Schlagwort: Süddeutsche Zeitung

Ist die Dschungelshow nur was für Doofe?

Dinge, die so sind, wie man sich das immer gedacht hat, sind oft gar nicht so.

Die „Süddeutsche Zeitung“ zum Beispiel schrieb am vergangenen Freitag über „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“:

Je gebildeter ein Zuschauer, desto weniger interessiert ihn die Dschungelshow, brachte die Zuschauerforschung hinsichtlich der beiden ersten Staffeln heraus. Es wird niemanden überrascht haben. Eigene Misere befördert die Bereitschaft, Gefallen an Programmen wie diesem zu finden, bei denen es am Ende eben um Erniedrigung, Zirkus, Gladiatorenkämpfe und um Sadismus geht.

Reflexion und Rache eigenen Nicht-Genügens und selbst erfahrener Kränkungen: Ich bin ein Star – Holt mich hier raus! ist das Fernsehen der Gekränkten und Beleidigten.

Das ist ein bisschen kurzgeschlossen von „wenig Bildung“ auf „eigene Misere“, aber abgesehen davon: Stimmt das überhaupt? Ist die Dschungelshow eine Sendung für Doofe? Für Leute, die es nicht geschafft haben, einen so tollen Job zu haben wie die Autorin der „Süddeutschen Zeitung“?

Nicht ganz. In der merkwürdigen Debatte vor drei Jahren über das angebliche „Unterschichtenfernsehen“ schon sagte der damalige RTL-Geschäftsführer Gerhard Zeiler: „Die Dschungelshow haben mehr junge Akademiker eingeschaltet als die Tagesschau.“

Und auch bei der dritten Staffel, die am Freitag begann, geben die Zahlen wenig Anlass, von oben auf das Publikum herabzuschauen. Die „Süddeutsche“ hat zwar grundsätzlich Recht: Leute mit Abitur haben die ersten drei Shows weniger eingeschaltet als die nicht so gebildeten Menschen. Aber auch in dieser Gruppe betrug der Marktanteil 23,3 Prozent — mit anderen Worten: Fast jeder vierte Unter-50-Jährige mit Abitur, der zu dieser Zeit den Fernseher anhatte, schaute „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“. (Alle Angaben beziehen sich auf 14- bis 49-Jährige.) Auch nach dem beruflichen Status sortiert gibt es bei den Marktanteilen zwar ein Gefälle hin zur Elite, aber kein massenhaftes Abschalten. Ein Misserfolg ist die Dschungelshow nur bei den Über-50-Jährigen: Bei ihnen betrug der Marktanteil gerade einmal 9,6 Prozent.

Die Lust der Gutgebildeten und beruflich Etablierten auf den vermeintlichen Trash zeigt sich auch in absoluten Zahlen. Bei den jungen Leitenden Angestellten, Beamten und Selbstständigen waren die ersten beiden Folgen von „Ich bin ein Star…“ die meistgesehenen Sendungen des Wochenendes (14- bis 49-jährige, Freitag bis Sonntag). Zum Vergleich: „Anne Will“ sahen am Sonntag 50.000 Menschen aus dieser Alters- und Berufsgruppe; die dritte Folge von „Ich bin ein Star“, die etwas später begann, 120.000.

Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den 14- bis 49-Jährigen, die mindestens Abitur haben: In der Hitliste lagen an den drei Tagen „Tagesschau“, „Die Insel“, „Die Bourne Identität“, „Polizeiruf 110“ und „Wilsberg“ nach absoluten Zahlen vorne — aber dann folgten die Freitags- und Samstagsausgabe der Dschungelshow, weit vor Sendungen wie „heute journal“, „Weltspiegel“ oder „Politbarometer“.

Man kann es natürlich, wenn man will, für entsetzlich halten, dass selbst kluge und gut situierte Menschen solchen Schrott gucken. Man sollte nur nicht so tun, als wäre es anders.

Folklore, die im Zusammenspiel entsteht

„Sagen Sie mal, warum sind Sie eigentlich so fett: Ist das was Genetisches oder fressen Sie einfach so viel?“

…wäre natürlich auch eine interessante Einstiegsfrage für Dietmar Bär gewesen. Die „Süddeutsche Zeitung“ hat es dann in ihrem Interview mit dem Schauspieler aber doch ein bisschen anders formuliert:

SZ: Herr Bär, wäre es vermessen zu vermuten, dass Sie gerne essen?

