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Christian Nienhaus und die große Ignoranz

Christian Nienhaus ist einer der beiden Geschäftsführer der WAZ-Gruppe („Westdeutsche Allgemeine Zeitung“, „Westfälische Rundschau“, „Die Aktuelle“) und Landesvorsitzender des nordrhein-westfälischen Zeitungsverlegerverbands. Er kommt von „Bild“. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat heute ein erstaunliches Interview mit ihm geführt.

Herr Nienhaus, die WAZ-Gruppe klagt mit sieben Verlagen gegen die Tagesschau-App der ARD. Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH gehört dazu. Was haben Sie denn gegen die öffentlich-rechtliche App?

Nienhaus: Der Rundfunkänderungsstaatsvertrag verbietet die Presseähnlichkeit der öffentlich-rechtlichen Internetdienste. Doch darüber entscheiden die Rundfunkräte, also die eigenen Gremien. Und diese verstehen sich häufig als Beschützer ihrer Rundfunkanstalten. Sie identifizieren sich mit der Anstalt statt diese zu kontrollieren. (…) Wir halten zudem die Kostenfreiheit der Apps für nicht korrekt. Hier wird, finanziert durch Quasi-Steuern, das Geschäftsmodell der privaten Presse angegriffen.

Interessant. In der Klage der Verlage geht es allerdings weder um die Frage, wie und von wem die Öffentlich-Rechtlichen kontrolliert werden sollen, noch um die Kostenfreiheit des Angebots.

Ist das ein Hilfeschrei an die Politik?

Nienhaus: Es gibt eine große Ignoranz der Politik und auch eine Angst der Politik. Führende Politiker haben mir gesagt: „Sie haben Recht, aber ich lege mich mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht mehr an.“ Bei jeder kritischen Frage würden Politiker sofort mit kritischer Berichterstattung in ganz anderen Punkten überzogen. Im Landtag von Nordrhein-Westfalen wurde Abgeordneten gedroht, wenn Sie gegen die Mediengebühr stimmten, würde das in der WDR-Berichterstattung Folgen haben.

Holla. Im Landtag wurde den Abgeordneten gedroht? Und wem genau? Und von wem? Wenn das stimmte, wäre es ein gewaltiger Skandal. Nienhaus nennt keine Namen, keine Quelle, keine Belege, behauptet es aber als Tatsache.

Andererseits nehmen die Politiker Einfluss auf die öffentlich-rechtlichen Anstalten, weil sie in deren Gremien sitzen und die wichtigsten Personalentscheidungen treffen.

Nienhaus: Es ist nicht so, dass die Politik die Rundfunkanstalten beeinflusst.

Schön wär’s. Wenn Nienhaus ARD und ZDF von politischem Einfluss freispricht, ist das doppelt erstaunlich. Nicht nur, weil sich leicht Indizien für das Gegenteil finden lassen und das ein entscheidender prinzipieller Kritikpunkt an den Öffentlich-Rechtlichen ist. Sondern, weil er im FAZ-Interview den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland gleich viermal (falsch) als „Staatsrundfunk“ bezeichnet.

Nienhaus: Riesige Heerscharen von Lobbyisten, Beamten und Juristen aus den Rundfunkanstalten beeinflussen die Politik. Solange wir knappe Frequenzen hatten, war dieses System in Ordnung. Aber im Internet ist überhaupt nichts knapp.

Geld.

Geld ist knapp im Internet. Weshalb man auf die Idee kommen könnte, dass es eine gute Idee wäre, wenn ARD und ZDF, die viel Geld haben und viele Inhalte davon produzieren, diese Inhalte auch im Internet entsprechend anbieten und aufbereiten dürfen.

Nienhaus: Der Staatsrundfunk macht im Internet den Markt kaputt. Ich schätze die Qualität der öffentlich-rechtlichen Angebote sehr, aber sie produzieren diese mit Gebührengeld und machen damit Unternehmen ihr Geschäftsmodell im Internet kaputt.

ARD und ZDF machen auch im Fernsehen den Markt kaputt. Rumpelsender wie n-tv oder N24 zum Beispiel könnten sicher leichter überleben, wenn die ARD nicht viele Male am Tag eine — bei allen Schwächen — ordentliche Nachrichtensendung namens „Tagesschau“ zeigen würde. Es handelt sich auch hier um eine Marktverzerrung, und sie ist gewollt, um sicherzustellen, dass Sendungen hergestellt werden, deren Qualität selbst ein WAZ-Geschäftsführer „sehr schätzt“.

Sollen ARD und ZDF gar nicht online vorkommen?

Nienhaus: (…) Wenn die Nutzer einfach Videos herunterladen können, ist das kein Problem. Aber was die alles machen: Partnerschaftsportale, Jugendseiten, alles Mögliche!

„Die“ machen keine Partnerschaftsportale. Der WDR-Jugendsender Eins Live hatte mal eine Flirtcommunity namens „Liebesalarm“. Es gibt sie nicht mehr, weil ARD und ZDF solche Angebote mit dem 12. Rundfunkstaatsvertrag verboten wurden.

