ und „Königsartischocke“ mit einem schlichten Selbsttest bewiesen überprüft hat) zeigt derweil in seinem Blog „Plazeboalarm“, wie Hademar Bankhofer für Produkte der MCM Klosterfrau Vertriebsgesellschaft mbH warb: Er gab den Gesprächspartner in PR-Interviews für Klosterfrau-Produkte und bestätigte jeweils deren Wirksamkeit. Wenn Bankhofer darin keine PR- oder Werbetätigkeit für das Unternehmen sehen mag, ist er sehr dumm oder hält uns dafür.

(Und noch einmal fürs Protokoll (und den „Spiegel“) — in diesen Blogs hat die ganze Geschichte ihren Anfang genommen: „Stationäre Aufnahme“ und „Boocompany“.)

Hademar Bankhofer, der Melissa-Mann

Ich mag Professor* Hademar Bankhofer. Es hat immer so etwas beruhigendes und aufmunterndes, ihm zuzusehen, wenn er mit seinem freundlichen Lächeln, seinem weichen österreichischen Dialekt und seinen bunten Einstecktüchern im Fernsehen steht (und er steht ungefähr immer gerade irgendwo im Fernsehen) und mit einer ansteckenden Euphorie von Wasser, Körnern, Bewegung oder Kräutern schwärmt. Okay, das Wort „ansteckend“ ist ein bisschen irreführend, weil es bei mir meistens nicht einmal dazu reicht, die Chipstüte aus der Hand zu legen, aber meistens sitze ich seltsam angerührt vor dem Fernseher und freue mich, dass es Menschen gibt, die sich mit einer solchen Begeisterung in den Dienst der guten Sache stellen, und sei die gute Sache auch nur irgendein Kraut.

Ich fürchte, dieses wohlige Gefühl wird sich nicht mehr einstellen. Denn es scheint, als stünden er und seine bunten Einstecktücher oft genug nicht im Dienst einer guten Sache, sondern bloß im Dienst eines gut bezahlenden Unternehmens. Das Blog „Stationäre Aufnahme“ hat für Boocompany.com einige Beispiele aus Auftritten Bankhofers zusammengeschnitten, und die vielleicht offenkundigste Geschichte ist die, dass Bankhofer seit Jahren (u.a. als Gesundheitsexperte der einschlägig bekannten ARD) die Vorzüge der „Klostermelisse“ preist.

Die „Klostermelisse“ aber ist keine Pflanzenart. Die Pflanze heißt Melisse oder Zitronenmelisse. „Klostermelisse“ ist ein eingetragenes Markenzeichen der Maria Clementine Martin Klosterfrau Vertriebsgesellschaft mbH. Wer „Klostermelisse“ empfiehlt, empfiehlt ein konkretes Markenprodukt — tatsächlich und natürlich vor allem in den Köpfen der Zuhörer und Zuschauer, die den Namen leicht mit dem richtigen Produkt assoziieren. Denn: Nur „Klosterfrau Melissengeist“ enthält die „echte Klostermelisse“.

Ganz ähnlich ist es mit der von Bankhofer gerne empfohlenen „Königsartischocke“. Auch sie ist ein Markename, und wer konkret nach ihr fragt oder sucht, wird zielgenau zu einem Produkt geführt, in diesem Fall „Hepar-SL® forte mit der Königs-Artischocke®“ (man beachte das zweite „®“).

Mehr zum Thema bei Boocompany und in der Stationären Aufnahme.

*) Professor Hademar Bankhofer trägt den Titel Professor völlig zurecht, er bedeutet aber nicht, was man als Nicht-Österreicher denken könnte. Es handelt sich um einen Ehrentitel. Bankhofer hat weder Medizin studiert, noch promoviert oder habilitiert.

[via ix]

ARD beharrt auf Schleichwerbe-Recycling

Im Ersten läuft gerade die 400. Folge der Krankenhaussoap „In aller Freundschaft“. In verschiedenen ostdeutschen Zeitungen sind deshalb heute Jubelartikel erschienen. Die „Sächsische Zeitung“ hat in ihren eine kleine Journalismusattrappe in Form folgender Sätze eingebaut:

Gelegentlich musste die Serie auch Kritik einstecken. Vorwürfe wegen unerlaubter Schleichwerbung in mehreren Folgen wurden laut.

Ist das nicht niedlich? Vorwürfe „wurden laut“. Dass sie bestätigt sind, die Vorwürfe; dass ganze Handlungsstränge in dieser im Auftrag des MDR produzierten Krankenhausserie von der Pharmaindustrie bezahlt wurden, und dass die ARD darauf beharrt, diese von der Pharmaindustrie geschriebenen Handlungsstränge leicht retuschiert weiterhin auszustrahlen, das steht da nicht.