Dietmar Bär: Nee, das ist ziemlich richtig. Mit zunehmendem Alter, wenn man seine Erfahrungschichten übereinanderlegt, wird man ja Nahrungsspezialist.

SZ: Dann sitzen wir nicht grundlos in einem Café dieser Straße.

Bär: Wieso?

SZ: In dieser Straße gibt es ein indisches, ein chinesisches, ein französisches Restaurant, eine Weinhandlung, einen österreichischen Spezialitätenladen, ein Reformhaus, einen Öko-Bäcker und einen deutschen Metzger. Sie wohnen hier.

Sagen Sie jetzt nicht, das sei ja ein merkwürdiges Interview. Also, sagen Sie es nicht, bevor Sie nicht Bärs Erwiderung kennen:

Bär: Nee. Das hier ist Charlottenburg. Ich wohne inzwischen in Wilmersdorf (…).

Oookay. Für mich wäre dies der Punkt im Gespräch gewesen, an dem ich im Stillen zu mir gesagt hätte: Gut, dass du für eine Zeitung arbeitest, da kannst du den peinlichen Anfang einfach streichen.

Man kann sich aber natürlich auch dafür entscheiden, so eine Art Zeitungs-Live-Interview zu führen, in dem man auch den größten Unsinn, der sich ergibt (insbesondere wenn der Interviewer wild entschlossen ist, kein normales Interview zu führen, sondern ein genial irrlichterndes, auf dem Grat zum Wahnsinn jonglierendes Gespräch), einfach eins zu eins dokumentiert.

Und wenn ich „Unsinn“ schreibe und „eins zu eins“, dann meine ich das nicht nur so als Floskel.

Bär: Sie haben sich Tee bestellt?

SZ: Ja.

Bär: Sind Sie auch Teetrinker?

SZ: Ja.

Bär: (Schaut auf die Uhr)

SZ: Mit Ihrer Agentin waren zwei Stunden vereinbart.

Bär: Ich gucke auf den Tee, wie lange er noch ziehen muss.

SZ: Oh.

Hat das was von Pinter?

Bei der folgenden Frage, gegen Ende des Gesprächs, weiß ich nicht einmal, ob ich in der Literaturwissenschaft oder der Psychologie nach Erklärungen suchen müsste, wie der zweite Satz zwischen die anderen gerutscht ist:

SZ: Sie haben einen Kölner Jubiläums-Tatort gedreht mit Ihrem Kollegen Klaus J. Behrendt. Deshalb trinken wir jetzt Tee. In diesem Film singt am Ende die Schauspielerin Anna Loos. Singt sie?

Ja, sie singt, schon seit vielen Jahren, aber reden wir doch lieber über Interessanteres.

Bär: Ich nehme noch einen Earl Grey.

SZ: Was ich überhaupt fragen wollte: Schauen Sie sich Kochsendungen an?

Bär: Klar. Besonders gerne Kerner.

SZ: Sicher wegen Johannes B. Kerner.

Bär: Wegen der vielen Köche, wegen der Folklore, die da im Zusammenspiel entsteht. Den Lafer habe ich sehr schätzen gelernt, und über allen steht Schubeck.

Hier endet das Gespräch.

Bildergalerien-Bingo

Heute spielen wir Bildergalerienbingo mit der „Süddeutschen Zeitung“. Die hat ein Interview mit Sandra Maischberger geführt, und auf ihren Internetseiten präsentiert sie es in der schönsten journalistischen Form, die sie kennt: als zehnteilige Bildergalerie.

Das kann man an sich schon, nun ja: unfreundlich finden. Aber die Leute von sueddeutsche.de haben sich noch etwas besonderes ausgedacht: Es stehen nicht Frage und Antwort zusammen, sondern jede Seite endet mit einer Frage. Die Antwort folgt, wie bei einem Cliffhanger, erst nach dem Klick.

