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„Ich steh direkt hinter den Polizisten mit gezogener Waffe“: Der Terror-Porno des „Stern“

Wollen Sie auch mal so richtig hautnah dabei sein, bei einem Terroreinsatz, live, wenn man noch nicht weiß, ob es gut ausgeht, mittendrin, teilweise kaum einen Meter hinter den Polizisten, die mit gezogenen Waffen ein Viertel durchkämmen, in einer gefährlichen, unklaren Situation, voller Adrenalin, atemlos, ahnungslos, aber im Zweifel immer in der Schusslinie, unmittelbar hinter den Polizisten, die, angespannt, nervös und verfolgt von einem Pulk von Verrückten mit Kameras, die Straßen sichern und irgendjemanden suchen, jagen, man weiß es nicht?

Dank „Stern“ können Sie das jetzt endlich.

Der „Stern“-Reporter Philipp Weber war heute in Saint Denis unterwegs, und er hat gemacht, was angeblich die Zukunft des Journalismus ist: Er hat über Periscope live gestreamt. Ein besonders aufregendes Videodokument hat der „Stern“ unter dem Titel „Plötzlich mitten im Anti-Terroreinsatz“ auf seiner Seite veröffentlicht. Halten Sie sich fest.

Okay, something is going on here. I just follow the crowd. Ich verfolge die Leute da hinten, ich hab keine Ahnung, was da los ist.

Man weiß nicht, was hier los ist, aber ich verfolge einfach …

Oh oh, die Polizei, die Polizei rückt vor. Polizisten mit gezogener Waffe. Polizisten mit gezogener Waffe. Gehen vor und …

Polizisten mit gezogener Waffe gehen hier lang. Man weiß nicht, was sie suchen. Ich steh direkt hinter den Polizisten. Direkt hinter den Polizisten mit gezogener Waffe.

I don’t know what’s going on here. Policemen with weapons. Running. They are very scared. I don’t know what’s going on. I just follow them. I don’t know, I don’t know if it’s dangerous or not. I don’t know. I just follow them. I’m directly behind the policemen.

Ich weiß nicht, was hier passiert. Ich weiß auch nicht, ob das gefährlich ist. Ich verfolge hier den Polizisten.

Also die Polizei scheint hier, die Polizei scheint hier, gerade irgendwie alles zu räumen. Offensichtlich gab’s hier nen Hinweis. Keine Ahnung, was hier passiert, aber ich verfolge die …

Die Polizei ist sehr angespannt, das ist extrem angespannte Lage hier. Extrem angespannt. Extrem angespannte Lage hier.

Polizisten mit gezogener Waffe.

Aber ganz ehrlich, ich glaube eigentlich, dass hier nichts ist. Obwohl die Polizei hier mit gezogener Waffe direkt vor mir steht, glaube ich nicht, dass hier irgendwas ist. Es wirkt mir …

Ja, also, die Lage hier ist extrem angespannt. Ich weiß nicht, was hier passiert, keine Ahnung. Aber, ich versuch, die Polizei weiter zu verfolgen. Ja, keine Ahnung.

Ja, Philipp Weber ist mein Name, ich bin Reporter vom „Stern“. Ich bin live hier in Saint-Denis. Wo heute Nacht ne Razzia stattfand, und die Lage ist immer noch extrem angespannt. Gerade eben haben hier Polizisten mit gezogener Waffe ne ganze Straße geräumt, und sie sind auch jetzt noch unterwegs, man kann überhaupt nicht einschätzten, was hier gerade passiert. Ich kann, ich weiß nicht, was das Ziel der Polizei ist, was sie gerade wollten, aber sie haben de facto extrem nervös reagiert, haben die Türen von Autos zugeschlagen, von Leuten, die aussteigen wollten. Und haben ne Straße ähm geräumt.

Das ist das unverantwortlichste Stück Journalismus, das ich seit langem gesehen habe, und obwohl ich dem Online-Ableger des „Stern“ unter Chefredakteur Philipp Jessen wirklich vieles zutraue – das übertrifft meine wildesten Albträume.

Da ist ein Journalist, der nach eigenem Bekunden nichts weiß über die Situation, in der er sich befindet, außer dass sie vermutlich sehr gefährlich ist. Der sich nicht nur selbst in Gefahr bringt, sondern womöglich auch die Polizisten, die er „verfolgt“. Der immer wieder wie besoffen wiederholt, dass er direkt hinter einem Polizisten mit gezogener Waffe steht, mit gezogener Waffe, und keine Sekunde überlegt, ob das eigentlich gut ist, dass er hier steht mit seinem Handy im Anschlag, und filmt und rennt und filmt.

Und als wäre das als Live-Situation schon nicht schon heikel genug, veröffentlicht es die Redaktion hinterher noch ohne jeden Kontext auf der Internetseite. Nichts erfährt der Zuschauer aus diesem Video darüber, was hier los war, wer von den Polizisten gesucht wurde und warum, ob die Situation wirklich so gefährlich war oder warum womöglich nicht. Es ist ein reiner Terror-Porno, den der „Stern“ seinen Zuschauern zum gemeinsamen Aufgeilen zur Verfügung stellt.

