Schlagwort: Sibylle Lewitscharoff

Büchner-Preisträgerin ekelt sich vor auf „abartigen Wegen“ gezeugten Halbmenschen

Die vielfach preisgekrönte Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff hat am vergangenen Sonntag in Dresden eine ungeheuerliche Rede gehalten, in der sie die künstliche Befruchtung verurteilte und sich voller „Abscheu“ über Kinder äußerte, die auf solch „abartigen Wegen“ entstanden sind: Sie seien „Halbwesen“, „zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas“.

Ungeheuerlich ist auch, was danach passierte: fast nichts. Es gab keinen Aufschrei, keine bestürzten Reaktionen im Literaturbetrieb, der Sibylle Lewitscharoff seit Jahren mit Preis um Preis auszeichnet, keine aufgeregten Debatten in den Feuilletons, die sie im vergangenen Jahr feierten, als sie auch noch die bedeutendste literarische Auszeichnung des Landes erhielt, den Georg-Büchner-Preis.

Die „Sächsische Zeitung“ attestierte Lewitscharoff in ihrem Bericht über die Rede „Mut“, dass sie mit dem Thema ihrer Rede „vermintes Gelände“ betreten habe. Die Berichterstatterin scheint zwar verblüfft über einige Positionen und Worte von Lewitscharoff und darüber, dass kein Protest aus dem Publikum zu hören gewesen sei. Aber sie kommt zu dem versöhnlich-verdrucksten Schluss, die Schriftstellerin habe immerhin „Stoff zum Nachdenken und Diskutieren“ geboten, „auch zur empörenden Reaktion auf die Empörung“.

Aber die „Sächsische Zeitung“ kann oder will offenbar auch nicht unbefangen über Lewitscharoff berichten und angemessen scharfen Reaktionen keinen Raum geben. Weil sie Mitveranstalterin der „Dresdner Reden“ ist und insofern auch Mit-Einladerin der Schriftstellerin.

Der Chefdramaturg des Schauspielhauses, Robert Koall, wollte und konnte die Rede dennoch nicht unwidersprochen lassen. Ich dokumentiere seine Antwort mit freundlicher Genehmigung Koalls.

 

Offener Brief an die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff
als ­Antwort auf ihre Dresdner Rede vom 2. März 2014
von Robert Koall

Die Autorin Sibylle Lewitscharoff hat am 2. März im Dresdner Schauspielhaus im Rahmen der traditionsreichen „Dresdner Reden“ auf Einladung des Staatsschauspiels Dresden und der „Sächsischen Zeitung“ gesprochen. Frau Lewitscharoff gehört zu den profiliertesten deutschsprachigen Autorinnen und wurde für ihr Werk vielfach ausgezeichnet, zuletzt 2013 mit dem Georg-Büchner-Preis. Ihr Vortrag war angekündigt unter dem Titel „Von der Machbarkeit. Die wissenschaftliche Bestimmung über Geburt und Tod“.

Sehr geehrte Frau Lewitscharoff,

als Chefdramaturg des Staatsschauspiels bin ich mitverantwortlich für Ihre Einladung nach Dresden — was eine öffentliche und kritische Antwort auf Ihre Rede eher ungewöhnlich machen mag.

Aber lieber verletze ich die guten Sitten und Gebräuche der Gastgeberschaft als Ihnen nicht zu widersprechen. Ich fühle mich durch Ihre Worte zu sehr persönlich getroffen. Nach der Rede im Foyer ließ sich feststellen, dass ich mit dieser Einschätzung nicht alleine bin. Im Übrigen weiß ich, dass Sie Einspruch schätzen.

In Ihrer Einleitung hatten Sie am Sonntag mit einem feinen Lächeln vorgewarnt und um Entschuldigung dafür gebeten, dass es heute wohl nicht gelingen werde, der Rede „durch Scherze und ein kleines Fluten der Ironie eine gewisse Leichtigkeit zu verschaffen“. Die Rede sei ernst. Nach dem Vortrag lässt sich ­sagen, dass „ernst“ nicht das richtige Wort war. Welcher Ausdruck wäre besser? Menschenverachtend? Gefährlich?

