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Die Nanny

Die Stille Treppe gibt es nicht mehr. Gut, vermutlich gibt es sie noch, millionenfach sogar, in deutschen Familien, als magische Allzweckwaffe gegen nervende Kinder und scheinbar moderne Version des klassischen Du-gehst-jetzt-in-dein-Zimmer-und-bleibst-da-bis. Aber im Fernsehen gibt es sie nicht mehr. Anscheinend schafft es die Super-Nanny von RTL, die die Stille Treppe nachhaltig in das Repertoire der deutschen Amateurerzieherinnen gebracht hat, die Blagen neuerdings ganz ohne ihren Einsatz zu zähmen.

Andere wären längt zur Karikatur ihrer selbst geworden, zur Inkarnation des blöden Sendungstitels. Katharina Saalfrank scheint es irgendwie geschafft zu haben, immer weniger zum Klischee zu werden, sich Freiräume zu erobern. RTL läßt es sogar zu, daß regelmäßig unkontrolliertes Fernsehen als Übel angeprangert wird. Fernsehen! Zwischendurch schien es manchmal, als suche ihr der Sender immer aberwitzigere Aufgaben, und als könnte die Nanny mit ein bißchen Ausdauer dafür sorgen, daß es keine Haareausreißer, Neonazis, Serienmörder im Land, ach was: in der Welt gäbe. Aber gleichzeitig verschob sich die Botschaft Saalfranks: Weg von bizarren Methoden und falschen Patentrezepten hin zum miteinander Reden, sich gegenseitig ernst nehmen. An guten Tagen wirkt es manchmal, als sei Saalfrank nicht Komplizin dieser Fernsehleute, die wie eh und je gnadenlos draufhalten, sondern schütze die Familien sogar vor ihnen. Das ist natürlich eine perfide Illusion. In einer sehr verstörenden Szene rastete vor kurzem eine Mutter völlig aus, schrie, schlug um sich, brach zusammen. Die Kameras wichen keinen Zentimeter zurück, aber Saalfrank hielt die Frau fest, sank mit ihr auf den Boden und ließ ihr meterlanges schwarzes Haar wie einen Vorhang über die Frau fallen. Und man fühlte sich als Zuschauer wie ein schrecklicher Voyeur und verfluchte sich und die Kameraleute und den zynischen Regisseur, der all das nicht herausgeschnitten hat, und kam doch nicht umhin, die Nanny dafür zu lieben.

In dieser Woche besuchte sie nach sechs Monaten noch einmal zwei besondere Härtefälle. Und entweder hat RTL neue Schauspieler für die Rollen der Kinder gecastet, oder die Veränderung der Familiensituation ist wirklich phänomenal und dauerhaft. Aber, hey, es ist Fernsehen: Kann natürlich sein, daß beide das letzte halbe Jahr auf der Stillen Treppe verbracht haben.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung