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Das „britische Erdbeben“, der „Durchmarsch“ der UKIP – und die Realität

Bei „Spiegel Online“ sind sie ganz aufgeregt. Gut, das sind sie immer, aber sie sind es auch wegen der Ergebnisse der Kommunalwahlen in England. Ein „Erdbeben“ habe sich in Großbritannien ereignet, schnappatmet der Bericht; die britische Unabhängigkeitspartei Ukip feiere einen „Durchmarsch“ und „Sieg“.

Und tatsächlich sind das ja spektakuläre Ergebnisse:

Quasi aus dem Nichts hat die United Kingdom Independence Party weit über 100 Sitze geholt. Kein Wunder, dass die anderen Parteien schockiert sind.

Winziges Detail: Die BBC-Grafik da oben ist von 2013. Es waren die englischen Kommunalwahlen vor einem Jahr, bei denen die UKIP mit ihrem Erfolg die politische Landschaft in Großbritannien erschütterte. Bei den Wahlen in dieser Woche hat sie diesen Erfolg nur in Wahlkreisen, in denen damals nicht gewählt wurde, wiederholt.

Hochgerechnet auf ganz Großbritannien hätte UKIP nach BBC-Schätzungen bei den Wahlen in diesem Jahr 17 Prozent der Stimmen bekommen. Im vergangenen Jahr waren es 23 Prozent.

Das heißt, die Zustimmung für die Partei ist gegenüber dem Vorjahr sogar ein bisschen gesunken. Das Bemerkenswerte an den Ergebnissen dieser Woche ist nicht, dass die UKIP spektakulär Stimmen gewonnen hätte. Das Bemerkenswerte ist, dass sie diesen Erfolg beinahe wiederholt hat. Es ist keine Geschichte eines Durchbruchs, sondern der Beständigkeit.

Das macht sich in einer Google-Suche, als klickträchtige Überschrift und überhaupt: für ein Medium wie „Spiegel Online“, das seinen Lesen jeden Tag die aufregendsten Nachrichten verspricht, natürlich nicht so gut wie die Zeile: „Das britische Erdbeben“.

Und um die Sache noch spektakulärer zu machen, spricht „Spiegel Online“ sogar von einem „Durchmarsch“ der UKIP. Ein „Durchmarsch“, an dessen Ende die UKIP nach Sitzen in den Bezirken, in denen gewählt wurde, viertstärkste Partei ist, hinter Labour, Konservativen und Liberaldemokraten. Ein „Durchmarsch“, an dessen Ende die UKIP keine einzige Ratsmehrheit erobern konnte.

Wenn das Wort „Durchmarsch“ nicht bloß die Bedeutung hat: „Oh mein Gott, hier ist etwas passiert, das nach einem wahnsinnigen Erfolg aussieht“, dann war das in dieser Woche kein Durchmarsch der UKIP. Aber wenn die UKIP tatsächlich irgendwann einen „Durchmarsch“ schafft, dann wird „Spiegel Online“ schon einen entsprechenden neuen Begriff finden, der dann noch größer und durchmarschiger klingt.

Es ist ein Journalismus, dem es im Zweifel darum geht, das Adrenalin zu maximieren, nicht das Verständnis.