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„TV Total“ beweist: Stefan Raab versteht keinen Spaß

Es ist, zugegeben, ein bisschen absurd, sich als Watchblog von „TV Total“ gerieren und der Show sachliche Fehler vorhalten zu wollen. Andererseits: Wenn man etwas von einer Comedysendung erwarten darf, dann doch vielleicht, dass sie einen Witz als solchen erkennt.

Am vergangenen Donnerstag kündigte Stefan Raab den Zuschauern einen „Klassiker“ an:

„Der Reporter denkt, er ist noch nicht zu sehen mit seinem Mikrofon. Und sagt sich, okay, da erledige ich noch mal was. Man kann ihn aber leider schon sehen. Schauen Sie mal hier, das ist passiert beim NDR, in der Sendung ‚Hallo Niedersachsen‘.“

Es folgte ein Ausschnitt, in dem tatsächlich ein Reporter zu sehen ist, wie er sich großräumig in der Nase bohrt und scheinbar erschrocken „laufen wir?“ fragt, bevor er abrupt mit ernster Stimme mit seinem Aufsager beginnt: „Berlin hat seinen ersten handfesten Skandal im Jahr 2011…“


Großes Gelächter im „TV Total“-Publikum und beim Moderator. „Er ist sehr bekannt für seine bohrenden Fragen“, kichert Raab. „Spitzenszene, oder?“

Wie man’s nimmt.

Es hätte geholfen, noch einen Satz weiter zu hören. Der „handfeste Skandal“, den NDR-Reporter Olaf Kretschmer ausmachte, ist nämlich dieser:

„Obwohl der Bundesgesundheitsminister nicht genug auf die Waage brachte, um Oldenburger Kohlkönig zu werden, wurde er genau als solcher proklamiert. Ob der FDP das in diesem Wahljahr hilft, bleibt abzuwarten.“

Der Bericht handelt vom traditionellen Kohlessen in der Niedersächsischen Landesvertretung. Kretschmer war mit einer Waage dort aufgekreuzt und hatte vor dem Essen und danach das Gewicht der anwesenden Spitzenpolitiker miteinander verglichen. Weil Philipp Rösler während der Veranstaltung nur 1,1 Kilo zugenommen hatte, sagte er vorwurfsvoll zu dem Gesundheitsminister: „Wir haben Sie gewogen und für zu leicht befunden.“ Die Tatsache, dass Rösler dennoch, wie ausgekungelt, zum Kohlkönig ausgerufen wurde, prangerte der NDR-Mann in seinem vierminütigen Stück an.

Im Scherz. Es handelt sich um einen Witz. Der ganze „Hallo Niedersachsen“-Beitrag ist eine Glosse; ein Versuch, sich dem merkwürdigen Termin originell und unterhaltsam zu widmen. Das Beim-in-der-Nase-Popeln-erwischt-Werden war Teil der Komödie.

Und wenn die Redaktion von „TV Total“ das schon nicht erkannt hat, hätte sie es wenigstens daran merken können, dass die vermeintliche Live-Schalte, von der der Reporter überrascht wurde, gar nicht live sein konnte: Das Grünkohlessen hatte, wie in der Anmoderation erwähnt, schon am Abend vorher stattgefunden.

War das lustig? Meh. War es lustig gemeint? Ohne Frage.

Es gibt immer dösige Zuschauer, die sowas trotz diverser Hinweise im Film nicht verstehen. Dass sie auch bei „TV Total“ arbeiten und sich über die vermeintlichen anderen Deppen im Fernsehen lustig machen, ist aber ein bisschen beunruhigend.

Vor und hinter den Kulissen von „TV Total“

Bevor man bei „TV Total“ auftritt, muss man sein Lebensrecht an die Produktionsfirma Brainpool übertragen. Nicht wirklich, natürlich, aber gefühlt. Neun Seiten ist der „Studio- und Eventshowgastvertrag“ lang, den man zur Unterschrift bekommt, freundlicherweise ergänzt um eine fünfseitige „Anlage A“ mit „Begriffsbestimmungen“, in denen meterlange Bandwurmsätze detailliert unterscheiden zwischen „Filmherstellungsrecht“, „Senderecht“*, „Kinorecht“, „Recht zur öffentlichen Vorführung“, „Videorecht“, „Tonträgerrecht“, „Datenbank- und Telekommunikationsrecht“, „Merchandisingrecht“, „Drucknebenrecht“, „Werberecht“, „Bewerbungs- und Werbeunterbrechungsrecht“, „Recht zur Drittwerbung“, „Klammerteilrecht“ (kein Witz), „Synchronisationsrecht“, „Bearbeitungsrecht“, „Bühnen- und Hörspielrecht“, „Festival- und Messerecht“, „Archivierungsrecht“, „Titelrecht“ und „Formatrecht“.