Ich muss mich ein bisschen nachaufregen. Darüber, wie die ARD auf die Frage reagiert hat, warum sie immer noch Schleichwerbefolgen ausstrahlt wie die, die für das (inzwischen vom Markt genommene) Medikament Vioxx wirbt. Der MDR hat, wie berichtet, nur die Namen von Medikament und Wirkstoff nachträglich geändert, aber die Handlung unverändert gelassen. Alle paar Wochen läuft die Folge in irgendeinem Dritten Programm, und alle paar Wochen fleht wieder der Patient die Ärzte an, ihm das Wundermedikament zu geben, und die ganze Zeit wird die Pharmabranche als Synonym für Barmherzigkeit, Erlösung und Selbstlosigkeit gepriesen.

NDR-Sendersprecher Martin Gartzke sagte auf Nachfrage von epd Medien: Dadurch, dass per Nachvertonung der Wirkstoffgruppenname „COX-2-Blocker“ durch den fiktiven Namen „RAG-2-Blocker“ ersetzt worden sei, lasse sich kein Bezug zu dem Medikament herstellen. Das ist falsch. Der ganze Handlungsstrang ist maßgeschneidert auf Vioxx und seine Anwendungsgebiete.

Die ARD, der NDR und der MDR müssen mir das natürlich nicht glauben. Sie könnten es aber zum Beispiel dem Deutschen Rat für Public Relations (DRPR) glauben, der sich mit dem Thema befasst hat. In einem offenen Brief forderte er den ARD-Vorsitzenden Fritz Raff am 20. Juni zu weitergehenden Schnitten auf, und schrieb: „Der interessierte Zuschauer kann den konkreten Produktbezug im Anschluss an die thematische Rezeption unschwer selbst herstellen. Dies ist in vielen Fällen sogar eine wirkungsvollere Methode als eine leichter zu durchschauende genaue Produktnennung.“

Die „Magdeburger Volksstimme“ zitierte Matthias Rosenthal, den stellvertretenden DRPR-Chef und Vorsitzenden der Beschwerdekammer für TV-Schleichwerbung mit den Worten: „Der Sender hat sich bemüht, etwas zu verändern. Aber die betreffenden Passagen zu übertünchen, reicht natürlich nicht aus.“

MDR-Sprecherin Birthe Gogarten aber sagte laut „Volksstimme“: Es „lässt sich kein Bezug zu irgendeinem Medikament herstellen.“ Sie hat Unrecht.

Anstelle von Raff antwortete dem DRPR der MDR-Fernsehdirektor Wolfgang Vietze. Laut epd-Medien vom 21. Juni erklärte er, die schon erfolgte Bearbeitung sei intensiv gewesen: „Das ging von der Retusche bis hin zu Neusynchronisierung — ein arbeitsintensiver, teurer und aufwendiger Vorgang.“ Das halte ich an sich schon für einen Skandal: Dass die ARD Rundfunkgebühren dafür ausgibt, in einem „teuren“ Verfahren eine Billigserie oberflächlich von den Schleichwerbespuren zu beseitigen, anstatt den Müll einfach wegzuwerfen. Aber die Argumentation ist vor allem entlarvend: Das war teuer, was wir gemacht haben, also muss es auch gut gewesen sein und jetzt gefälligst reichen.

Vietze erklärte weiter, die Wiederholungen seien hinsichtlich Themen- und Product-Placement „bearbeitet und bereinigt“ worden. Nach der Bearbeitung seien alle Folgen noch einmal geprüft und von der Revision freigegeben worden. „Es gab keinerlei Beanstandung mehr, so dass nichts gegen eine Wiederholungsausstrahlung einzuwenden war.“ Außer natürlich, möchte man ihm antworten, wenn die Themen-Placements nicht beseitigt wurden. Sie wurden nicht beseitigt.

Die ARD beharrt auf ihrem Recht, teuer und schlecht überarbeitete, acht Jahre alte Folgen einer Serie auszustrahlen, deren Drehbücher die Pharmaindustrie bezahlt oder geschrieben hat und wundert sich, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland Legitimationsprobleme hat.

In der vergangen Woche lief „In aller Freundschaft“ insgesamt 36-mal in den verschiedenen ARD-Programmen.

[Nichts in diesem Eintrag ist neu. Aber es war mir ein Bedürfnis, die Entwicklungen der vergangenen Wochen in dieser Sache nachzutragen.]