Ich halte es für unverantwortlich, dass ein Journalist in dieser Weise sich und andere in Gefahr bringt. Ich halte es für unverantwortlich, dass die „Stern“-Redaktion ihre Reporter dazu ermuntert und die obszönen Ergebnisse dieser Arbeit veröffentlicht. Ich möchte nicht, dass Polizisten bei solchen Einsätzen von Pulks aus filmenden „Reportern“ begleitet werden, und ich möchte nicht live dabei sein, direkt hinter dem Polizisten mit der geladenen Waffe, als würde ich irgendwelchen YouTubern gerade bei einem Ego-Shooter-Spiel zugucken.

Ich möchte mir nicht ausmalen, wenn es bei einem solchen Einsatz zu Toten oder Verletzten kommt, weil sich herausstellt, dass die Polizisten da tatsächlich aus gutem Grund mit gezogener Waffe herumlaufen und es gar nicht die beste Idee ist, sich da selbst in die Schusslinie zu bringen, das Smartphone in der Hand, atemlos schnaufend die eigene Aufgeregtheit und Überforderung kommentierend. Was, wenn einer aus der Horde dieser Schau- und Filmlustigen dann im Weg steht?

Und bevor der Einwand kommt, dass das nun mal das Wesen von Reportern ist, dass sie dabei sind, dass sie beobachten und berichten, auch wenn es brenzlig wird, dass es eben nicht reicht, das alles vom heimischen Sofa aus zu kommentieren – ich glaube nicht, dass dieser Film und diese Art des Filmens irgendetwas mit Journalismus zu tun hat. Es geht hier nicht darum, zu berichten, was passiert – und dass der VJ nicht weiß, was passiert, sagt er ja ununterbrochen. Es geht hier ausschließlich ums Mittendrin-statt-nur-dabei-Sein, um einen obszönen Nervenkitzel.

„Stern“-Umfrage zeigt: Mittelgroße Zahl von Deutschen findet irgendwas mit Lügenpresse

Vielleicht liegt es an mir. Man könnte ja die Meldung, die in dieser Woche groß die Runde machte, wonach 44 Prozent der Deutschen den „Lügenpresse“-Vorwurf für berechtigt halten, einfach als groben Hinweis nehmen, dass es vermutlich eine stattliche Zahl ist, und ob es nun in Wahrheit ein paar Prozentpunkte mehr oder weniger sind und was genau diese 44 oder 34 oder 54 Prozent eigentlich finden – Gott, es ist halt nur eine Forsa-Umfrage.

Andererseits müsste es doch möglich sein, eindeutig zu berichten. Der „Stern“ müsste es doch schaffen, die Ergebnisse einer von ihm selbst in Auftrag gegebenen Umfrage so darzustellen, dass man weiß, was die Leute gefragt wurden und was sie geantwortet haben. Das kann doch nicht zuviel verlangt sein?

Was steckt also genau hinter der „Stern“-Behauptung, 44 Prozent der Deutschen teilten den „Lügenpresse“-Vorwurf von Pegida? Laut Grafik lautete die den Befragten vorgelegte Aussage: „Die von oben gesteuerten Medien verbreiten nur geschönte und unzutreffende Meldungen“. Im Artikel heißt es, die 44 Prozent hätten mehr oder weniger der Aussage zugestimmt, dass „die Medien in Deutschland ‚von ganz oben gesteuert‘ würden und deshalb ‚geschönte und unzutreffende Meldungen‘ verbreiteten“.

Ist das wirklich dasselbe? Natürlich verbreiten die von oben gesteuerten Medien nur geschönte Meldungen. Aber ist damit gesagt, dass „die Medien“ von oben gesteuert sind?

Der Mathematik-Professor Gerd Bosbach meint, dass die da zusammengefassten Aussagen schon so unsinnig sind, dass „vernünftige Menschen spätestens an der Stelle aus der Befragung aussteigen und sagen, wenn ihr so einen Quatsch fragt, kriegt ihr von mir auch keine Antworten“.

Fragt man beim „Stern“ nach, wie genau die Aussage formuliert war, stellt sich heraus, dass der Wortlaut noch etwas anders war:

„Unsere Medien werden von ganz oben gesteuert und verbreiten nur geschönte und unzutreffende Meldungen.“

Das ist immer noch eine Kombination von mehreren Aussagen, aber, gut, wer dem zustimmt, will wohl sagen, dass „unsere Medien“ insgesamt oder im Allgemeinen „von ganz oben gesteuert“ sind. Aber warum steht das dann nicht wörtlich im Text? Warum riskiert man, dass nicht nur ich über solche Widersprüche stolpere?

Merkwürdig ist auch, dass es laut der Grafik zwar möglich war, den Statements ganz oder eher zuzustimmen; bei der Ablehnung gab es aber keine Abstufung. Auf Nachfrage stellt sich heraus, dass das keineswegs so war. Der „Stern“ hat in der grafischen Darstellung nur die Werte für „eher nicht“ und „überhaupt nicht“ zusammengezogen, „da für uns vor allem die Zustimmung von Interesse war“.

