Schlagwort: Tagesschau

Früher war auch mehr Lichterkette: Wie alte Aufnahmen in einen aktuellen „Tagesschau“-Film kamen

„Die ARD hat eingeräumt, einen Bericht in der ‚Tagesschau‘ über eine Lichterkette für Flüchtlinge in Berlin manipuliert zu haben.“ So berichtet es die rechte Wochenzeitung „Junge Freiheit“ in ihrem Online-Auftritt.

Und tatsächlich waren in der kurzen Nachricht im Film am vergangenen Samstag neben aktuellen Aufnahmen auch Bilder von 2003 zu sehen. Damals hatten kurz vor dem Beginn des Irak-Krieges über 100.000 Menschen eine Lichterkette für den Frieden gebildet. Diesmal nahmen nach Polizeiangaben nur sieben- bis achttausend Leute teil; der Veranstalter sprach von 20.000 Teilnehmern. Durch die Verwendung von Archiv-Aufnahmen wirkte die aktuelle Lichterkette in der „Tagesschau“ also erfolgreicher.

Der Chefredakteur von ARD-aktuell, Kai Gniffke, räumte gegenüber der „Jungen Freiheit“ zwar keine Manipulation, aber einen Fehler ein. Die Archivbilder hätten natürlich nicht verwendet werden dürfen. Und: „Wenn die ‚Tagesschau‘ Material sendet, das nicht vom gleichen Tage ist, blenden wir normalerweise ein Datum beziehungsweise den Hinweis ‚Archiv‘ ein.“

Aber: Wie kann sowas passieren? Wie können in eine aktuelle Nachrichtensendung zwölf Jahre alte Archivaufnahmen rutschen?

Gniffke hat eine Erklärung dafür. Die steht allerdings nicht in der „Jungen Freiheit“. Sie geht so:

Dieser Nachrichtenfilm hatte eine Länge von 22 Sekunden und basierte auf dem Mitschnitt einer Live-Sendung des RBB vom gleichen Abend. In dieser Sendung wurde auch Archivmaterial aus dem Jahr 2003 verwendet, aus dem auch in der Tagesschau insgesamt rund drei Sekunden gezeigt wurden. Während im RBB im Text darauf hingewiesen wurde, dass es sich um Archivmaterial handelt, unterblieb in der Tagesschau dieser Hinweis.

RBB-Reporter Ulli Zelle meldete sich in der Berliner Nachrichtensendung „Abendschau“ zweimal live vom Brandenburger Tor. Er sprach unter anderem mit dem Organisator und mit Teilnehmern der Lichterkette und zeigte, wie es kurz vorher am Ernst-Reuter-Platz und an der Siegessäule aussah – noch ziemlich mickrig:

Dann fuhr er fort:

Also, es wird sich dann tatsächlich eine Kette bilden, wenn alles so klappt, und dann wird es so aussehen. Hier sind die Bilder aus 2003. Berlin wirklich durchzogen von einer Lichterkette, damals noch gegen den Irak-Krieg.

Die „Tagesschau“ hatte kaum mehr als zehn Minuten Zeit, daraus einen Film zu schneiden. Und so lässt sich tatsächlich nachvollziehen, wie die alten Bilder in den aktuellen Nachrichtenfilm kommen konnten.

Aber: Wirklich verstehen kann ich es trotz des Zeitdrucks nicht. Der RBB hatte zwar keine Jahreszahl eingeblendet, aber der Wechsel in die Vergangenheit ist deutlich – nicht nur durch den Off-Text, sondern auch dadurch, dass Ulli Zelle zwischendurch wieder ins Bild kam. Dass die 2003-Aufnahmen älter sind, kann man auch anhand der schlechteren Bildqualität erahnen.

Der Verdacht (natürlich auch der politisch klar positionierten „Jungen Freiheit“) liegt nahe, dass die ARD die Pro-Flüchtlings-Demonstration größer und erfolgreicher aussehen lassen wollte, als sie war. Die „Manipulation“ scheint die Vorbehalte der schärfsten Medienkritiker und -gegner zu bestätigen.

Bemerkenswert ist, dass der Redakteur, der aus dem Live-Material schnell den Film zusammenschnitt, nicht das erstbeste gesendete RBB-Material nahm, sondern die Szenen von sehr vereinzelt herumstehenden Menschen am Ernst-Reuter-Platz und der Siegessäule zugunsten der größeren Menschenmengen, die etwas später gezeigt wurden (aber von 2003 stammten), verschmähte.

Ist das ein Zeichen für eine Manipulationsabsicht? Nicht unbedingt. Es ist zunächst einmal ein normaler journalistischer Reflex, die attraktiveren Bilder vorzuziehen. Eine manipulative Absicht im Sinne einer bewussten Verzerrung der Wirklichkeit aus politischen Gründen ist nicht notwendig.

Trotzdem: So etwas darf nicht passieren. Auch nicht für vermeintlich läppische drei Sekunden. Weil die reichen, um weiteres Vertrauen zu erschüttern oder Misstrauen zu zementieren.

Und wenn stimmt, was Kai Gniffke sagt: „Qualitätskontrolle hat bei ARD-aktuell einen sehr hohen Stellenwert“ – dann müsste so etwas ausgeschlossen sein. Auch im Eifer des Gefechts, das in diesem Fall ja nicht einmal eine plötzliche dramatische Nachrichtenlage war, sondern nur der Versuch, eine Demonstration sehr aktuell relativ prominent in der „Tagesschau“ zeigen zu können – ein Ehrgeiz, über dessen Sinnhaftigkeit man ohnehin diskutieren könnte, zumal angesichts der relativ geringen Teilnehmerzahl.

Die Szenen aus der „Abendschau“ des RBB und der Nachrichtenfilm in der „Tagesschau“ im Video:

Nachtrag, 22. Oktober. Die „Junge Freiheit“ hat die Erklärung mit der „Abendschau“ jetzt nachgetragen.

Nachtrag, 13:50 Uhr. Die „Tagesschau“ hat sich auf ihrer Facebook-Seite zu dem Vorgang geäußert und erklärt den Fehler so:

Der Kollege, der zehn Minuten vor der Sendung aus dem Livesignal eine kurze Bilderstrecke schneiden musste, hatte in der Eile versäumt, den Kopfhörer aufzusetzen. Er konnte deshalb nicht hören, dass der RBB-Kommentator an einer Stelle den Hinweis auf eine Sequenz älterer, ähnlicher Bilder gegeben hat.

Puh.

„Tagesschau“: Politiker haben über Ukraine geredet!

Gestern mal wieder die 20-Uhr-„Tagesschau“ geguckt, um zu überprüfen, ob das nicht womöglich doch eine Nachrichtensendung ist, die die Menschen schlauer macht. Nun:

Susanne Daubner: Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Hollande haben am Abend bei einer Videokonferenz den weiteren Kurs im Ukraine-Konflikt abgestimmt. An dem Gespräch waren US-Präsident Obama, die Regierungschefs von Großbritannien und Italien sowie EU-Ratspräsident Tusk beteiligt. Es wurde bekräftigt, dass das Abkommen von Minsk umgesetzt werden müsse. Zu dem Gespräch jetzt live aus Berlin – Ulrich Deppendorf.