Wie die ARD Schleichwerbung recycelt

29-mal pro Woche zeigt die ARD zur Zeit ihre Krankenhausserie „In aller Freundschaft“. Das liegt daran, dass die Sendung gerade EM-Pause macht, sonst sind es natürlich ein paar Ausstrahlungen mehr. Der RBB wiederholt gerade täglich mittelalte, NDR und SWR ganz alte und das HR-Fernsehen relativ neue Folgen.

Es gibt gute Gründe, „In aller Freundschaft“ nicht zu wiederholen. Die Handlungsstränge, Dialoge und schauspielerischen Fähigkeiten sind der offensichtlichste. Die Rolle der Serie in einem der ganz großen Schleichwerbeskandale der letzten Jahre wäre ein weiterer.

Im Juni 2005 enthüllte der Branchendienst „epd Medien“, dass die ARD-Produktionsfirma Saxonia in mindestens neun Fällen bezahlte Pharmawerbung in der im Auftrag des MDR hergestellten Serie unterbringen ließ. Die Industrie gab konkrete Anregungen über gewünschte Geschichten, die Drehbuchautoren machten daraus Dialoge. Bis zu 30.000 Euro pro Folge zahlten die Firmen dafür, dass zu bestimmten Krankheitsbilder passende Medikamente — oder wenigstens ihre Wirkstoffe genannt wurden.

Vor zwei Wochen rügte der Deutsche Rat für Public Relations sieben namhafte Pharmahersteller für diese Praxis. Damit schien die Sache als erledigt.

Nur wiederholt die ARD munter alte Folgen von „In aller Freundschaft“, auch Folgen, in deren Inhaltsangabe auf der offiziellen, vom MDR verantworteten Homepage Sätze wie diese stehen:

„In der Sachsenklinik gibt es eine weitere Neuigkeit: Die Forschungsergebnisse für COX-2-Blocker, die bei Arthrose helfen sollen, sind so vielversprechend, dass das Medikament bald zugelassen werden kann.“
[Folge 82]

„Die Forschungsarbeiten an dem COX-2-Blocker stehen unmittelbar vor dem Abschluss, das Mittel kurz vor der Zulassung. Die Testpatienten vertragen das Mittel hervorragend.“
[Folge 85]

Kein Wunder also, dass das renommierte kritische Pharma-Blog „Stationäre Aufnahme“ vergangene Woche Alarm schlug und titelte: „NDR strahlt Pharma-Schleichwerbung weiter aus“.

Dabei ist die Sache nicht so schlimm, wie sie scheint. Sie ist anders schlimm.

Der NDR teilte mir auf Anfrage mit:

Der NDR sendet überarbeitete Fassungen der Folgen, in denen alle Namensnennungen des Medikaments Vioxx per voice over durch ein fiktives Präparat ersetzt wurden. Die Originalfolgen sind gesperrt.

Nach der heute (zum elften Mal) wiederholten Folge 85 zu urteilen, stimmt das — macht es aber nicht weniger unfassbar, dass die ARD diese Folgen überhaupt noch ausstrahlt.

In der Folge geht es um einen Arthrose-Patienten, der wegen seiner Medikamente unter heftigen Magenschmerzen leidet und darum bettelt, eine neuartige Alternative ausprobieren zu dürfen. Um die Handlung und ihren Werbecharakter im Jahr der Erstausstrahlung 2000 würdigen zu können, muss man wissen, was das Revolutionäre an der Wirkungsweise des (inzwischen wegen dramatischer Nebenwirkungen vom Markt genommenen) Schmerz- und Entzündungshemmers Vioxx war. Herkömmliche Mittel wie Aspirin blockieren nicht nur das Enzym Cox-2, das schmerzvermittelnde Botenstoffe bildet, sondern auch das ganz ähnliche Cox-1, das aber die Magenschleimhaut schützt. Arthrose-Patienten, die dauerhaft Schmerzmittel nehmen mussten, litten daher häufig unter Magenschmerzen. Vioxx dagegen verschonte „das gute“ Enzym Cox-1 und griff nur „das böse“ Cox-2 an.

Und jetzt schauen Sie sich bitte an, wie um diese frohe Werbebotschaft ein ganzer Handlungsstrang in der ARD-Serie „In aller Freundschaft“ gestrickt wurde, Happy-End und allgemeine nette Botschaften über die Pharma-Industrie, die sich um unser aller Wohlergehen sorgt, inklusive.

Link: sevenload.com

Erstaunlich daran ist — abgesehen davon, wie penetrant und plump die Botschaft in der Serie untergebracht wurde und wie willen- oder skrupellos die Fernsehleute gewesen sein müssen — dass Vioxx und die Pharmafirma MSD Sharp & Dohme (Merck & Co., Inc.) bislang noch gar nicht öffentlich im Zusammenhang mit dem ARD-Schleichwerbeskandal genannt wurden (auch nicht in der Rüge des PR-Rates).

