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Was mit „Wetten, dass“ stirbt: Das Genre der „Wetten, dass“-Kritik

Gehen wir zurück ins Jahr 1987 und blenden uns ein in die Rezension der damals noch an einer mittelschweren Parenthesie leidenden „Neuen Zürcher Zeitung“ über die Premiere von Thomas Gottschalk als Moderator von „Wetten, dass“:

Jedenfalls hat der ein überschweres Erbe antretende Gottschalk ein Début gegeben, das sich sehen lassen kann. Nicht mehr der mitunter enervierend „aufgestellte“ Zappelphilipp begegnete einem; zwar nicht domestiziert, aber – zu seinem eigenen Vorteil – zurückgebunden, führte er zunehmend unverkrampfter durch die Wettspielshow, liess die von ihm erwarteten sarkastischen Seitenhiebe nicht missen, dosierte sie aber unter Eliminierung jeder Schnoddrigkeit auf das zuträgliche Mass – und traf mehrheitlich ins Schwarze.

Kann sein, dass das Lampenfieber, das Gottschalk zu Beginn des Abends augenscheinlich gehörig plagte, eine heilsam dämpfende Wirkung zeitigte. Gerade die kleinen Unsicherheiten, die Versprecher, sekundenlang sichtbar werdende Hilflosigkeit, schlagen ja nicht a priori negativ zu Buche. Vielmehr dürften sie die Sympathie des Publikums erhöhen; denn wer mag schon einen perfektionierten Unterhaltungsroboter.

Gelingt es dem zweifellos über eine gute Portion Mutterwitz und handwerkliches Können verfügenden Gottschalk, weder programmierte noch programmierbare menschliche Unmittelbarkeit dieser Art beizubehalten, zugleich die paar negativ wirkenden Misstritte – etwa die abrupte Unterbrechung von Gesprächspartnern oder andere, sofort als Zeichen von Kaltschnäuzigkeit ausgelegte Ungereimtheiten im Umgang mit seinen Gästen – zu vermeiden, ist er auf einem guten Weg.

Mit „Wetten, dass“ stirbt heute auch das Genre der „Wetten, dass“-Kritik. Jemand müsste mal nachhalten, wie viele Quadratkilometer Platz dadurch jährlich in deutschen Tageszeitungen frei werden und wie viele Kapazitäten in den Online-Redaktionen. Abgesehen vielleicht vom „Tatort“ ist wohl keine Fernsehsendung hierzulande so manisch und obsessiv besprochen worden wie diese Show.

Eigentlich wollte ich zu deren Abschied eine ausführliche Würdigung des journalistischen Genres der „Wetten, dass“-Kritik schreiben. Aber der Textkorpus war einfach zu groß. Und die Auswertung zu ermüdend – auch wenn genau das das Ziel der Übung gewesen wäre: die Eintönigkeit und fehlende Originalität über die Jahre zu demonstrieren.

Sprachlich kommt an die oben zitierte NZZ-Kritik natürlich niemand heran. Allerdings bemühte sich auch die FAZ nicht unerfolgreich um eine gewisse Unverständlichkeit. In der Besprechung der ersten „Wetten, dass“-Sendung bestaunte sie am 16. Februar 1981 „die Macht des Apparates“:

Vor allem aber präsentiert das Fernsehen seine technische Potenz. Ein Computer für Zuschauervoten ist da, Direktschaltungen zu fernen Orten gelingen, Bildmontage, Verzerrer und Zeitlupe sind nötig. Aus dem bunten Abend, von dem die Unterhaltungsshow abstammt, ist ein gigantischer Jahrmarkt geworden, der etwas inzwischen Abstraktes vermitteln soll: Freude. Fast selbstverständlich sind die Mitspieler und auch der Moderator dem Apparat unterlegen: Was passiert, soll ganz unvorbereitet wirken. „Natürlich bin ich präpariert“, rief Curd Jürgens dazwischen. Die Kandidaten schmuggeln zwar noch etwas Persönliches in ihr Wettangebot ein, wie etwa die Geburtsdaten der Familie. Die Sendung aber schient etwas anderes von ihnen zu wollen, ein auf die Rolle reduziertes Verhalten. Die beiden Stars im Team mußten noch einmal ihre vergangenen „Images“ spielen, statt den dazu inzwischen gewonnenen Abstand darstellen zu können.

Vielleicht ist das der Grund, warum ihnen das Mitmachen so schlecht gelang. Frank Elstners auf Unmittelbarkeit zielende Gesprächsführung konnte sich nicht gegen den Apparat durchsetzen. Ein gieriger Zuschauer soll bedient werden, der sich am Monströsen ergötzt und alles sofort haben will.

Das Fernsehen bildet, das zeigten viele Elemente der Show, gegen die Beiträge seiner Mitspieler eine eigene Tradition aus, indem es auf frühere Sendungen zum Beispiel von Peter Frankenfeld, Hans-Joachim Kulenkampff und Lou van Burg zurückgreift. Es scheint so, als ginge im Verlauf dieser Tradition der Sinn der Einzelideen langsam verloren.

Sechs Jahre später verabschiedete die NZZ Frank Elstner aus der Show mit folgenden, offenkundig lobend gemeinten Sätzen:

(…) Frank Elstner ist im Grunde kein Showmaster, auch er ist nur ein Präsentator, einer jedoch, der sein Handwerk beherrscht. Dass er stets gut vorbereitet auf die Bühne kommt, dass er von seinen Gästen, die er aus den Reihen der politischen und der Bühnen- sowie der Sportprominenz holt, weiss, was es in diesen Augenblicken der Schaustellung und des leichtzüngigen Geplauders zu wissen gilt, das ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. Und dass er dieses zugeschnittene Wissen um Personen und Situationen heiter, gelassen und gängelnd seinem Publikum vorsetzt, lässt ihn sogar als intelligent erscheinen.

Sic!

Was Frank Elstner auszeichnet, womit er spielt, das ist sein Charme, ist die Liebenswürdigkeit, mit der er auf die Menschen, die Gäste also, die wetten, aber auch und vor allem die Konkurrenten im Wettbewerb, zugeht. Er biedert sich ihnen zwar nicht an, aber er ist auf eine ganz natürliche Art freundlich mit ihnen, lässt es an Respekt nie fehlen; er bringt Respekt nicht bloss vor Leuten von politischer Prominenz auf, in diesem Fall vor Oberbürgermeister Diepgen, sondern behandelt den kleinen Mann so umgänglich wie den grossen, und wie er diesem gegenüber nie unterwürfig wird, klopft er dem anderen nie auch in misslicher Jovialität auf die Schulter.

(…) Und auch jenem Zuschauer, dem das Unterhaltungsvergnügen eines solchen Showabends eher fremd ist, empfiehlt er sich in dieser seiner Natur.

Was mutmaßlich ungefähr bedeuten sollte: Natürlich gucke ich, der NZZ-Rezent, sonst so einen Quatsch nicht. Aber auch wenn es Quatsch ist, so ist es doch – zwar, aber – ganz ordentlich gemachter Quatsch.

„Wetten, dass“-Kritiken scheinen fast vom ersten Tag Abgesänge gewesen zu sein. Als Thomas Gottschalk 1987 zum ersten Mal moderierte, begann die „Süddeutschen Zeitung“ ihre Besprechung so:

Die große Samstagabend-Familienshow ist doch längst gegessen, sagen sie alle, die beim Fernsehen für Unterhaltung zuständig sind. Ein urdeutsches Fossil ist das, woanders gibt es so was längst nicht mehr. Wenn erst der Kuli nicht mehr mag und der Carrell aufhört, ist es sowieso aus.

Und als Thomas Gottschalk 1992 zum ersten Mal aufhörte, schrieb die „Welt“:

Gottschalk tritt ab von der Bühne der Samstagabendunterhaltung. Das ist schade, weil mit ihm endgültig auch das Familienfernsehen ihr [sic!] Ende gefunden hat.

Seinen Nachfolger Wolfgang Lippert begrüßte die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ mit perfidem Lob:

Es ging nichts daneben, Lippert ist ein ausgelernter Profi des Gewerbes. Er hat es in der verblichenen DRR gelernt und praktiziert. Wir müssen uns allmählich daran gewöhnen, daß es zu den Eigenschaften totalitärer Staaten gehört, nebenbei eine Bevölkerung, die nicht viel zu lachen hat, mit ordentlich ausgebildeten Volksbelustigern bei Laune zu halten. Die Leute, die das Metier beherrschen wie Lippert, sind ganz einfach gut ausgebildet. In seinem speziellen Fall sind sie sogar auf dem Weg, richtig gut zu werden. Lippert ist schnell, sympathisch, witzig und – völlig humorlos.

Er ist ein Symptom und nicht allein daran schuld, daß einen „Wetten, daß…?“ von Sendung zu Sendung immer verdrießlicher stimmen kann.

Lippert ging wieder, Gottschalk kam wieder, und die FAZ notierte zu seiner Rückkehr im Januar 1994 sorgfältig, was er alles nicht falsch gemacht habe:

Gottschalk unterlief in der Tat kein Fehler. Er entgleiste nicht im Gespräch mit Heinz Rühmann. Den reizenden alten herrn so sanftmütig zu umsorgen zeugte von liebenswürdiger Beißhemmung. Niemand kann hier etwas einwenden. Er beleidigte keine Kandidaten, und er hatte – wohl eher Verdienst der perfekten Logistik seines Teams – mit den „Scorpions“, der am besten als Hard-Rocker verkleideten Combo der Nation, und mit Meat Loaf stromlinienförmige Musikeinlagen.

Man könnte ein Quiz machen mit Versatzstücken aus „Wetten, dass“-Kritiken und fragen, ob sie zwei, zwölf oder zweiundzwanzig Jahre alt sind und in welche Moderatoren-Ära sie gehören. Es wäre ein sehr, sehr schweres Quiz. Das hier zum Beispiel:

Eines steht fest: Hätte der immer zu Gelächter bereite Sonnyboy diese Mischung aus selbstdarstellerischen bzw. nervösen Gesten und nicht gerade von den Sitzen reißenden Wetten vor einem Monat abgeliefert, wären die Kritiker des Moderatorenwechsels in den meisten ihrer Befürchtungen bestätigt gewesen. (…) Die Diskrepanz zwischen penetranter Eigenwerbung der Prominenten aus Politik, Kultur und Sport und ihrer späteren Überflüssigkeit, die läppische Einlösung der Wetteinsätze noch innerhalb der Sendung und die an sich gut gemeinte Kinderwette, aus der aber eine Präsentation von altklugen Vorschulsonderlingen zu werden droht, ist offensichtlich nicht der Weisheit letzter Schluß.

Das würde, mit kleinsten Variationen, zu fast jedem Moderator nach Elstner passen. Es war die Kritik der „Stuttgarter Zeitung“ vom 9. November 1992, also nach der zweiten Sendung mit Wolfgang Lippert.

Oder das hier:

Weil [der Moderator] den Leuten fast auf dem Schoß sitzt, jede Fremdheit leugnend, die erst Neugier möglich macht, kann er keine richtigen Fragen stellen. So fehlen jenseits einer gewissen Flottheit des Augenblicks auch Ironie und Selbstironie in seinem Programm. Anflüge von Humor werden da schon als Höchstleistung gefeiert. Der Rest aber ist Fröhlichkeit zum Anfassen. Auch wenn man gar nicht lacht.

Auflösung: Nicht Gottschalk, nicht Lanz, auch Lippert. In der FAZ aus Anlass seiner „Dernière“ Ende 1993.

All die Abgesänge auf „Wetten, dass“, sie sind in den letzten dreißig Jahren alle schon einmal geschrieben worden. Die „Berliner Zeitung“ im November 2000:

12,8 Millionen Zuschauer, 40 Prozent Marktanteil. Blendende Zahlen für das ZDF. Wie immer mit Gottschalk.

Aber diese Ergebnisse erscheinen inzwischen wie schwerfällige Gewohnheiten, wie ein Echo, dessen kräftiger Anfangsschrei lange zurückliegt. Es ist wie mit einer Ehe, die langsam erlischt, der Sex bleibt auf der Strecke, auch wenn man noch das Bett teilt. Thomas Gottschalk hat an Qualität verloren.

Der „Tagesspiegel“ stimmte einen Monat später zu:

Man ist noch kein Denkmals-Stürmer, wenn man „Wetten, dass…?“ die Qualität des ewigen Selbstläufers abspricht. Die ZDF-Show ist stehen geblieben. Sicher, kaum ein Mega-Star, der sich nicht aufs Sofa quetschen lässt, unbestreitbar, dass Gottschalk seine Live-Sendung fest im Griff hat. Aber das Berechenbare kann auch enttäuschen. Bestimmt wird Gottschalk immer den Unsicheren geben, wenn ein Super-Super-Model auftaucht, er wird Röcke, Selbstgehäkeltes und blondes Wallehaar tragen, mit präsentem Wortwitz punkten. Die Überraschungsmomente sind ganz, ganz klein geworden. Bei den Wetten überfällt den Zuschauer immer öfter das Gefühl, mehr mit Varianten von erprobter Geschicklichkeit als mit origineller Geschicklichkeit gelockt zu werden. In der jüngsten Ausgabe wurde die Reprise einer Wette von 1983 angeboten.

Das einzige, was vielleicht noch berechenbarer war als „Wetten, dass“: die Besprechungen von „Wetten, dass“.

Nachtrag, 16 Uhr. Für die FAZ habe ich zum Abschied der Sendung darüber geschrieben, wie „Wetten, dass“ immer als etwas Bedeutungsvolles behandelt wurde.

Klatschvieh (1):
Frieren für Thomas Gottschalk

Von Freitag nächster Woche an moderiert Thomas Gottschalk eine neue Show auf RTL. Sie heißt „Back to School — Gottschalks großes Klassentreffen“, wird von der Firma Constantin Entertainment produziert, und die ersten Kritiken kann man schon im Netz lesen. Geschrieben von Leuten, die bei der Aufzeichnung in Berlin-Adlershof waren. Oder jedenfalls hätten dabei sein wollen.

In den Erfahrungsberichten des Kartenanbieters TwoTickets.de liest sich das etwa so:

Es war total schlecht. Wir mussten 45 Minuten in der Kälte warten, dann noch einmal 1:15 Std in einer Vorhalle, um schließlich zu hören, dass die Proben sich weiter verzögern und nicht feststeht, wann wir eingelassen werden. In diesem Augenblick reichte es uns endgültig, wir sind gegangen. Das werden wir nie, nie, nie wieder machen. Dies ist eine Warnung an alle!!

Oder so:

Wir standen seit ca 17.00 Uhr 1 Stunde vor dem Studio und dann insgesamt bis nach 19.00 Uhr im Foyer, ohne daß es konkrete Hinweise zum weiteren Ablauf gegeben hätte. Wir haben das Studio noch vor Beginn der Aufzeichnung verlassen.

So:

Frechheit und Unverschämtheit, was einem hier zugemutet wird!!! Nach langer Wartezeit in langer Warteschlange und klirrender Kälte öffneten sich wie von Gottes Gnaden die Foyertüren um 17:30 Uhr. Tröpfelnd langsam ging es hinein. Drinne gab es nur wenige Sitzplätze, wir standen 1 1/2 Stunden und warteten auf Einlaß ins Studio und daß es endlich losgeht. Nix! Keine Info – lautes Stimmengewirr, nix zu trinken, kein Snack. Wir sind gegangen. Nie wieder!!! Extrem schlechteste Organisation, totale Volksverarschung. Nie wieder!

Und so:

Es ist wohl üblich bei solchen Veranstaltungen das Publikum wie eine Herde zu behandeln und Stundenlang warten zu lassen. (…) Wir haben tapfer bis 19.00 gewartet (erstmal draußen im Kalten, dann im Foyer). Die ganze Zeit keine Sitzmöglichkeiten, kein Trinken, nur wenige Toiletten vorhaden und riesige Schlange davor. Nach der nächsten Durchsage: Es fänge in 20 min an, sind wir einfach gegangen..

Und auch so:

Die Veranstaltung an sich war prima. Nur die Organisation und der Ablauf war unglaublich schlecht. So wurden die Zuschauer fast eine Stunde bei Minusgraden draußen warten gelassen. Dann dauerte der Einlass sehr lange und bis man in das Studio eingelassen wurde, vergangen noch mal 2 Stunden, die man im Vorraum stehend verbringen musste.

Nun ist das vermutlich nicht gleich ein Fall für Amnesty International oder das Fernsehhilfswerk der Vereinten Nationen. Aber doch ein bisschen verblüffend: Denn die Funktion des Studiopublikums bei solchen Aufzeichnungen ist ja, sich sicht- und hörbar zu amüsieren. Man würde annehmen, dass es eine gute Idee wäre, diese Menschen so zu behandeln, dass sie davor oder dabei keine übermäßige Übellaunigkeit entwickeln.

Auf den Gedanken scheinen deutsche Fernsehproduzenten erstaunlich häufig nicht zu kommen.

Ich habe den halben Dezember an unwirtlichen Orten wie Hürth, Ossendorf und Adlershof verbracht und mir für das Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ Fernsehen aus der Perspektive des Studiopublikums angesehen. Der Artikel ist am vergangenen Freitag erschienen und steht auch online.


Illustrationen: Philippe Petit-Roulet

In den nächsten Tagen will ich hier noch die eine oder andere Zugabe posten. Und vielleicht haben Sie ja auch tolle schlimme Dinge in Fernsehstudios erlebt und möchten sie gerne in den Kommentaren mit anderen teilen (per Mail geht natürlich auch). Ich kann allerdings nicht garantieren, dass das als Therapie von allen Krankenkassen anerkannt wird.

Gottschalk und Jauch wiederholen komplette Hängepartie

Es war der unbestrittene Höhepunkt der neuen RTL-Show „Die 2 – Gottschalk und Jauch gegen alle“: Wie Günther Jauch eine gefühlte Ewigkeit an stilisierten Hubschrauberkufen hing, während Thomas Gottschalk Quizfragen beantwortete. Jauch machte einen großen Bohei darum, wie wenig ihm diese Aufgabe liege und dass er sowas seit 30 Jahren, seit der legendären Show „Rätselflug“, nicht mehr gemacht habe.

Tatsächlich ist es erst drei Jahre her. Seine Produktionsfirma i&u wiederholte für das neue vermeintliche Show-Event einfach nochmal das Spiel, mit dem sie Jauch 2010 bei der „Großen Geburtstagsshow“ zum 60. Geburtstag der ARD schon einmal, öh, überrascht hatte.

Jaja, das habe ich am Dienstag schon aufgeschrieben.

Aber man muss es gesehen haben, in welchem Maß sich die Szenen von damals und heute gleichen: die Musik und die Soundeffekte, die vermeintlich spontanen Kommentare von Gottschalk, das ganze Geplänkel zwischen den beiden — und der behauptete Widerwille von Jauch, sich einer Übung auszusetzen, die ihm angeblich gar nicht liegt.

Sehen und staunen Sie:

Jauchs Produktionsfirma lässt ihn wieder hängen

Blicken wir noch einmal zurück, auf dieses große Show-Event mit Günther Jauch und Thomas Gottschalk, und lassen uns von sueddeutsche.de einen der Höhepunkte schildern:

Deutlich größeres Kino war dagegen eine Stunt-Einlage in bester Schlag den Raab-Manier. Nur dass hier Jauch gegen sich selbst antreten musste: In Erinnerung an eine im Rückblick haarsträubende Himmelfahrtsmission aus seiner früherem SDR-Sendung Rätselflug musste sich der heute 55-Jährige wie seinerzeit an die Kufen eines Helikopters hängen. In der Abenteuer-Gameshow galt es für Jauch damals, mit Hubschrauber-Hilfe einen „Schatz“ hoch oben auf dem Loreley-Felsen zu bergen. Der tollkühne Twen verhinderte dabei 14 Sekunden lang mit bloßen Händen den eigenen Absturz. Diesmal bekam Jauch einen Sicherheitsgurt umgeschnallt („Ich habe zuhause versprochen, dass ich so etwas nicht mehr mache“) und wiederholte die Klammerübung verbissen. Fazit: Jauch hielt heute 69 Sekunden durch — die ARD ist ihm jede Kraftanstrengung wert.

Kollege Gottschalk war jedenfalls sehr angetan und zelebrierte den Moment, in dem er Jauch den von ihm während des Turn-Kunststücks verwahrten Ehering zurückgab: „Nimm diesen Ring zum Zeichen meiner Hochachtung“, scherzte der ZDF-Mann.

Hm? Die ARD? Der ZDF-Mann?

Ach so, das ist gar nicht die Kritik der RTL-Sendung „Die 2 — Gottschalk & Jauch gegen alle“ von gestern Abend. Das ist die Kritik der Sendung „60 Jahre ARD — Die Geburtstagsshow“ vom April 2010.

Die ganze Nummer mit dem Rätselflug-Remake gestern in der Sendung war eine Wiederholung. Das Getue Jauchs, mit dem er sich gegen die Übung sträubte, wie er einen Absturz nach zehn Sekunden prognostizierte und jammerte, sowas seit über 30 Jahren nicht mehr gemacht zu haben — alles Show.