Über der „Stern“-Grafik steht die Frage: „Stimmen Sie diesen Positionen der ‚Pegida‘-Demonstranten zu?“ Wenn Sie jetzt annehmen, dass das die Frage war, die auch Forsa gestellt hat, irren Sie. Laut „Stern“ wurden die Leute zuerst allgemein zu den Pegida-Demos befragt. Die einzelnen Aussagen wurden dann aber vorgestellt als Sätze, die man hin und wieder in Zusammenhang mit Flüchtlingen höre, die nach Deutschland kommen. Es wurde nicht darauf hingewiesen, dass es sich „ausschließlich um Aussagen aus dem Pegida-Kontext handelt, da wir hier die Haltung der Leute zu den Positionen – und nicht zu der Organisation ergründen wollten“. Interessant: Auch beim „Stern“ sieht man also, dass es einen Unterschied machen kann, ob man eine Aussage als „Pegida-Aussage“ deklariert – ignoriert das aber dann bei der Präsentation der Ergebnisse.

Schließlich ist auch die Formulierung der anderen Aussagen, zu denen die Befragten Stellung nehmen sollten, grenzwertig (mal angenommen, sie waren so formuliert, wie der „Stern“ behauptet, was man ja, wie gesehen, nicht voraussetzen kann). Der „Stern“ beruhigt seine Leser, dass bis auf den „Lügenpresse“-Vorwurf es kaum nennenswerte Zustimmung zu den Pegida-Positionen gebe. Aber ist das angesichts der Art, wie sie formuliert sind, wirklich ein Wunder? „Thomas de Maizière soll der Teufel holen“? „Die Flüchtlinge sollen sich untereinander bekämpfen und totschlagen. Dann haben wir Ruhe vor dem Pack“? „Dieses Rattenpack bringt nur Unruhe, Gewalt, Ignoranz und Krankheiten in unser Land. Deutsche müssen deshalb für ihr Land kämpfen“?

Und warum haben Forsa und der „Stern“ dann nicht auch die Frage nach den Medien in ähnlichem Stil formuliert und mindestens nach der „linksversifften Lügenpresse“ gefragt?

Wie gesagt: Mag sein, dass es an mir liegt und ich das zu genau nehme. Aber warum veröffentlicht der „Stern“, wenn er sich schon die redaktionelle Nachbearbeitung und Umformulierung von Umfragendaten vorbehält, nicht die einzelnen Ergebnisse im Detail im Netz? Womöglich, weil es dann nicht mehr so einfach ist, sie redaktionell nachzubearbeiten?

Was soll denn helfen gegen das Misstrauen, das Journalisten zur Zeit in Deutschland entgegenschlägt, wenn nicht Genauigkeit und Transparenz?

Der „Stern“ gratuliert Helene Fischer mit einem Evergreen zum Geburtstag

Die wichtigste Nachricht ist heute: Helene Fischer hat Geburtstag. Sie wird 31 Jahre alt. Und weil Helene Fischer viele Fans hat, lohnt es sich, Artikel über sie und ihren Geburtstag zu schreiben, weil die vielen Fans dann da drauf klicken. Deshalb haben heute verschiedene Redaktionen Geburtstagsartikel geschrieben.

Und der „Stern“ macht online groß damit auf:

Screenshot stern.de 5.8.2015

Und vor einem Jahr schrieb der „Stern“ zum Geburtstag:

Screenshot stern.de 5.8.2015

Huch, das ist ja ungefähr dasselbe. Eigenartig.

Ach, das liegt vielleicht daran, dass es auch derselbe Text ist wie vor einem Jahr: selber Autor, dieselben sieben Gründe, nur ein paar kleine Änderungen am Anfang.

Voriges Jahr „wird sie als Superstar gefeiert“ – dieses Jahr „wird sie als Superstar bejubelt“. Voriges Jahr füllt sie „bei ihren Auftritten in Deutschland mehr Hallen als Beyoncé oder Elton John“ – dieses Jahr füllt sie „mehr Hallen als Beyoncé oder U2“. Aber sonst hat es sich der Redakteur aus dem Ressort Unterhaltung leicht gemacht und das dünne Geburtstags-Textchen von damals bloß noch mal neu verpackt und wieder veröffentlicht, ganz oben, als Aufmacher auf der Startseite.

Screenshot stern.de 5.8.2015

Vielleicht veröffentlicht der „Stern“ den Text nächstes Jahr erneut. Und im folgenden Jahr wieder. Und immer so weiter. Es würde allerdings helfen, wenn er im (leicht umformulierten) Ursprungs-Satz „Am Dienstag feiert Fischer ihren 30. Geburtstag“ nicht nur das Alter, sondern auch den Wochentag aktualisierte.

(Obacht: Nächstes Jahr ist ein Schaltjahr.)

Nachtrag 19.48 Uhr. Der „Stern“ hat festgestellt, dass heute Mittwoch ist und das im Text entsprechend geändert.

Forsa-Chef Güllner entkräftet Kritik von drei Leuten an seiner Umfrage

Manfred Güllner, der Chef des Meinungsforschungsinstitutes Forsa, hat am Wochenende im Deutschlandfunk Stellung genommen zur Kritik an den Methoden einer „Stern“-Umfrage. Unter dem Hashtag #forsafragen hatten sich viele Menschen auf Twitter über die Art der Fragestellung lustig gemacht, bei der man nur zwischen den Alternativen wählen konnte, Merkel für ihre Griechenland-Politik zu loben oder für einen erzwungenen Grexit zu sein. Auch renommierte Sozialforscher hatten Forsa handwerkliche Fehler vorgeworfen.