Ein ehemaliger Brainpool-Mitarbeiter hat mir mal erzählt, dass man die Profis daran erkennen könne, dass sie vor dem Unterschreiben des Vertrages sechs der neun Seiten einfach durchstreichen. Leider habe ich vergessen, welche.

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„Vertragspartner hat für seine Darbietung/Mitwirkung/Leistung seine persönliche Garderobe zur Verfügung zu stellen, soweit im Einzelfall nichts Anderes vereinbart ist“, steht in Punkt 7.7 des Vertrages, was natürlich eine schöne Theorie ist. Praktisch war ich so klug, für den Auftritt bei „TV Total“ am vergangenen Donnerstag mein schönes rotkariertes Hemd anzuziehen, das die Aufnahmeleiterin innerhalb von Sekunden als vermutlich ungeeignet für den Bildschirm einstufte. (Michael Reufstecks Hemd bekam von ihr das Urteil garantiert ungeeignet, aber nach dem Probesitzen vor den Kameras im Studio schied auch meins endgültig aus.)

Ich bekam dann als Ersatz ein hellblaues Hemd, das, glaube ich, einem der Musiker gehörte. Auf meinen Einwand, dass das vielleicht fernsehtauglich, aber langweilig sei, sagte die nette Redakteurin, sie könnte auch noch die weniger langweiligen Varianten in giftgrün und orange holen, hätte aber vermutet, dass die nichts für mich seien. Schlimm, wenn diese Leute auch noch Recht haben.

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Ich hatte vorher kurzzeitig darüber nachgedacht, mehr oder weniger live über den Auftritt bei „TV Total“ zu bloggen, aber ehrlich gesagt, war daran gar nicht zu denken. Ich war zwar viel weniger aufgeregt als vor knapp drei Jahren, als wir schon einmal in der Show waren, um unser „Fernsehlexikon“ vorzustellen. (Diesmal war der Anlass unser neues Buch „Zapp“.) Aber ich war trotzdem mehr als genug damit ausgelastet, die Situation zu erleben, ohne sie auch noch zu notieren oder gar zu reflektieren. Vor allem verfiel ich immer wieder in eine (nicht nur angesichts der Vorbereitungsphobie von Stefan Raab) völlig absurde Panik, dass ich nicht genug vorbereitet war. Dass mir kein Beispiel einfiele, wenn Raab nach einer netten Anekdote fragen würde. Dass mir ein Beispiel einfiele, aber nicht die konkreten Namen. Dass mir ein Beispiel einfiele und sogar die konkreten Namen, ich mich aber hoffnungslos in der Erzählung verheddern könnte, wenn ich das nicht eine halbe Stunde vorher nochmal testweise vor mich hin aufgesagt habe.

Man ist ja diesem Medium Fernsehen so furchtbar ausgeliefert. Ein Moment, in dem man ins Stottern gerät, und schon landet man unter einem der Knöpfe auf Raabs Schreibtisch oder wird Hauptperson in einem Video, mit dem er dann monatelang die Charts verstopft. Okay, das ist keine sehr wahrscheinliche Aussicht, aber diese Showtreppe zum Beispiel, ist wirklich fies steil (gibt es keine DIN-Vorgaben für Showtreppen?), und man will ja auch nicht wie Johannes Heesters aussehen, wenn man die runterklettert, sondern flott und entspannt wirken, und würden die Fernsehleute, wenn man wirklich mal hässlich stolperte und mit dem Kopf fies unten auf Raabs Stuhl knallte oder gleich komplett die Dekoration mit sich riss, sagen: Kein Problem, wir drehen das einfach nochmal? Oder hätte jemand die Szene, noch bevor man wieder zuhause ist, schon bei YouTube hochgeladen? Eben.

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Über zehn Jahre ist es her, dass ich Raab zum ersten Mal getroffen habe, damals noch in der ehemaligen Metzgerei seiner Eltern in Köln-Sülz, und ich glaube, wir duzen uns, seit ich ihn 2000 beim Grand-Prix in Stockholm für die „Süddeutsche Zeitung“ eine Woche begleitet habe. In seiner Show aber siezt er mich – vermutlich weniger aus irgendeinem pseudojournalistischen Impuls heraus, sondern um den komischen Mythos zu pflegen, den er da aufbaut, von dem bösen Fernsehkritiker, vor dessen Kolumne (deren Titel ihm gerade nicht einfiel) in der Zeitung (deren Name ihm gerade nicht einfiel) alle Angst hätten. Werden sonst irgendwelche „TV Total“-Gäste gesiezt?