Seine Produktionsfirma i&u, die die Sendung produziert, hat ihm sicherheitshalber einfach noch einmal das Spiel geschenkt, in dem er schon vor dreieinhalb Jahren gut aussah. Auch die Show damals war eine i&u-Produktion.

Ideen sind eher nicht deren Stärke. Recyceln, das können sie.

Ganz unten: Zu Besuch bei der RTL-Erfolgsshow „Das Supertalent“

Es ist heiß, der Abend zieht sich, aber es gibt einen Grund durchzuhalten: Zur Halbzeit soll es kostenlos Wasser für alle geben.

Es spricht eher nicht für eine Veranstaltung, wenn der Höhepunkt, mit dem der Anheizer das Publikum in den Umbaupausen bei Laune zu halten versucht, die Ankündigung ist, dass es nur noch fünf, vier, drei, zwei Auftritte sind, bis es endlich etwas zu trinken gibt. Ich frage mich, ob es den Etat der Produktion wirklich gesprengt hätte, den Durst der Zuschauer früher und mehrmals zu stillen. Ob es etwas anderes als das Wasser geben könnte, auf das es sich zu freuen lohnte, ein spektakulärer Akt auf der Bühne etwa, frage ich mich irgendwann nicht mehr.

Es ist Freitagabend, die zweite Aufzeichnung der RTL-Show „Das Supertalent“ im Berliner Tempodrom. Eineinhalb Stunden hat es gedauert, bis wir auf unseren Plätzen saßen. Dann beginnt das Warm-Up. Der dafür engagierte Mann lässt die Zuschauer auf Kommando für die Kameras applaudieren und vor Begeisterung beim Jubeln aufspringen. Keine Sorge, sagt er, RTL werde das später natürlich nur an die Stellen in die Sendung schneiden, wo es tatsächlich eine solche Reaktion gab. Gelächter im Publikum. (mehr …)

Laudatio auf Thomas Gottschalk

… als „Journalist des Jahres 2011“ in der Kategorie „Unterhaltung“, gekürt vom „Medium Magazin“:

Sehr geehrte Damen und Herren,

Sie haben es vermutlich schon mitbekommen: Es ist etwas furchtbar schiefgelaufen. Keiner der diesjährigen Gewinner in der Kategorie „Unterhaltungsjournalist des Jahres“ ist Journalist. Gut, es hätte schlimmer kommen können. Es hätte keiner der Gewinner unterhaltsam sein können. Das ist zum Glück nicht der Fall. Sie sind alle unterhaltsam. Nur Journalisten sind sie nicht.

Die Drittplatzierten heißen Joachim Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf, „Joko & Klaas“. Bei denen durfte ich neulich in ihrer lustigen Show „Neo Paradise“ zu Gast sein. Ich wurde wie ein exotisches Wesen behandelt. Mehrere Verantwortliche nannten mich mit einer Mischung aus Faszination, Ehrfurcht und Abscheu einen „richtigen Journalisten“ und betonten, so einer wäre noch nie in der Sendung gewesen. Joko war immerhin schwer verkatert, aber ich fürchte, das allein macht ihn noch nicht zum Journalisten.

Auf den zweiten Platz wurde die wunderbare Silke Burmester gewählt. Die bezeichnet sich zwar selbst gelegentlich als Journalistin. Aber jeder, der ihre bösen Kolumnen in der „taz“ oder bei „Spiegel Online“ kennt, weiß, dass sie dafür viel zu lustig ist.

Und dann, der Sieger, der Unterhaltungsjournalist des Jahres: Thomas Gottschalk, ein Mann, der von sich sagt: „Ich habe mich nie als Journalist betrachtet.“

Ich könnte jetzt aus dieser Laudatio ein Proseminar II im Aufbaumodul „Kernkonstituenten eines Journalisten“ machen und mit Ihnen durchdiskutieren, welche Kriterien Thomas Gottschalk trotzdem erfüllt – und sei es widerwillig. Ich glaube aber, das wäre gar nicht interessant.Viel interessanter ist die Frage, warum die Journalisten in der Jury sich dafür entschieden haben, Gottschalk zu einer Art Ehren-Journalisten zu küren.

Es gab, wenn wir ehrlich sind, nur ein winziges Zeitfenster, in dem diese Wahl möglich war: Die kurze Zeit, in der die Journalisten nicht mehr damit beschäftigt waren, schlechtgelaunt jede Sendung „Wetten dass“ zu verreißen, und noch nicht damit beschäftigt waren, schlechtgelaunt jede Sendung „Gottschalk live“ zu verreißen.

Es brauchte diesen Moment des Innehaltens, um zu erkennen, dass es an diesem Mann nicht nur viel auszusetzen gibt, sondern auch unendlich viel zu rühmen: Sein Gespür in heiklen Situationen; seinen spontanen Witz; seine Abgrenzung von einem Wettlauf um das niedrigste Niveau; seine Bildung, auf die er zurückgreifen konnte, wenn er geistreich sein wollte; seinen Mut, nicht auf Nummer Sicher zu gehen, sondern mit einer täglichen Live-Show noch einmal ganz neu anzufangen; seine Größe als Entertainer.

