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Ein glorreicher Halunke

Süddeutsche Zeitung

Der Viva-Star Stefan Raab will jetzt bei Pro Sieben die TV Kollegen hochnehmen — einige finden ihn gar nicht komisch.

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So hatte man sich das Zuhause eines grinsenden Jungkomikers, eines respektlosen Mistkerls nicht vorgestellt. Stefan Raab wohnt in Köln, und zwar in Köln-Sülz. In Sülz stehen viele graue Häuser mit wohnzimmergroßen Kneipen und Läden im Erdgeschoß. Auf einem dieser Häuser steht in orangefarbenen Buchstabenquadraten „Metzgerei“ und in Schreibschrift darunter „Raab“. Eine traurige Gardine hängt inzwischen im Schaufenster, die Metzgerei ist nicht mehr in Betrieb. Und die Tür öffnet nicht eine charmante Assistentin, sondern Raabs Mutter.

Stefan Raab, 32, TV-Moderator und Musikproduzent, ist nicht da. Das ist erst einmal ein Glücksfall. Denn so geht es mit Mutter Raab in die Wohnküche, in der Raabs Freund Guildo Horn gerne sitzt und ihre Mettbrötchen ißt. Frau Raab erzählt, daß sie manchmal eine Stunde braucht, um zur Bank an der Ecke zu kommen, weil sie alle paar Minuten jemand auf der Straße anspricht. Aber das seien sie, die Raabs, als eingesessene Kaufleute gewohnt. Den Stefan kennt hier noch jeder von damals, als er im Laden gestanden und seine Metzger-Lehre gemacht hat. Und daß sich viel verändern wird, wo er jetzt von Viva zu Pro Sieben geht, das glaubt Frau Raab nicht. Eigentlich sei das mit der Karriere immer einfach so passiert. Der Stefan sei als Kind nie groß aufgefallen, nicht mal Schülersprecher gewesen. Eigentlich ein ganz ruhiger, naja, vielleicht nicht ganz ruhiger, naja, wie Jungs halt sind.

Ja, klar, Frau Raab. „Der tut nichts“, ruft das Herrchen am Horizont, während der Hund mit sabbernden Lefzen auf sein Opfer zugalloppiert. „Der spielt nur“, brüllt der Mann, während das Tier zubeißt. So ist Stefan Raab. Er will keinem etwas Böses. Aber läßt man ihn von der Leine, stürmt er los, und zerbeißt das Lieblings-Spielzeug der anderen. Schreibt ein Lied für Guildo Horn und versaut damit Ralph Siegel seinen Schlager-Grand-Prix. Sprengt die Hitparade, weil er sich an den Moderator fesselt. Ärgert Dieter Thomas Heck, indem er bei der Verleihung der Goldenen Stimmgabel die Lippen nicht zum Playback bewegt. „Mein Mann und ich fanden es nicht witzig“, sagte Frau Heck hinterher. Und Raab steht da wie der Hund im Blumenbeet und versteht nicht, wofür man ihn prügelt. „Ist doch nur Spaß“, sagt er. „Wer den nicht versteht, ist selber schuld. Es gibt zuviele Leute, die sich und das, was sie machen, zu ernst nehmen.“ Das kann Stefan Raab nicht passieren.

Von 1993 an hat er auf dem Musiksender Viva die Sendung Vivasion moderiert. „Viva hat mir die Gelegenheit gegeben, fünf Jahre lang On-Air zu proben“, sagt Raab. Das ist kokett, aber nicht falsch. Zur öffentlichen Dauerprobe gehört, daß Raab von seiner Redaktion markierte Stellen aus der Bravo oder aus Zuschauerfaxen vorliest. Das Besondere besteht schlicht darin, daß Raab in das Manuskript exakt in dem Moment zum ersten Mal sieht, in dem er es vorliest. Dann nimmt ein Sänger oder Halb-Promi neben ihm Platz und Raab fängt an, in dessen Biographie zu blättern: „Mensch, Du hattest ja letzthin, wollen wir mal gucken, was Du da alles gemacht hast, äh, ach ja hier, wie war das denn..?“ Freunde gewinnt man damit nicht. Aber Fans. Und das alles ist doch kein Grund für die Gäste, beleidigt zu sein: „Ist doch nur Spaß.“

Spaß ist für Raab ein anderer Ausdruck für „gute Unterhaltung“. Die schafft er, meint er, indem er mal die Gala zur Verleihung der Goldenen Stimmgabel aufmischt. Und freut sich, wenn ein Mini-Skandal daraus wird. „Provokation ist ein Mittel, um für Aufmerksamkeit zu sorgen“, sagt Raab“,aber keines, mit dem man langfristig Entertainment machen kann“. In den letzten zwei Jahren habe er schon versucht, „nicht nur über Randale zum Spiel zu kommen“, wie er es am Anfang fast ausschließlich tat.