Martin Zagatta, Deutschlandfunk: (…) Ihr Institut ist ja zu dem Ergebnis gekommen in der jüngsten Umfrage, glaube ich, die Mehrheit hier in Deutschland sei mit Merkels Griechenland-Kurs zufrieden und vor allem vielen Anhängern der Grünen gefalle die Griechenland-Politik von Frau Merkel. Das ist von Experten ganz heftig kritisiert worden. Bleiben Sie bei diesen Aussagen oder war da die Fragestellung doch etwas verkürzt?

Manfred Güllner: Nein. (…) Wir haben ja hier tatsächlich danach gefragt, ob das, was Merkel an dem konkreten Wochenende gemacht hat, von der Mehrheit der Menschen gebilligt wird, und das ist eindeutig gebilligt worden, da gibt es ja auch andere Zahlen. Und die Kritik kam ja nur von drei Leuten, wenn ich das richtig sehe. Das eine war Herr Niggemeier, nun, dem haben wir mal versucht …

Zagatta: Ein Blogger.

Güllner: Ja, der schreibt ab und zu mal irgendwas …

Zagatta: Ja, der bekannteste Blogger in Deutschland.

Güllner: Ja, was heißt Blogger? Wir müssen auch immer sehen, repräsentieren die Blogger nun auch 80 Millionen Menschen in Deutschland und über 60 Millionen Wahlberechtigte. Und wenn da Herr Niggemeier mal ein paar Leute lesen, ist das ja weiß Gott nicht die Mehrheit.

Zagatta: Ja, aber Ihre Umfrage ist ja auch kritisiert worden von relativ renommierten Universitätsprofessoren.

Güllner: Ja, das sind zwei Leute. Ich habe gerade einen davon, das Buch hier, das ist der Herr Diekmann, der ein Buch über empirische Sozialforschung geschrieben hat, was ich meinen Studenten immer nicht empfehle zu lesen, weil es ein merkwürdiges Buch ist. Der sagt beispielsweise, um 1.000 Leute zu befragen, braucht man drei Wochen. Stellen Sie sich mal vor, wir würden für Sie eine Umfrage machen und würden Ihnen in drei Wochen Ergebnisse liefern, dann ist das doch schon längst im Hut! Nein, das sind Leute, die ich natürlich kenne und wie gesagt …

Zagatta: Ja, Herr Güllner, in diese Fachdiskussion will ich mich auch gar nicht einmischen!

Wer gegen den „Grexit“ ist, muss für Merkel sein: Wie der „Stern“ und Forsa Stimmung für die Union machen

Die Nachrichtenagenturen dpa und AFP meldeten am Dienstagnachmittag, dass die Mehrheit der Deutschen mit Angela Merkels Griechenland-Verhandlungen zufrieden sei. Sie liefern sogar noch ein bemerkenswertes Detail: Ganz besonders einverstanden mit Merkel seien die Anhänger der Grünen. Und selbst unter Wählern der Linken gebe es eine Mehrheit für Merkels Kurs.

Das scheint erstaunlich. Aber nur, wenn man nicht die besondere Art kennt, wie das Institut Forsa im Auftrag von „Stern“ und RTL die Frage gestellt hat. Forsa fragte nämlich nicht, wie man annehmen könnte, ob man mit Merkels Vorgehen in Sachen Griechenland ganz / ein bisschen / kaum / gar nicht zufrieden ist. Die Umfrage bot laut „Stern“-Politikchef Lorenz Wolf-Doettinchem als Alternative, dass man entweder Merkels Griechenland-Politik gut findet. Oder meint, dass sie Griechenland aus dem Euro hätte zwingen sollen.

Die Möglichkeit, Merkels Politik zu kritisieren, weil sie zu hart gegenüber Griechenland auftrat, bot die Umfrage nicht.

Wenn die Grünen-Anhänger sich in einem besonders hohen Maß für die Antwort-Option entscheiden, dass Merkel gut verhandelt habe, kann das also auch bloß bedeuten, dass besonders viele von ihnen gegen einen erzwungenen „Grexit“ sind.

Forsa hat die Frage so formuliert, dass jeder, der einen erzwungen „Grexit“ ablehnt, seine Zufriedenheit mit Merkel ausdrücken – oder „weiß nicht“ sagen muss. Das wäre auch die Option, die zum Beispiel jemand wie der Wirtschaftswissenschaftler Paul Krugman wählen müsste, der – nicht als einziger – von Merkel forderte, einen „weniger zerstörerischen“ Plan für Griechenland vorzulegen. In der Welt von „Stern“ und Forsa kann man nur noch härter mit Griechenland umgehen als die Bundesregierung.