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Seine fahrbare Sitzgruppe quietscht. Ganz erbärmlich sogar, wenn sie langsam fährt. Man hört das nur nicht, weil die Band spielt.

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Die Aufzeichnung, die eigentlich um 18 Uhr oder 18.30 Uhr losgehen soll, begann am Donnerstag erst mit größerer Verspätung: Raab ließ in letzter Minute noch an einer Nummer über den Rauswurf von Elke Heidenreich basteln. Das hatte die einigermaßen absurde Folge, dass man das Publikum nach dem Warm-Up durch die Aufnahmeleiterin und dann durch Raab sich endlose Minuten wieder langweilen und abkühlen ließ. Hinter der Bühne gab es wenigstens Süßigkeiten und Sandwiches und eine Toilette, auf die ich alle zehn Minuten gehen konnte, und die Möglichkeit, sich noch einmal zu überlegen, was man erzählen könnte, und überhaupt die Grundsatzfrage zu wälzen: Ist es klug, als Fernsehamateur in einer Show wie „TV Total“ zu versuchen, lustig zu sein? Sich gar vorher Pointen zu überlegen? Oder ist die sichere Variante doch besser, ganz passiv den Gastgeber die Witze machen zu lassen?

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Das Gespräch selbst war dann erstaunlich entspannt (außer, dass in jeder Sekunde, in der ich in diesem blöden Sessel sitze, 80 Prozent meiner Gehirnzellen damit beschäftigt sind, sich zu fragen, wie das wohl gerade aussieht, wie ich da sitze, und ob ich nicht lieber anders…). Anders als beim letzten Mal, als ungefähr alle meine Redeanteile herausgeschnitten wurden, ist es in der ausgestrahlten Sendung (hier anzusehen). auch kaum gekürzt. Es fehlt eigentlich nur eine Gesprächssackgasse, als Raab einen Satz aus meinem Teletext über Boris Becker vor einigen Wochen zitieren wollte, der ihm aber leider nicht einfiel, und ich konnte mich kaum erinnern, den Text überhaupt geschrieben zu haben.

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Bevor wir Anfang 2006 mit unserem „Fernsehlexikon“ da waren, hatte uns jeder gesagt, dass nach dem Besuch „TV Total“ die Verkaufszahlen für das Buch durch die Decke gehen würden. Tatsächlich haben wir, wenn ich mich recht erinnere, hinterher minus 50 Bücher verkauft (fragen Sie mich nicht, wie das geht), was entweder daran lag, dass das Buch damals noch 49 Euro kostete, oder daran, dass das „TV Total“-Publikum eh nicht liest.

Okay, das zweite kann es nicht sein: „Zapp“ schoss nach der Sendung bei Amazon zeitweise unter die Top-100.

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Hinterher durfte ich mir dann noch im Studio nebenan die Aufzeichnung von zwei der neuen Folgen von „Ladykracher“ ansehen, das übernächste Woche ins Fernsehen zurückkehrt und wieder toll ist, aber das ist eine andere Geschichte.

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*) „Die Ausstrahlung kann mittels terrestrischer Funkanlagen, Satelliten unter Einschluss von Direktsatelliten (DBS), Kabelfernsehen unter Einschluss der Kabelweitersendung, Telefonnetzen, Stromkabelnetzen (Powerline), Breitbandnetzen (z.B. SDSL (Symmetrical Digital Subscriber Line)), Richtfunk-Datenübertragungstechnologien (z.B. WLL (Wireless Local Loop), DVB-T (Digital Video Broadcasting Terrestrial)) oder ähnlicher technischer Einrichtungen oder mittels einer Kombination solcher Anlagen linear oder zur interaktiven Nutzung, verschlüsselt oder unverschlüsselt und unabhängig von der Art des Empfangsgerätes (z. B. Fernsehgerät, PC, MHP (Multimedia-Homeplatform), Mobiltelefon, PDA, Spielekonsole wie z. B. Playstation, und/oder sonstiges Gerät bzw. einer Kombination dieser Geräte) sowie unabhängig davon erfolgen, in welcher Rechtsform die jeweilige Sendeanstalt betrieben wird (öffentlich-rechtlich oder privat, kommerziell oder nichtkommerziell) und ob und ggf. wie ein Nutzungsentgelt erhoben wird und wie die Rechtsbeziehung zwischen Sendeunternehmen und Empfänger ausgestaltet ist (z.B. Anstaltsnutzung, Multichannel, interaktives Fernsehen, Gebühr, Abonnement, sog. e-commerce-Transaktionen unter Einschluss von Online-Überweisungen und Mobiltelefon-Transaktionen/M-Payment, Pay-TV und -Radio, Pay-per-view/-audio/-channel, „Video-on-demand“, „Near-video-ondemand“ etc.).“ usw.