Ich verstehe die Auszeichnung für Thomas Gottschalk als einen Dank der Journalisten an einen Mann, dem sie nicht nur beste Unterhaltung, sondern auch unendlich viel Stoff für ihre Geschichten verdanken. Und der etwas mitbringt, was rar geworden ist: Fallhöhe. Vielleicht ist es auch ein Dank dafür, dass Gottschalk einer der letzten ist, die Journalisten noch ernst nehmen. All die Kritik des Feuilletons, die er gut ignorieren könnte, all die fehlende alltägliche Wertschätzung nagt an ihm.

Ich weiß nicht, warum das so ist. Aber ich hoffe, dass das jetzt besser wird. Nun, da er nicht nur einen Grimme-Preis hat, sondern auch als „Unterhaltungsjournalist des Jahres“ ausgezeichnet wurde. Herzlichen Glückwunsch!

Es ist nichts passiert

Das Blöde am Livebloggen ist ja, dass man sich weder die Sendung vernünftig ansehen, noch ausgeruht darüber nachdenken kann. Aber mit dem Abstand von immerhin einer Stunde halte ich einen Gedanken für festhaltenswert:

Die letzte Gottschalk-Ausgabe von „Wetten dass?“ war bezeichnend für das Problem, das die Sendung seit längerem hat: Es ist nichts in ihr passiert.

Günther Jauch war zu Gast. Gottschalk und Jauch sind befreundet, können wunderbar miteinander frotzeln. Aber sie haben nichts miteinander gemacht. Jauch war nach wenigen Minuten abgemeldet, saß als Dekoration auf dem Sofa herum. Als Abschiedsgeschenk für Gottschalk hat er ein paar Ausschnitte mit Sendungshighlights mitgebracht — nichts was die Zuschauer und Gottschalk nicht schon Dutzende Male gesehen haben. Er hat sich nichts einfallen lassen, nichts riskiert.

Die ganze Sendung hindurch hat Gottschalk als Running Gag versucht, Jauch dazu zu bringen, eine seiner nächsten Shows in einem alten Anzug von sich zu moderieren. Und die Show endet, ohne dass Jauch ihn wenigstens probeweise mal anzieht?

Zwischendurch hielt Jauch die unglaublich großen Hosen von Dirk Nowitzki in die Höhe und stellte sich vor, wie Gottschalk darin wohl aussähe. Und die Show endet, ohne dass der Moderator das mal vorführt?

Kann sich jemand erinnern, was Iris Berben in der Sendung gesagt oder gemacht hat? Sie war da und trug eine fleischfarbene Bluse mit sehr unglücklich drapiertem Discokugel-Lametta, aber sonst? Iris Berben ist eine der beliebtesten und etabliertesten Schauspielerinnen Deutschlands. Sie bringt Gravität mit und ist gleichzeitig eine begnadete Komikerin — und ihr oder der Redaktion ist exakt nichts eingefallen, was man aus diesem Potential machen könnte, außer ihr ein paar Handschellen für Gottschalk mitzugeben?

Thomas Gottschalk ist ein Moderator, der am besten ist, wenn unvorhergesehene Dinge passieren — und die Verantwortlichen lassen seine letzte Sendung zu Ende gehen, ohne dass irgendetwas für ihn Unvorhergesehenes passiert? Ein Gast, mit dem er nicht gerechnet hat, eine Aktion, auf die er nicht vorbereitet war, irgendetwas anderes als alte Sendungs-Ausschnitte, irgendetwas? Irgendetwas?

Wenn dies tatsächlich das Ende einer Ära war und der Abschied Gottschalks tatsächlich die Nation bewegte, wofür viel spricht — hätte sich dann nicht irgendjemand irgendetwas einfallen lassen müssen? Vielleicht mit Politikern im Bundestag, die man vor die Kamera bekommen hätte, vielleicht mit den Fernsehgrößen dieses Landes, die jeweils in den Kulissen ihrer eigenen Sendungen eine Aktion, eine Parodie, einen Gruß gemacht hätten, möglichst jedenfalls: etwas Besonderes, etwas zuvor Ungesehenes, etwas Überraschendes, für Gottschalk, für die Zuschauer?

In der vorletzten Sendung von „Wetten dass“ gab es immerhin ein paar Momente, in denen etwas passierte: David Garrett brachte das Publikum zum Staunen, als er Geigen und Geigenspieler am Klang erkannte. Die Gäste brachten Gottschalk ein Ständchen. Und ich glaube, dass tatsächlich viele Millionen Menschen gleichzeitig den Atem angehalten haben, als es schien, als ob der junge Mann, der mit verbundenen Augen unter Wasser einen Zauberwürfel zurückdrehte, gar nicht mehr auftauchen würde, egal wie lange es dauern würde.

Es braucht gar nicht viel, um etwas passieren zu lassen. Bei einer Show mit den Möglichkeiten von „Wetten dass“ bräuchte es eigentlich nur eines: den Willen dazu.

Stefan Raab hat ihn gelegentlich, wenn nicht wieder Fließband-Wochen bei „TV Total“ sind. Als neulich Justin Bieber zu Gast war, hat er sich mit ihm ein Schlagzeug-Duell geliefert. Das war, kann man natürlich sagen, nichts Weltbewegendes. Aber es bot genau das, was gute, im besten Sinne harmlose Unterhaltung leisten kann: Vergnügen. Und Gesprächsstoff. Und man bekam sogar eine Seite von Justin Bieber zu sehen, die man noch nicht kannte; er wirkte fast befreit von der Last, immer nur in denselben Standardsituationen sich selbst zu spielen.

Als Raab vor drei Jahren bei „Wetten dass“ war, dachte er sich selbstverständlich auch etwas aus. Erst parodierte er, in Absprache mit dem Synchrondolmetscher, die klassische Internationaler-Gast-mit-Knopf-im-Ohr-Situation. Und dann huldigte er Udo Jürgens, indem er sein „Aber bitte mit Sahne“ am Flügel zum besten gab, stilecht mit eigens mitgebrachtem Bademantel.

Auch Anke Engelke und Bastian Pastewka haben einige Momente geschaffen, in denen etwas passierte, als sie als „Wolfgang & Anneliese“ bei „Wetten dass?“ auftraten und Gottschalk aus seiner Routine zwangen.

Das war einmal üblich: dass Prominente, die zu „Wetten dass“ gehen, sich etwas Besonderes ausdenken. Und diese Funktion hatten auch die Wetteinlösungen für Gäste, die sich vertippt hatten: Menschen, die wir aus dem Fernsehen in einer bestimmten Rolle kennen, dazu zu bringen, aus ihr heraus zu fallen. Unerreichbare Menschen angreifbar zu machen.

Alles vorbei. Vorletzte Sendung sollte Otto Waalkes als Wetteinlösung aus einem Eisblock einen Schlüssel herausschmelzen, was nach wenigen Minuten von allen Beteiligten gnädig vergessen wurde.

„Wetten dass“ ist eine Sendung geworden, die nichts mehr riskierte, und damit meine ich nicht lebensgefährliche Wetten. Es ist eine Sendung geworden, der es völlig genügte, dass Iris Berben auf dem Sofa sitzt, ohne sich Gedanken zu machen, was sie dort tut oder was man dort mit ihr tun könnte.

Manfred Teubner, der für sie verantwortliche Unterhaltungschef des ZDF, hört im nächsten Jahr auf, aber vermutlich ist er in Wahrheit schon lange im Ruhestand.

Thomas Gottschalk, der populärste Moderator des deutschen Fernsehens beendet eine von zehn Millionen Menschen gesehene Traditions-Show, die er und die ihn geprägt hat, und alles, was der Produktion einfällt zu seinem Abschied sind ein paar alte Ausschnitte und am Ende Laserstrahlen und die Worte „Danke Thomas“ als Leuchtschrift.

Man muss es Arbeitsverweigerung nennen.

Thomas Gottschalk

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Das Gute für ihn ist: Er kann immer wieder zurückgehen. Wäre ja nicht das erste Mal, dass er sich groß verabschiedet von „Wetten, dass“, um dann nach kurzer Zeit einfach wieder zurückzukommen, fragen Sie mal Wolfgang Lippert. Ab einer bestimmten Liga wirkt das nicht unentschlossen oder unsouverän, sondern als Beweis echter Größe. Hans-Joachim Kulenkampff hat sich schon 1966 zum ersten Mal von „Einer wird gewinnen“ verabschiedet. Vielleicht könnte man sogar eine jährliche Gottschalk-Verabschiedungs- und Rückkehr-Routine daraus machen, quasi eine Meta-Show, mit den Berichterstattern als Kandidaten, die erraten müssen, zu welchem Sender er das nächste Mal geht, wohin er dafür seinen Wohnsitz verlegt und ob Michelle Hunziker ihn begleiten wird.

Vorerst aber zerbrechen sich die Medienprofis und -laien im Land rührend den Kopf, wie genau die ARD denn Platz finden soll für eine fast-werktägliche halbstündige Gottschalk-Show vor der „Tagesschau“, wo diese Strecke doch zugerümpelt ist mit Programmhinweisen, Werbung, einem Miniwissensmagazin, Werbung, einem Minibörsenmagazin, Werbung und dem Wetterbericht. Dabei ist das leicht: Das wird einfach alles Teil der neuen Show.

Gottschalk sitzt also auf dem Sofa und begrüßt die Zuschauer zuhause und die Moni aus Pirmasens, die per Facebook zugeschaltet ist und über deren knappes Kleid er ein paar anzügliche Witze macht, die Kamera zieht auf, man sieht, dass Steffi zu Guttenberg schon neben Gottschalk sitzt, er bietet ihr auf die Frage, wie es so war in Amerika, drei Antwortmöglichkeiten und erkundigt sich, ob sie sich auch schon mal gefragt hat, wie ein Fahrstuhl funktioniert, aha, soso, na dann soll uns das der Ranga mal erklären; es folgt ein Einspielfilm über eine Familie aus der Pfalz, die kleine Nougat-Guttenberge verkauft, ein Quiz, bei dem Moni gegen irgendeinen Twitter-Typ um einen Audi spielt, eine Schalte zur Börse, der Lustige-YouTube-Clip des Tages, die Nachfrage bei Moni, wie denn das Wetter in Pirmasens ist, Überleitung zu Claudia Kleinert, die Moni sagt, dass sie die Grillparty am Wochenende knicken kann, Verabschiedung Steffi zu Guttenberg, morgen auf dem Sofa: Fritz Wepper!

Thomas Gottschalk

Ich fürchte, mit kalten Duschen ist es nicht mehr getan. Vielleicht müsste man doch Jungfrauen opfern. Dann würde man Herrn Gottschalk am Nachmittag vor einer großen Sendung ein Mädchen aufs Hotelzimmer schicken. Für den guten Zweck.