Daß man ihn ein „Arschloch“ nennt, läßt er sich gefallen. Gegen den Ausdruck „arrogant“ hingegen wehrt er sich. „Vielleicht kommt das so rüber“, sagt er und legt Wert darauf, daß er das Fußvolk hinter der Bühne auch im Streß nett behandelt. „Was ich im Fernsehen mache, ist Show. Es hat zwar mit dem privaten Raab zu tun, ist aber immer sehr überspitzt“, sagt er. Als Alf Igel peitscht er beim Grand Prix die Massen in goldener Glitzerjacke an; bei der Echo-Verleihung fährt er auf dem Dach eines Wagens vor und gibt eine Michael-Jackson-Parodie. Wenn er aber ganz privat auf die Straße geht, zieht er sich die Baseballkappe tief ins Gesicht und schaut auf den Boden. Bei Filmpremieren ist er kaum zu sehen. Und tatsächlich gibt es weder Stefan-Raab-Schlüsselanhänger noch einen Fanclub. Als zu seiner Hoch-Zeit bei Viva Mädels in Schlafsäcken vor seiner Tür übernachteten, habe er das als „totale Eingrenzung seines persönlichen Bereiches“ empfunden, sagt er pikiert.

In der ehemaligen Wurstküche der Metzgerei hat sich Raab ein großes Studio eingerichtet, in dem er seiner Hauptberufung nachgeht: Künstler zu produzieren und sich gelegentlich selbst immense Hits wie „Börti Vogts“ oder „Hier kommt die Maus“ zu schreiben. Wenn’s um seine Musik geht, soll ihm bloß keiner dumm kommen: Dann hält er schon mal Kurzreferate, warum sich hinter der scheinbaren Schlichtheit eine komplexe Struktur verbirgt, und erwähnt dezent, daß der Spitzen-Jazztrompeter Till Brönner ein guter Freund von ihm ist: „Wenn ich mich entscheiden müßte für die Musik oder das Fernsehen, würde ich mich sofort für die Musik entscheiden.“ Alt möchte er nicht werden im Fernsehen: „Vielleicht erwachsen.“

Den Sprung aus der Kinderecke des Fernsehens hätte Raab längst machen können. Dutzendweise hatte er Angebote vorliegen: TV Kaiser, Cashman, eine Prominenten-Karaoke, Samstagabendshows auf RTL und Sat 1. Er hat alles abgelehnt: „Da war viel Müll dabei.“ Und weil der Zeitpunkt nicht der richtige war: „Es bedurfte noch einer Entwicklung bei meinem Image. “ Seit er sich mit seinem Hit „Hier kommt die Maus“ auch in Kinderzimmer und Elternherzen gesungen hat, ist er wenigstens nicht mehr nur der Rabauke: „Die Maus war mir sehr dienlich.“

Es ist immer noch alles nur Spaß, was Raab im Fernsehen macht, aber heute nennt er es „Entertainment“. Sein neuer Chef Jobst Benthus, „Abteilungsleiter Show“ bei Pro Sieben, kirrt ihn zur Verkörperung „der Generation der jungen Entertainer“. Ab März hat er dort seine eigene wöchentliche Show TV Total. Bald wird er dort wohl, wie Arabella Kiesbauer, auch als Werbeträger für den Sender auftreten und beide Seiten sind glücklich: Pro Sieben läßt Raab erwachsen werden und ein breiteres Publikum ansprechen. Raab bringt zu Pro Sieben im Idealfall einige jüngere, vorzugsweise weibliche Zuschauer von Viva mit.