Der aktuelle Skandal ist für mich aber ein anderer: Die ARD hat sich also, nachdem die Schleichwerbegeschäfte ihrer Tochtergesellschaften aufgeflogen waren, dafür entschieden, die alten Folgen durchzugucken und mühsam einzelne Sätze mit Markennamen nachzuvertonen? Sie hat sich nicht daran gestört, dass die Dramaturgie ganzer Handlungsstränge nicht durch die inneren Gesetze einer Seifenoper bestimmt sind, sondern allein durch die (überholten) Werbebotschaften Dritter? Sie hat sich nach der notwendigen Ansicht der Folgen nicht dafür entschieden, diesen Schrott einfach nie wieder auszustrahlen, sondern füllt mit ihm die Lücken zwischen „Sturm der Liebe“ und „Meerschweinchen, Nacktnasenwombat & Co.“?

Nachtrag, 12. Juni, 16:30 Uhr. Um Missverständnisse zu vermeiden: In der überarbeiteten Fassung, die der NDR zeigte, ist natürlich nicht nur der Markenname „Vioxx“ ersetzt worden, sondern auch der Begriff „COX-2-Blocker“. Aus dem Enzym „COX-2“ wurde, wie im Video zu sehen, „RAG-2“.

Der NDR hat in seinen Internetseiten vor wenigen Tagen die Hinweise auf „COX-2“ aus den Sendungsbeschreibungen entfernt. Auf der vom MDR verantworteten offiziellen Seite zur Sendung sind jetzt die Inhaltsangaben ganz verschwunden.

[via BooCompany, Stationäre Aufnahme]

Dauerwerbesendung mit G.

Der Peer dokumentiert drüben aufopferungsvoll, wie die Sendergruppe ProSiebenSat.1 sich bis zuletzt mit allen Kräften dagegen gestemmt hat, ihre „Dauerwerbesendungen“ als „Dauerwerbesendungen“ zu kennzeichnen — und jetzt doch einen Gerichtsbeschluss kassiert hat, der ihnen den verschleiernden Ersatzbegriff „Promotion“ untersagt.

Er verrennt sich da in was. Das Wort, an dem man seit Jahren die meisten Dauerwerbesendungen bei ProSieben erkennt, ist nicht „Promotion“, sondern „Galileo“.

So informierte das gleichnamige tägliche „Wissensmagazin“ seine Zuschauer gestern darüber, dass es einen neuen Sommer-Eis-Trend gebe: Man kaufe sein Eis in dieser Saison bei einer Kette namens „Australian Homemade“ (Video der Sendung, ab 18:15).

Das kommt für Berliner einigermaßen überraschend, wo der „Australian Homemade“-Laden an der Friedrichstraße 2002 auf- und 2007 wieder zugemacht hat, aber es wird schon stimmen, das mit dem Trend, sowas denken die sich ja nicht aus.

Die „Galileo“-Reporterin jedenfalls ist der Sache mal auf den Grund gegangen und kann feststellen: „Sie nennen sich Australian Homemade und verkaufen in ihren In-Läden exquisite, handgemachte Pralinen, hochwertige Eiscreme und fruchtige Sorbets.“ Alles, was sie herstellen, scheint ausschließlich mit Adjektiv im Angebot zu sein: „exquisite Pralinen“, „edles Sorbet“, „besonders wertvolles Marzipan“.

Im Stil einer investigativen Reportage hat die „Galileo“-Filmemacherin, die im Beitrag „Dr. Nicole Rettenwender“ genannt wird, einen „Australian Homemade“-Produktionsort nach dem anderen besucht und ist offenbar so lange hartnäckig geblieben, bis man ihr endlich einen unternehmenseigenen PR-Film ausgehändigt hat. (Kann natürlich auch sein, dass die Filme erst zu unternehmenseigenen PR-Filmen wurden, nachdem „Galileo“ sie gedreht hat, das lässt sich schlecht unterscheiden.)

Nach Betrachten dieser sieben Minuten kann ich jedenfalls bestätigen: Das sind ganz tolle Pralinen und Eissorten, die die da machen, bei „Australian Homemade“, mit mehr Gutem und weniger Schlechtem drin als bei anderen Pralinen- und Eis-Anbietern, und wer hätte mich sonst so verlässlich darüber aufgeklärt (also, außer der Pressestelle des Unternehmens selbst natürlich, das auf den schönen Film auch auf seiner Homepage hinweist — mit den Worten: „Wir wünschen uns allen viel Spaß“).

