Schlagwort: Unser Star für Baku

Die Premiere aus der Zukunft der Vergangenheit

Deutsches Fernsehen ist komisch.

Am Donnerstag warb der NDR in einer Pressemitteilung für eine „Premiere“, die in der Sendung „Star Quiz“ mit Kai Pflaume am folgenden Samstag gefeiert werde: „Zum ersten Mal wird in der Sendung das gerade gedrehte Gewinnervideo von ‚Unser Star für Baku‘ in voller Länge zu sehen sein.“

Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden, außer dass das „Star Quiz“ bereits am Montag aufgezeichnet worden war — zu einem Zeitpunkt also, als nicht nur das Video noch nicht fertig war, sondern noch nicht einmal feststand, wer welchen Titel darin singen würde.

Kai Pflaume musste also eine unspezifische Standard-Anmoderation sprechen, was ihm als unspezifischer Standard-Moderator nicht schwer fiel. Und so sah das aus:
 

Eine „Weltpremiere im Ersten“ war es dann auch nicht, weil das Video auf der „Unser Star für Baku“-Homepage bereits vorher zu sehen war.

Eigentlich hätte die ARD natürlich mit „Gottschalk live“ jetzt eine Live-Sendung, in der man solche Höhepunkte präsentieren könnte, jedenfalls wenn es einem nicht auf Zuschauer ankommt. Die Videos von Lena hatten übrigens im Morgenmagazin bzw. im Werbeblock vor der „Tagesschau“ Premiere.

(Die Ausstrahlung von „Bodyguard“, die in dem Ausschnitt oben etwas überraschend beworben wird, war die dritte Ausstrahlung des Filmes mit Whitney Houston in der ARD innerhalb von zehn Tagen. Deutsches Fernsehen ist komisch.)

Kontraste über Baku

Schade, dass noch die Werbung für James Bond dazwischenlag. Das wäre sonst gestern ein noch eindrucksvollerer Übergang gewesen zwischen „Unser Star für Baku“ und dem kleinen Beipackzettel für die Castingshow, den das Politmagazin „Kontraste“ im Anschluss produziert hat:
 

Dafür kann man den föderalen Wahnsinn der ARD lieben, dass er gelegentlich diese Form von Binnenpluralismus fördert. Ich mag mir das einbilden, aber die Schrifttafeln noch vor dem Vorspann und der Tonfall des Kürzestberichtes, der dann folgt, wirkten fast ein bisschen angepisst. So, als wären die Journalisten des RBB entschieden unglücklich darüber, in welchem Maße die Vorentscheidshow, die der NDR verantwortet, konsequent ausblendet, unter welch heiklen Bedingungen da in diesem Jahr der Musikwettbewerb stattfindet, für den man mit unbeirrbarer Routine einen deutschen Teilnehmer sucht.

Nun könnte man natürlich sagen, dass so Menschenrechtskram nicht in eine bunte Unterhaltungsshow gehört. Oder jedenfalls, dass die Leute das da nicht sehen wollen. Andererseits spricht gerade wenig dafür, dass die Leute das sehen wollen, womit die ARD und ProSieben anstelle irgendeiner Art von Substanz die Show aufblähem: die immer gleichen Blasen von den immer gleichen Nasen. Endlose Wiederholungen von Zusammenschnitten von Wiederholungen von Zusammenschnitten.

Nichts in dieser Show wird nur einmal oder von nur einem gesagt. Ein Mehltau von Bräsigkeit liegt über allem, und die erste halbe Stunde wirkt regelmäßig, als wollte man mit Gewalt jedem Zuschauer die Gelegenheit zum gründlichen Nachdenken geben, ob man nicht doch Besseres zu tun hat, als sich das anzusehen, die Bücher im Regal abwechselnd nach Farbe und Größe sortieren, zum Beispiel.