Ulrich Deppendorf: Rund eine Stunde haben die Beteiligten per Video konferiert. Nach dem Gespräch gestern zwischen Kanzlerin Merkel, François Hollande, Russlands Präsident Putin und dem Präsidenten der Ukraine, Poroschenko, ging es auch heute Abend um die Umsetzung des Minsker Abkommens. Merkel und Hollande haben zunächst über das gestrige Gespräch berichtet. Heute Abend war man sich dann schnell einig, das Minsker Abkommen – oder weiter einig: das Minsker Abkommen muss weiter unterstützt werden, vor allen Dingen vollkommen umgesetzt werden. Erst dann könne man eine Aufhebung der Sanktionen beschließen. Das heißt: Der Waffenstillstand muss halten. Die schweren Waffen müssen von beiden Seiten abgezogen werden. Die Rolle der OSZE soll weiter verstärkt werden. Käme es jedoch zu einer neuen, weiteren Eskalation, dann würden die Sanktionen verschärft werden. Über Waffenlieferungen ist heute Abend nicht gesprochen worden. Einigkeit auch, dass man die Ukraine jetzt finanziell unterstützen muss, inklusive Beratungsleistungen. Insgesamt, so unsere Information, habe eine etwas optimistischere Grundstimmung als in den letzten Wochen vorgeherrscht. Und damit zurück zu Susanne Daubner.

Wenn ich es richtig verstehe, haben da also diverse Politiker miteinander per Video gesprochen und dabei diejenigen, nicht dabei gewesen waren, darüber informiert, was sie am Tag vorher mit anderen Politiker per Video besprochen hatten. Alle haben „bekräftigt“, dass sie das, was sie vorher fanden, immer noch finden. Sind aber aus Gründen, die, wenn überhaupt, Ulrich Deppendorf kennt, ein bisschen optimistischer als vor den ganzen Videokonferenzen.

Offen blieben unter anderem folgende Fragen:

  • Warum dürfen an einer Videokonferenz zwischen Merkel und Hollande auch Obama, Cameron, Renzi und Tusk teilnehmen?
  • Was bedeutet das Wort „auch“ in der Formulierung „Einigkeit auch“, wenn vorher von Waffenlieferungen die Rede war, beziehungsweise keine Rede war, weil über die ja keine Einigkeit herrscht?
  • Was muss ich mir unter „Beratungsleistungen“ vorstellen, die bei einer finanziellen Unterstützung der Ukraine „inklusive“ sind bzw. sein müssten?
  • Wenn sich die Videokonferenzteilnehmer einig sind, dass „man“ die Ukraine „jetzt finanziell unterstützen“ muss, wer unterstützt dann die Ukraine und mit wie viel Geld?
  • Haben sich die Staats- und Regierungschefs zu weiteren Videokonferenzen verabredet? Wer wird mögliche neue Teilnehmer am Anfang dieser zukünftigen Videokonferenzen über die Inhalte der vorangegangenen Videokonferenzen informieren? Und werden dann alle gemeinsam nach Kräften „bekräftigen“, was sie vorher schon bekräftigt haben?

Und damit zurück zu Ulrich Deppendorf.

Die „Tagesschau“-Routine

Der ARD-Reporter Christoph Maria Fröhder beschwert sich im aktuellen „Spiegel“ über „Tagesschau“ und „Tagesthemen“. Der „Spiegel“ nennt es eine „Abrechnung“. Fröhder scheint vor allem unzufrieden über die Art, wie er und seine Berichte intern behandelt werden. Er hat ein Problem mit Kai Gniffke, dem Ersten Chefredakteur von ARD-aktuell, dem er indirekt vorwirft, dass es ihm nur ums Management geht und nicht um den Journalismus. Aber Fröhder stört sich auch daran, wie diese Nachrichtensendungen das Weltgeschehen aufbereiten.

Er sagt:

Der pseudolockere Ton sagt ja noch nichts über die Haltung. Inhaltlich sind „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ ja weiterhin staatstragend. Der Journalismus dieser Sendungen ist nur noch additiv. Es werden bloß scheinbar relevante Fakten hintereinandergefügt, anstatt sie zu hinterfragen. Da beginnt doch die eigentliche Arbeit. Warum hat sich etwas so entwickelt? Kann es auch anders sein? Wenn ich diese Aufsager vor den Parteizentralen und dem Kanzleramt schon sehe! Die kommen einfach von der Routine nicht weg.

In der vergangenen Woche habe ich in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ ähnliche Kritik an der 20-Uhr-„Tagesschau“ und ihren Rituale formuliert:

(…) Wenn alle Autos vor- und wieder abgefahren sind, kommt der Korrespondent ins Bild und sagt, was das zu bedeuten hat. Im Hintergrund sieht man immer die Akropolis, damit der Zuschauer weiß, dass er in Athen ist.

„Mit geschwellter Brust und geschwollenem Kamm geht diese Regierung an den Start“, sagt ARD-Mann Peter Dalheimer am Montag.

„Alexis Tsipras scheint alles andere als konfliktscheu zu sein“, stellt er am Dienstag an selber Stelle fest.

„Athen lässt die Säbel rasseln – stumpfe Säbel allerdings“, ergänzt seine Kollegin Mira Barthelmann am Mittwoch ebenda.

„Die Löwen in Athen und Brüssel hatten in den vergangenen Tagen gut gebrüllt“, erzählt ihre Kollegin Ellen Trapp am Donnerstag vor derselben Kulisse. „Wie gut, wenn man miteinander spricht.“ Ihre Analyse gipfelt in der Mahnung: „Er ist der neue griechische Ministerpräsident. Das müssen in Brüssel nicht alle gut finden, aber auf jeden Fall sollten sie ihn tolerieren.“

Sie stehen dort nicht, um uns Dinge zu sagen, die wir noch nicht wissen. Sie stehen dort, um uns Dinge zu sagen, die wir schon wissen; die sie uns am Tag vorher schon gesagt haben und am nächsten Tag wieder sagen werden; die unseren Blick auf eine komplexe Entwicklung auf eine einfache, vertraute, im Zweifel bequeme Position verengen. Und Politik oft auf das reduzieren, was sie mit Politikern macht. (…)

Kai Gniffke antwortet darauf in der neuen F.A.S.:

(…) Die „Tagesschau“ wird im Kern bleiben, was sie ist. Aber sie wird sich wandeln. Wir werden noch härter sieben, was den Weg in unser Angebot findet. Es könnte darauf hinauslaufen, dass wir die Zahl der Themen reduzieren, um die verbleibenden ausführlicher aufzubereiten. Dann könnten noch häufiger Hintergrundinformationen in den Korrespondentenberichten enthalten sein, wie Stefan Niggemeier am Beispiel rechtsextremer ukrainischer Truppenteile nicht ohne Grund einfordert.

Unser mediales Umfeld hat sich tiefgreifend verändert. Die Möglichkeiten für jedermann, unsere Arbeit zu überprüfen und nachzurecherchieren, haben sich durch Internet und soziale Netzwerke erheblich ausgeweitet. Das ist ein wesentlicher Grund für das gewaltig angewachsene Feedback. Der Dialog mit dem Publikum nimmt viel Zeit in Anspruch und ist auch nicht immer vergnüglich. Aber er ist wichtig, weil er unsere Sinne zur Einhaltung unserer Standards schärft und zu konstruktiven Diskussionen in der Redaktion wie in dieser Woche führt. Und weil er die Chance bietet, unserem Ziel näher zu kommen, Menschen für den gesellschaftlichen Diskurs zu gewinnen. 

Die 20-Uhr-Wirklichkeit

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Die „Tagesschau“ inszeniert täglich ihre eigene politische Realität. Zweifel daran sind unerwünscht.

Da ist sie wieder, die Wolfsangel auf der schwarzen Sonne, das markante Symbol der rechtsextremen ukrainischen Asow-Miliz. Man sieht sie kurz als Abzeichen auf den Uniformen der Männer, von denen sich Udo Lielischkies gerade hat erklären lassen, was sie von der Ankündigung der Separatisten halten, eine Großoffensive auf Mariupol zu starten. „Wir haben keinen Anlass, den Terroristen nicht zu glauben, die ihre Pläne so offen aussprechen“, sagt einer der Kämpfer ins ARD-Mikrofon. „Früher oder später werden die Kämpfe anfangen, denn: Frieden kann es nur nach einem Sieg geben.“

Es ist Sonntag der vergangenen Woche, der Tag, nachdem Raketenangriffe von Separatisten auf ein Wohngebiet in Mariupol mindestens 30 Menschen getötet und viele verletzt haben. ARD-Korrespondent Lielischkies ist vor Ort.

Er zeigt noch einmal die Zerstörungen, spricht von einer „Welle der Solidarität“, die durch das ganze Land gehe, und sagt, man dürfe wohl vermuten, „dass dieser Raketenangriff und seine fürchterlichen Folgen die westlichen Staaten zwingen wird, vielleicht ihren Druck auf Moskau weiter zu erhöhen“. Dann folgt das kurze Gespräch mit dem Mann in Uniform, mit dem markigen Satz vom Frieden nur nach dem Sieg, der eine interessante, aber unbemerkte Parallele bildet zu der Meldung kurz zuvor, dass Außenminister Steinmeier den prorussischen Rebellen vorwerfe, den Konflikt militärisch lösen zu wollen.

Vorgestellt wird der Gesprächspartner nur als einer der „Kiew-treuen Verteidiger“. Um wen es sich bei dem Soldaten handelt, erfährt der „Tagesschau“-Zuschauer nicht. Auch nicht, dass er einem Freiwilligen-Bataillon angehört, das von Rechtsextremen gegründet wurde und von europäischen Neonazis unterstützt wird.

Es ist nicht das erste Mal, dass so etwas passiert. Kritiker, die ARD und ZDF eine einseitig anti-russische Berichterstattung vorwerfen, haben das mehrmals in den vergangenen Monaten daran festgemacht, dass das Wolfsangel-Symbol unkommentiert im Bild zu sehen war oder die Mitglieder des Asow-Bataillons, die es tragen, nicht entsprechend eingeordnet wurden.

Ein Leipziger Verein hat wegen der angeblich „bewussten Verharmlosung der Träger verbotener faschistischer Symbole und Kennzeichen“ mehrere Programmbeschwerden eingereicht, mit denen sich die Hierarchien in den Sendern auseinandersetzen mussten. An einer fehlenden Sensibilisierung kann es eigentlich nicht liegen.

Kai Gniffke, der Chefredakteur von „ARD-aktuell“, sagt, die politische Einordnung der Kompanie Asow sei „dann von besonderer Relevanz, wenn Mitglieder in einem politischen Kontext interviewt werden, etwa bei einer Demonstration vor der Rada in Kiew. Dann muss in jedem Fall deutlich gemacht werden, vor welchem Hintergrund Forderungen von Asow-Mitgliedern zu sehen sind. Im angesprochenen Fall befragte Udo Lielischkies, seit Tagen unter schwierigen Bedingungen im Kriegsgebiet, seinen Gesprächspartner zu rein militärischen Aspekten. Da diese Asow-Kompanie das Rückgrat der Mariupol-Verteidigung bildet und reguläre Armee-Einheiten nicht für eine Befragung zur Verfügung standen, gab es vor Ort zu dieser Zeit keinen alternativen, vergleichbaren Gesprächspartner.“

Wäre nicht gerade das, wenn es so war, eine interessante, wichtige Information gewesen? Und ändert diese Tatsache etwas an der Notwendigkeit, die Zuschauer darüber aufzuklären, mit wem man da redet?

Gniffke sagt: „Bei der gebotenen Verdichtung von Informationen für einen kurzen Nachrichtenbeitrag können nicht in allen Beiträgen alle Hintergundinformationen geliefert werden.“ Das steht außer Frage. Aber was sagt es aus über eine Nachrichtensendung, wenn sie die Informationen so „verdichten“ muss, dass sie ihren Zuschauern nicht einmal in einem Halbsatz eine Einordnung ihrer Gesprächspartner geben kann? Welchen Informationswert hat dann das Gesagte, wenn der Zuschauer nicht weiß, wer es eigentlich sagt?

Einige Kritiker unterstellen ARD und ZDF (und den Medien allgemein), dass sie Informationen etwa über die zwielichtigen ukrainischen Freiwilligen-Bataillone bewusst verschweigen – was die Beschuldigten vehement zurückweisen. Aber es geht nicht nur um angebliche Voreingenommenheit oder Parteilichkeit in der Berichterstattung. Die Auseinandersetzung wirft auch die Frage auf, welche Ansprüche man an Nachrichtensendungen im Fernsehen stellen darf – insbesondere an das fünfzehnminütige Format, das immer noch rund neun Millionen Menschen um 20 Uhr einschalten.

Die ARD schickt Korrespondenten wie Udo Lielischkies in den gefährlichen Einsatz in Kriegs- und Krisengebiete – und dann müssen die „Tagesschau“-Berichte, die sie von dort schicken, in ein Korsett passen, das so eng ist, dass nicht einmal elementare Fragen beantwortet werden können? Und auf Beschwerden, wegen irgendwelcher Unzulänglichkeiten, Ungenauigkeiten oder Fehler, heißt es dann, dass halt die Zeit nicht ausreiche, man aber selbstverständlich in anderen Sendungen im Programm ausführlich berichtet habe?

Die Fähigkeit der „Tagesschau“, aus Nachrichten ein Ritual zu machen, ist legendär. Die Verpackung hat sich in den vergangenen Jahren geändert, die Kamerafahrt durchs Studio am Anfang täuscht Bewegung vor, die Sprecherinnen und Sprecher dürfen die Zuschauer inzwischen freundlich begrüßen und verabschieden, und der Ton mag nicht mehr ganz so verlautbarungshaft sein. Aber der Kern der Sendung scheint über all die Jahre derselbe geblieben zu sein: vorfahrende Autos, sich hinsetzende Politiker, Bilder vom Krieg. Eine „Ikonografie der Macht und des Apparates und der Automatismen“, wie Georg Diez es auf „Spiegel Online“ genannt hat.

Die Menschen, die in Autos vor irgendwelchen Regierungs- oder Konferenzgebäude vorfahren, scheinen diejenigen zu sein, die die Nachrichten nicht nur machen, sondern von ihnen auch am meisten betroffen sind. Die Menschen, die vorfahren, ändern sich und die Orte. In diesen Tagen sind es vor allem Brüssel und Athen.

Wenn ein neuer Protagonist Teil dieses Rituals wird, würdigt die „Tagesschau“ auch, wie er sich dabei schlägt: „Der neue griechische Außenminister scheint es fast zu genießen, im Mittelpunkt zu stehen“, textet die Reporterin, während wir sehen, wie er vor den Kameras aus einem Wagen steigt.

