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Vier Moderatoren sind vier zuviel: Das TV-Duell — ein Vorschlag zur Güte

Ich hätte einen Vorschlag für eine neue, bessere Form des „TV-Duells“: Wir verzichten auf die Moderatoren. Nicht nur auf zwei oder drei, sondern auf alle vier.

Die vollständigen Regeln gingen so:

1. Die Kanzlerin und ihr Herausforderer sitzen sich 90 Minuten lang an einem Tisch gegenüber.
2. Jeder von ihnen hat insgesamt 45 Minuten Redezeit.

Fertig.

Es gäbe keine Themenvorgaben. Jeder von beiden könnte selbst bestimmen, worüber er reden und womit er sein Gegenüber herausfordern will. Es wäre aufschlussreich, worüber sie reden wollen — und welche eigentlich drängenden Themen vielleicht beide lieber unter den Tisch fallen lassen.

Es gäbe keine Begrenzung auf 90 Sekunden pro Antwort. Jeder von beiden müsste sich selbst entscheiden, ob ihm ein Punkt so am Herzen liegt, dass er darüber einen mehrminütigen Monolog hält — auf die Gefahr, dass die Zeit an anderer Stelle fehlt oder das Publikum mit Langeweile und Widerwillen reagiert.

Es gäbe kein Frage-Antwort-Spiel mit Moderatoren, wie man es unendlich oft gesehen hat, sondern die Möglichkeit, Zeuge einer unmittelbaren Kommunikation zwischen den beiden Kandidaten zu werden. Sie könnten einander angreifen und sich gegenseitig der Lüge bezichtigen oder sich entscheiden, dass es überzeugender sein könnte, es mit einem gesitteten Austausch von Argumenten zu versuchen.

Es gäbe keinen unparteiischen Schiedsrichter, außer den unsichtbaren Zeitnehmer, wobei es sogar noch attraktiver wäre, auch auf den zu verzichten: Jeder Redner würde, wie bei einer Schachuhr, am Ende seines Wortbeitrages auf einen Schalter drücken. Dann läuft die Zeit des anderen und dessen Mikrofon ist geöffnet.

Es wäre tatsächlich ein Strategiespiel: Mit welcher Taktik geht man als Kanzlerin oder Kandidat in ein solches „Duell“; welche Themen sucht man sich aus; gibt man sich angriffslustig oder versucht man vor allem, die Deckung zu bewahren; wie oft kehrt man zurück zu einem wunden Punkt des Gegners oder vertraut darauf, dass das Publikum sein Ausweichen bemerkt hat?

Beide könnten machen, was sie wollen. (Okay, vermutlich sollte man als dritten Regelpunkt das Mitbringen von spitzen Gegenständen untersagen.) Und wir, das Fernsehpublikum und das Wahlvolk, würden uns über das, was sie sich entschieden haben zu machen, und darüber, wie sie es gemacht haben, dann ein Urteil bilden.

Was wäre das für ein atemberaubendes „Duell“: Man wüsste tatsächlich vorher nicht, was passiert, weil all die Leitplanken nicht mehr existierten. Plötzlich wären die ganzen Countdown- und Nachbereitungs-Sendungen, die in den Programmen herumstehen, sogar berechtigt.

Und trotzdem wäre es paradoxerweise eigentlich kein Spektakel, keine Firlefanzisierung des „Duells“, sondern eine Reduktion auf das Wesentliche: Zwei Menschen reden miteinander. Ohne vier Moderatoren und eine unbekannte, aber vermutlich bestürztend große Zahl von Regeln, die vor allem dazu dienen, zu verhindern, dass in dieser Sendung tatsächlich etwas Unvorhergesehenes passieren könnte.

(Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass — insbesondere, solange Angela Merkel beteiligt ist — das Konzept zu einem Einsatz von Massenvernichtungsfloskeln führt. Aber mal angenommen, beide Kandidaten füllen die 90 Minuten damit: Dann glaube ich, dass es in der puristischen Form eher auffiele und von den Zuschauern bestraft würde, als in dem real existierenden „TV-Duell“, das ja selbst aus sovielen Ritualen besteht, dass die Zumutung der Wortrituale womöglich gar nicht auffällt.)

Natürlich ist es undenkbar, dass eine solche Form von Fernseh- bzw. Kanzler-„Duell“ in Deutschland je geben wird. Selbst wenn sich die Politiker darauf einließen, würden es die Sender nicht übertragen wollen, solange ihre Moderatoren nicht daran teilnehmen dürften. Ich wollte es (mir) trotzdem mal vorgestellt haben.

(Die Idee ist in der „Tagesschaum“-Redaktion entstanden und steckt (eher als Rudiment) in der Folge vom vergangenen Donnerstag, aus der auch die Illustration stammt.)

Nachtrag, 15 Uhr. Der ORF hat so etwas Ähnliches in den siebziger Jahren tatsächlich gemacht.