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Wie der Vizechef von Spiegel-TV einen Halterner Schüler einschüchtert

Spiegel-TV bestreitet, in Haltern in der vergangenen Woche an den Türen von Betroffenen des Airbus-Absturzes geklingelt zu haben. Mika Baumeister, ein 18-jähriger Schüler des Joseph-König-Gymnasiums, das bei dem Absturz viele Schülerinnen und Schüler und zwei Lehrerinnen verlor, hatte dem RTL-Magazin das – unter anderem – vorgeworfen.

An „keiner einzigen Tür“ habe man geklingelt, widerspricht David Walden, der als Spiegel-TV-Redakteur vor Ort war, auf Twitter. Baumeister beruft sich auf die Aussagen von Angehörigen. Es entwickelt sich daraufhin folgender Dialog zwischen ihm und Thomas Heise, dem stellvertretenden Chefredakteur von Spiegel-TV:

Der Vizechef von Spiegel-TV droht einem Teenager aus Haltern mit harschen Worten und juristischen Schritten und baut eine Drohkulisse auf: Wir, der große „Spiegel“, gegen dich, das lausige Schülerwürstchen.

Man sieht: Es ist völlig unvorstellbar, dass diese Redaktion nicht mit der gebotenen Sensibilität in Haltern vorgegangen ist.

Nachtrag, 15:00 Uhr. Thomas Heise entschuldigt sich:

Wie ein Schüler die Belagerung durch Journalisten in Haltern erlebte

Mika Baumeister ist Schüler am Joseph-König-Gymnasium in Haltern, kannte beide Lehrerinnen sowie einige der Schülerinnen und Schüler, die beim Absturz der Germanwings-Maschine in Südfrankreich ums Leben kamen. In seinem Blog beschreibt er, wie er das Vorgehen der Journalisten im Umfeld der Schule erlebte. In einem Satz:

Die Berichterstattung in Haltern war nicht in Ordnung.


Medienaufgebot am 25. März vor dem Gymnasium. Foto: Mika Baumeister

Um 17:30 (…) ging dann das an einen Zoo erinnernde Schauspiel los: Die Presse hinter ihren Absperrungen begaffte uns Schüler – vergleichbar mit exotischen Tieren im Tierpark und neugierigen Besuchern. (…) Wir fühlten uns, als würde die Presse nur auf unsere Reaktion zur endgültigen Affirmation warten, um zerstörte Menschen abzufilmen. (…)

Deshalb gab es dann eine Art Selbsthilfe, um zumindest die Arbeit zu erschweren. Mithilfe einer kleinen Menschenmauer wurden die Medien so belagert, dass keine ordentlichen Aufnahmen gemacht werden konnten. (…)

Mittwochmorgen kam es dann zum Höhepunkt des Wahnsinns. Die Absperrung, um etwa 5 Meter nach hinten verschoben, war komplett von Redakteuren gefüllt (…). Keiner wird nachgezählt haben, aber der Eindruck des oben genannten Zoos verstärkte sich noch. An die Verstorbenen gedenken konnte so im Prinzip niemand wirklich. Sie können ja einfach mal mit den Gedanken spielen: Man wird von allen Winkeln beobachtet und soll seinen Gefühlen freien Lauf lassen. Wer nicht genügend Imagination besitzt, um sich das vorzustellen, hier ein kleiner Hinweis: Geht nicht.

Laut einem Seelsorger soll sich sogar ein Journalist mit einer Notfallseelsorger-Warnweste unter die Schüler gemischt haben. Ich glaube, dazu braucht man überhaupt nichts sagen, das ist einfach nur sehr traurig. Allgemein scheint es wohl auch Personen gegeben haben, die mit dem Stereorekorder in der Tasche zu den Kerzen herantraten, um Gespräche aufzuzeichnen; Handykameras unter einem Strauß Blumen sollen für Exklusivbilder genutzt worden sein. Eine Person sollte wohl versucht haben, sich als Lehrer zu verkleiden (…).

[via Sandra Schink]

Das Dschungelcamp und das Sich-Ekel-Fernsehen von „Spiegel-TV“

Es ist immer wieder ein Kulturschock, wenn im RTL-Programm „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“ an das Magazin von Spiegel-TV stößt. Auf der einen Seite diese läppische Sendung mit ihren albernen Witzen und schlechten Kalauern, die fast nur von Häme lebt. Und auf der anderen Seite das Dschungelcamp.

Dabei haben sich die Spiegel-TV-Leute viel Mühe gegeben in den vergangenen beiden Wochen, von der Aufmerksamkeit für die Dschungelshow zu profitieren. Sie haben einen Bericht gemacht über Rainer Langhans und einen über „Promis in der Schuldenfalle“. Sie haben berichtet über den „Dschungel unter deutschen Dächern“, über „Neues aus der Ekel-Forschung“ und, natürlich, über Hitler. Hitler war nämlich, genau wie Sarah Dingens im Camp, Vegetarier! „Die vegetarische Fangemeinde lässt es gern unter den Tisch fallen, doch es ist wahr: Adolf Hitler aß zu Lebzeiten kaum Fleisch.“

Und nun das Finale. Keine Werbepause, kein Sponsor, unmittelbar nach der letzten Szene aus dem australischen Dschungel wird die Temperatur auf Frösteln heruntergedreht:

Maria Gresz steht da und sagt:

„Jetzt ist es also soweit: Des Deutschen liebstes Hassobjekt ist am Ende und seine Hauptdarsteller irgendwie auch. Ab morgen können wir nur hoffen, dass im Kanzlercamp wieder die Post abgeht. Dass Angela mit Guido rumknutscht. Dass Claudia rot sieht und ausplaudert, dass die Regierungsarbeit nur Show ist und dass die Abgeordneten nur mitspielen, weil sie dafür Geld vom Privaternsehen bekommne. Ich weiß, das wird nicht passieren. Wär aber lustig. Derartige Unterhaltung gibt es eben nur im Dschungel. Dort wo die Zivilisation freiwillig ihre Hüllen fallen ließ und damit Millionen Zuschauer zu glücklichen Voyeuren machte.“