Rätselhafte Sätze stehen hier unerklärt vor sich hin. „Der neue Mann an der Spitze des griechischen Finanzministeriums habe bereits mit mehreren EU-Kollegen gesprochen und sei auf ein Klima der Vernunft getroffen“, heißt es einmal, und man weiß nicht einmal, wer da in indirekter Rede spricht, geschweige denn, was ein „Klima der Vernunft“ konkret sein könnte.

Wenn alle Autos vor- und wieder abgefahren sind, kommt der Korrespondent ins Bild und sagt, was das zu bedeuten hat. Im Hintergrund sieht man immer die Akropolis, damit der Zuschauer weiß, dass er in Athen ist.

„Mit geschwellter Brust und geschwollenem Kamm geht diese Regierung an den Start“, sagt ARD-Mann Peter Dalheimer am Montag.

„Alexis Tsipras scheint alles andere als konfliktscheu zu sein“, stellt er am Dienstag an selber Stelle fest.

„Athen lässt die Säbel rasseln – stumpfe Säbel allerdings“, ergänzt seine Kollegin Mira Barthelmann am Mittwoch ebenda.

„Die Löwen in Athen und Brüssel hatten in den vergangenen Tagen gut gebrüllt“, erzählt ihre Kollegin Ellen Trapp am Donnerstag vor derselben Kulisse. „Wie gut, wenn man miteinander spricht.“ Ihre Analyse gipfelt in der Mahnung: „Er ist der neue griechische Ministerpräsident. Das müssen in Brüssel nicht alle gut finden, aber auf jeden Fall sollten sie ihn tolerieren.“

Sie stehen dort nicht, um uns Dinge zu sagen, die wir noch nicht wissen. Sie stehen dort, um uns Dinge zu sagen, die wir schon wissen; die sie uns am Tag vorher schon gesagt haben und am nächsten Tag wieder sagen werden; die unseren Blick auf eine komplexe Entwicklung auf eine einfache, vertraute, im Zweifel bequeme Position verengen. Und Politik oft auf das reduzieren, was sie mit Politikern macht.

Hintergründe, Zusammenhänge, Widersprüche darf man nicht erwarten von der 20-Uhr-„Tagesschau“, aber dafür gibt es ja viele andere, weniger gesehene Sendungen, in denen das womöglich gründlich behandelt wird, und tagesschau.de natürlich, worauf die Fernsehsendung seit Jahren auch schon wieder ritualhaft in jeder Sendung einmal hinweist.

Walter van Rossum hat schon 2007 in seinem Buch „Tagesshow“ geschrieben: „Im Laufe der Jahrzehnte hat man sich Generationen von Zuschauern herangezogen, die behaupten, durch die ‚Tagesschau‘ gut informiert zu werden. Und umgekehrt glaubt die ‚Tagesschau‘ deshalb, glänzend zu informieren. (…) Die ‚Tagesschau‘ macht ihre Zuschauer entschlossen zu Zaungästen einer Welt, indem sie sich ebenso entschlossen weigert, diese Welt auch nur andeutungsweise zu begreifen.“ Genau darauf beruhe ihr Erfolg.

Aber während die 20-Uhr-„Tagesschau“ bleibt, was sie war, hat sich die mediale Welt um sie dramatisch verändert. Plötzlich gibt es so viele Quellen, aus denen das Publikum sich selbst informieren kann, gute und üble, mit denen es die quasi-amtliche Fünfzehn-Minuten-Konfektionierung des Tages vergleichen und hinterfragen kann. Plötzlich kann man auch die Sendung selbst noch einmal anhalten und sezieren und die Widersprüche entdecken (und Wolfsangel-Symbole), die sich früher einfach versendet hätten.

Plötzlich formulieren Menschen öffentlich auf der Grundlage all dessen Ansprüche an die Sendung, und die Verantwortlichen scheinen sich konsterniert umzuschauen und zu fragen, wie sie die denn erfüllen können sollen.

Die Diskussion um die Bilder vom „Republikanischen Marsch“ in Paris vor drei Wochen war erhellend. Die meisten Nachrichtensendungen und Medien, auch die F.A.Z., zeigten die angereisten Spitzenpolitiker aus aller Welt so, als würden sie diese Demonstration tatsächlich anführen. Eine Totale, ein „establishing shot“, hätte gezeigt, dass sie aus Sicherheitsgründen mit großem Abstand zum Volk in einem abgesperrten Bereich liefen.

„ARD-aktuell“-Chef Kai Gniffke hat auf Kritik daran wütend reagiert – und im Grunde die Ansprüche, die Kritiker an die „Tagesschau“ formulierten, als unangemessen zurückgewiesen. In der Live-Übertragung hätte man ja die Politiker auch aus anderen Perspektiven sehen können. Im Übrigen sei das „immer eine Inszenierung“, wenn sich Politiker vor eine Kamera stellen. Und man solle doch nicht versuchen, „solche Gesten“, wie den Auftritt der Politiker, „gleich als Inszenierung zu diffamieren“.

Die „Tagesschau“, soll das wohl heißen, kann es nicht leisten, solche Inszenierungen kenntlich zu machen, und eigentlich will sie es auch nicht. Sie macht sich stattdessen zum Teil dieser Inszenierungen, der kleinen Auftritte wie der großen Narrative, und zu Komplizen: self-embedded journalists.

Sie will die „große Geste“ der Politiker in Paris nicht dadurch stören, dass sie kurz zeigt, wie weit der Abstand zu den Massen war. Und vielleicht will sie auch die Erzählung vom Kampf tapferer, vereinter Ukrainer gegen skrupellos agierende Separatisten nicht dadurch stören und verkomplizieren, dass sie erwähnt, wie zweifelhaft einige der Verteidiger sind.

Die „Tagesschau“. Wo man schöne Inszenierungen nicht blöd hinterfragt.

Vielleicht könnte die „Tagesschau“ jemand anderes finden, der öffentlich auf Kritik an ihrer Arbeit reagiert? Jemanden, für den eine „Diskussion“ etwas anderes ist als eine Ansprache, der ein irgendwie ausgleichendes Wesen hat und womöglich sogar noch ein Bewusstsein dafür, dass er von uns Zuschauern bezahlt wird? Jemanden, der nicht alles noch schlimmer macht? Kurz gesagt, jemand anderes als Kai Gniffke?

Es gibt ja gerade ein bisschen Aufregung um die Bilder von den Staats- und Regierungschefs beim großen „Republikanischen Marsch“ in Paris am vergangenen Sonntag. „Le Monde“ berichtete, dass die gar nicht in dem Sinne den Zug anführten, wie man es aufgrund der Berichte in den Nachrichtensendungen und der Fotos in den Zeitungen glauben mochte. Sie waren nicht wirklich Teil der Menschenmenge; vor und hinter ihnen war die Straße offenbar abgesperrt. Die „taz“ und „Spiegel Online“ meldeten sogar, dass es sich um eine „einsame Nebenstraße“ gehandelt habe.

Ich kann verstehen, dass Menschen das ärgert, wenn sie das erfahren. Wenn sie Grund haben anzunehmen, dass Journalisten ihnen etwas vormachen und Komplizen bei einer Inszenierung sind, anstatt diese Inszenierung kenntlich zu machen. Natürlich ist jede Auswahl eines Fotos oder eines Filmausschnittes eine subjektive Entscheidung. Es ist aber nicht die Aufgabe von Journalisten, den Aufmarsch von mehreren Dutzend Staats- und Regierungschefs durch eine geschickte Wahl der Perspektive besonders eindrucksvoll wirken zu lassen.