Zum Erwachsensein gehört, daß Raab in Zukunft die Sende-Manuskripte vorher durchlesen wird. „Major-TV“ nennt Raab Pro Sieben respektvoll im Gegensatz zum Mini-Sender Viva. TV-Total ist die Raab-Version von Kalkofes Mattscheibe auf Premiere: Die Dauerglotzer von der Firma Brainpool, die auch die Wochenshow auf Sat 1 produziert, suchen nach Pannen, Katastrophen oder Originalen wie Gustav Lommerzheim, der im Offenen Kanal Berlin einen Tanzclub für Senioren veranstaltet. Die besten Geschichten aus den täglichen Talkshows werden als Märchen nacherzählt. Zwischendurch darf Raab machen, was er am liebsten macht: Unschuldige Menschen auf der Straße oder am Telephon mit blöden Fragen nerven — drauf zutraben und freundlich zubeißen.

Einen riesigen Schritt sieht er in dem Wechsel dennoch nicht: „Es bleibt ja dabei, was ich nicht witzig finde, kommt nicht in die Sendung.“ Seine Hauptstärke wird weiterhin in dem Mut bestehen, mit einer Mini-Gitarre die Show-Ikone Rudi Carrell zu überraschen und zu singen: „Wann wirst du endlich wieder witzig? So witzig, wie du früher schon nie warst…“ Herr und Frau Heck und viele andere auch werden immer noch nicht drüber lachen können.

London läßt deutsche MTVler von der Leine

werben & verkaufen

Erstmals sendet MTV Programme in deutscher Sprache. Die Ansprache jüngerer Zuschauer und eine weit stärkere Präsenz vor Ort sollen jetzt verlorenen Boden gutmachen.

So richtig entscheiden kann sich MTV-Deutschland-Chef Michael Oplesch nicht. Soll er die Neuigkeit der Presse als Sensation oder als Kleinigkeit verkaufen? Einerseits ist der Start deutschsprachiger Programme auf MTV für ihn der Höhepunkt von anderthalb Jahren Arbeit, in denen er ein 120köpfiges deutsches Team aufgebaut hat: »Wir waren die Pitbulls, die immer schon an der Leine gerissen und gekläfft haben, und jetzt dürfen wir endlich auf die freie Wildbahn.« Andererseits sende MTV in aller Welt falls möglich in der Landessprache. Daß auf dem deutschen Kanal künftig weniger Englisch gesprochen werden wird, sei also ganz natürlich. Es habe überhaupt nichts mit irgendwelchen »lokalen Wettbewerbern«, sprich: Viva, zu tun.

Klar ist zumindest, wie die Neuerungen dem Publikum verkauft werden sollen: ganz groß. Die Woche, in der die neuen Programme starteten, begann fast ohne Programme: Seit Montag läuft auf MTV tags-über nur noch Video an Video, ohne Moderationen und Shows, getrennt nur von dem Hinweis »The future starts on MTV March 7th«. Begleitet wird der Countdown von einer TV-Kampagne der Münchener Agentur Start, die ein neues Programm »mit Liebe gemacht«, »nur für dich« verspricht.

Der Riesenwirbel dreht sich zunächst nur um wenige Stunden am Nachmittag. Diese Zeit will MTV in Deutschland zu seiner Primetime machen. Mit neuen Moderatoren, ein paar neuen Sendungen und neuer Sprache: Zwischen 14 Uhr und 19.30 Uhr spricht MTV seit heute deutsch.

Dabei geht es nicht nur darum, mit welchen Worten dieses oder jenes Musikvideo angekündigt wird; mit dem neuen Programm ist auch eine neue Positionierung von MTV in Deutschland verbunden. „Wir haben mit großem kreativen Potential eine Ansprache geschaffen, in der wir den Leuten die große weite Welt nach Hause gebracht haben“, sagt Programmchefin Mona Rübsamen. Das funktioniere, weil die Menschen neugierig seien, über den Tellerrand hinaus in andere Regionen hineinzuschauen. „Aber darüber hinaus wollen die Zuschauer Sachen sehen, die etwas mit ihrem eigenen Leben zu tun haben. Und sie wollen selbst reflektiert werden.“

Diesen Spagat zwischen dem Glamour der Welt und den Sorgen der Jugendlichen in Buxtehude will MTV in Zukunft vollbringen. Für den Glamour sind die News und die etablierten internationalen Formate am Abend zuständig, für Buxtehude die neue Show In Touch. Beim Flaggschiff der deutschen Programmstrecke fährt der Moderator mit einem silbernen Bus durch deutsche Lande und besucht Jugendliche zu Hause. Die bekommen die Möglichkeit, über den Jugendklub zu sprechen, der geschlossen werden soll, einen selbstentwickelten Tanz aufzuführen, ihre Trennung vom Freund, von der Freundin darzustellen und, selbstredend, sich Videos zu wünschen.