„Unser Star für Baku“ scheint die Pflicht zu haben, möglichst viel Sendezeit zu füllen, dabei aber nichts zu tun, an das man sich drei Sekunden nach der Austrahlung noch erinnern könnte. Tiefpunkt ist regelmäßig der Besuch bei dem Mann im Green Room, der die traurigste Aufgabe im deutschen Fernsehen hat: Gut gelaunt Werbung für die zombiehaften ARD-Popwellen zu machen, die die Show mit lustigen Aktionen im Internet begleiten.

Es ist nicht so, dass der Austragungsort gar nicht vorkommt in der Show: Wir sehen bunte Werbefilmchen von Baku und hören dazu die ursprünglich mal als Parodie gemeinte Stimme von dem Mann, der demnächst sein 750-jähriges Dienstjubiläum als Off-Sprecher bei allen Raab-Sendungen feiert. Interessanterweise heißt es dabei über die „Kristallhalle“, die gerade in Baku entsteht und in der das Finale Ende Mai stattfinden wird, dass sie „eigens“ für den Song Contest gebaut werde. Das widerspricht der offiziellen Propaganda-Version der European Broadcasting Union EBU, die den Grand-Prix veranstaltet. Seit es heftige Auseinandersetzungen um Zwangsräumungen von Häusern in der Nähe der Baustelle gibt, betont die EBU, dass der Bau der Halle und der Song Contest gar nichts unmittelbar miteinander zu tun hätten, um keine Verantwortung für Kollateralschäden übernehmen zu müssen.

Ich habe in Baku das Gefühl gehabt, dass sich die EBU in unangenehmer und unnötiger Weise zum Komplizen des Regimes macht, für das der Song Contest ein Mittel ist, sich Europa als ein modernes, weltoffenes Land zu zeigen, das es in entscheidender Hinsicht nicht ist. Die Unmöglichkeit oder Feigheit, im deutschen Vorentscheid das Thema Menschenrechte zumindest anzusprechen, macht auch keinen guten Eindruck.

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, hat — zum Unmut des ARD-Verantwortlichen — Briefe an alle Kandidaten und Jury-Mitglieder geschickt. Er fordert sie darin nicht zum Boykott auf, sondern bloß dazu, sich zu informieren und sich zu verhalten. Das Ergebnis? Die Jury-Frau Alina Süggeler wagte immerhin in der Umbaupause (!) der Harald-Schmidt-Show, die nur im Internet gezeigt wird, folgendes, äh, Statement:

Schmidt: Fährst Du dann auch nach Baku?
Süggeler: Ich glaube, eher nicht.
Schmidt: Warum?
Süggeler: Da bewegen wir uns jetzt auf dünnem Eis.
Schmidt: Politische Missstände?
Süggeler: Ja, ich find schon. Es ist schwierig, sich da zu positionieren. Und sich da auch wirklich richtig zu positionieren, ohne dass man jemandem Unrecht tut. Aber wenn ich nicht unbedingt vor Ort sein muss, dann lass ich das, glaube ich, aus.

Schon das ist zuviel verlangt? Dass wir uns informieren und, mit aller nötigen Zurückhaltung, eine Haltung zu einem Ereignis finden, an dem wir mitwirken? Eine Haltung, die man offen vertreten kann, was bei uns — anders als in Aserbaidschan — problemlos möglich ist?

Ich nehme mal zugunsten der Verantwortlichen von „Unser Star von Baku“ an, dass es nicht ähnliche Überlegungen waren, die sie dazu brachten, das Thema aus der Sendung fernzuhalten. Sondern nur der Glaube, dass die Zuschauer das nicht sehen wollten. Dabei hätte es vielleicht ein paar Leuten gefallen, für drei Minuten etwas zu sehen, in dem es um etwas geht, und nicht noch eine Floskel von Herrn Raab, nicht noch ein lustiger Blick hinter die Kulissen, nicht noch eine Erklärung, was eigentlich so ein Green Room ist.

Gut, man hätte dafür vielleicht einen anderen Sprecher finden müssen als den lustigen Mann mit der Kieksstimme von „TV Total“.