Im ersten Teil ihres Vortrags widmeten Sie sich dem Tod und dem Sterben. Ihre Thesen dazu sind wenig spektakulär, im Wesentlichen sprachen Sie über das Gottvertrauen, dessen Sie sich zu bemächtigen versuchen, wenn Sie sich überfordert fühlen von den Zumutungen der Existenz. Und darüber, dass die moderne Medizin und die Möglichkeit der Patientenverfügung Ihnen zu sehr eingreifen in das, was nach Ihrer Auffassung Aufgabe der Schöpfung wäre: den Zeitpunkt des Todes zu bestimmen.

Ich teile Ihre Sicht nicht, aber das ist unerheblich.

Danach jedoch ging es um das menschliche Leben und seinen Beginn.

Und erstaunt musste ich feststellen: Eine der meistbeachteten deutschen Schriftstellerinnen pflegt öffentlich ein Menschenbild, das Verklemmung mit Verachtung paart. Ein beängstigendes Menschenbild.

Sie, Frau Lewitscharoff, um es mal zusammenzufassen, plädieren für die Kopulation. Die lassen Sie gelten. Zwischen Mann und Frau natürlich. Das ist der einzige Weg zur Menschentstehung, den Sie akzeptabel finden.

Leihmutterschaft aber ist Teufelswerk, und Onanie mögen Sie auch nicht, wie Sie uns wissen lassen. Ein „Onanieverbot“ erscheint Ihnen „weise“. Vor allem die Abgabe von Samen zum Ziele der künstlichen Befruchtung ist Ihnen „nicht nur suspekt“, sondern Sie finden sie „absolut widerwärtig“.

Und was folgt für Sie daraus? Dass Menschen, die auf künstlichem Wege gezeugt wurden, nicht menschlich sind. Sondern monströs:

„Der eigentliche Horror resultiert für mich dabei […] aus den Methoden, auf künstlichen Wegen eine Schwangerschaft zustande zu bringen. Frau Doktor und Herr Doktor Frankenstein, die weithin geschätzten Reproduktionsmediziner, haben ein sauberes Arztkittelchen an und werkeln nicht mit brodelnden Glaskolben und in einer mit giftigen Dämpfen erfüllten mittelalterlichen Bogenhalle. Es geht dabei sehr rein und fein und überaus vernünftig zu. Der Vorgang selbst ist darum nichts weniger als abscheulich.“

Diejenigen, die hier einwenden mögen, dass die Reproduktionsmedizin ein Segen für Menschen mit unerfüllbarem Kinderwunsch ist und ein Segen für die Kinder, die ihre Existenz nur dieser Wissenschaft verdanken, werden von Ihnen brüsk belehrt:

„So simpel können nur Menschen denken, die auf die psychische Bedeutung von Ursprungskonstruktionen noch nie einen Gedanken verschwendet haben. Wie verstörend muss es für ein Kind sein, wenn es herausbekommt, welchen Machinationen es seine Existenz verdankt.“

Das alles ist schon sehr herablassend und abwertend. Aber nun wird es grotesk:

„Grotesk wird es aber spätestens in anderen, inzwischen durchaus zahlreichen Fällen, […] in denen sich lesbische Paare ein Kind besorgen, indem entweder ebenfalls ein anonymer Spender oder ein naher Verwandter der Freundin der künftigen Mutter herangezogen wird, um sein Sperma abzuliefern.“

Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz einhaken: Es gibt in meinem Bekanntenkreis ein dreijähriges Mädchen, das nicht in einem klassischen Familienmodell aufwächst — sie hat eine Mutti und eine Mama. Ihre Existenz verdankt sie der Wissenschaft, die Sie verteufeln. Sie ist ein intelligentes, fröhliches und geliebtes Mädchen, sie ist ein Kind Gottes, und ihr Dasein ein Segen.

