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Mit Mistelpräparaten gegen Krebs: Die ARD wirbt wieder für Pharma-Unternehmen

Vor dreieinhalb Jahren deckte der Journalist Volker Lilienthal auf, dass in Serien, die von ARD-Firmen produziert und im Ersten ausgestrahlt worden waren, jahrelang systematisch und rechtswidrig Schleichwerbung betrieben wurde. Gegen Geld konnten zum Beispiel Pharma-Unternehmen in der Krankenhaussoap „In aller Freundschaft“ ganze Handlungsstränge bestimmen. Bis zu 30.000 Euro pro Folge zahlten die Firmen dafür, dass zu bestimmten Krankheitsbildern passende Wirkstoffe genannt wurden.

Das war 2005 – zufällig dem gleichen Jahr, in dem die ARD damit begann, nachmittags die Telenovela „Sturm der Liebe“ auszustrahlen. Deren Handlung wird in diesen Tagen von der Leukämie-Erkrankung der Figur der Viktoria Tarrasch bestimmt. Oder genauer: von der angeblich viel versprechenden Wirkung von Mistel-Präparaten im Kampf gegen den Krebs.

„Sturm der Liebe“, Folge 789, 18. Februar 2009:

Viktoria: Du hast mir doch von der Misteltherapie erzählt. Wie funktioniert die genau?
Fred: Möchtest du dir doch keine dritte Chemo antun?
Viktoria: Jedenfalls keine hochdosierte, die mein Knochenmark komplett zerstört.
Fred: Transplantation.
Viktoria: Die letzte Chance, sagt meine Ärztin.
Fred: (lacht) Jaja, die lieben Möchtegerngötter in Weiß. (ernst) Was eine Mistel ist, weißt du.
Viktoria: Die Zweige mit den weißen Beeren, die man zu Weihnachten aufhängt.
Fred: Unter denen der Herr die Dame küssen darf, genau. Aus denen wird ein Extrakt gewonnen. Das kannst du entweder als Tropfen einnehmen oder unter die Haut spritzen.
Viktoria: Und das hilft gegen Krebs?
Fred: Die Krankheit schreitet langsamer voran oder bildet sich im günstigsten Fall sogar zurück, ja.
Viktoria: Im Ernst?
Fred: Was nicht heißt, dass du schmerzfrei bist. Dagegen musst du noch was andere nehmen.
Viktoria: Aber es ist erwiesen, dass die Misteltherapie anschlägt?
Fred: Es gibt Studien dazu, ja, und vor dir sitzt ein lebender Beweis.
Viktoria: Weil die Ärzte dir vor einem Jahr nur noch ein paar Wochen gegeben haben.
Fred: Genau. Und jetzt sitze ich hier mit dir in diesem wunderschönen Hotelzimmer und genieße das Leben.

(Später. Fred besucht Viktoria und bringt ihr ein Paket mit.)

Fred: Für dich.
Viktoria: Was ist das?
Fred: Das Mistelpräparat. Ich war grad in der Apotheke und da dachte ich, ich bring dir gleich mal was mit.
Viktoria: Danke.
Fred: Du warst gestern so interessiert, und ich hatte mir überlegt, bevor du dich in die Klauen der klassischen Medizin begibst, kannst du’s ja einfach mal ausprobieren.
Viktoria: Wenn bei mir die Therapie genau so gut anschlägt wie bei dir, sehen mich die Ärzte nie wieder.
(Beide lachen.)

„Sturm der Liebe“, Folge 790, 19. Februar 2009:

(Viktorias Bruder Felix versucht, seiner Schwester ins Gewissen zu reden und sie zu der Knochenmarkstransplantation zu raten.)

Felix: Bitte, überleg dir, was du machst!
Viktoria: Recherchier du lieber im internet. Es gibt tausend Studien zur Misteltherapie. Und ihre Erfolge.

(Viktorias Bruder Felix besucht ihre Ärztin.)

Felix: Ich versteh‘ nicht, wieso Sie meiner Schwester diesen Unsinn nicht schon längst ausgeredet haben.
Ärztin: Ich wusste nichts davon!
Felix: Dieser Neumann verblendet sie total mit seinem Humbug.
Ärztin: Naja. Misteltherapie. Ist bei Leukämie kein geeigenetes Mittel, da geb ich Ihnen Recht.
Felix: Aber?
Ärztin: Naja, es gibt Tumorerkrankungen, da hat man tatsächlich eine Besserung feststellen können. Aber immer nur als begleitende Therapie.
Felix: Das hab ich auch gelesen.

(Die Ärztin besucht Viktoria.)