Bestückt ist die Bildergalerie, logisch: mit Bildern von Sandra Maischberger. Und als kleine Übung in Qualitätsonlinejournalismus versuchen Sie jetzt mal, die Fotos denjenigen Themenblöcken im Interview zuzuordnen, die sie bebildern:
 

Abbildung: Maischberger mit… Interview-Thema
(A) Anke Engelke, Michel Friedman, Peter Scholl-Latour, Dt. Fernsehpreis (1) Nicht-Experten in Talkshows, Christiansen und Plasberg
(B) Georg Kofler (2) Helmut Schmidt
(C) Goldenem Panther, Bayerischer Fernsehpreis (3) Gästeakquise bei 4 ARD-Talkshows
(D) Stefan Aust (4) Maybrit Illner
(E) Dirk Bach, Moderation Dt. Fernsehpreis (5) Talk als Genre, Formatierung durch Plasberg

So, Konzentration: Welcher Buchstabe gehört zu welcher Zahl?

………

Na, wenn es leicht wäre, könnte es ja jeder.

………

Nicht spicken!

………

Hm? Sie sagen, da muss was schiefgelaufen sein? Da passt gar kein Foto zu keinem Thema? Aber von wegen!

Die Lösung lautet:

A5, B3, C4, D2, E1.

Und bestimmt ist das für die Verantwortlichen von sueddeutsche.de irgendwie zwingend.

Im Ernst: Was wir da sehen, sind nicht mehr die unsicher umherirrenden Versuche einer großen seriösen Tageszeitung, ihren Platz im Internet zu finden, das sie mehr als jede andere Zeitung, die ich kenne, fast ausschließlich als einen verkommenen, unwirtlichen und gefährlichen Ort beschreibt. Dieses Angebot scheint nur noch ein Ziel zu haben: Möglichst viele Leute anzulocken, die dumm genug sind, auf alles zu klicken, was sich anklicken lässt, und mit allem zufrieden zu sein, was sie dahinter finden, und sei es nichts.

Unter jedem einzelnen Interviewfragment mit Sandra Maischberger steht bei sueddeutsche.de dies:

Und das Ressort Kultur macht aktuell, von oben nach unten, mit folgenden Geschichten auf:

Darunter folgt dann tatsächlich, unfassbarerweise, ein aktueller Artikel über das Filmfestival von Venedig. Es muss sich um ein Versehen handeln.

Amoklauf in USA — Knut unverletzt

Fragt man Hans-Jürgen Jakobs, den Chef von sueddeutsche.de, was die wichtigsten drei Erfolgskriterien für Zeitungen im Netz sind, sagt er gerne: „Erstens Qualität, zweitens Qualität und drittens Qualität.“

Lustig.

Auf der Panorama-Seite von sueddeutsche.de ergibt sich aktuell (von oben nach unten, siehe Ausriss) folgende Nachrichtenlage:

Blutbad in Blacksburg
Liebesdrama löste Amoklauf aus

„Ich habe noch nie so viel Angst gehabt“

Mehr als 30 Tote bei Amoklauf an US-Hochschule
Bush kommt zur Trauerfeier

Video
Der Amokläufer von Virginia

Zahnschmerzen überstanden
Knut tobt wieder im Freien

Nach Amoklauf an US-Uni
Deutsche Austauschstudenten unversehrt

Nach Amoklauf in Blacksburg
Waffengesetze – Vorbild Australien?

Nun gibt es schon länger den Verdacht, dass die Ressortseiten von sueddeutsche.de nach einem komplizierten, von Menschen schwer zu durschauenden Qualitätssicherungsmechanismus gestaltet werden, aber, öhm, da würd ich doch noch mal händisch nacharbeiten. (Notfalls Knut-Content einzeln ganz nach oben setzen.)

Der Artikel, der mit der Überschrift „Video – Der Amokläufer von Virginia“ angekündigt wird, lautet übrigens so:

Auf YouTube gibt es zahlreiche Amateur-Videos von Studenten, die beim Massaker von Virginia dabei waren.

Das ist der vollständige Artikel. Und dann hat die sueddeutsche.de-Redaktion einfach mal drei YouTube-Videos eingebaut. Ohne Kommentar, ohne Einordnung, ohne weitere Anmoderation. Kann man natürlich machen, erschwert aber möglicherweise die Teilnahme an zukünftigen Podiumsdiskussionen zum Thema „Qualitätsjournalismus als Bollwerk gegen den kontextlosen YouTube-Schrott“ o.ä.