Ich hatte neulich in einer anderen Sache mal bei der Pressestelle von ProSieben angefragt: Wegen der Leidenschaft des Senders, über die Sandwich-Firma „Subway“ zu berichten. „Galileo“ informiert seine Zuschauer seir Jahren kontinuierlich über dieses tolle Unternehmen (Das Rezept des Subway-Brotes, 13. März 2006; Wie wird das Subway-Brot so lecker, 27. Juli 2007; „Sandwich XXL“, 10. Februar 2008; „Existenzgründer Subway“, 18. Februar 2008; „Knochenjob Subway“, 17. April 2008) unterstützt durch Sendungen wie „Deine Chance“, die in diesem Jahr schon zweimal Kandidaten bei der Bewerbung für die Sandwich-Kette begleitete (3. Januar und 28. Februar).

Die Unternehmenssprecherin teilte mir mit, die Berichterstattungen hätten „ausschließlich mit journalistischen Gründen zu tun“. Die ProSieben-Zuschauer interessiere auch die gesamte Logistik hinter solchen Systemgastronomien, wovon „Galileo“ sehr profitiere: „Galileo“ habe neben „Subway“ natürlich auch „McDonalds“-Logistik und „Burger King“-Logistik „seziert“ — „und eine der erfolgreichsten Reportagen bei ‚Galileo‘ war ein Logistik-Stück über ‚Nordsee'“.

Der Eindruck trügt also, dass „Galileo“ nur für „Australian Homemade“ oder „Subway“ wirbt. Und wenn sich jemand beschwert und sagt, das sei doch eine Dauerwerbesendung, die müsse doch entsprechend gekennzeichnet sein, kann ProSieben sagen: Ist doch. Das blaue „Galileo“-Logo unten links und die kleine Sieben oben rechts.

„Welt Online“: Intel inside

Was für eine schöne Idee: Die „Welt“ schickt einen Journalisten und einen Kameramann durch die Bundesrepublik und lässt sie innovationsfreudige, kleine Unternehmen besuchen. In einem liebevoll produzierten Videoblog auf „Welt Online“ porträtieren sie die „heimlichen Champions“, die zum Beispiel wegweisende Medizintechnik entwickeln (Teil 1, Teil 2).

Nur ist es gar nicht so, wie „Welt Online“ ausdrücklich behauptet, dass die beiden Reporter „für WELT ONLINE“ unterwegs waren. Sie waren im Auftrag eines Unternehmens unterwegs. Und mit ein bisschen Geschick könnten Sie sogar dessen Namen erraten.

Genau.

Das „Projekt Deutschlandreise“ ist eine eigenständige, ganz unabhängig von „Welt Online“ gestartete PR-Aktion des Prozessorherstellers Intel. Die Firma macht daraus eigentlich auch kein Geheimnis: Auf jeder Seite von projekt-deutschlandreise.de steht unten rechts ihr Logo; im Impressum ist sie als Absender genannt, und zum Auftakt gab es eine Pressemitteilung.

Bei „Welt Online“ hingegen hat man die werblichen Inhalte von Intel zu eigenen journalistischen Leistungen umdeklariert, das „WELT ONLINE TV“-Logo auf die Filme gepappt, den eigenen „WELT ONLINE TV“-Vorspann davor geschnitten (und, warum auch immer, über dem Artikel als Autorennamen Melanie Müller angegeben, die nach eigenen Angaben „Nachrichtensprecherin bei WELT-ONLINE-TV“ ist).

Die Firma Intel wird nichts dagegen haben.

Zur Erinnerung: Zum Trennungskonzept von Redaktion und Werbung bei „Welt Online“ gehört es auch, eine Strecke mit Lidl-Eigen-PR unter der Adresse dialog.welt.de und dem Namen „Welt Dialog“ (und dem kleinen Wort „Anzeigen-Sonderveröffentlichung“) anzubieten. Die entsprechenden Werbetexte tauchten zunächst sogar über die normale Suchfunktion von „Welt Online“ auf und und waren dort von redaktionellen Texten nicht zu unterscheiden. Teil der „Welt Dialog“-Seiten ist die Möglichkeit, Fragen zu Lidl an dialog@welt.de zu schicken. Die Antworten kommen allerdings nicht von der „Welt“, sondern von Lidl selbst. Dass Redaktion und Werbung „strikt getrennt“ seien, sagte Verlagssprecher Christian Garrels gegenüber der „FAS“, erkenne man schon daran, dass die Mails an die welt.de-Adresse automatisch an Lidl weitergeleitet würden.

Zum aktuellen Fall mit den Intel-Filmen bemüht man sich bei Axel Springer derzeit noch um eine Stellungnahme.