Nicht aber für Sie, Frau Lewitscharoff. Für Sie ist dieses Mädchen kein vollwertiger Mensch. Sie haben nur Abscheu für sie übrig,

„weil mir das gegenwärtige Fortpflanzungsgemurkse derart widerwärtig erscheint, dass ich sogar geneigt bin, Kinder, die auf solch abartigen Wegen entstanden sind, als Halbwesen anzusehen. Nicht ganz echt sind sie in meinen Augen, sondern zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas. Das ist gewiss ungerecht, weil es den Kindern etwas anlastet, wofür sie rein gar nichts können. Aber meine Abscheu ist in solchen Fällen stärker als die Vernunft.“

Halbwesen. Widerwärtig. Abscheulich. Abartig. Man muss sehr viel Selbstbeherrschung aufbringen, um sich vom Sprachduktus nicht an Zeiten erinnert zu fühlen, in denen eine solche Wortwahl dazu diente, die Würde von Menschen antastbar zu machen.

Sie aber, Frau Lewitscharoff, fahren ungebremst fort:

„Mit Verlaub, angesichts dieser Entwicklungen kommen mir die Kopulationsheime, welche die Nationalsozialisten einst eingerichtet haben, um blonde Frauen mit dem Samen von blonden blauäugigen SS-Männern zu versorgen, fast wie harmlose Übungsspiele vor. Ich übertreibe, das ist klar, ich übertreibe […].“

Was wollen Sie mit dem letzten Satz sagen? Dass nur, weil man etwas sagt, das noch lange nicht heißt, dass man es auch so meint?

Das wäre eine enttäuschende Haltung für einen denkenden Menschen.

Sie sind Schriftstellerin. Sie sind in der Sprache zuhause. Eine Unschuldsvermutung gibt es für Sie in diesem Fall kaum.

Es fällt sehr schwer zu glauben, dass Sie nicht wussten, welche Worte Sie wählten, welche Vergleiche Sie zogen. Dass Sie nicht bemerkten, in welchem Sprachraum Sie sich bewegen.

Wir haben Sie, Frau Lewitscharoff, als streitbaren Geist eingeladen. Wir begreifen Theater als Ort der lebendigen, kritischen Auseinandersetzung. Wir setzen uns ein für Differenz, für das Unbequeme und für Haltung und Gegenhaltung. Das alles muss eine Gesellschaft und das alles muss ein Theater aushalten. Wenn aber die Würde der Menschen angetastet wird, kann das nicht unwidersprochen geschehen.

Man könnte Ihre Worte abtun und hoffen, dass sie schnell vergessen werden.

Man könnte aber auch sagen, dass man es leid ist, dass immer wieder so getan wird, als würden Worte nichts bedeuten. Es gibt einen Punkt, der die Dresdner Rede vom 2. März gefährlich macht. Das ist das Tendenziöse, die Stimmungsmache, das tropfenweise verabreichte Gift.

Die Art der Argumentation und die Wortwahl verbreiten sich immer mehr.

Wenn der durchaus prominente Journalist Matthias Matussek jüngst in der „Welt“ offen darüber schwadroniert, dass sein privates Unbehagen gegenüber Schwulen für viele ja offenbar schlimmer sei als Antisemitismus (und damit nur sagt, dass er ein bisschen Homophobie offenbar für absolut okay hält). Wenn Populisten wie der verwirrte Thilo Sarazzin öffentlich beklatscht vor dem „Tugendterror“ warnen (und damit eigentlich nur Raum für Vorurteile, Lügen und Ressentiments schaffen wollen). Wenn schließlich in einer Rede Leihmutterschaft und lesbische Elternpaare als Fortführung nationalsozialistischer Familienpolitik mit anderen Mitteln bezeichnet werden (und dann als harmlose rhetorische Volte abgetan werden).

Dann befördert all das einen schleichenden Klimawandel in der Gesellschaft.

Das alles bemüht sich nicht um Toleranz und Solidarität, um Gemeinschaft und Gemeinwohl. Das befördert Absetzung, Ausgrenzung, Abschottung, Abschaffung.

Ihre Worte sind nicht harmlos, Frau Lewitscharoff. Aus falschen Worten wird falsches Denken. Und dem folgen Taten. Deshalb sind es gefährliche Worte.

Hochachtungsvoll
Robert Koall
Chefdramaturg am Staatsschauspiel Dresden

  • Auf den Seiten des Staatsschauspiels Dresden kann man Lewitscharoffs Rede anhören und jetzt auch nachlesen.
Nachtrag, 20:00 Uhr. Lewitscharoff hat sich gegenüber der „FAZ“ geäußert: „Darf ich nicht sagen, was ich denke?“