Wirklich erschütternd aber ist die große „Reportage“ zum Thema, die sueddeutsche.de allerdings von der Seite 3 der gedruckten Zeitung übernommen hat. Sie ist sicherlich unter größtem Zeitdruck entstanden, aber das allein erklärt nicht das Ausmaß, in dem es alle Seite-3-Traditionen und Qualitätsmaßstäbe der SZ verrät. Die Sprache: eine Mischung aus schlechtem Boulevard und billigem Krimiheft. Die Überschrift: „Auf dem Campus des Todes“.

Ich halte ja Kommentare bei solchen Nachrichtenseiten für überschätzt, aber in diesem Fall bin ich froh, dass es sie gibt. Eine Auswahl:

SZ-online ist im Niveau immer mehr gesunken, und wenn man die Hauptseite öffnet, meint man, man ist bei einer Boulevardzeitung gelandet.

Schon seit längerem stelle ich fest, wie sehr sich das Niveau der SZ-Online-Ausgabe einem Bildzeitungsniveau angleicht. … Doch die Art, wie jetzt über dieses entsetzliche Massaker berichtet wird, verschlägt mir den Atem.

Im besonderen der Artikel „Auf dem Campus des Todes“ mutet mehr wie ein Abenteuer-Kriminal-Roman oder ein Action-Movie-Drehbuch an.

Die Bild-Redaktion ist stolz auf sie.

Unsäglich! Man weiß schon gar nicht mehr, welchem Artikel man all diese SZ-Kritik anbringen soll. Jeder neue Ergänzung der Berichterstattung über die Tragödie scheint nur aufs Ausschütten von Sensationsgeilheitshormonen aus zu sein. Wurde die SZ im letzen Jahr verkauft?

Wenn ich Druck auf meiner Tränendrüse oder Stellvertreterdramen wünsche, dann schaue ich eines der zahlreichen Boulevardmagazine.

Das Niveau der SZ sinkt offentsichtlich in vielerlei Redaktionen schwer. Zynischer geht es ja wohl kaum. Wie ein Horrorfilmfreak.

bitte den artikel möglichst schnell von der seite entfernen – ist ja nicht auszuhalten.

Quo vadis Süddeutsche Zeitung?

Das ist ja echt enttäuschend, da wechsle ich auf die Webseite der Süddeutschen weil ich mir dort eine seriöse Berichterstattung erhoffe und finde ein Niveau vor das noch unter dem Nachrichtenticker meines ISP liegt. Unglaublich. Was soll denn das?

Bleibt (werdet wieder) serious Leute von der SZ!!!!!!!

Reißerisch wie die Zeitung mit den vier Buchstaben. Leider hate ich diesen Eindruck in letzter Zeit häufiger.

Ich habe mich über diesen Artikel so geärgert, dass ich meine Lesegewohnheiten überprüfen werde.

die berichterstattung ist aller unterstes Niveau.

Sind wir hier bei der Sueddeutschen Zeitung oder bei Explosiv?

Gute Fragen.

[via Indiskretion Ehrensache]

An einem aus Tischen geformten Quadrat!

Nach einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ hat Caren Miosga die besten Chancen, Nachfolgerin von Anne Will als Moderatorin der „Tagesthemen“ zu werden.

Dieser Satz hat 165 Anschläge und würde damit schon knapp ein Fünftel des Platzes füllen, den die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrer Dienstags-Ausgabe für eine Meldung zum Thema freigeräumt hat. Gut, die Kollegin könnte vielleicht die Konkurrentin „FAZ“ als Quelle weglassen, dann hätte sie noch etwa vier Sätze zur Verfügung, zu erklären, wer Frau Miosga ist und wer wann darüber entscheidet, ob sie wirklich Nachfolgerin von Anne Will wird.

Das wäre die eine Möglichkeit.

Die „Süddeutsche“ hat sich für eine andere erschienen. Ihre Caren-Miosga-Meldung beginnt so:

Ein bisschen sind sie schon stolz in Stuttgart auf ihr Funkhaus, das in seiner anthroposophischen Architektur manche Eigenheit verbirgt.