Nachtrag, 17.45 Uhr. Ein Sprecher der Axel-Springer-AG teilt mir soeben mit:

Wir sehen das von Ihnen beschriebene Video als Grenzfall. Um auch nur den Anschein zu vermeiden, dass bei uns Werbung und Redaktionelles vermischt werden könnten, haben wir das Video von der Website genommen. Denn wie Sie wissen: Die Einhaltung unserer journalistischen Leitlinien sind unser oberstes Gebot.

Die Videos sind unverändert online.

Nachtrag, 18:20 Uhr. Anstelle der Artikel und Videos steht auf „Welt Online“ jetzt auf den beiden Seiten:

In eigener Sache
Wir haben das hier ehemals veröffentlichte Video von der Website genommen, weil es einen Grenzfall zwischen Werbung und Redaktionellem darstellte und wir den Anschein vermeiden wollen, dass es gegen unsere journalistischen Leitlinien verstoßen könnte. Wir bitten um Verständnis.

Andrea Kiewel im PAL-Feld des MDR

Toll: Da hat der MDR gerade erklärt, die Schleichwerbeaffäre von Andrea Kiewel, die in diversen Sendungen für „Weight Watchers“ Reklame gemacht hat, betreffe ausschließlich das ZDF, weil die Moderatorin in keiner MDR-Sendung einen Bezug zum Thema „Weight Watchers“ hergestellt habe oder in irgendeiner Weise werblich für „Weight Watchers“ aufgetreten sei, da zeigen „Schmidt & Pocher“ einen Ausschnitt aus der MDR-Sendung „Riverboat“, in der Andrea Kiewel von ihren Abnehmerfolgen mit „Weight Watchers“ schwärmt.

(PAL-Feld? PAL-Feld.)

Kloppen und klicken

Erstaunliche Zitate hat Thomas Mrazek für die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift „Journalist“ von den Verantwortlichen führender deutscher Online-Medien eingesammelt. Hans-Jürgen Jakobs, Chefredakteur von sueddeutsche.de, sagt auf die Frage nach den berüchtigten Bildergalerien seines Angebotes:

„Die Bildergalerien sind ein genuines Element des Internets. Wir können hier Geschichten über Bilder erzählen. Mit Klicks kann man sich verschiedene Erfahrungswelten erwandern — das ist Internet.“

(Meine Lieblingswanderung durch die Erfahrungswelten von sueddeutsche.de der vergangenen Monate führt übrigens durch eine Umfrage, die 237 Gründe für Sex ermittelt hat. Auf sueddeutsche.de sind sie vollständig dokumentiert, und raten Sie mal, wie oft Sie klicken müssen, um sie alle zu lesen.)

Der Chef vom Dienst bei sueddeutsche.de, Carsten Matthäus, sagt:

„Es gibt hier nicht die Devise: Macht jetzt Klicks — egal wie. Wir bemühen uns sehr darum, Qualität zu produzieren.“

Ganz ähnlich formuliert es „Spiegel Online“-Chef Mathias Müller von Blumencron:

„Es ist eine Unterstellung, dass uns nicht an Qualität, sondern an Klicks liegt.“

Okay, wenn es nicht um Klicks geht, vielleicht könnte jemand der „Spiegel Online“-Redaktion regelmäßige Betriebsausflüge ins Bordell spendieren? Oder, alternativ, kalte Duschen im Büro installieren?



(Ein interessanter Versuch ist in diesem Zusammenhang auch das Spiel von Lukas, in dem man versuchen muss, Artikel-Überschriften von „Spiegel Online“ und Bild.de der richtigen Quelle zuzuordnen.)

Blumencron kritisiert im „Journalist“ eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung über die Abwege der Onlinemedien. In „Klicks, Quoten, Reizwörter: Wie das Web den Journalismus verändert“ kommen die Journalisten Steffen Range und Roland Schweins u.a. zu folgendem Schluss:

Wie in Trance folgen die meisten Online-Redaktionen dem Leitmedium „Spiegel Online“ und seinem Kanon eines neuen, leichtlebigen, unterhaltenden, tendenziösen Netzjournalismus. Dabei geben die Journalisten ohne Not jahrzehntelang bewährte journalistische Prinzipien preis. Sie begehen Selbstmord aus Angst vor dem Tode. Denn die meisten werden den Internet-Konzernen nicht Paroli bieten können, selbst wenn sie noch so viele Rätsel, Bildergalerien und Telefon-Tarifrechner auflegen. Das Massengeschäft gehört längst Google und den Unterhaltungsportalen.

