Die schon vor dem Ereignis produzierte und publizierte Nachbesprechung einer SWR-Veranstaltung ist für manche Kritiker im Sender mehr als nur ein peinlicher Einzelfall. Der Betriebsverband der Gewerkschaft ver.di sieht in ihr ein Symptom für weitreichende Missstände im SWR. Er hat ein Papier verfasst, in dem er einen „Verfall guter journalistischer Sitten“ und einen „fehlenden Respekt vor Qualität“ beklagt:
Der SWR braucht eine Qualitätsdebatte!
Der ver.di-Betriebsverband schämt sich mit dem SWR für den „Vorab-Rückblick“ auf das SWR3-Grillfest. Es erscheint allein schon befremdlich, dass das einzige medienpolitische Magazin, das der SWR überhaupt hat, in einer Zeit großer medienpolitischer Umbrüche nichts Wichtigeres zu berichten hat, als eine Grillparty zu feiern. Aber in einem Interview durch einen vorgetäuschten „Rückblick“ falsche Tatsachen vorzugaukeln, ist für den SWR peinlich und gefährdet unser höchstes Gut: Die Glaubwürdigkeit.
Losgelöst davon, wäre es jedoch fatal, dies als einen bedauerlichen Einzelfall und als das Versagen einzelner MitarbeiterInnen oder einer einzelnen Hauptabteilung hinzustellen.
Wir sehen in dem Vorfall vielmehr ein Symptom für einen viel tiefer gehenden Verfall guter journalistischer Sitten.
Nur ein paar Beispiele:
- Externe Experten werden als „SWR-Experten“ tituliert, Fachjournalisten als „SWR1-Rheinland-Pfalz-Wirtschaftsredakteur“
- Korrespondenten berichten von täglichen Kämpfen mit den Zentralredaktionen: Sie mögen sich doch bitte als „XY, Lissabon“ absagen, obwohl sie aus dem Studio in Madrid berichten. Oder sie mögen bitte schon vor Ankunft am Ort des Geschehens eine „Life-Reportage“ liefern.
- Es laufen Reportagen mit „Betroffenen-O-Tönen“ aus dem Internet, ohne als solche benannt zu werden.
- Es laufen Interviews, die nie geführt wurden: Das Korrespondenten-Format „3 Fragen, 3 Antworten“, eigentlich für Notfälle gedacht, wird inzwischen inflationär eingesetzt, so dass quer durch die ARD das selbe Interview läuft, nur dass jedesmal ein anderer Moderator/Fragesteller dazwischen geschnitten wurde.
- Hörfunkwellen bewerben sich selbst mit gefaketen Hörer-O-Tönen
- Im Fernsehen wurden schon „Live-Produktionen“ ein Jahr später 1:1 wiederholt, ohne als Wiederholungen kenntlich gemacht zu werden.
Kurz: An vielen Stellen des Hauses wurde über Jahre eine Kultur des „Es kommt nicht so genau drauf an“ gepflegt. Wenn Kollegen bei Personalversammlungen auf Qualitätsmängel hinwiesen, reagierten Teile der GL oft mussten herablassend („Als ob wir keine andere Probleme hätten!“). Der fehlende Respekt vor Qualität frustriert viele Beschäftigten nicht nur in den Redaktionen, sondern auch in der Technik. Sie stehen ständig im Dilemma, den eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden zu können. Denn auch ein immer engeres Arbeitskorsett begünstigt Fehlleistungen wie am 1. Mai.
Man muss sich klar machen: Ausgerecht SWR Info – ein Programm, dessen Name Programm sein sollte – kann sich am Wochenende keine redaktionelle Besetzung mehr leisten. Das Medienmagazin wird seit Jahren „nebenher“ gemacht. Das entschuldigt nichts – aber dass früher oder später so etwas passieren würde, überrascht uns, offen gesagt, nicht. Wir warnen seit Jahren vor den Folgen der zunehmenden Arbeitsverdichtung auf die Qualität.
Wir meinen: Der SWR braucht eine neue Qualitätsdiskussion. Natürlich können wir nicht nur Hochglanzprodukte erstellen. Doch die Balance zwischen Quantität und Qualität hat sich – auch bedingt durch die Art, wie wir sparen – offenbar zulasten journalistischer Mindeststandards verschoben. Eine Debatte darüber würde unserem Sender – auch politisch – gut tun. Wir setzen darauf, dass das künftige Redaktionsstatut und der Redakteursausschuss den Rahmen dafür bieten. Es ist im Sender viel von „Strategien“ die Rede. Aber:
Eine Strategie ohne Qualität ist keine Strategie.