Schon die Formulierung der beiden Antwortmöglichkeiten ist unseriös und manipulativ. Noch irreführender wird es aber, wenn man die Alternative weglässt, wie es die Nachrichtenagentur AFP getan hat. Die vermeldete die vermeintlichen Forsa-Erkenntnisse heute so:

Merkels Griechenland-Politik gefällt vielen Grünen-Anhängern – Umfrage zeigt parteiübergreifende Unterstützung

Hamburg (AFP) – Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bekommt für ihr Vorgehen in der Griechenland-Krise gute Noten von den Wählern – vor allem von den Anhängern der Grünen. In einer am Dienstag veröffentlichten Forsa-Umfrage im Auftrag von „Stern“ und RTL bescheinigten 55 Prozent aller Befragten der Kanzlerin, sich beim Krisenmanagement alles in allem richtig verhalten zu haben. Von den befragten Grünen-Anhängern waren sogar 75 Prozent mit Merkels Vorgehen zufrieden – und damit mehr als in Merkels eigener Partei: Unter den Anhängern der Union gaben 66 Prozent der Kanzlerin gute Noten.

Dass Merkel sich in der Griechenland-Krise richtig verhalten habe, fanden auch 62 Prozent der SPD-Anhänger und immerhin 53 Prozent der Linken-Sympathisanten.

Dass die Befragten sich entscheiden sollten zwischen einer Zustimmung für Merkel und einem „Grexit“, ließ AFP einfach weg.

Bei dpa liest es sich immerhin so:

Mehrheit mit Merkels Griechen-Kurs zufrieden – Auch Grüne und Linke

Berlin (dpa) – Nach der jüngsten Einigung in der griechischen Schuldenkrise ist die Mehrheit in Deutschland mit dem Kurs von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zufrieden. 55 Prozent der Bundesbürger sind nach einer Forsa-Umfrage im Auftrag des Magazins „Stern“ der Auffassung, dass sich Merkel alles in allem richtig verhalten habe. 31 Prozent meinen, sie hätte Griechenland zum Ausstieg aus dem Euro zwingen sollen, 14 Prozent haben dazu keine Meinung.

Dass es auch Menschen geben könnte, die zu der Frage nicht keine, sondern eine andere Meinung haben, ist auch in der dpa-Welt nicht vorgesehen.

Die genaue Fragestellung, die kritischen Beobachtern immerhin die Möglichkeit geben würde, eine Erklärung für die merkwürdigen Umfrage-Ergebnisse zu finden, hat keiner der Beteiligten veröffentlicht. Wolf-Doettinchem, der Ressortleiter Politik und Wirtschaft beim „Stern“, sieht darin auch keine Notwendigkeit. Auf Nachfrage twitterte er lapidar:

Wolf-Doettinchem verteidigte die Fragestellung als seriös; es handle sich „um ein erstes Stimmungsbild“. Zur Auswahl hätten für die von Forsa Befragten „die beiden Alternativen“ gestanden, „über die in Brüssel verhandelt wurde“.

CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn nahm die Vorlage dankbar auf:

[via Andreas Kappler, Pressesprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag]

Korrektur, 1:00 Uhr. Anders als ich geschrieben hatte (und als AFP meldet), war RTL nicht an diesem Teil der Umfrage beteiligt.

Nachtrag, 13:10 Uhr. Die Agentur dpa hat eine berichtigte und ergänzte Version ihrer Meldung versandt. Darin erläutert sie unter Bezug auf „Stern“-Ressortleiter Wolf-Doettinchem die Fragestellung der Umfrage und zitiert ausführlich die Kritik daran von Grünen-Politikern.

Auf Twitter erklärte dpa:

Nachtrag, 18:25 Uhr. Forsa-Chef Manfred Güllner verteidigt auf und für stern.de die Fragestellung und wirft mir „ideologische Verbohrtheit und Ignoranz“ vor.

Nachtrag, 16. Juli. „Hannoversche Allgemeine“, „Neues Deutschland“, „Handelsblatt“, „taz“, „Süddeutsche Zeitung“ zum Thema.

Waterboarding für den gemeingefährlichen Irren! Deutsche Journalisten über Claus Weselsky

Böser noch als Yanis Varoufakis ist natürlich Claus Weselsky. Mein Kollege Tobias Rüther hat für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ Wortmeldungen deutscher Journalisten über den GDL-Chef gesammelt. Es ist ein beeindruckendes Dokument, das man vielleicht auch bei der nächsten Diskussion hervorholen könnte, in der sich Journalisten darüber beklagen, was für ein schlimmer, unsachlicher Pöbelton im Internet herrscht. Es bestärkt den Verdacht, dass das eigentliche Problem, das viele Journalisten mit sogenannten Shitstorms haben, darin besteht, dass sie das Monopol darauf verloren haben.

Eine kleine Auswahl:

Irrlichternd bewegt sich Claus Weselsky durch die Welt, die für ihn eine Bühne ist – bei seinen öffentlichen Auftritten immer mehr ähnelnd jenem „großen Diktator“ aus Charlie Chaplins Schwarzweißfilm – und riesigem Erfolg aus dem Jahre 1940. Irgendwie zum Lachen, aber bitter, sehr bitter. Verwurzelt ist der Chef der Loklenkergewerkschaft GDL natürlich nicht in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sondern eher in den östlichen sechziger oder siebziger Jahren desselben. Was es damals an Streikrecht in der DDR nicht gab (brauchte ja auch keiner im Arbeiterparadies), will der Dresdner nun mit Gewalt nachholen. Wozu hat er all die politischen Seminare gemacht und die Kampfkraft der proletarischen Massen studiert? Da müsste doch nun im Westen mal mindestens der Ehrentitel des Größten Lokführers aller Zeiten herausspringen.