Die Chefredakteurin der „taz“, Ines Pohl, verknüpfte diesen Fall mit der heutigen Kür des Begriffs von der „Lügenpresse“ zum „Unwort des Jahres“. Sie sagte: „Leider belegt der Umgang mit den Bildern des Pariser Marsches der Mächtigen, dass das Wort ‚Lügenpresse‘ nicht nur ein Hirngespinst der Pegida-Anhänger ist, sondern dass die Wirkung der Bilder – übrigens auch für deutsche Medienmacher – manchmal wichtiger ist als die Dokumentation der Realität.“

Das hat bei ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke eine Halsschlagader platzen lassen. Im „Tagesschau“-Blog schreibt er:

Auch auf die Gefahr hin, dass ich jetzt wieder richtig auf die Fresse bekomme: Mir langt’s.

Der Vorwurf der Inszenierung sei eine „wilde Verschwörungstheorie“ und „kompletter Unfug“.

Er wirft dann mehrere Nebelkerzen und stellte fest, dass es „immer eine Inszenierung“ sei, wenn sich Politiker vor eine Kamera stellen, dass die französische Polizei ihren „Job verfehlt“ hätte, wenn sie die Politiker nicht von den anderen Menschen abgetrennt hätte (was kaum jemand ernstlich bestreitet), und dass, „sorry“, Kameraleute und Fotografen eben nicht immer einen Hubwagen zur Hand hätten. Und nach einem rätselhaften Einschub – „bei aller Selbstkritik“ – beklagt er sich schließlich darüber, dass solche Kritiker seine sensiblen Kollegen ganz kirre machten:

Ich wehre mich dagegen, über jedes Stöckchen zu springen, dass uns Verschwörungstheoretiker hinhalten. Denn sonst sickert noch viel mehr des Giftes der Furcht in unseren Berufsstand ein. Denn diese Diskussionen hinterlassen Spuren in den Redaktionen. Statt unser Bewusstsein für Qualitätsjournalismus zu schärfen, sind sie dazu angetan Redaktionen zu verunsichern.

Mit keinem Wort geht er auf die zentrale Frage ein, warum „Tagesschau“ oder „Tagesthemen“ nicht – und sei es noch so beiläufig, durch einen Halbsatz oder einen Kameraschwenk – deutlich machten, dass die Politiker in einem gehörigen Sicherheitsabstand vom eigentlichen Marsch ein kleines Stück für die Fotografen liefen. Warum seine Redaktion die Menschen nicht in einer Weise informiert hat, die verhindert hätte, dass offenbar eine erhebliche Zahl von ihnen, inklusive mehrerer Zeitungsredaktionen, sich in die Irre geführt fühlten, als sie später das Szenario aus anderer Perspektive sahen. Warum ARD und ZDF mit ihren Formulierungen den Eindruck erweckten, die Politiker hätten sich unter die Massen gemischt und „Seite an Seite“ mit dem Volk demonstriert.

Natürlich ist der Vorwurf einer „Verschwörung“ absurd, wenn etwa das Erste selbst am Nachmittag in seiner Live-Übertragung auch gezeigt hat, wie die Politiker getrennt vom Rest der Menschenmenge liefen. Aber deshalb ist doch nicht die Kritik an den Medien absurd, die in ihren Nachrichten und Fotos einen gegenteiligen Eindruck erweckt haben. Deshalb ist doch nicht die Frage unberechtigt, ob unter anderem die „Tagesschau“ ihren Zuschauern nicht diese Information hätte mitliefern sollen.

Ja, Herr Gniffke, fast alles ist Inszenierung. Und je häufiger Medien in einer Welt, in der das Publikum skeptisch geworden ist und sich aus ungezählten anderen Quellen informieren kann, diese Inszenierungen kenntlich machen, indem sie einfach mal einen Schritt zurücktreten, aufzoomen, zur Seite schwenken, umso größer ist ihre Chance, auch in Zukunft noch als glaubwürdig zu gelten. Wir brauchen viel, viel mehr Dekonstruktionen der Inszenierungen und Scheinwirklichkeiten. Dass Gniffke das nicht nur nicht versteht, sondern auch noch zurückpöbelt, lässt für die „Tagesschau“ das Schlimmste befürchten.

Wenn er weniger wütend gewesen wäre, hätte er es vielleicht geschafft, einen Teil der Kritik sachlich zu entkräften. Die Aufnahmen entstanden nämlich nicht in einer einsamen Seitenstraße, sondern durchaus auf der Strecke, die auch für den Trauermarsch genutzt wurde: auf dem Boulevard Voltaire. Insofern ist die Aussage nicht ganz falsch, dass die Politiker den „Republikanischen Marsch“ anführten – nur halt mit erheblichem Abstand.

Davon liest man bei Gniffke allerdings nichts. Stattdessen appelliert er:

Halten wir es doch einfach mal aus, dass es eine große Geste von Millionen von Menschen und zahlreichen Politikern gab, an der nichts auszusetzen ist.

Andere Journalisten hatten durchaus eine Menge an dieser „großen Geste“ auszusetzen, und das kann man mögen oder lästig finden, aber das gehört durchaus zur Aufgabe eines Journalisten, ein schönes, gefühliges, scheinbar stimmiges Bild zu stören. Es spricht Bände über das Selbstverständnis des Chefredakteurs von ARD-aktuell, dass er lieber die perfekte Inszenierung bewahren will, den Schein, das gute Gefühl: Halten wir das doch einfach mal aus.

Nachtrag, 14. Januar, 18:10 Uhr. Kai Gniffke hat im „Tagesschau“-Blog einen im Ton versöhnlichen Nachtrag veröffentlicht.

60 Prominente gegen den Krieg sind keine Nachricht für ARD und ZDF

Am Freitag haben mehrere Dutzend Prominente, darunter ein ehemaliger Bundespräsident, ein ehemaliger Bundeskanzler, mehrere ehemalige Ministerpräsidenten und Bundesminister und viele bekannte Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Publizistik, einen Appell für eine „neue Entspannungspolitik“ und einen Dialog mit Russland veröffentlicht: „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“

Falls Sie davon gehört haben, dann nicht aus den Fernseh-Nachrichten von ARD und ZDF. Die haben darüber nämlich nicht berichtet.

Der Aufruf wurde vom früheren Kanzlerberater Horst Teltschik (CDU) initiiert, der zur Motivation sagte: „Uns geht es um ein politisches Signal, dass die berechtigte Kritik an der russischen Ukraine-Politik nicht dazu führt, dass die Fortschritte, die wir in den vergangenen 25 Jahren in den Beziehungen mit Russland erreicht haben, aufgekündigt werden.“

Die Unterzeichner richten sich nicht nur an Regierung und Parlament, sondern auch an die Medien:

Wir appellieren an die Medien, ihrer Pflicht zur vorurteilsfreien Berichterstattung überzeugender nachzukommen als bisher. Leitartikler und Kommentatoren dämonisieren ganze Völker, ohne deren Geschichte ausreichend zu würdigen. Jeder außenpolitisch versierte Journalist wird die Furcht der Russen verstehen, seit NATO-Mitglieder 2008 Georgien und die Ukraine einluden, Mitglieder im Bündnis zu werden. Es geht nicht um Putin. Staatenlenker kommen und gehen. Es geht um Europa. Es geht darum, den Menschen wieder die Angst vor Krieg zu nehmen. Dazu kann eine verantwortungsvolle, auf soliden Recherchen basierende Berichterstattung eine Menge beitragen.