Zum Beispiel den großen Studiosaal, Ebene 7, der für Orchesteraufnahmen sehr geeignet ist, in dem aber auch einhundert Menschen Platz finden, und wenn es sein muss, neun Intendanten der ARD samt Programmdirektor und Mitarbeiterstab an einem aus Tischen geformten Quadrat untergebracht werden können.

Und an diesem Tisch-Quadrat wird Caren Miosga in Zukunft immer um 22.15 die Tagesthe… — nein: An diesem Tisch-Quadrat wird Anne Will in Zukunft immer sonntags ihre Talksh… — nee, auch nicht, sondern:

Am Montag wurde in dieser Runde auch über die Nachfolge von Tagesthemen-Moderatorin Anne Will diskutiert, …

Immerhin, das muss man sagen, bleibt die „Süddeutsche“ ihren Prioritäten treu. Nach einem einzigen Satz über Caren Miosga schwenkt sie wieder zurück auf die wirklich wichtigen Dinge und informiert uns zum Abschluss der kleinen Meldung noch, dass die Entscheidung heute „im 17. Stock, dem Sitzungszimmer von SWR-Chefs Peter Voß“ fallen wird.

(Ich find’s ja gut. Also, nicht den 17. Stock, sondern die Miosga. Ich werde Anne Will in den Tagesthemen ein bisschen weniger vermissen, wenn an ihrer Stelle Caren Miosga dasitzt. Aber das nur am Rande.)

Das große Nichts

Ich sehne mich nach Helmut Thoma. Das ist kein gutes Zeichen.

Ich sehne mich danach, dass irgendein deutscher Senderverantwortlicher etwas sagt, wofür man ihn lieben oder hassen kann. Der sich aus dem Fenster lehnt. Angreifbar macht. Okay, der letzte, der das getan hat, Marc Conrad, war nach 100 Tagen seine Stelle los.

Aber kann man diese Jobs wirklich ohne jede Leidenschaft machen? Ohne jede Vision? Ohne jeden Glauben an einzelne Programme? Ohne jeden Ehrgeiz, das Publikum für solche Sendungen zu begeistern? Ohne jeden Mut, eine Meinung zu haben, und sie auch zu äußern?

RTL-Geschäftsführerin Anke Schäferkordt hat in dieser Woche der „Süddeutschen Zeitung“ ein Interview gegeben, und sie sagt darin: nichts. Okay, sie kündigt ein, zwei Fernsehfilm-Projekte an, aber der Inhalt dieses mehrere Hundert Zeilen langen Gesprächs lässt sich verlustfrei in einer Kurzmeldung zusammenfassen. Es liest sich, als hätte Frau Schäferkordt sich nicht getraut, irgendetwas zu sagen, und hinterher wäre ihr Pressesprecher nochmal drüber gegangen und hätte auch das, was sie schon nicht gesagt hat, auch noch rausgestrichen. Aber vielleicht hatte Frau Schäferkordt auch einfach nichts zu sagen.

Auf die Frage, wie es kommt, dass der Vorsprung von RTL vor der Konkurrenz im Januar größer war als sonst, sagt sie: „Wir sind gewachsen, die Kollegen in München und Berlin haben verloren.“

Auf den Hinweis, dass die im „CSI“-Stil gedrehte RTL-Serie „Post Mortem“ rasant Zuschauer verliert, und die Frage, ob die Deutschen amerikanische Serien wie „CSI“ zu schlecht kopierten, antwortet sie: „Post Mortem basiert nicht auf CSI, sondern auf einem TV-Movie, das Ende der neunziger Jahre erfolgreich bei RTL lief und auch Post Mortem hieß.“

Auf den Hinweis, dass die Comedys am Freitagabend bei RTL nicht mehr so gut laufen wie früher, sagt sie: „Stimmt, in diesem Genre wird es einiges Neues geben“ und zählt zwei Serien auf.