Reinhard Schlieker, ZDF, in seiner Kolumne für „Börse am Sonntag“.
 

#Weselsky ist die ideale Kombination aus SED-Borniertheit und DGB-Hochmut. So findet im 25. Jahr der Einheit zusammen, was zusammengehört

Jan Fleischhauer („Spiegel“) auf Twitter.
 

Würde den Herrn Weselsky ja gerne mal einem Waterboarding unterziehen – allerdings: Bei diesen Zugtoiletten …

Günter Klein („Münchner Merkur“) auf Twitter.
 

Seit 90 Minuten aufm Heimweg. Um es auf den Punkt zu bringen: dem #Weselsky haben sie ins Hirn geschi…!

Florian Witte („Bild“) auf Twitter.
 

Ich sag’s ja nur ungern. Aber dem wahnsinnigen Weselsky sind jetzt alle Sicherungen durchgebrannt. Wer stoppt den gemeingefährlichen Irren?

Christian Deutschländer („Münchner Merkur“) auf Twitter.
 

Der Mann hat es geschafft, innerhalb weniger Monate einen Sympathiewert zu erreichen, der irgendwo zwischen Darth Vader und dem griechischen Finanzminister pendelt. Sollte seine Mission sein, als unbeliebtester Deutscher des neuen Jahrtausends prämiert zu werden, kommt der Mann mit dem sächsischen Dialekt gut voran. Es steckt eben eine Menge Esel in Weselsky. Ich wünsche ihm, dass er bald abgesetzt wird und nur noch daheim mit seiner Lego-Lok Streik spielen kann.

Jürgen Schwandt in der „Hamburger Morgenpost“.
 

Die Geißel des Landes (#GDL) schlägt heute wieder zu. Wer stoppt den Terror des Kommandos Claus #Weselsky? #Bahnstreik

Franz W. Rother („Wirtschaftswoche“) auf Twitter.
 

GDL-Chef Claus Weselsky ist nicht einfach nur der Buhmann. Der Mann hat ein psychologisches Problem. Er braucht Hilfe.

Christoph Rottwilm online im „Manager Magazin“.
 

Claus Weselsky, man muss das leider so krass sagen, führt sich auch im reichlich gesetzten Alter von 55 Jahren nicht wesentlich anders auf als das kleine Arschloch der großen Pause, dem es irgendwann gleichgültig zu sein scheint, dass ihn keiner mag. Er legt es regelrecht darauf an, zur Hassfigur Nummer eins der Republik zu werden. Mister 109 Stunden. Der Mann, der für seine Ziele die Republik stillstehen lässt. So etwas maßt sich sonst keiner an. Wahrscheinlich empfindet sich Weselsky als so etwas wie ein Freiheitskämpfer. Aber das tun die Salafisten auch.

Andreas Hoidn-Borchers auf stern.de.

Der Katastrophentext über James Franco

Es ist ja gerade erst Mitte Februar, aber im Rennen um den dämlichsten Artikel des Jahres hat der „Stern“ schon mal beeindruckend vorgelegt. Die Geschichte, die das Magazin kürzlich im Netz veröffentlicht hat, handelt von einer Berlinale-Party des Schauspielers James Franco. „Durch Zufall“ hatte der „Stern“ eine der „begehrten Einladungen“ für die Supersause „ergattert“ und gleich mal zwei Leute hingeschickt: eine Autorin und noch eine „Kollegin“ – man kann ja nie wissen.

Screenshot stern.de 24.2.2015

„Das Katastrophengespräch mit James Franco“ steht über dem Bericht, der kein Bericht ist, sondern ein kühl hingeduztes Briefchen an James Franco. Und es stimmt: Es ist wirklich ein Katastrophengespräch.

James Franco, dieser 36-jährige „Alleskönner“ und „intellektuelle Poet“, der „mehr als 100 Filme“ gedreht und einen Master of Fine Arts gemacht hat, dieser James Franco ist dem „Stern“ nicht geheuer. Zu Beginn des Textes könnte man kurz meinen, die Illustrierte würde, wie sie vorgibt, „hinter die Fassade“ blicken wollen, mal eben auf einer Party, um der Welt zu zeigen, wer dieser Typ tatsächlich ist.

Stimmt aber nicht, auch wenn das eigentliche Ziel nicht minder aufklärerisch ist:

Egal, es gibt für mich nur eine Mission. Ich will ein Selfie mit dir. Für mich natürlich, hauptsächlich aber auch, um es allen ins Gesicht zu drücken.

Bäm! Ein Selfie, um es anderen „ins Gesicht zu drücken“. Um diese Mission zu meistern, sollte man natürlich vorbereitet sein, wie immer bei wichtigen Terminen mit heikler Aufgabenstellung:

Eine Frage stellt sich als erstes: Was zum Geier soll ich bloß anziehen?

Aber echt. Zum Glück ist die Frage schnell geklärt. Es kann losgehen.