Eine höchst illustre Schar von sechzig Persönlichkeiten kritisiert Politik und Medien in Sachen Krieg und Frieden. Und „Tagesschau“ und „Tagesthemen“, „heute“ und „heute journal“, tagesschau.de und heute.de ist das kein Wort wert.

ARD und ZDF können das erklären. Elmar Theveßen, der stellvertretende ZDF-Chefredakteur, schreibt mir auf Nachfrage, warum die Nachricht nicht in den Sendungen vorkam:

„Wir hätten es gern gemacht. Aber wir mussten wegen der nachfolgenden ‚Was nun…‘ mit einer deutlich verkürzten Sendezeit auskommen. Neben der Wahl des Ministerpräsidenten in Thüringen nahmen weitere Themen wie IS-Urteil, Taifun und Opel den Raum ein. (…) Ein ‚heute journal‘ gab es leider auch nicht.

Die grundsätzliche Haltung, die im Appell zum Ausdruck kommt, haben wir in unseren Sendungen mehrfach reflektiert, beispielsweise in einem Interview mit Matthias Platzeck im heute-journal und in der Berichterstattung über Seehofers Äußerungen zur Außenpolitik Steinmeiers.
 
Wir bleiben daran, möglichst auch mit einem Beitrag zur Diskussion um den Appell, sofern wir die unterschiedlichen Ansichten auch per Kamera einfangen können.

Nun gut, auch für eine Berichterstattung über den Start der Raumsonde Orion fand die „heute“-Sendung am Freitag Platz und für einen ausführlichen Sportblock. Tatsächlich gab es kein „heute journal“, weil das ZDF an diesem Tag seinen stundenlangen Jahresrückblick mit Markus Lanz ausstrahlte, dafür aber nicht eine Folge von „Der Alte“ ausfallen lassen wollte, sondern eben: das „heute journal“.

Die Erklärung von ARD-aktuell ist ganz ähnlich. „Dass verschiedene Qualitätsmedien erst mit etwas Abstand auf den Appell eingegangen sind, mag daran liegen, dass der Freitag bundespolitisch dominiert war von der Wahl von Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten“, teilt mir Christian Nitsche mit, der zweite Chefredakteur von ARD-aktuell. „Auch ansonsten war der Tag nachrichtenstark. Den Aufruf an diesem besonderen Tag relativ spät zu veröffentlichen, haben die Initiatoren sicher im Nachhinein selbst als weniger gelungen empfunden.“

Die „Tagesschau“ war schon so gut wie voll mit Ramelow, und die „Tagesthemen“ waren es auch: Ein Bericht über Ramelow, ein Interview mit Ramelow, ein Kommentar zu Ramelow – danach blieb nur noch Zeit für einen Meldungsblock und Opel, weil die „Tagesthemen“ keine halbe Stunde lang waren, sondern nur gut 15 Minuten. Das ist freitags immer so, aus Gründen, die einem vermutlich der ARD-Programmdirektor erklären kann, am einfachsten mit dem Verweis auf die Quote der dadurch regulär schon um 22 Uhr startenden „Tatort“-Wiederholung.

Der Freitagnachmittag ist tatsächlich ungefähr der schlechteste Termin, um die Aufmerksamkeit der medialen Öffentlichkeit zu gewinnen. Die Medienleute sind dann schon halb im Feierabend und im Wochenende. Und an diesem Freitag war ja auch viel los, und die „Tagesthemen“ sind da eh immer so kurz, und aus unglücklichen Umständen gab es auch kein „heute journal“, und bei heute.de und tagesschau.de waren sie anscheinend auch mit irgendwas anderem beschäftigt, dieser Appell kam auch nur einmal von dpa über den Ticker, also, mei, dumm gelaufen.

Ich halte das nicht einmal für abwegig, dass es genau so war. Fast wünscht man sich, wenn man diese traurigen Erklärungen hört, dass es stattdessen wenigstens brutales Kalkül war, wie die hyperventilierenden Wutschnauber von der „Propagandaschau“ meinen, die in ARD und ZDF eh „US-Propagandisten und Treiber des neuen Kalten Krieges“ sehen sowie „von einer transatlantischen 5. Kolonne unterwanderte Staatssender, die seit Monaten eine Lügen-und Desinformationskampagne gegen Russland, gegen das deutsche Volk und gegen den Frieden in Europa betreiben“.

Ich halte das, wie gesagt, für Unsinn. Aber ich merke, dass beim Wahrscheinlichkeitstest meine Trauriger-Redaktionsalltag-in-nichtsmerkenden-Senderbehörden-Theorie zunehmend an Boden verliert gegenüber jeder Verschwörungstheorie.

Es geht ja hier — wie auch bei den Symbolbildern von Putin neulich — nicht um eine einzelne Meldung. Es geht um eine Gesamtsituation, in der ARD und ZDF seit Monaten in außerordentlichem Maße vorgeworfen wird, dass ihre Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine einseitig und gefährlich sei. (In welchem Maße diese Vorwürfe berechtigt sind, sei ganz dahingestellt.) Und nun gibt es einen Appell, der eben diese Vorwürfe wiederholt, unterzeichnet nicht von unbekannten Ins-Internet-Schreibern oder möglicherweise vom Kreml bezahlten anonymen Trollen, sondern von 60 teils prominentesten Persönlichkeiten.

Und bei ARD und ZDF denkt man nicht: Okay, da sollten wir uns jetzt aber nicht noch zusätzlich angreifbar machen, sondern das sauber berichten, erstens weil es eh eine Nachricht ist, und zweitens weil der Vorwurf sich womöglich auch irgendwie gegen uns richtet, schon als vertrauensbildende Maßnahme?

Sondern bei ARD und ZDF denkt man: Oh, puh, aber, naja, blöd, heute am Freitag, schon so viel los, gibt ja auch Wichtigeres?

Sie merken nichts. Sie lernen nichts.

PS: „Tagesthemen“-Moderator Thomas Roth hat den Appell heute, gut drei Tage nach seiner Veröffentlichung, in einem Interview mit Angela Merkel angesprochen. ARD-aktuell-Mann Nitsche sagt, die Redaktion habe dem Aufruf „damit hohes Gewicht beigemessen“ und mit dem Merkel-Interview „einen guten Anlass gefunden, den Aufruf prominent aufzugreifen“.

Super-Symbolbilder: „Putin, einsam und verlassen“

Gestern, 20 Uhr, die „Tagesschau“ berichtet vom G20-Gipfel in Brisbane. Der Korrespondent sagt:

„Beim Barbecue am Mittag, wie symbolisch, Putin, einsam und verlassen.“

Und zeigt, Tatsache:

Ein Blick ins Ausgangs-Material von Reuters verrät allerdings, dass Putin gar nicht alleine am Tisch sitzt. Links am Tisch, na sowas: Dilma Rousseff, die Präsidentin Brasiliens.

Dafür sieht es bei Reuters so aus, als ob Shinzō Abe, der japanische Regierungschef, ganz schön einsam und verlassen da vor sich hinsitzen muss.

Und… oh, Obama?