Wenn es nur ein öffentlich-rechtliches Videoportal gäbe, fänden Sie das in Ordnung?

Nienhaus: Wir als Verleger hätten nichts dagegen. Zwischen den Verlegern und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gab es früher nie Streit.

Falsch. Seit sechzig Jahren haben die deutschen Zeitungsverleger und vor allem Axel Springer den öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer wieder und dauerhaft angegriffen, weil sie seine nicht-privatrechtliche Konstruktion für widernatürlich, unzulässig und existenzgefährdend hielten und selbst Rundfunk veranstalten wollten. Jahrelang kämpften Verleger auch dagegen, dass ARD und ZDF einen Teletext anbieten dürfen.

Nienhaus: Das Lesen der gedruckten Ausgaben ist rückläufig: Wenn wir als Zeitungsleute eine Zukunft haben wollen, müssen wir nicht nur Journalismus umsetzen, sondern auch unser Geschäftsmodell. Journalismus funktioniert ja im Internet. Das ist kein Versagen der Journalisten. Aber keiner bezahlt dafür, alles ist umsonst.

Das ist falsch, wird ungefähr täglich falscher und selbst wenn es richtig wäre, wäre das nicht die Schuld von ARD und ZDF.

Es wird sich kaum ändern, dass Menschen nicht zahlen wollen. Wie soll ein sinnvolles Modell mit Bezahl-Inhalten aussehen?

Nienhaus: Ich bin optimistisch — gerade bei mobilen Geräten. Aber der Markt wird zerstört. Wir können nicht ein Sportportal der WAZ kostenpflichtig machen, wenn in der Sportschau nicht nur alles gezeigt, sondern eben auch beschrieben wird.

Die Frage hat er natürlich nicht beantwortet. Aber wenn die Zukunft der WAZ davon abhängt, dass niemand im Internet kostenlos beschreibt, was in der „Sportschau“ zu sehen ist, ist die WAZ tot.

Sie haben in den vergangenen Jahren 300 Stellen in der Redaktion gestrichen. Planen Sie auch wieder in Journalismus und in Köpfe zu investieren?

Ich glaube, man tut Nienhaus nicht unrecht, wenn man die vielen Sätze, die er anstelle einer Antwort sagt, mit „Nein.“ zusammenfasst. Als Euphemismus für „Stellen streichen“ benutzt er „kreativ werden“.

Wie sieht es mit Ihren Internetaktivitäten unter DerWesten aus? Können Sie mit den öffentlich-rechtlichen Anstalten mithalten?

Nienhaus: Nein, in keiner Weise können wir konkurrieren. Das ist ja gerade das Ärgernis. Der Staatsrundfunk hat zig Millionen zur Verfügung, die haben wir natürlich nicht.

Die „WAZ“ kann im Internet „in keiner Weise“ mit ARD und ZDF konkurrieren? Nicht einmal bei der Lokalberichterstattung aus dem Einzugsgebiet, die ich jetzt naiv für die ureigene journalistische Aufgabe der „WAZ“ und ihres Internetangebots gehalten hätte?

Und: Meint Nienhaus eigentlich, wenn ARD und ZDF nur Filme im Internet zeigen dürften, bekäme „der Westen“ ein großes Stück von den Millionen des „Staatsrundfunks“? Oder wäre es dann nur so, dass sich das Publikum eher mit der — nach seiner eigenen Aussage — minderwertigen Qualität der „WAZ“-Produkte abgeben würde und müsste?

Ich halte viele der Positionen der Verlagslobby im Kampf gegen ARD und ZDF oder Google für falsch, aber das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass man über diese Positionen kaum ernsthaft streiten kann, weil die Debatte beherrscht wird von ahnungslosen Lautsprechern wie Nienhaus, der eigentlich nicht satisfaktionsfähig ist und dem tatsächlich in einem Interview über ARD und ZDF im Internet auf die Frage, was ARD und ZDF Schlimmes im Internet machen, nur einfällt: „Partnerschaftsportale, Jugendseiten, alles Mögliche!“

Und Nienhaus ist ja nicht allein — obwohl neben ihm ein Mann wie Springer-Außenminister Christoph Keese fast vernünftig und kenntnisreich wirkt. Keeses Satisfaktionsfähigkeit können Sie aktuell an einem Eintrag in seinem Privatblog überprüfen, in dem er eine lustige Verschwörungstheorie um die Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht (IGEL) entwickelt (ich unterstütze IGEL).

[Offenlegung: Ich arbeite frei für die FAZ. Dies ist meine private Meinung.]

Spätes Debatten-Opfer

Das Drama um einen abrupt gelöschten Blog-Eintrag auf „Welt Online“ über Kai Diekmann (die Älteren werden sich erinnen) hatte noch personelle Konsequenzen: Der Verlag Axel Springer hat sich von Philip Steffan getrennt, der als Moderator für „Welt Debatte“ gearbeitet hat.