Auf die Frage, ob RTL die Formel-1-Rechte behalten will, sagt sie: „Sport ist wichtig für uns, aber es gibt eine Schmerzgrenze beim Preis.“

Auf die Frage, ob RTL die Sonntagsspiele der Fußball-EM 2008 kaufen will, sagt sie: „Es ist möglich, dass wir über einige Spiele sprechen werden.“

Auf die Frage nach dem Verhältnis zu Günther Jauch nach dessen ARD-Flirt sagt sie: „Wir arbeiten weiter eng und gut mit Günther Jauch zusammen.“

Und auf die Frage, ob RTL den Krawall, den der Sender mit Dieter Bohlen und „Bild“ für „Deutschland sucht den Superstar“ veranstaltet, überhaupt nocht braucht, sagt sie erst: „Ich finde es gut, dass über unser Programm gesprochen wird.“ Und dann: „Das sind immer wieder nur Zitate aus den ersten drei Sendungen, über einige kann man sicher streiten.“

Nein, Frau Schäferkordt, kann man nicht. Mit Ihnen nicht. Genau das ist es ja. Sie sagen, „darüber kann man streiten“, um dann nicht darüber zu streiten.

Es ist undenkbar, dass Frau Schäferkordt wirklich sagen würde, welche Sprüche Bohlens sie wunderbar findet, welche an der Grenze und welche drüber. Es ist undenkbar, dass sie sich ernsthaft auf die Frage einließe, ob der Umgang mit den Kandidaten in der Sendung Auswirkungen auf den Umgang der Kinder auf den Schulhöfen miteinander haben könnte oder nicht. Es ist undenkbar, von ihr eine klare Aussage zu bekommen, wie sie das Profil von RTL sieht, wieviel Provokation sich der Sender leisten soll und wieviel gediegenen Mainstream und wie man beides unter einen Hut bekommen kann.

Und mehr oder weniger gilt das für die anderen Senderchefs genauso.

Bei keinem einzigen der Programme, die Schäferkordt aufzählt, spürt man so etwas wie Herzblut. Oder auch nur ein besonderes Interesse an diesem einen Film oder dieser einen Serie. Eine Ausnahme gibt es. Über „Deutschland sucht den Superstar“ sagt Sie zu dem Interviewer: „Das ist wahrscheinlich die glamouröseste Show, die Sie in Deutschland 2007 haben.“ Das kann sie nicht ernst gemeint haben.

Ich fürchte, da ist nicht nur die Angst, irgendetwas zu sagen. Sondern auch die Angst, irgendetwas zu tun. RTL ist bei der für Privatsender entscheidenden Zuschauerschaft mit riesigem Abstand Marktführer. Wer, wenn nicht RTL, kann neue Dinge ausprobieren, Ideen verwirklichen, Trends setzen, Visionen entwickeln, Vorreiter sein, etwas riskieren, auch mal Ausdauer zeigen, wenn es nicht so gut läuft, die anderen vor sich hertreiben? Stattdessen verhält sich RTL selbst wie ein Getriebener, immer gehetzt von den Renditeerwartungen der Besitzer einerseits und dem unberechenbaren Verhalten der Zuschauer andererseits.

Was für ein Drama: Die Fernsehmacher wissen nicht mehr, was die Zuschauer sehen wollen — und was sie senden wollen, haben sie längst vergessen.

Kornelius und das Internet, Folge II

Für alle, die glauben, bei dieser Auseinandersetzung sei es nur um eine vielleicht etwas unglückliche Formulierung gegangen und nicht um eine grundsätzliche Haltung —

Stefan Kornelius, 41, Außenpolitik-Chef der Süddeutschen Zeitung und in den 80er Jahren Gründungsmitglied einer Medienfachzeitschrift, schreibt heute erneut über die Folgen der Hinrichtung Saddam Husseins:

(…) in Houston erhängte sich ein Kind, offenbar weil es die im Internet verbreitete Hinrichtung nachspielen wollte.

An diesem Halbsatz stimmen alle Einzelteile: In Houston erhängte sich ein Kind. Es wollte offenbar die Hinrichtung nachspielen. Die Hinrichtung wurde im Internet verbreitet.

Trotzdem ist der Satz falsch. Er suggeriert, dass der Zehnjährige die Hinrichtung im Internet gesehen hat. Er hat sie aber nach übereinstimmenden Berichten im Fernsehen gesehen. Also in einer Fassung, die den Tod Saddams selbst nicht zeigt. Er hat die Aufnahmen außerdem offenbar am 30. Dezember gesehen. Das Video, das die Hinrichtung Husseins vollständig zeigt, ist aber erst am 31. Dezember im Internet aufgetaucht. Was der Junge sah, muss also aus dem „offiziellen“ Video stammen, das nicht im Internet, sondern von den Behörden selbst veröffentlicht wurde.