Merke: Man sieht, was man will.

Und: Sie lernen nichts.

[via Moritz Gathmann]

Nachtrag, 17. November. ARD-Chefredakteur Kai Gniffke hat sich zu einer Art Antwort herabgelassen.

Erkennen Sie die Erkennungs-Melodie?

Die Agentur epd meldet heute Mittag:

Nach der medialen Aufregung um die Neugestaltung der „Tagesschau“-Fanfare hat die ARD-Vorsitzende Monika Piel unterstrichen, dass das altbekannte „Ta-ta, ta ta ta taa“ erhalten bleibt. „Wir wären ja verrückt, wenn wir das ändern würden“, sagte die WDR-Intendantin am Mittwoch in Saarbrücken bei der ARD-Pressekonferenz. „Wir haben ein Marke, die jeder kennt.“

Ja, das glauben alle. Es stimmt aber nicht.

Die Melodie, die am Anfang der „Tagesschau“ zu hören ist und jeder zu kennen glaubt, ist nämlich schon seit sieben Jahren nicht mehr die Melodie, die vorher fast 50 Jahre lang zu hören war. Im Jahr 2005 hat die ARD es nämlich nicht dabei belassen, nur den Sound dem Zeitgeist anzupassen. Sie hat auch die Melodie verändert — gravierend.

Das hier war die Notenfolge seit 1956:

d-g-a-b-c-d: Ein Quintsprung abwärts und dann die Molltonleiter hinauf bis zum Ausgangspunkt.

Seit 2005 geht die Melodie so:

d-g-d-c-f-g: Die Molltonleiter ist verschwunden, und die Melodie endet nicht mehr beim Ausgangspunkt, sondern eine Quarte höher.

Die Harmonien sind ähnlich, deshalb fällt der Wechsel nicht so sehr auf, aber die Melodie ist eine andere.

Wenn ich es richtig sehe, hat das damals nicht einmal ein leises Knistern im Blätterwald ausgelöst. Weshalb die ganze Aufregung, dass die ARD angeblich Hand an eine heilige Institution legen will, doppelt absurd ist: Nicht nur wegen der Peinlichkeit, auf eine „Bild“-Ente hereingefallen zu sein. Sondern weil anscheinend den meisten aufgeregten Berichterstattern nicht einmal aufgefallen ist, dass die ARD dieses vermeintliche Sakrileg längst begangen hat.

Allerdings ist nicht klar, ob das der ARD-Vorsitzenden Monika Piel bewusst ist. Laut epd „betonte“ sie, „dass es wie in den Jahren 1994, 1997 und 2005 lediglich um eine Überarbeitung der Melodie gehe“. Nun: 1994 und 1997 wurde die Melodie nur neu arrangiert; 2005 gab es eine neue Melodie. Welche Art der „Überarbeitung“ für dieses Jahr geplant ist, wäre durchaus interessant. Wenn es jemanden interessieren würde.

Die „Tagesschau“-Fanfare:

(Laut tagesschau.de gibt es die veränderte Melodie verwirrenderweise schon seit 2000.)

[Ich bitte vorsorglich um Nachsicht für den nicht ganz unwahrscheinlichen Fall, dass meine Transkription oben eher amateurhaft ausgefallen ist. Youtube-Links via Markus Anhäuser.]

Döpfners rote Linie

Es ist weniger ein Interview, das die „Süddeutsche Zeitung“ mit Mathias Döpfner geführt hat, als eine Möglichkeit für ihn, ausführlich und ungestört durch kritische Nachfragen die eigene Position darzustellen. Das ist vielleicht kein Zufall, denn die „Süddeutsche Zeitung“ klagt mit der Axel-Springer-AG, deren Vorstandsvorsitzender Döpfner ist, (und anderen Verlagen, darunter auch dem der FAZ, für die ich regelmäßig arbeite) gegen die kostenlose „Tagesschau“-Anwendung für iPhone und iPad.

Döpfner sagt, die ARD habe mit der „Tagesschau“-App (Abb.) eine „rote Linie“ überschritten. Das ist bemerkenswert, denn es gibt andere Stellen, an denen sich eine solche Grenze deutlich klarer ziehen ließe. Man könnte zum Beispiel, wenn man wollte, argumentieren, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Internet gar nichts zu suchen haben. Man könnte auch sagen, dass sie im Internet nur Videos und Audio-Aufnahmen publizieren dürfen, wahlweise mit der Einschränkung, dass die auch im Radio oder Fernsehen gelaufen sein müssen. Für Döpfner sind das aber bestenfalls andersfarbige Linien.

Die Grenze zieht er dort, wo die ARD Inhalte aus ihrem Internetangebot in einer für Tablets und Smart Phones optimierten Version anbietet. Das Kriterium gibt ihm die „SZ“ freundlicherweise in der Frage vor:

Markiert die Selbstverständlichkeit, mit der auf einem Markt überwiegend bezahlter Angebote ein kostenloses Produkt eingebracht wird, für Sie die Grenze der zumutbaren Aktivitäten von ARD und ZDF?

Döpfner bejaht.

Das ist ein erstaunlich komplexes Kriterium für eine „rote Linie“. Die Grenze besteht darin, dass es um einen Markt geht, in dem angeblich die Mehrheit der Anbieter Geld für etwas nimmt, das die „Tagesschau“ aufgrund ihrer Gebührenfinanzierung kostenlos anbieten kann. Natürlich hat das Angebot von tagesschau.de auch dann einen Wettbewerbsvorteil, wenn man es über einen Internet-Browser aufruft, weil es sich nicht durch Werbung finanzieren muss. Aber das Internet scheint Döpfner als Medium, in dem eine „Gratiskultur“ herrsche, ohnehin abgeschrieben zu haben. Auf Smartphones oder Tablets werde dagegen bezahlt, „für jedes Telefonat, jede SMS, MMS, für Apps“. Kostenlose Angebote wie das der „Tagesschau“ bedrohen nach dieser Logik die Bezahlkultur auf iPhone und iPad insgesamt und jedes einzelne kostenpflichtige Nachrichtenangebot.

Die Argumentation würde umgekehrt bedeuten, dass es tagesschau.de als kostenloses Angebot auch im Internet-Browser nicht geben dürfte, wenn es Döpfner und seinen Leuten gelungen wäre oder noch gelänge, eine umfassende Bezahlkultur im Internet zu etablieren, was vielleicht schon eine Ahnung davon vermittelt, wie wenig tragfähig diese Argumentation ist.

Schon eine einzige kostenlose App wie die der „Tagesschau“, suggeriert Döpfner, kann ein ganzes Geschäftsmodell zerstören. Aber wenn sich allein über den Preis solche erstaunlichen Nutzerzahlen erreichen lassen, ist das natürlich eine verführerische Nische auch für einen privaten Wettbewerber. In einer Welt voller kostenpflichtiger Apps kann es sich lohnen, der eine zu sein, der kostenlos ist und sich dank enormer Reichweite mit Werbung refinanzieren kann. Selbst wenn es Döpfner und seinen Mitstreitern gelänge, die „Tagesschau“ aus dem Wettbewerb im App-Store zu verbannen, wäre das ein erhebliches Risiko.

