Schlagwort: Sven Felix Kellerhof

Über Heilmann und die Wikipedia

Sven Felix Kellerhoff hat in einem Artikel in der „Welt“ formuliert, was er daran, dass sich der Politiker Lutz Heilmann (Die Linke) erfolgreich gegen Behauptungen in der Wikipedia über ihn gewehrt hat, besonders bemerkenswert findet:

Besonders bemerkenswert ist zudem, dass mit Heilmann ein ehemaliger hauptamtlicher Mitarbeiter des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit die Mittel des Rechtsstaates einsetzt, um seine Persönlichkeitsrechte schützen zu lassen.

Was für ein verräterischer Satz.

Die Logik ist mir vertraut: aus der Schwesterzeitung „Bild“, die regelmäßig an unserer Verfassung verzweifelt (die sie und ihr Verlag sonst ebenso regelmäßig gegen die Linke glauben verteidigen zu müssen), wenn sie fassungslos zusehen muss, dass unser schönes Recht einfach so von jedem dahergelaufenen Penner, Kinderschänder und Mörder in Anspruch genommen werden kann. Sogar von ehemaligen Terroristen!

Und so argumentiert nun also auch der Journalist und Autor Sven Felix Kellerhoff. Wäre es Herrn Kellerhoff lieber, wenn ehemalige Stasi-Mitarbeiter weiter die Mittel des Unrechtsstaates nutzen, also spitzeln, verleumden und bedrohen? Findet er es eine Zumutung, sich die Mittel des Rechtsstaates nun mit ehemaligen Stasi-Mitarbeitern teilen zu müssen? Hat man, wie das Altpapier der „Netzeitung“ als Interpretation vorschlägt, „als ehemaliger Mitarbeiter des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit naturgemäß seine Menschenrechte mit dem Vollzug der Deutschen Einheit verwirkt“? Oder ist sein Besonders-bemerkenswert-Satz nur ein ebenso kindisches wie Alt-Springereskes Na-Na-Nana-Na: Wir haben gewonnen und Du musst Dich sogar erniedrigen und unseren Rechtsstaat benutzen?

Dieser Sven Felix Kellerhof ist übrigens anscheinend leitender „Welt“-Redakteur für Zeit- und Kulturgeschichte.

· · ·

Ich finde an der Debatte über Heilmanns Vorgehen gegen Wikipedia und die Häme, die fast reflexartig über ihn ausgeschüttet wird, einen anderen Aspekt interessant, den auch Christian Stöcker bei „Spiegel Online“ anspricht: Welche Alternative hätte Heilmann gehabt, um gegen (angenommen) falsche Behauptungen über ihn vorzugehen? Die Standardantwort, dass bei der Wikipedia ja jeder selbst mitschreiben, redigieren und löschen kann, ist falsch. Schon der bloße Verdacht, dass der Betroffene selbst oder ein Mitarbeiter sich an seinem eigenen Eintrag zu schaffen gemacht hat, reicht, um empörte bis hysterische Reaktionen auszulösen.

Aber was ist richtige Weg, gegen Fehler oder problematische Formulierungen in der Wikipedia vorzugehen?

Ich weiß es nicht. Ich fürchte aber, ich weiß, welcher Weg funktioniert.

Denn Andreas Englisch, der Vatikan-Korrespondent der „Bild“-Zeitung hat es geschafft. Sein Wikipedia-Eintrag ist frei von jeder Kritik. Zum Beispiel frei von jedem Hinweis darauf, dass Herr Englisch leider wiederholt Fehlmeldungen liefert. Oder darauf, dass der Leiter der deutschsprachigen Radio-Vatikan-Redaktion, Pater Eberhard von Gemmingen, erklärt hat: „Herr Englisch liefert leider wiederholt Fehlmeldungen.“

Das stand einmal in Englischs Wikipedia-Eintrag. Aber dann scheint jemand die Wikipedia aufgefordert zu haben, diesen Hinweis zu löschen. Und ein Mitarbeiter des Support-Teams der Wikipedia hat diesen Hinweis gelöscht und erklärt, BILDblog dürfe in diesem Zusammenhang nicht mehr als Quelle verwendet werden.

Tatsächlich war der gelöschte Absatz zwischenzeitlich vielleicht ungenau formuliert: als offizielle Kritik von Radio Vatikan, nicht als Stellungnahme von Gemmingen. Aber auch eine korrigierte Version wurde von dem Wikipedia-Mitarbeiter wieder gelöscht.

Doch das Zitat Gemmingens stimmt. Es war die Antwort des Leiters der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan auf eine Presseanfrage von BILDblog an die offizielle E-Mail-Adresse deutsch@vatiradio.va. Wir stehen zu dem Zitat. Und Gemmingen hat uns — nach einigem Hin und Her — am Ende unmissverständlich mitgeteilt, dass er keine Löschung seines Zitates mehr wünsche.

Wir sind nicht der Meinung, dass Andreas Englisch ein Recht darauf hat, dass sein Wikipedia-Eintrag frei von Kritik ist. Wir haben den Dialog mit der Wikipedia gesucht. Wir haben irgendwann ermattet aufgegeben.

Keine Frage, dass der Fall für Wikipedia knifflig war, weil Radio Vatikan vorübergehend kalte Füße bekommen hat. Aber kann das bedeuten, dass es im Eintrag über Andreas Englisch keinen Hinweis auf seine nachweislichen Fehlmeldungen geben darf?

Und ob all diejenigen, die die Wikipedia unreflektiert als Hort der freien Berichterstattung und als Widerstandskämpfer gegen Einflussnahmen Betroffener feiern, wissen, dass es manchmal so einfach sein kann, seinen Eintrag zu säubern, wenn man es nur geschickter anstellt als Herr Heilmann?