Als ich mich sonntags in einem schwarzen Lederrock und enganliegendem, schwarzen Top auf den Weg mache, fange ich an zu zweifeln. Wird dich das überzeugen?

Eine drängende Frage unserer Tage, im „Stern“ erstmals formuliert: Werden ein enganliegendes Top und ein Lederrock James Franco überzeugen, mit der Frau vom „Stern“ ein Selfie zu machen? Man ist gespannt und darf lesend beobachten, wie die Autorin verselbstzweifelt über die Party kurvt.

Ich nehme mir mein drittes Glas Champagner und suche unauffällig den Raum nach dir ab. Möglichst cool schlendere ich umher, und auf einmal stehst du da.

Es ist der Wahnsinn. James Franco steht plötzlich auf seiner eigenen Party, doch der Autorin „blockiert“ völlig überraschend das Gehirn. So steht das da. Also macht die Kollegin, die die Autorin begleitet, was man so macht auf einer Unterstufenparty: Sie zieht sie zu Franco hin und fragt, ob ihre Freundin mal ein Foto mit ihm machen dürfe. Und wenn es bis hierhin vor allem peinlich war, wird es jetzt peinlich ernst.

Du legst deine Hand tröstend auf meinen Arm und schüttelst mit dem Kopf. „Nein, tut mir leid. Dann wollen hier alle ein Foto.“

An dieser Stelle muss etwas kaputt gegangen sein beim „Stern“. Denn auf dieser Ablehnung Francos fußt die ganze Empörung und Enttäuschung dieses Textes, die nun darin gipfelt, dass der „Stern“ ganz beiläufig unterstellt, James Franco habe einen Hang zu minderjährigen Frauen. Oder eins zu eins zitiert:

Irritiert siehst du mich an und fragst: „Was machst du?“. „Ich studiere Literatur an der Uni in Berlin“. „Was studierst du?“. „Ähm Literatur“. Willst du mich verarschen? Jetzt gucke ich irritiert. „So where is your school?“, fragst du. Ich verstehe nur cool und antworte superlässig, „Yeah, it’s cool“. Was? Was war deine Frage? Verwirrung breitet sich aus. Die Frage nach meiner „Schule“ lässt dir wohl keine Ruhe, wieso bist du so auf meine Schule fixiert? Was glaubst du, wie alt ich bin? Mir fällt der Skandal mit der 17-Jährigen ein, die du über Instagram zu einem Date überreden wolltest. Du guckst mich nur an und streichelst meinen Arm. Puh, das nimmt hier aber eine ganz komische Wendung.

Allerdings: Puh!

Der „Stern“ meint offenbar, hier eine Art Brüderle-Moment erlebt zu haben, der aber noch pikanter ist, weil es, anders als bei Brüderle, um Minderjährige geht.

Die Geschichte mit der 17-Jährigen, mit der Franco gechattet hat, stimmt. Sie wurde vor gut einem Jahr publik und entfachte eine Diskussion inklusive Shitstorm. Am Ende bat Franco um Entschuldigung, aber die Geschichte haftet ihm an – obwohl auch spekuliert wurde, der Chat sei bloß PR gewesen für den Film „Palo Alto“, in dem Franco einen Lehrer spielt, der etwas mit einer minderjährigen Schülerin anfängt. Der erste Trailer wurde – was Zufall sein kann oder Kalkül – am selben Tag veröffentlicht, an dem auch die Chat-Geschichte aufkam. Der „Stern“ verlinkt sogar einen alten „Stern“-Artikel, in dem es um jene Zweifel an der Chat-Geschichte geht:

Doch die Skepsis an der Geschichte wächst – es wäre nicht das erste Mal, dass ein Hollywood-Star die Medien austrickst, um sich in die Schlagzeilen zu bringen.

Und selbst wenn die alte Geschichte wahr ist – was hat Franco auf der Party gemacht? Der „Stern“ reitet darauf rum, dass Franco die Autorin gefragt habe, wo ihre „school“ sei. Dabei glaube ich, dass Franco, der Amerikaner, gar nicht jene Schulen meinte, auf die minderjährige Deutsche gehen. In den USA kann man literature auch an „schools“ studieren, ähnlich wie sie an Drama Schools Schauspiel lernen. Die wenigsten Schüler dort sind minderjährig.

Aber darüber hat beim „Stern“ offenbar niemand nachgedacht. Und so passt es ja auch viel besser in die schlüpfrige Geschichte, in deren Verlauf Francos – anfangs noch tröstende – Hand auf dem Arm der Autorin eine ganz andere Bedeutung bekommt.

Vielleicht sollte man von Glück reden, dass die Begegnung mit Franco ein jähes Ende nimmt, als sich „eine etwa 1,80 Meter große Frau mit prallen Lippen und riesigen Brüsten“ zwischen ihn und den „Stern“ schiebt. Hätte Franco es später nicht gewagt, doch noch ein Selfie zu posten, auf dem er unter anderem mit der unglaublich minderjährigen Courtney Love zu sehen ist, was am Ende des „Stern“-Textes ein beleidigtes Raunen erzeugt und einen lustigen Appell:

Jeder träumt doch von Mr. Perfect. Ich für meinen Teil habe dich durchschaut Franco. Wenn du mir das Gegenteil beweisen willst, melde dich gern und wir führen unser Gespräch fort.

Ich weiß nicht, wie streng sie beim „Stern“ Texte (von HospitantInnen) redigieren, bevor sie veröffentlicht werden, aber es deutet einiges darauf hin, dass sie die Texte nicht mal lesen. Ich bin allerdings auch etwas  verwirrt gerade. Als ich heute twitterte, wie dämlich der Text sei, antwortete der Chef des Berliner „stern.de“-Büros:

Weil ich kurz einen Schreck bekam, Kinkel könnte mich meinen, bin ich noch mal durch den Text gelaufen, auch zwischen den Zeilen, ich habe sogar einzelne Wörter hochgehoben, um drunter nachzuschauen, aber ich habe nirgends Ironie gefunden.

„Mit ein paar kleinen Hotelangestellten sollte einer wie er leicht fertig werden“

Man findet tolle Sachen, wenn man sich ein bisschen im Archiv durch die Berichterstattung über Christian Wulff wühlt. Zum Beispiel einen großen Text aus dem „Stern“ vom 23. Februar 2012, also aus der Woche nach dem Rücktritt des Bundespräsidenten.

Hans-Martin Tillack, Johannes Röhrig und Bernd Gäbler schrieben unter der Überschrift „Der falsche Freund“ über den einen Mann, über den Wulff gestürzt sei: den Filmproduzenten David Groenewold.

Darin heißt es:

Schon 2004 koproduzierte er — mit 250 000 Euro an niedersächsischen Steuermitteln — den TVFilm „Tsunami“. Darin löst ein skrupelloser Geschäftemacher in der Nordsee Unterwassersprengungen aus und damit „eine gigantische Tsunami-Riesenwelle, die auf Sylt zurollt“.

Am Ende wird natürlich alles gut. Sylt steht heute noch. Mitsamt dem schönen „Hotel Stadt Hamburg“. Seit 14 Tagen ist bekannt, dass Wulff und seine Bettina im Herbst 2007 dort drei Tage lang zusammen mit Groenewold urlaubten. Die Rechnung des damaligen Ministerpräsidenten — 804 Euro — übernahm Groenewold.

Der Politiker will die Zeche in bar erstattet haben. Trotzdem drängte Groenewold Mitte Januar beim „Hotel Stadt Hamburg“ darauf, auf keinen Fall Informationen an Journalisten zu geben — angeblich, weil er den Sachverhalt erst selbst prüfen wollte.

Mit ein paar kleinen Hotelangestellten sollte einer wie er leicht fertig werden. Auch wenn Groenewold erst 38 Jahre alt ist, hat er jahrzehntelange Erfahrungen in besseren Kreisen. Sein Vater, der Berliner Steueranwalt Erich Groenewold, hatte Anfang der 80er Jahre den Kinoerfolg „Christiane F. — Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ mitfinanziert.

Nun ja, „bekannt“ war die Sache mit dem gemeinsamen Urlaub damals nicht seit zwei Wochen (als „Bild“ darüber berichtete), sondern seit vier Wochen (als der NDR darüber berichtete), aber das ist, zugegeben, läppisch.

Atemberaubend finde ich aber den Satz über Groenewold: „Mit ein paar kleinen Hotelangestellten sollte einer wie er leicht fertig werden.“ Die „Bild“-Zeitung hatte, wie gesagt, den Eindruck erweckt, Groenewold habe Dokumente beiseite geschafft, um den gemeinsamen Urlaub zu vertuschen. (Das Hotel bestritt dies.) Vor diesem Hintergrund liest sich der Satz für mich wie eine Andeutung, dass Groenewold unzulässigen Druck auf die „kleinen Hotelangestellen“ ausgeübt hat. Wie soll das zu verstehen sein, dass „einer wie er“ leicht mit ihnen „fertig wird“?

Ich habe das heute Vormittag Hans-Martin Tillack gefragt. Seine Antwort:

Der von Ihnen zitierte letzte Satz bedarf keiner Interpretation.

Ah. Nicht.

Ich habe Tillack weiter gefragt:

Sie schreiben in Ihrem Blog, dass in de[r] „Bild“-Zeitung vom 8.2.2012 „in der Tat zu Unrecht der Eindruck erweckt [wurde], Wulffs Freund David Groenewold habe versucht, bei einem Hotel in Sylt Originale von Rechnungen verschwinden zu lassen“. Hat der „Stern“ diesen falschen Eindruck Ihrer Meinung nach nicht erweckt?

Hat der „Stern“ diesen falschen Eindruck je korrigiert?

Seine Antworten:

Wir haben weder geschrieben noch den Eindruck erweckt, Herr Groenewold habe versucht, Originale verschwinden zu lassen. Wie man aus der von Ihnen zitierten Passage etwas anderes herauslesen können soll, erschließt sich mir nicht.

Da wir nie den falschen Eindruck erweckt haben, Herr Groenewold wolle Originale verschwinden lassen, mussten wir ihn auch nicht korrigieren. Auch Herr Groenewold oder seine Anwälte haben uns nie entsprechende Vorwürfe gemacht und sind nie gegen uns vorgegangen.