Schon vor eineinhalb Jahren hatte Döpfner die „Tagesschau“-App mit dem Verlust von „Tausenden Arbeitsplätzen in der Verlagsbranche“ in Verbindung gebracht. Er hat seine These seitdem eher noch weiter zugespitzt. Im Grunde scheint das Überleben des gesamten Qualitätsjournalismus jenseits öffentlich-rechtlicher Anstalten von der Finanzierung durch Apps abzuhängen: „Es geht schlicht um die Frage“, sagt er, „ob Qualitätsjournalismus als Geschäftsmodell noch Bestand haben wird.“ Auf Papier allein werde er sich nicht mehr finanzieren lassen, im Internet herrscht die angebliche Kostenloskultur, bleiben nur die Apps.

So wie er es schildert, ist es extrem schwierig, in Zukunft überhaupt noch guten Journalismus unter kommerziellen Bedingungen zu produzieren. Daraus schließt er, dass der Staat alles tun muss, um jedes potentielle Hindernis für die Verlage (die wohl synonym sind mit Produzenten hochwertiger journalistischer Inhalte) auszuräumen. Das hat natürlich eine gewisse Logik. Es hat aber auch einen großen Haken. Niemand, auch nicht Döpfner, kann garantieren, dass das Katastrophenszenario, das er beschreibt, nicht trotzdem eintritt, obwohl die „Tagesschau“ und ähnliche öffentlich-rechtliche Angebote verboten werden.

Es gäbe natürlich eine andere Antwort auf die Herausforderung, die Döpfner beschreibt. Wenn unklar ist, wie sich unter den Bedingungen der digitalen Welt überhaupt hochwertiger Journalismus finanzieren lässt und ob Verlage nicht womöglich massenhaft eingehen, obwohl die kostenlose „Tagesschau“-App verboten wurde, ist es aus gesellschaftlicher Sicht doch begrüßenswert, sich wenigstens darauf verlassen zu können, öffentlich-rechtliche Anbieter die Menschen gut informieren.

Döpfners Katastrophenszenario verschafft ARD und ZDF im Netz eine neue mögliche Legitimation, genau genommen die alte: durch verlässlich und von allen gemeinsam finanzierte Medien eine umfassende Grundversorgung sicherzustellen, selbst wenn die privaten Anbieter in schlechten Zeiten oder aus grundsätzlichen Problemen das nicht in befriedigendem Maße tun können. Aber das habe ich ja alles schon mal geschrieben.

Es ist bemerkenswert, in welchem Maß Döpfner die „rote Linie“, die ARD und ZDF keinesfalls überschreiten dürfen, davon abhängig macht, was private Unternehmen tun. Die Grenze soll davon abhängen, welche Refinanzierungsmodell die Mehrheit der Unternehmen in einem noch extrem jungen und beweglichen Markt wie dem der Nachrichten- und Medien-Apps wählt. Das Bundesverfassungsgericht, das mit seinen Rundfunkurteilen das Duale System in Deutschland maßgeblich gestaltet hat (weil die Politik es noch nie konnte oder wollte), hat die Rechte von ARD und ZDF aber immer aus sich selbst heraus definiert. Was Unternehmen, die sich mit journalistischen Inhalten unter kommerziellen Bedingungen auf einem Markt bewähren müssen, unter bestimmten Umständen zu leisten vermögen, war für das Gericht bislang ausdrücklich nicht entscheidend, weil es keine Gewähr dafür gab. Ich wüsste gerne, woher die Verlage den Optimismus nehmen, dass das Bundesverfassungsgericht in diesem Fall plötzlich anders urteilen sollte.

Döpfner und seine Mitstreiter sind nicht zu beneiden. Sie müssen argumentieren, dass es erst die App der „Tagesschau“ war, durch die die ARD eine endgültige Grenze überschritten hat, weil sie es versäumt haben, schon gegen das Internet-Angebot tagesschau.de vorzugehen. Dabei verstößt auch das ihrer Meinung nach gegen den Rundfunkstaatsvertrag, weil es nicht nur Videos, sondern auch Artikel enthält. (Nach Ansicht des FDP-Medienpolitikerclowns Burkhardt Müller-Sönksen handelt es sich deshalb um eine „Printausgabe“ der „Tagesschau“.)

Die Konzentration auf die Kostenlosigkeit der „Tagesschau“-App führt zu schmerzhaften Verrenkungen der Verleger. Springers Außenminister Christoph Keese sagt: „Im Supermarkt kann man für den Joghurt auch keinen Euro nehmen, wenn daneben kostenlose Ware steht.“ Dem ist gleich zweierlei zu erwidern: Erstens, natürlich kann man. Wenn der eigene Joghurt besser ist als das Gratis-Angebot oder auch nur einzigartig. Menschen bezahlen für Zeitungen, obwohl es vielfältige Möglichkeiten gibt, sich kostenlos zu informieren — weil sie die besondere Qualität von Zeitungen insgesamt oder ihrer Stammzeitung zu schätzen wissen. Und zweitens: Wenn Keese Recht hätte, könnte er seine Joghurtproduktion gleich dichtmachen. Es wird immer jemanden geben, der Nachrichten kostenlos im Netz oder auf Smartphones anbietet. Ich fürchte, ein Geschäftsmodell, das nur funktioniert, wenn alle Konkurrenten mitmachen und niemand andere Wege nutzt, den Joghurt zu finanzieren, ist kein Geschäftsmodell.

Die „Tagesschau“ ist nicht die einzige kostenlose Anwendung, die den kostenpflichtigen Verlagsangeboten im App-Store Konkurrenz macht. Auch der Fernsehsender n-tv bietet gratis eine, Müller-Sönksen würde sagen: dicke Printausgabe an. Nun ist es natürlich in vielerlei Hinsicht ein Unterschied, ob ein privatwirtschaftliches Unternehmen einen solchen Schritt geht oder eine durch „Zwangsgebühren“ finanzierte Anstalt. Aber wenn Döpfner und Keese mit ihrer Alles-oder-nichts-Argumentation Recht hätten, wäre das Ergebnis dasselbe: der Tod des Qualitätsjournalismus.

Ich weiß nicht, wie die Gerichte entscheiden werden. Aber ich bin mir sicher, die rote Linie, die Döpfner da auf den Boden gemalt hat, ist keine.

PS: Auf meinem iPad ist die angeblich kostenpflichtige „Welt HD“-App aus dem Hause Springer installiert. Das Abo ist angeblich „seit 28. Oktober 2010“ abgelaufen. Aber die App funktioniert. Ist das auch eine Form von Gratiskultur? Und versündige ich mich am Qualitätsjournalismus, wenn ich die App trotzdem benutze? (Zahlen würde ich dafür allerdings nicht.)

Super-Symbolfoto (84)

Dieser Fehler hat tatsächlich Symbolwert. Das, was da auf dem iPhone zu sehen ist, ist nämlich nicht die Verlagsseiten-mordende „Tagesschau“-App, sondern die aus irgendwelchen Gründen ungleich ungefährlichere Internetseite tagesschau.de.

(Die Meldung von „Spiegel Online“ ist übrigens eine Agenturmeldung von dpa, die über einen Inhalt aus dem gedruckten „Spiegel“ informiert. Bestimmt ist das auf irgendeiner Ebene journalistisch, arbeitsökonomisch oder markentechnisch sinnvoll.)

[mit Dank an PD!]

Nachtrag, 13.00 Uhr. Auch der gedruckte „Spiegel“ weiß nicht, wie die „Tagesschau“-App aussieht.

[via Altpapier; hier im Bild die Version aus der „Spiegel“-App]