Grund für die Trennung, die Steffan in seinem Blog „Schattenraum“ als „Rauswurf“ bezeichnet, obwohl sie formal im „gegenseitigen Einvernehmen“ erfolgt sei, ist nach seinen Angaben ein Blog-Eintrag, den er damals geschrieben hatte. Er hatte darin die Entscheidung von „Welt“- und „Welt Online“-Chef Christoph Kesse, den pointierten Text Alan Poseners kommentarlos löschen zu lassen, kritisiert:

Poseners Artikel ist nun mal nicht mehr zu verstecken, also hätte man im Hause die Zähne zusammenbeißen und seinen Stolz herunterschlucken können und vermutlich auch noch Lob eingefahren, einen selbstkritischen Diskurs offen zu führen.

Offiziell gestoßen hätten sich die Springer-Leute aber nicht an der Kritik und Offenheit Steffans, sondern an einem Screenshot vom „Welt“-Online-Redaktionssystem, der eigentlich eine Illustration ohne inhaltliche Brisanz darstellte. Der Screenshot habe jedoch nach Ansicht von Springer einen Verstoß gegen das Datenschutzgesetz dargestellt und als Grundlage für die Trennung gedient, schreibt Steffan.

Ein interessantes Detail der Geschichte ist, dass der Verlag offenbar Wochen brauchte, Steffans vermeintlich heiklen Blog-Eintrag überhaupt zu entdecken — obwohl er damals überall verlinkt worden war.

Steffans Fazit:

Es wird schwierig bleiben für Verlage im Informationszeitalter, wenn Macht und Know-how weiterhin so diametral über die Hierarchie verteilt sind.

Totes Watchblog, gutes Watchblog

Gestern „empfahl“ die „Welt Online“ noch BILDblog:

Heute nicht mehr:

Und wer auch immer bei Springer dachte, es sei für ein Online-Angebot der Axel-Springer-AG doch besser, nicht auf uns zu verlinken, hat sorgfältig gearbeitet. Ursprünglich begann nämlich die zweite „Blogempfehlung“ nach BILDblog, die für Watchblog.de, mit den Worten:

„Im Gegensatz zum Bildblog und der Spiegelkritik versucht sich [sic!] die Redaktion von Robert John die gesamte Medienszene in Deutschland kritisch zu beobachten (…).“

Auch in dieser Beschreibung ist nun der Hinweis auf BILDblog (und Spiegelkritik) verschwunden.

Und lustig daran ist vor allem, dass das erste Medienblog, das „Welt Online“ nun empfiehlt, eines ist, das es in seiner ganzen Lebensdauer auf nicht mehr als zehn Einträge geschafft hat — und seit einem Dreivierteljahr tot ist.

Fit für Axel Springer

Die Axel-Springer-Akademie „will Journalisten fit für das digitale Medienzeitalter machen“, sagt sie. Und deshalb lässt sie ihre Journalistenschüler auch bloggen.

Also, nein, natürlich nicht richtig, gottogottogott, wer weiß, was die dann schreiben! Nein, das Blog der Axel-Springer-Akademie heißt „jepblog“ — „jep“ wie „Jan-Eric Peters“, dem Direktor der Akademie. Und Peters schreibt auf, was seine Journalistenschüler aufgeschrieben haben. Er formuliert dann etwa: „Journalistenschülerin Margita Feldrapp schreibt über…“ und dann kann man einen oder zwei Absätze lang lesen, was Journalistenschülerin Margita Feldrapp womöglich in ihr Blog schrübe, wenn sie eines hätte. Aber muss sie ja nicht, sie darf ja in das von Jan-Eric Peters.

Bemerkenswert ist, was den Journalistenschülern bei Axel Springer offenbar beigebracht wird: Sie scheinen zu lernen, Fragen über Gut und Böse „mal dahinzustellen“ (mutmaßlich dahin, wo sie einem bei der Arbeit nicht dauernd im Weg stehen). Die Verantwortung für das, was sie so publizieren, geben sie entweder dem Leser, dem sie ja das liefern müssen, was er verlangt. Oder den Politikern, in deren Intrigen sie sich willfährig einspannen lassen müssen: Die „Veröffentlichung der Seehofer-‚Affäre'“ (zum strategisch für Seehofer ungünstigsten Zeitpunkt, wohlgemerkt) sei jedenfalls „eine logische Konsequenz der Spielregeln, derer sich Politiker bedienen“. Sagt „Bild am Sonntag“-Chef Claus Strunz, sagt Journalistenschülerin Anna von Bayer, sagt Jan-Eric Peters.

Das ist die digitale Zukunft Gegenwart laut Springer: Schuld sind immer die anderen, und warum selbst aufschreiben, wenn es der Chef machen kann?

(Dass man Peters als Journalistenausbilder schon dafür würgen möchte, dass er über die „Tagesthemen“-Moderatorin und mögliche Christiansen-Nachfolgerin schreibt: „Will Anne?“, ist natürlich noch ein anderes Thema.)

Nachtrag: Thomas Knüwer fürchtet sogar, das jepblog könnte bei den Journalistenschülern Neurosen auslösen.