Blumencron erwidert im „Journalist“:

„Die Autoren haben schlecht recherchiert. Sie haben nie Kontakt mit uns aufgenommen, dabei sind unsere Türen immer offen.“

Er wirft der Untersuchung vor, sich auf veraltete Quellen aus den Jahren 2001 und 2003 zu stützen — zweifellos eine ungerechtfertigte Kritik. Die Autoren reagierten darauf ausgesprochen aufgebracht und fordern in ihrem Blog eine Entschuldigung von Blumencron.

Ich fürchte, die werden sie nicht bekommen. Ich habe Blumencron gefragt, ob er mir ein Beispiel für schlechte Recherche schicken und erklären mag, wie er das mit den veralteten Quellen meint. Statt einer Antwort leitete er er mir eine Mail weiter, die er bei Erscheinen der Studie an die Verfasser und die Stiftung geschickt habe. Darin heißt es u.a.:

[…] Meinen wir, wenn wir von Spiegel Online reden, wirklich dieselbe Web-Site?

In munterer Sprache ziehen Sie über die Online-Redaktionen her und da wir bereits im Vorwort sehr prominent erwähnt werden, kann der Leser gar nicht umhin, Ihre Aussagen auch auf unsere Site zu beziehen. Sie haben uns sogar ein eigenes Kapitel gewidmet, nur frage ich mich: Warum ist keiner von Ihnen während der Recherchen zu Ihrer — immerhin als gewichtige Studie gepriesenen — Ausarbeitung bei uns vorbeigekommen, um sich ein Bild von unserer Arbeit zu machen? Vielleicht hätten Sie dann einen Teil der gravierenden Fehlaussagen vermeiden können, die Ihre Studie kennzeichnen. […].

Sie schreiben, der Leser würde kurze Meldungen den ausgefeilten Analysen, Reportagen und Hintergrundstücken vorziehen – und deshalb würde die Formenvielfalt des klassischen Journalismus bei uns nicht stattfinden. Das Gegenteil ist der Fall – und Sie hätten es leicht an unserem Produkt und unserer Statistik überprüfen können. Gerade auf diese Formen legen wir großen Wert, mehr als die meisten Tageszeitungen. Warum schicken wir sonst Reporter nach Bangla Desh, um vor Ort zu recherchieren, wie die Menschen dort der drohenden Überflutung ihres Landes entgegensehen?

Warum waren wir sofort in Kunduz und haben dort mit Reportagen nicht nur über die Stimmung im Bundeswehr-Lager berichtet, sondern auch als einzige über die von deutschen Medien galant übersehenen afghanischen Opfer des Anschlags? Warum setzen wir ein ganzes Team daran, das Abkassieren der Versorger beim Trinkwasser zu untersuchen, was umgehend zu hektischen Aktivitäten von Kartellwächtern und Politikern führte? (Alles Beispiele aus den vergangenen Tagen).

Warum installieren wir eine feste Korrespondentin in Beirut? Und warum besteht ein Großteil unserer Aufmacher gerade nicht aus News, sondern aus politischer Analyse, aus Autorenstücken, etliche davon von Spiegel-Kollegen? Sind das wirklich die Merkmale eines „zerstreuenden Journalismus“?

Natürlich sind wir noch lange nicht perfekt. Natürlich vergreifen wir uns mal mit einer Headline im Ton. Natürlich liegen wir mal mit einem Thema daneben, wo kommt das nicht vor. Und ja, wir bekennen uns zur Unterhaltung, dafür haben wir ein Ressort Panorama, in dem fünf unserer über sechzig Redakteure arbeiten. Ist das wirklich eine Ressourcenverteilung, die sich am „Primat der Unterhaltung“ orientiert?

Sie schreiben, dass wir unsere Reichweite (die Sie merkwürdigerweise an der Zahl der Klicks messen) krampfhaft mit Bilderstrecken hochtreiben würden — wiederum falsch beobachtet. Die Reichweite — also die Zahl unserer Leser — wird von der Agof und von Allensbach mittlerweile konservativ, aber recht verlässlich ermittelt. Sie hat nichts, aber auch gar nichts mit der Zahl der Klicks zu tun. Auch für das Werbegeschäft sind die meisten Bilderstrecken irrelevant — sie sind schlicht nicht vermarktbar und werden dem Kunden auch nicht als vermarktbare Klicks kommuniziert. Warum leisten wir uns dennoch eine Bildredaktion aus drei Kollegen und bauen ein gemeinsames achtköpfiges Video-Team mit SpiegelTV auf? Weil wir ein visuelles Medium sind und etliche Sachverhalte über Bilder besser deutlich machen können, als mit tausend Worten.