In zwei Wochen im Dschungel wird den Kandidaten, den Tieren und der Menschenwürde nicht so viel Gewalt angetan wie der deutschen Sprache in einer einzigen Spiegel-TV-Anmoderation. Wer danach nicht sofort abschaltet, steckt sofort knietief in einem Metaphernschlammbad, gefüllt mit gammeligen Teekesselchen. „Die vermeintliche Machtausübung“ der abstimmenden Zuschauer, sagt der Sprecher, „sorgt für besonderes Kribbeln – auch am Körper des Altkommunarden Rainer Langhans.“ Das Bild dazu:

Später heißt es: „Ehemalige Camp-Bewohner können ein Lied davon singen“ – bitte schön: Werner Böhm tut es.

Spiegel-TV-Leute leiden unter einer schlimmen Synonymzwangsstörung. Über Rainer Langhans darf nicht berichtet werden, ohne ihn mindestens einmal den „Apo-Opa“ zu nennen. Mit der Alternative „Gleichmut-Guru“ gibt es später noch Alliterations-Bonuspunkte. Und überhaupt, was ist der Dschungel? „Das Guantanamo der Z-Prominenz.“

Auf den ersten Blick ungewöhnlich ist es, dass Spiegel-TV ausgerechnet das Berliner Rumpelblatt „B.Z.“ als Beleg dafür zeigt, dass „das deutsche Feuilleton – ganz im Geiste Brechts – eine reflektorische Metaebene beim Miteinander von Mensch und Made“ entdeckt habe. Vermutlich bringt aber der Autor des entsprechenden Beitrags selbst die fehlende behauptete Fallhöhe mit:

Ross Antony, der die Show vor drei Jahren gewann und dabei auf sympathisch-schockierend-lustige Weise seine eigenen Phobien überwand, wird im Spiegel-TV-Deutsch zum „bekennenden Homosexuellen“, der „etwas Gutes für seine Community tun wollte“.

Und fast jeder Satz trieft von Herablassung. Es ist Sich-Ekel-Fernsehen bis hin zur Anmaßung, den Teilnehmern pauschal „verunglückte Lebensentwürfe“ zu unterstellen. Dann ist der Dschungelbeitrag vorbei (oder wie Spiegel-TV sagen würde: am Ende), und die Moderatorin leitet wie folgt zum nächsten Thema über:

„Es soll in dieser Welt noch Menschen geben, die weniger scharf auf Kameras sind. Waffenhändler zum Beispiel.“

Den Beitrag auf spiegel.de ansehen

Spiegel-TV findet geiles YouTube-Video

So begann am Sonntag auf RTL das „Spiegel TV Magazin“:

Und mal abgesehen von dem etwas beunruhigenden Ansagermodell; abgesehen von der ungewollten „Spiegel“-Selbst-Parodie „Was Nazis, Russen und der Sozialismus nicht schafften: Die Berliner S-Bahn steht“; abgesehen von der B-moviesken Formulierung „Als sich am vergangenen Sonntag um 18.37 Uhr die Sonne über der Autobahn A2 durch die dichten Regenwolken kämpfte, war das Schicksal vieler Autofahrer besiegelt“ und abgesehen davon, dass es den „Spiegel TV“-Leuten schon reicht, Clipfish zu imitieren und geile Aufnahmeschnipsel zu zeigen, ohne sie in irgendeinen journalistischen Kontext zu stellen —

— abgesehen von alldem ist interessant, wie Spiegel-TV an diese Bilder von einem Polizeieinsatz auf St. Pauli gekommen ist. Das Magazin aus der Spiegel-Gruppe, die Seite an Seite mit den Herausgebern von „Coupé“ und „Bild“ gegen „rechtsfreie Zonen“ im Internet kämpft und gegen die „zahlreichen Anbieter“, die die Arbeit von anderen verwenden, „ohne dafür zu bezahlen“, hat sie auf YouTube gefunden und sich einfach bedient.

Dabei wäre der Urheber des Videos leicht ausfindig zu machen gewesen: Die Profilseite des YouTube-Nutzers verlinkt direkt auf das Blog von Matt Wagner, der darin auch über seine Aufnahmen von dem Polizeieinsatz berichtet. [Korrektur, 15:45 Uhr: Das ist falsch. Der Link stand ursprünglich nicht im Profil. Die Redaktion hätte aber über die Kommentarfunktion Kontakt zu Wagner aufnehmen können.]

Doch der wurde nicht gefragt, erfuhr nur zufällig von der Verwendung seines Materials und staunte:

Spiegel TV sucht sich im Internet fremde Inhalte, um u. a. damit Sendungen zu gestalten, mit denen Werbeeinnahmen generiert werden. Die Urheber der fremden Inhalte werden vorher nicht gefragt, und man bietet ihnen auch kein Honorar an.

(…) wenn ein kommerzieller Fernsehsender das tut, dann muss er a) fragen und b) zahlen.

Wagners Kontaktversuche mit Spiegel-TV blieben zunächst ohne Erfolg, bis er einen Anwalt einschaltete. Nun antwortete das Magazin, erklärte, man habe es leider am Sonntag versäumt, den Urheber ausfindig zu machen, entschuldigte sich und bot nachträglich Lizenzgebühren an.

Geht doch. Und wir lernen und staunen: Nicht einmal Spiegel-TV ist eine rechtsfreie Zone.

[mit Dank an Bastian!]