Was die „Seuche Internet“ mit diesem Todesfall zu tun hat, weiß Stefan Kornelius allein.

Danke an (einen anderen) Stefan K.!

E-Mail von Stefan Kornelius

[dies ist die Antwort auf diese E-Mail von mir]

Lieber Herr Niggemeier,

eigentlich hatte ich Sie als akkuraten Rechercheur und ernstzunehmenden Menschen in Erinnerung. Wenn Sie aber die Dinger derart undifferenziert aus dem Zusammenhang reißen und offenbar nicht ohne Profilierungsdrang öffentlich Häme verbreiten, dann haben Sie sich wohl verändert.

Mein Kommentar analysiert die Folgen der Filmaufnahmen von der Hinrichtung Saddam Husseins. Ein nicht unwichtiger Aspekt ist, dass die Bilder verbreitet wurden. dadurch erzielen sie eine große politische Wirkung – beabsichtigt oder nicht. Die „Seuche Internet“ beschreibt in diesem Zusammenhang genau das: Die extrem negativen Seiten des Mediums. Oder wollen Sie es etwa als Errungenschaft der Menschheit bezeichnen, dass ich eine Hinrichtung weltweit anschauen kann? Halten Sie es für einen moralischen Gewinn, dass mit Lynch-Bilder Politik gemacht wird? Ist es für Sie ethisch zwingend, dass all dies nun für Kinder zugänglich ist? Entschuldigung: Ich veröffentliche diese Bilder nicht auf Seite 1, so weit reicht die Differenzierungsgabe. Ich hatte auch einmal ein VHS-Gerät und habe trotzdem keine Kinderpornos gekauft.

Sorry, lieber Herr Niggemeier, Ihr Zynismus ist reichlich platt. Aber vielleicht nutzen Sie ja die Gelegeneit, um sich einzugestehen, dass auch das Internet, so sehr ich es selbst mag, das eine oder andere Problem aufwirft. Und übrigens: Sie bieten großzügig an, die Anwort auf Ihre mail zu veröffentlichen. Da Sie bereits die Mail selbst veröffentlicht haben und offenbar auf eine normale Kommunikation keinen Wert legen: Machen Sie doch damit, was Sie wollen.

Mit freundlichen Grüßen

Stefan Kornelius

E-Mail an Stefan Kornelius

Sehr geehrter Herr Kornelius,

Sie schreiben in Ihrem heutigen „SZ“-Kommentar im Zusammenhang mit dem Video von Saddam Husseins Hinrichtung von der „Seuche Internet“. Ich frage mich, ob das ein Tipp- oder Übermittlungsfehler war, ob beim Kürzen irgendeine ironische Distanzierung verloren gegangen ist — oder ob Sie das wirklich so meinen: Dass das Internet eine Art ansteckende Krankheit ist, eine Seuche, die Pest.

Würden Sie im Zusammenhang mit CDs mit rechtsextremen Texten, die Neonazis vor Schulen verteilen, auch von der „Seuche Musik“ sprechen? Muss man angesichts der antisemitischen Fernsehserien u.a. auf den Hisbollah-Sendern von der „Seuche Fernsehen“ reden? Finde ich in irgendeinem Archiv einen Artikel von Ihnen, in dem Sie wegen der Verbreitung von Kinderpornos die „Seuche VHS-Kassette“ anprangern?

Und ist es nicht interessant, dass im Internet ein Video wie jenes von Saddam Hussein zwar immer nur zwei Klicks entfernt ist, dass es aber immerhin zwei Klicks entfernt ist, während eine Zeitung wie „Bild“ ihren Lesern die besten Fotos daraus gleich auf Seite 1 zeigt und die Leser keine Wahl haben, ob sie die eigentlich sehen und vielleicht mit ihren Kindern angucken wollen oder nicht? (Ich würde deshalb trotzdem nicht von der „Seuche Zeitung“ reden.)

Mit freundlichen Grüßen
Stefan Niggemeier

[die Antwort auf diese E-Mail steht hier.]