Der schlimmste Vorwurf indes ist jener, dass wir munter die Grenzen zwischen Werbung und Inhalt verwischen. Sie hätten sich überzeugen können: Bei uns sind Vermarktung und Redaktion scharf getrennt, kein Redakteur textet bei uns auch nur eine Zeile im Auftrag eines Werbekunden. Dagegen habe ich selbst Verträge etlicher renommierter Tageszeitungen gesehen, in denen Interviews, Reportagen und Gefälligkeitsdienste für den Kunden ausdrücklich zugesichert wurden. […]

Falls Sie sich also weiterhin mit Spiegel Online befassen wollen — etwa in Ihrem „Blog für Qualitätsjournalismus“ — lade ich Sie nach Hamburg ein. Dort können Sie sich gern davon überzeugen, dass unsere Redaktion kein „Totenschiff“ ist, sondern die derzeit am schnellsten wachsende Qualitätsredaktion in Deutschland, eine hoch motivierte, gut ausgebildete, gut bezahlte und selbstbewusste Mannschaft. […]

Diese Mail ist inzwischen mehrere Monate alt. Ich dokumentiere sie — mit freundlicher Genehmigung von Herrn Blumencron — trotzdem, weil ich glaube, dass die Grundsatzdiskussion interessant und relevant ist. Am Konflikt hat sich ohnehin wenig geändert, und die Schere zwischen der Kritik an den Seiten vermeintlicher Qualitätsmedien und ihrer Selbstdarstellung wird gerade eher noch größer.

Das liegt sicher auch daran, dass wir Kritiker uns manchmal zu sehr in den Bildergalerien und Sexgeschichten verhaken und darüber tatsächliche und fundamentale Qualitätssteigerungen übersehen.

Andererseits: Wie ernst kann man Blumencrons Empörung über den Vorwurf der Vermischung von Werbung und Inhalt nehmen, wenn „Spiegel Online“ seit Jahren nicht gekennzeichnete Werbelinks wie diesen hier innerhalb der redaktionellen Menuleiste anbietet:

Oder versuchen Sie mal, in der fröhlich als „Angebote“ markierten Linksammlung auf der Startseite von „Spiegel Online“ redaktionelle Links, Eigenwerbung und bezahlte Angebote auseinander zu halten:

Diese Mischung ist nicht nur ethisch zweifelhaft, sondern auch juristisch: Das Berliner Kammergericht urteilte im vergangenen Jahr, dass ein Besucher vor dem Klick wissen müsse, ob er auf eine Werbeseite kommt. Müsste das nicht eine Selbstverständlichkeit sein für ein Qualitätsmedium?

Bemerkenswert ist auch, was Martin Rieß, Verkaufsleiter beim „Premiumvermarkter“ Quality Channel (u.a. sueddeutsche.de, „Spiegel Online“) auf dem Medienforum Mittweida gesagt hat. Er wurde angesprochen auf redaktionell gestaltete Seiten, die Werbekunden glücklich machen sollen, so zum Beispiel die berüchtigten Rubriken Sommerreifen-Spezial und Winterreifen-Spezial, die während der Reifenwechselzeiten von Continental gesponsert werden und für die zunächst bei „Spiegel Online„, heute noch bei sueddeutsche.de (pseudo-)journalistische Artikel vom Fließband produziert werden mussten. Rieß sagte:

Rieß: „Die Meßbarkeit im Internet ist Fluch und Segen zugleich. […] Es ist natürlich ein Fluch, weil wir dann sehen, dass beispielsweise drei Tage vor Ablauf des Winterreifenspezials eben noch sehr viel [an Klicks] fehlt, und dann versuchen wir schon mit den Redaktionen, da Möglichkeiten zu finden, noch …“

Moderatorin: „Das würde uns näher interessieren. Das heißt, Sie nehmen dann Einfluss auf die Redaktionen?“

Rieß: „Nein, naja, wir versuchen, ihn zu nehmen. Die Redaktionen sind natürlich, je nachdem, wie selbstbewusst oder stark die sind, in der Lage zu sagen: Ist uns völlig egal, ob das Winterreifenspezial unterliefert oder nicht. Aber wir weisen darauf hin, dass es Probleme gibt, was Leistungserfüllung anbelangt. Und man kann dann natürlich einen Artikel auf die Homepage nehmen oder auch ein bisschen verstecken. Das kann jede Redaktion für sich entscheiden, aber man kann natürlich so steuern, dass sich die Werbekunden da… eher… .“

Hier endet der Satz.

Das ist der Stand der Dinge: Die Online-Medien mischen Werbung und Redaktion und zwingen ihre Leser dazu, dutzendfach zu klicken, um einen einzigen Artikel zu lesen, und empören sich darüber, dass man ihnen vorwirft, Werbung und Redaktion zu mischen und ihre Leser als Klickvieh zu missbrauchen.