Ärztin: Ich habe gehört, dass Sie sich selbst behandeln mit einem Mistelpräparat.
Viktoria: Stimmt.
Ärztin: Darf ich mir das mal ansehen?
Viktoria: Wozu? Sie halten es sicherlich auch für wirkungslos.
Ärztin: Nein, das würde ich so nicht sagen. Welche Dosierung nehmen Sie denn?
Viktoria: Ich halte mich genau an die Anweisungen im Beipackzettel.
Ärztin: Da kann man nämlich viel falsch machen, und dann ist das Präparat wirkungslos.
Viktoria: Sie denken also nicht, dass die Misteltherapie unsinnig ist?
Ärztin: Neinnein, bei manchen Krebserkankungen hat man ganz gute Erfolge damit.
Viktoria: Also kann ich es weiter nehmen?
Ärztin: Sie haben es von einem anderen Patienten?
Viktoria: Ja. Fred Neumann. Er ist Gast hier im Haus. Er ist wirklich unglaublich. Fred hatte einen Hirntumor, und die Ärzte haben ihn vor über einem Jahr abgeschrieben. Seitdem er es nimmt, geht es ihm wieder gut. Ja, und ich fühl mich auch schon wieder viel besser.
Ärztin: Frau Tarrasch, das freut mich. Aber Ihr Körper erholt sich gerade von der letzten Chemotherapie, und das empfinden Sie als Besserung. Die Mistel-Therapie schützt die noch gesunden Zellen, deshalb kann sie in manchen Fällen begleitend zur Schulmedizin angewendet werden.

Nun muss man wissen, dass die Wirkung von Misteln in der Krebstherapie sehr umstritten ist. Das Deutsche Krebsforschungszentrum urteilt: „Bis heute fehlen zweifelsfreie wissenschaftliche Beweise dafür, dass Mistelpräparate das Tumorwachstum hemmen oder gar Tumore heilen können.“ Dass dank Misteltherapie Krebspatienten länger lebten, sei „nicht belegt“, mögliche Nebenwirkungen seien nicht erforscht. Fazit: „Nach wie vor ist umstritten, ob und wie die Mistelpräparate Krebserkrankungen überhaupt beeinflussen – mit guten wie mit schlechten Folgen für den Patienten.“

Mistelpräparate, die Linderung und mögliche Hemmung der Tumorbildung versprechen, sind in Deutschland rezeptfrei in Apotheken erhältlich. Die Dialoge aus „Sturm der Liebe“ lesen sich bis ins Detail wie Werbefilme für diese Produktgattung – bis hin zum ins Drehbuch eingearbeiteten Hinweis, dass die Misteltherapie selbstverständlich nur ergänzend zu einer klassischen Therapie angewandt werden darf.

Alles, was sich ein Hersteller wünschen würde, ist vorhanden: Immer wieder, sogar in den Programmtexten, fällt der zentrale Begriff „Misteltherapie“. Empfohlen wird das Mittel von einem Krebskranken, der ihm die Verantwortung dafür gibt, überhaupt noch am Leben zu sein. Er demonstriert gleich, wie einfach das Präparat in der Apotheke zu bekommen ist. Später wird der betroffene Zuschauer fast unverhohlen dazu aufgefordert, im Internet nach vermeintlichen Beweisen für die Wirksamkeit zu suchen. Und selbst die Schulmedizinerin behauptet am Ende, dass die Mistel „ganz gute Erfolge“ verzeichnen könne – und ihre ganze Skepsis lässt sich auf die Warnung reduzieren, die Packungsbeilage zu beachten und den Arzt oder Apotheker zu fragen.

Eine Zuschauerin, die sich beim SWR und der ARD über die Schleichwerbung beschwerte, bekam von der Zuschauerredaktion unter anderem zur Antwort, um Schleichwerbung könne es sich ja deshalb schon nicht handeln, weil Schleichwerbung Werbung für ein Produkt sei: „Eine Misteltherapie ist jedoch kein Produkt und wird auch nicht im Zusammenhang mit einem bestimmten Firmennamen erwähnt.“ Die ARD bekomme „auf keinen Fall Geld dafür“, dass sie die Misteltherapie in „Sturm der Liebe“ erwähne, denn: „Dafür hat die ARD eigens eine Clearing-Stelle gegen Schleichwerbung aufgebaut.“

In der Tat. Das war eine Konsequenz aus der Aufdeckung des Schleichwerbeskandals 2005. Man fragt sich, was diese Stelle wohl macht, wenn ihr nicht einmal komplette Handlungsstränge und minutenlange Dialoge auffallen, die so offenkundig im Dienst der Pharma-PR stehen wie die Mistelkampagne im „Sturm der Liebe“.

Produziert wird „Sturm der Liebe“ von der Bavaria. Das ist die ARD-Tochterfirma, die 2005 im Zentrum des Schleichwerbeskandals stand.