Daß die Sendung um 14 Uhr beginnt, ist kein Zufall. Das ist die Zeit, in der pubertierende Schulpflichtige nach Hause kommen. Die haben um die Mittagsstunde sonst fast alles gemacht – nur nicht MTV eingeschaltet. Schon der Sprache wegen! „Ich versteh‘ nur die Hälfte“ oder: „Das ist mir zu anstrengend“ sind Klagen, die Mona Rübsamen und Team als Erklärung dafür hörten. Die Barriere, die das Englisch vor allem für junge Zuschauer darstellte, soll nun gesenkt werden. „Die Leute hören gerne Englisch, weil sie da was lernen können“, sagt die Programmchefin. „Aber wir müssen ihnen zwischendurch das Gefühl geben, sich entspannen zu können und das Programm einfach zu 100 Prozent zu verstehen.“

Ziel ist es, beide Sprachen auf möglichst natürliche Weise miteinander zu verweben. Zum Beispiel bei Select, einem Wunschkonzert, das in Zukunft eine Stunde lang von Kimsy auf deutsch und eine Stunde mit einem internationalen Co-Moderator auf englisch moderiert wird. „Es gibt auch unter den englischen Moderatoren solche, die von unseren deutschen Zuschauern gut verstanden worden sind“, erklärt MTV-Sprecher Stefan Vogel. „Und es gibt welche, die einen schottischen Dialekt haben – die werden in dieser Form in Deutschland nicht mehr stattfinden.“

Maßgeschneidert für den deutschen Geschmack ist ab sofort auch die Musikauswahl. Bislang stammte nur eine Hälfte der gespielten Titel von der deutschen Playlist, die andere Hälfte war europaweit festgelegt. Jetzt sollen zum Beispiel in Select nur noch Titel zur Auswahl stehen, auf die deutsche Zuschauer Lust haben. In paneuropäischen Sendungen wie Amour können jetzt national interessante Titel plaziert werden. Damit kehrt MTV einem Prinzip den Rücken, das Viva-Chef Dieter Gorny immer als „Kultur-Imperialismus“ der Londoner Zentrale bezeichnet hat. Mit dem „Euro-Pudding“, dessen Bestandteile den Jugendlichen in allen Ecken des Kontinents schmecken mußten, soll Schluß sein.

Statt dessen stellen die Hamburger MTVler ihr Menü aus einer Speisenkarte mit internationaler Küche und regionaler Hausmannskost zusammen: Bei der Klatsch-Show MTV Hot – ab sofort ebenfalls auf deutsch – heißt das: ein wenig „Pamela Anderson“ (Marke: schillernd und international), etwas „Fettes Brot“ (sympathisch von nebenan), dazu nationale Tourneedaten und Nachrichten.

Mit seiner neuen Programmstruktur will MTV auch den Kampf um Titelblätter und Starschnitte der Jugendzeitschriften gewinnen. Bisher hatte eine MTV-Kimsy in London wenig Chancen gegen einen Viva-Mola in Köln. Jetzt sollen deutsche MTV-Moderatoren häufiger vor Ort auf Veranstaltungen erscheinen, und im Programm sowieso: Die beiden bekannten VJs Kimsy und Christian bekommen Unterstützung von zwei neuen Gesichtern.

Das Ende der Entwicklung ist das jedoch noch nicht. In absehbarer Zeit sollen alle Sendungen in Hamburg produziert werden, die Zahl der Mitarbeiter in Deutschland auf 200 steigen. Bei der deutschen Nachmittagsschiene und bei Wochenend-Specials, die eigens für den hiesigen Markt produziert werden, muß es dann nicht bleiben. „Nach der Gründung von MTV Europe und dem Aufbau eines deutschen Büros ist das erst die dritte Stufe unserer Rakete“, sagt Michael Oplesch. „Ich glaube, daß wir 1998 und 1999 weitere Stufen zünden können.“