Am Donnerstag bei der Verleihung der „Goldenen Kamera“ hat Thomas Gottschalk ungefähr keine Frau auf die Bühne gelassen, ohne ihr seine ausdrückliche Paarungsbereitschaft versichert zu haben. Yvonne Catterfeld erzählte er, dass er gerne mit dem Satz prahle: „Die hatte ich auch schon auf der Couch.“ Eva Mendes, mit der er eine Laudatio hielt, erklärte er: „Wir machen das jetzt gemeinsam. Ich erzähl‘ ein bisschen, und du siehst wunderschön aus.“ Und über den Partner von Veronika Ferres sagte er: „Da isser wieder. Er lässt sie nie allein weg. Aber irgendwann krieg ich dich.“

Längst nimmt Gottschalk beide Teile des Wortes Lustgreis ernst und betont, dass er der Großvater all der Frauen sein könnte, die er öffentlich begehrt. Jede Popgruppe moderiert der 56-jährige mit dem Hinweis an, dass er mit dem Zeug der jungen Leute von heute wenig anfangen kann. Minh-Khai Phan-Thi stellte er mit den Worten vor: „Als sie geboren wurde, habe ich gerade die Hosen der Bay-City-Rollers als Radio-DJ verlost.“ Kim Fisher mit dem Satz: „Als ich geheiratet habe, kam sie gerade in die Schule.“ Längst wird Gottschalk nicht mehr nur von einem anderen Kontinent in unser Fernsehen eingeflogen, sondern aus einer anderen Epoche.

Er wirkt zunehmend wie ein älterer Bruder von Jopi Heesters. Die Menschen, mit denen er da zu tun hat, sind ihm sichtlich fremd, wenn er ihnen nicht schon einmal ein Haus in Malibu verkauft hat. Es hilft auch nicht, dass er seine Texte fast Wort für Wort irgendwo abliest, weshalb er immer an der Kamera vorbeiguckt. Schön war nur der Moment, als er über die Gruppe US5 improvisierte, „ihre großen Erfolge reichen für ein Medley“, und sich herausstellte, dass es konkret aus exakt zwei Stücken bestand.

Ach, und falls das mit den Jungfrauen nicht klappt, könnte man vielleicht Nina Ruge bitten, Gottschalk vor der Sendung regelmäßig irgendwohin zu treten. Als er mit der Kamera das Publikum filmte und sie endlich richtig im Fokus hatte, entfuhr es ihm: „Einmal im Leben hab ich sie scharf gekriegt!“

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Großes kleines Fernsehen

Süddeutsche Zeitung

Sendungskritik: „Gute Nacht, Gottschalk“

Angenommen, jemand kriegt kurz nach seinem 48. Geburtstag eine sentimentale Phase und beschließt, sich eine Freude zu machen. Er lädt ein paar Idole seiner Jugend ein, Rockgitarristen, Models, sowas. Er zeigt ihnen, daß er ihre alten Platten noch hat, legt sie auf, summt mit. Ein paar der Gäste haben neue Platten mitgebracht, gemeinsam lauscht man, klimpert auf der Gitarre, erzählt sich, was an den guten alten Zeiten so gut war und ißt ein paar Käsehäppchen, weil der Pizza-Service schon zu hat. Gelegentlich klingelt das Telephon, Bekannte sind dran und Wildfremde, die auch gerade 48 geworden sind oder erst 22 oder schon 63. Drei Stunden dauert das Ganze, die ersten Besucher verabschieden sich immer wieder, neue sagen Hallo, ein paar haben ihre Frauen mitgebracht. Käme irgendwer auf die Idee, das ungefiltert im Fernsehen zu zeigen? Ok, der sentimentale alternde Typ ist nicht irgendwer, sondern Thomas Gottschalk. Aber will das ein Schwein sehen? Drei Stunden lang? Ohne Publikum, TED und Gewinnspiel?

Möglich wär’s, schön wär’s auch. „Gute Nacht Gottschalk“ sei „kleines Fernsehen“, sagt der Moderator am Anfang: „Es passiert nix.“ Doch die 190 Minuten kleines Fernsehen sind spannender als die meisten 90 Minuten großes, da sie völlig ohne die Rituale der Fernsehunterhaltung auskommen. Ringo Starr sieht ein wenig irritiert auf den CD-Spieler, in dem sein neuestes Werk läuft, ohne daß er mitsingen müßte. Rick Partiff von Status Quo und Brian May von Queen sträuben sich, ihre Plätze für Paola und Kurt Felix zu räumen. Assistentin Anke Engelke macht sich über Gottschalks Fragetechnik lustig und macht muffelig den Tisch sauber, weil außer Paola und Kurt keiner sein Glas selbst weggeräumt hat. Und Gottschalk kann sich bis zum Schluß nicht merken, daß der Sender „WDR Fernsehen“ heißt. Es ist egal, daß es in Köln keine Pizza mehr zu bestellen gibt und daß unbekannte Menschen fröhlich durchs Bild wuseln, um technische Probleme zu lösen. Die einzige wirkliche Panne ist der Versuch, das englisch-deutsche Sprachchaos zu übersetzen — und Dieter Thomas Heck durchzustellen, der anruft, um den „lieben Kurti“ zu grüßen.

WDR-Redakteur Michael Au hat nach „Feuersteins längster Nacht“ ein weiteres Fernsehexperiment gewagt. Passiert ist nichts. Aber die Art, wie nichts passierte, war spannend.